Drittes Kapitel - Florenz.

Straßenleben. – Alte Paläste. – Mercato vecchio. – Via dei Calzajuoli. – Vergißmeinnicht. – Annehmlichkeiten beim Besuch der Gallerien und Kunstschätze. – Die Cascinen. – Gewühl auf dem Lungarno. – Schöner Sonnenuntergang. – Lusthäuser. – Theater. – Der Prophet als Ballet. – Ein Knabeninstitut.




Das alte liebe Florenz! Da bin ich wieder einmal in seinen Mauern, und wenn ich um mich herschaue und alles so unverändert finde, die hohen Häuser und über ihnen den tiefblauen Himmel, die Kirchen und Thürme, die Plätze mit ihren schweigsamen Statuen, immer in der gleichen Haltung, die Straßen mit demselben Getreibe wie damals, so könnte ich fast auf die Vermuthung kommen, ich sei noch vom letztenmal da. Doch habe ich glücklicherweise einen richtigen Zeitmesser bei mir, mein eigenes Herz nämlich, das mich leise schlagend daran erinnert, es seien schon etliche lange Jahre zwischen jener Zeit und heute dahin gegangen. Und es ist gut, daß jenes mir wirklich so treue Herz mich daran mahnt, wir beide seien doch um ein paar Jahre älter geworden und müßten uns schon eines gesetzteren Wesens befleißigen als damals, denn wer weiß, wohin einen sonst die Phantasie hinreißen könnte! Also Florenz ist sich vollkommen gleich geblieben, – heiter, lebendig, lustig und vergnüglich, wenn die Sonne scheint, und kenne ich wiederum keine Stadt der Welt, deren gute und üble Laune so sehr vom Wetter abhängig wäre. Bei trüben Tagen sind Straßen und Häuser gleich verdrießlich. Die Dachrinnen weinen ihren tiefen Schmerz in seltener Energie auf das Straßenpflaster nieder, die hohen Thürme haben lange Regenkappen aufgesetzt, und das Kirchengeläute tönt als wären die Glocken vierfach mit dichtem Flor umwunden. Und der Italiener, sonst immer heiter und guter Dinge, immer lustig davonspringend, als gehöre ihm irgendein schönes, wenn auch unbekanntes Stück der Welt, den Hut keck aufgesetzt, beständig eine Cigarre im Munde, oder in Ermanglung derselben eine Arie von Verdi oder Donizetti, blickt dann trostlos empor nach seinem verloren gegangenen blauen Himmel, steckt den Kopf zwischen die Schultern, und hat ganz das Ansehen eines gestern noch sehr schönen Hahns, der heute tüchtig naß geworden. Aber la tramontana, das ist der Wind, der von den Bergen herabkommt, hat die Luft wieder rein gefegt, das Pflaster getrocknet, und Florenz ist wieder Florenz. Es ist gerade, als müßte selbst die Sonne diese Stadt liebgewonnen haben, denn sie concentrirt auf ihren Plätzen und Straßen eine solche Menge von Strahlen, von Glanz und Wärme, daß alles davon wie gesättigt erscheint und man selbst oft glaubt, nur dahin fliegen zu können, wie ein Sonnenstäubchen oder wie irgend ein bunter Schmetterling. Dergestalt aber wogt auch hier alles durch einander im ewigen Farbenwechsel ohne Ruh und Rast, strahlend in bunten Kleidern, glänzend im Sonnenlichte, durchwebt von Blumen, die man in Massen auf allen Seiten sieht, plaudernd und lachend, kaufend und verkaufend unter lautem Geschrei und öffentlichem Ausrufe, unter dem Gerassel unzähliger Wagen, die in den engen Gassen in scharfem Trabe fahren und doch selten oder nie jemanden beschädigen. Dazu kommen unzählige Läden und Magazine in allen Straßen mit der reichen und eleganten Auslegung ihrer glänzenden Waaren jeder Art, um das Auge noch mehr zu blenden. Und wie putzt erst die Sonne die alten ehrwürdigen Kirchen und Häuser heraus mit Licht und Schatten, wie glänzt und strahlt der Dom in seinem buntfarbigen Mosaikschmucke! An solchen Tagen wie heute erscheint auf der Höhe des Glockenthurms jedes Säulchen, jede Verzierung rein und scharf abgezeichnet gegen die blaue Luft. Und die alten finstern Paläste in den engen Straßen, wie hat sie das Sonnenlicht so schön bemalt mit hellem Glanz und tiefem Schatten! Namentlich ist dieß wunderbar schön anzusehen, wenn man in eine der dunklern und ruhigern Straßen geht, vielleicht von Piazza del Granduca östlich in das Labyrinth von kleinen schwarzen Gassen mit trotzig dastehenden altersgrauen Palästen, deren schwer vergitterte Fenster nicht dazu bestimmt scheinen, Luft und Leben ein- und auszulassen. Hier muß man den kräftigen Pinsel sehen, mit dem der große Künstler, die Sonne, malt, wie sie nur in Gold und Schwarz eintaucht, und wie es ihr gelingt, mit einem einzigen Streiflicht von der Höhe des Dachs bis hinab zu den Fundamenten, oder durch einen einzigen Strahl, der unter irgend einem finstern Thorwege vorbricht, den ganzen Anblick einer Straße, eines Platzes so mit einemmale und so prächtig zu verändern.

Und Florenz hat viele dergleichen ernste, gewaltige, ja trübe Plätze und Straßen, und braucht deßhalb zu ihrer Verschönerung unendlich viel Sonnenlicht; aber die alten Gebäude hier sind dafür auch dankbar und blicken nicht grämlich auf die neue Zeit herab; es sind würdige und gemüthliche Herrschaften, die sich zu ihrer Zeit auch des Lebens gefreut haben und nun zufrieden scheinen mit dem, wenn gleich oft kleinlichen Glanz, durch welchen sie die Jetztzeit aufschmückt. So z. B. der alte finstere Palazzo Strozzi in der Nähe des Kaffee Donney und der schönsten der Arno-Brücken – wie er so daliegt, ein schwarzer gewaltiger Steinhaufen, fast ohne Fenster, mit einem ungeheuren Eingangsthor. Rings an den Mauern befinden sich Ringe und Träger von armsdickem Eisen, sie hielten zur Zeit des Glanzes und der nächtlichen Feste zahlreiche Fackeln. An der einen Seite mündet nun der Mercato vecchio, und bis an seine Mauern gehen die kleinen Buden der Verkäufer von Obst und Früchten in den hellsten, glänzendsten Farben und von Victualien und Gemüsen aller Art; gegenüber hat sich ein Blumenverkäufer niedergelassen und hält dort im Freien eine tägliche Ausstellung der schönsten und seltensten Gewächse, wohlriechender Kräuter und duftiger, vielfarbiger Blüthen und Blumen. Dem allem kommt nun wieder das allliebende Sonnenlicht zur Hülfe, und an einem sonnig-schönen Tage scheint selbst der alte finstere Palast Strozzi, obgleich etwas ärmlich geschmückt für seine gewaltigen Verhältnisse, doch dankbar und freundlich zu lächeln.

Es ist nicht meine Absicht, eine genaue Beschreibung der Stadt Florenz zu geben; es ist das schon so oft, so genau und erschöpfend geschehen, weßhalb ich mich darauf beschränken will, ein kleines Bild des Straßenlebens, wie es im gegenwärtigen Augenblick ist, zu entwerfen, und deßhalb nur ein paar seiner Hauptstraßen durchwandern, deren lebendiges Bild sich in allen übrigen mehr oder minder genau widerspiegelt. Da wir uns gerade bei Palazzo Strozzi befinden, so nehmen wir eine der Hauptverkehrsadern, die hier mündet, den Mercato vecchio, eine schmale Straße, zwischen unendlich hohen Häusern, wo sich Bude an Bude reiht, in denen man alles findet, was das menschliche Leben zur materiellen Existenz bedarf. Die weit geöffneten Gewölbe strömen ordentlich über von der Menge der Gegenstände und breiten sich von der Straße auf weiten Gestellen aus, so diese Straße noch mehr verengend. Hier ist Fleisch, Brod, schwere und leichte Würste und riesenhafte Käse in allen Farben und Gattungen neben- und übereinander aufgeschichtet; dabei sieht man Mehl, Reis, getrocknete Pflaumen, Feigen und die bekannten dickbäuchigen Flaschen, bis zum langen engen Hals mit Stroh umflochten und mit Papier zugestopft, enthaltend Wein und Olivenöl. Neben ihnen kommen Früchte aller Art, frische Feigen und Granatäpfel, Pfirsiche, Aprikosen und gewöhnliche Äpfel und Birnen. Eine angenehme Abwechslung bringt dazwischen eine Bude mit schönen Kräutern und Gemüsen, alle Sorten grün durch einander, zwischen denen die purpurrothen Liebesäpfel so angenehm hervorleuchten, oder auch die übergroßen saftigen Melonenstücke, die, um den Appetit der Vorübergehenden zu reizen, so recht vornehin gelegt sind. Ihnen folgen die Fischhändler; die glänzenden zappelnden »Meerfrüchte« befinden sich in großen Kübeln voll frischen Wassers und werden natürlich auf der ganzen Straße zu gleichem Preis ausgeboten. In der Mitte der ganzen Länge erweitert sich der Mercato vecchio zu einem kleinen Platze, dem eigentlichen Fleischmarkt, von dem übrigens nur zu sagen ist, daß sich über ihm eine von Säulen getragene Halle wölbt, die aber, wie der ganze Platz, ziemlich schmierig und unsauber aussieht. Hinter dem Fleischmarkt fangen die Buden wieder an wie vor demselben, und da sie, wie schon gesagt, förmlich bis zum Straßenpflaster überquellen mit Früchten und Victualien aller Art, so sieht der ganze Mercato vecchio wie eine colossale fette Guirlande aus, zusammengesetzt aus Grünem, aus Früchten, Fleisch, Butter, Käse, Eiern, Schinken, in welche hineinverflochten sind die vielen Käufer und Käuferinnen, die handelnd auf- und abrennen, und ebenso auch die dicken Verkäufer in ihren weißen Schürzen und Jacken, heftig gesticulirend, wobei sie mit ihren großen Schlachtmessern sehr wild aussehende Bewegungen machen. Vom Mercato vecchio gelangen wir in eine andere Straße, die noch vor wenigen Jahren eine enge Gasse war, jetzt aber die breiteste und schönste geworden ist. Die Regierung, welche schon so manchen düstern Theil von Florenz mit größter Pietät für die bestehenden alten Baudenkmale gelüftet und zugänglich gemacht, hat hier eine wahre Riesenarbeit ausgeführt. Früher war die Piazza del Granduca mit dem Dome auf geradem Wege nur durch die oben erwähnte enge Gasse, die Via dei Calzajuoli verbunden, und da hier das Herz der Stadt ist, hier sich alles Leben concentrirt, so war diese Straße für alle Welt unzureichend und unangenehm. Ich erinnere mich noch recht wohl der frühern mittelalterlichen Gasse mit den hohen finstern Häusern, deren weit vorspringende Dächer sogar am hohen Mittag den Sonnenstrahlen das Eindringen neidisch verwehrten, jetzt ist aus ihr eine breite, lichte, wohlgebahnte Straße geworden mit Fußpfaden zu beiden Seiten, die ihrer ganzen Länge nach aus reichen und eleganten Magazinen besteht. Ein Pariser, wenn er sehr gut gelaunt wäre, würde ihr vielleicht das große Compliment machen, sie mit dem schmaleren Theil der Rue de la Paix zu vergleichen, ein Wiener mit der Kärnthnerthor-Straße, für Florenz aber ist die Via dei Calzajuoli beides zugleich und in jeder Beziehung eine freundliche und angenehme Straße. Weder der Corso Orientale in Mailand, noch Toledo in Neapel oder die lange Zeile des eleganten Cassaro in Palermo geben ein sprechenderes Bild des Lebens im Süden, zeigen ein klareres Gepräge des regen Treibens einer volksreichen Hauptstadt. Aber wie alles in der Welt muß man auch die Via dei Calzajuoli in ihrer guten Laune sehen, das heißt, in den Mittagsstunden eines schönen Tages des Spätherbstes, wenn die begüterten Familien den ruhigen Landsitz wieder mit dem lärmenden Getreibe der Stadt vertauschen, wenn der Fremdenzug aus dem Norden, um mich eines Ausdrucks der Schnepfenjagd zu bedienen, in sein Lätare getreten ist. Das Pflaster ist feucht und gibt deßhalb keinen Staub von sich, alle Magazine sind geöffnet, und ein tiefblauer Himmel spannt sich über der Straße aus, sowie über die Hunderte von Menschen, die in allen möglichen Anzügen, buntfarbig, summend, lachend, beschäftigt und müßig gehend hier auf- und abschwärmen. Den Mittelweg nehmen Fahrzeuge aller Art ein, vornehme Damen liegen in ihren Wagen lang ausgestreckt und lassen nur hie und da einen Blick durch die Menge gleiten, dem bald nachher vielleicht ein leichtes Kopfnicken folgt, im übrigen scheint sie weder Straße noch Lärmen, noch Magazine zu interessiren; und sie fühlen darin gleich mit ihrem Bedienten auf dem hohen Hintersitze, der mit übergeschlagenen Armen, den Hut etwas schief auf dem Kopfe, alles unter und neben sich mit souveräner Verachtung anschaut. Andere Equipagen, die folgen, bilden das vollkommene Gegentheil: da ist der Bediente zugleich Cicerone und erzählt lebhaft von der alten Strumpfwirkergasse, von St. Michele u. dgl. m., während die deutsche Familie im Wagen ungeheuer aufmerksam zulauscht und noch mehr sieht, als wirklich da ist. Zahlreiche Miethwagen folgen oder begegnen sich und werden dem Fremden ungemein lästig, denn wenn er eilig in eine Seitengasse ablenken will, so stellt sich ihm der diensteifrige Fiaker gerade in den Weg und bietet seine Carrozza an. Schwere bestaubte Reisewagen rollen langsam durch die Calzajuoli, und überwachte, nüchterne, blonde englische Gesichter schauen etwas gespensterhaft in den glänzenden Tag hinaus; zwischen diesen gesetzteren Fahrzeugen rollen leichte Parocino's mit den kleinen Pferdchen und dem klingenden Geschirr hierhin und dorthin; – junge Elegants erregen die Aufmerksamkeit, indem sie sich in wahren Kinderwagen bewegen – Wagen, Pferde, alles ist en miniature bis auf den oftmals dicken Besitzer selbst, der auf seinem engen Sitze nach allen Seiten überquillt. Auch Handkarren bewegen sich im allgemeinen Strome dahin, Verkäufer, die ihr ganzes Waarenlager mit sich herumschleppen, um es stückweise mit lautem Geschrei anzubieten.

Wenn man hierzu annimmt, daß die Calzajuoli der gesuchtesteTheil der Stadt ist, daß man in ihren Läden fast alle Wünsche befriedigen kann, und daß schon deßhalb eine große Menschenmenge hier zusammenströmt um einer andern zu begegnen, welche nur daher kommt, um zu sehen oder gesehen zu werden, so kann man sich vielleicht einen Begriff machen von dem Leben in dieser Straße. Auf den Fußpfaden zu beiden Seiten findet ein beständiges Ausweichen statt, namentlich an den Ecken, wo eine neugierige Menge die übergroßen Anzeigen und Maueranschläge aller Art liest, sowie auch vor Kaffeehäusern, wo stets eine große Anzahl junger und alter nach dem Journal gekleideter Herren sich aufhält, das Glas im Auge, die Cigarre im Munde, und mit wohlgepflegtem Haare und Bartwuchs. Mit solchen Lions ist überhaupt Florenz reich gesegnet, die es verstehen, den Mantel malerisch umzuwerfen, sich ein unendliches Ansehen zu geben, hinter dem eigentlich gar nichts zu finden ist, als vielleicht ein paar Bemerkungen über das Wetter, sowie eine gründliche Kenntniß der letzten Verdi'schen Opern, von denen natürlicherweise eine immer göttlicher ist als die andere, und deren Melodien nachzusingen eine ihrer Hauptbeschäftigungen bildet. Einer Romanze aus dem Troubadour, welcher jetzt gerade gegeben wurde, konnte man nirgends entgehen, und ganz Florenz war in diesem Augenblick wie eine fette Wiese im Frühjahre, denn die Schlußworte jener Romanze »ricordate mi« – Vergißmeinnicht – sproßten überall lustig empor. Die Straße ist überhaupt die eigentliche Wohnung des Italieners, namentlich des Florentiners: er muß sehen und gesehen werden und zeigt sich nur in seinem besten Glanze, weßhalb man denn auch überall den reichsten und elegantesten Toiletten begegnet. Mag es dagegen zu Hause aussehen wie es will, das ist ganz gleichgültig, nur draußen ein seidenes Kleid, einen eleganten Paletot, frische Handschuhe, lakirte Stiefeln, sowie Blumen im Knopfloch oder in der Hand. Etwas dagegen habe ich in den Straßen von Florenz beständig gerne vermißt – das ist, man hört nie Kindergeschrei, man sieht nie einen Betrunkenen und nie kleine Buben sich herumbalgen. Letzteres wäre auch sehr gefährlich, denn bei dem unaufhörlichen Wagenverkehr würde es der jungen Generation sehr schwer fallen, einen ruhigen Platz für ihre Faustkämpfe zu finden. Ich muß gestehen, es gibt sogar in Paris wenige Straßen, die so beständig mit Fahrzeugen aller Art bedeckt sind, wie viele hier in Florenz.

Um noch einmal auf die Via dei Calzajuoli zurückzukommen, so ist sie auch deßwegen schon von den Fremden so stark besucht, weil ihr Anfang und Ende die herrlichsten Kunstschätze der Arno-Stadt aufweist. So beginnt sie am Domplatz, der in der neuesten Zeit bedeutend erweitert wurde, und nun von allen Seiten einen freien Anblick auf dieß herrliche Bauwerk gestattet. Westlich von demselben hat man an einem großen Palast sehr sinnreich die schön gearbeiteten Statuen der Erbauer aufgestellt, und während Arnolpho aufmerksam zu den Fundamenten und dem Grundrisse herabsieht, blickt Brunelleschi träumend zu der kühnen Kuppelwölbung empor. Das Ende der Strumpfwirkerstraße ist an der herrlichen Piazza del Granduca, diesem prachtvollen Museum im Freien, mit seinen Statuen, Brunnen, Bronzefiguren, Logen und Palästen, wo sich übrigens häufig eine zahlreiche Volksmenge komisch genug ausnimmt, die den Wagen eines neumodischen Dulcamara umstehend – Mixturen und Pillen gegen alle erdenklichen Übel kauft.

Was Florenz für den Kunstliebhaber so außerordentlich angenehm macht, ist die schöne, elegante und zugängliche Ausstellung aller Kunstschätze; wie angenehm spaziert es sich in der Loggia degli Uffici, wie ist hier selbst die sonst eben nicht nachahmungswerthe Durcheinanderstellung von Statuen und Bildern so glücklich und dem Auge wohlthuend gelungen, wie ungezwungen fühlt sich der Beschauer, der hier ohne Einlaßkarten und Erlaubniß täglich stundenlang umherwandeln, der sich in bequemen Stühlen vor den herrlichen Antiken, oder vor den wunderbaren Bildern Raphaels und Tizians niederlassen darf. Eben so zugänglich ist auch die Gallerie im Palast Pitti, der Wohnung des Großherzogs, wo jedes Bild ein Meisterwerk, eine unschätzbare Perle ist, wo das Auge, wenn es vom ernsten Schauen ermüdet ausruhen will, die kostbaren Pietradura-Arbeiten der Tische betrachten kann, die in fast allen Sälen stehen, und an welch jedem fast ein halbes Menschenalter gearbeitet, oder wo man zur Abwechslung in die kleinen zierlichen Cabinette tritt, pompejanisch verziert mit reizenden Marmor-Statuen, oder in andere Zimmer, wo von Benvenuto Cellini oder andern großen Meistern der Florentiner Goldschmiedekunst jene seltsamen Gefässe stehen, so sonderbar zusammengesetzt, aus Perlen, Edelsteinen, Gold und Emaille.

Ja, diese freundlichen Einrichtungen sind es, welche die Gallerien von Florenz für die Beschauer so unvergeßlich machen; wie wird man sich nicht beständig eines der letzten Zimmer im Palast Pitti erinnern, wo die wunderbare Venus von Canova steht, jenes herrliche Menschenbild mit dem edlen Gesichtsausdruck und dem selbst im harten Stein so weichen und elastischen Körper!

Mit der gleichen Artigkeit, mit der man jedem den Zutritt zu diesen Schätzen gestattet, wird auch von der großherzoglichen Behörde die Erlaubniß zur Besichtigung einzelner Paläste und Villen ertheilt, man braucht sich nur an die Schloßverwaltung zu wenden, um mit der größten Freundlichkeit überallhin Eintrittskarten zu erhalten.

Um in unserer Straßenschau fortzufahren, muß ich der bekannten Cascinen erwähnen, jener schönen Spaziergänge vor der Porta del Prado am Ufer des Arno, wo sich wenigstens an Sonntagen ein großer Theil der Einwohnerschaft von Florenz zusammen findet, um unter den dichten Alleen lustwandelnd und fahrend den Klängen der schönen österreichischen Militärmusik zu lauschen, welche hier wöchentlich mehreremale spielt. Obgleich es aber hier ziemlich besucht war, erschienen mir die Cascinen diesmal stiller, ja melancholischer als in früheren Jahren; namentlich an der Seite des Flusses, wo sich sonst die elegante Welt zahlreich auf- und abbewegte, sah man jetzt wenig und einsame Spaziergänger. Diese langen Alleen an dem schönen Fluß müssen belebt sein, sonst lassen sie uns hier in der gewaltigen schönen Natur leicht nachdenkend, ja traurig werden. Die gelben Blätter der Bäume flattern langsam auf unsern Pfad herab, im Wasser spiegelt sich der glühende Abendhimmel mit seinen leicht dahinziehenden Wolken, das dunkle Laub der immer grünen Gebüsche, der Steineichen und des Epheu blickt dich so ernst und traurig an, und von den Höhen herab schauen die Klöster und Kirchen zwischen unbeweglichen schwarzen Cypressen melancholisch hervor. Du bist allein, ganz allein, und der leise Klang einer Glocke, welcher von weit her an dein Ohr schlägt, stimmt dich nicht freudiger, ebensowenig als die einzelnen Töne der Militärmusik, die du von weitem hörst, und die in diesem Augenblick ein altes bekanntes Lied spielt – ach es sind dieß oft nur einfache Klänge, aber sie treffen gewaltig dein Herz: denn sie erzählen dir von vergangenen Tagen, wo du sie ebenfalls gehört, aber wo sie dich hinrissen zu Glück und Freude. Mit solchen Gefühlen im Herzen ist es besser man sucht das Gewühl der Menschen wieder auf, als daß man hier für sich in der Einsamkeit bleibt, und wir haben nicht weit zu gehen, um die Mauer der Stadt zu erreichen und nach dem Lungarno zu kommen, wohin sich an schönen Tagen die ganze elegante Welt von Florenz zu bestellen scheint. Dieser Lungarno ist der Quai auf der rechten Seite des Flusses von dem Ponte alla Carraja bis hinauf zum Ponte vecchio, wo die Goldschmiede ihre Buden und Magazine haben. Auf der linken Seite des Arno ist ebenfalls ein Kai, der aber weniger zu Spaziergängen benützt wird; hier liegen große stille Paläste mit wenig Buden und Magazinen, von vornehmen Familien bewohnt, welche die Morgensonne lieben und das Geräusch der Wagen und Karren nicht gern den ganzen Tag unter ihrem Fenster hören. Wenige dieser alten Gebäude gewähren übrigens dem Auge einen freundlichen Anblick, und fast nur ein einziges kleineres Haus nicht weit von dem Ponte alla Carraja macht hievon eine freundliche Ausnahme. Es ist dieß die Villino Delci, die Wohnung des österreichischen Gesandten Baron v. Hügel; sie ist auch im Innern so fein und zierlich eingerichtet wie man es nur von dem Besitzer mit seinem bekannten Kunstsinn und fein ausgebildeten Geschmack erwarten darf. Baron Hügel, der Schöpfer der bekannten prachtvollen Anlagen in Hitzing bei Wien, hat hier aus seinen Kunstschätzen in Bildern, Bronzen, Vasen und Sachen aller Art ein reizendes Ganze zusammengestellt.

Kehren wir aber nach dieser kleinen Abschweifung zu unserm Spaziergang auf die linke Seite des Flusses zurück.

Die Straße ist hier nicht besonders breit, an ihr liegen die bedeutendsten Gasthöfe von Florenz, und da nebenbei die Wagenfrequenz außerordentlich groß ist, so gewinnt der Spaziergang durch das ewige Rasseln der Wagen und Karren auf dem Pflaster nicht besonders an Annehmlichkeit. In den Nachmittagsstunden von 3 bis 5 Uhr ist es überhaupt ein eingebildetes Vergnügen, am Lungarno spazieren zu gehen, und wenn es nicht zum guten Ton gehörte, sich hier sehen zu lassen, würde mancher wegbleiben; so aber läßt man sich schon etwas gefallen, man wird gedrängt und drängt andere wieder, man weicht aus, man stößt an und bittet um Entschuldigung, man verliert seine Gesellschaft, die man rechts neben sich oder hinter sich glaubt, und möchte mit Mephisto ausrufen: »was? dort schon hingerissen?« kann aber kein Hausrecht gebrauchen, denn man muß eben mit dem Strome schwimmen. Alles drängt sich hier bunt durcheinander – Herren und Damen aus allen Ständen, wirklich elegante Toiletten und seidene Kleider in den schreiendsten Farben, österreichische Officiere in ihren weißen einfachen Uniformen, laut, breit und vergnüglich deutsch redend, sowie toscanisches Militär in bunten vielfarbigen Anzügen. Wie überall in Florenz spielen auch hier die schönen Blumensträuße eine große Rolle, und überall durch die Menge hindurch schlüpfen die Blumenverkäuferinnen, auf dem Kopfe die großen, runden, nickenden Strohhüte, und theilen bereitwillig die schönsten Sträuße aus, ohne gerade dafür eine Gabe zu verlangen. Wenn nur dabei die vielen Equipagen nicht wären! Aber man schwebt jeden Augenblick in Gefahr, unter die Räder zu kommen, und wenn man hier auf ein lautes »Hoe« links springt, so prallt man vielleicht auf der anderen Seite an ein paar Pferdeköpfe, die gerade rechts wenden. Dieß macht denn auch alle Conversation ungenießbar; man hört nur mit einem Ohre, denn das andere ist auf ein verdächtiges Rasseln hinter uns gerichtet; man muß eine sehr schöne Bemerkung oftmals in der Mitte abbrechen oder als Erwiderung auf eine geistreiche Frage mit einem blödsinnigen Lächeln auf die Seite springen, um seine Hühneraugen vor den Rädern eines daherrollenden ganz gemeinen Parocino zu retten.

Trotz alle dem hat aber das Spazierengehen hier am Arno seine schönen und reizenden Seiten, nur muß man warten, bis sich die große Menge wieder verlaufen hat, bis der Abend kommt, bis die Paläste an den Ufern lange seltsam gezackte Schatten herüberwerfen, bis die schweren Massen der Brücken dunkler, das Wasser des Arno aber und der Himmel über uns immer heller und klarer werden. Wie reines Silber fließt der Fluß jetzt unter den schwarzen Brückenbogen daher und nimmt nach und nach alle die schönen und glühenden Töne des Himmels an. Vor uns haben wir die Chiesa di Castello mit ihrer großen Kuppel und dem kleinen schlank und zierlich geformten Glockenthurme – hinter ihr hinab verschwindet die Sonne und zeigt uns dort jede Säule, jede Verzierung, jedes Kreuz scharf abgezeichnet auf dem hellen Himmel; aus allen Öffnungen der Kuppel und des Glockenthurms scheint für einen Augenblick Feuer hervorzubrechen, und die Strahlen, welche dort hervorzucken, erfüllen das ganze Thal mit einem violetten, glühend angestrahlten warmen Dufte. Die alten Kirchen und Schlösser auf den Höhen scheinen aufzuathmen unter diesem letzten herzlichen Kusse, ja selbst drüben das ehrwürdige San-Miniato in seinem schwarzen Cypressen-Walde glaubt man noch einmal wehmüthig lächeln zusehen. Aber die Sonne geht nicht in ungetrübtem Glanze hinunter, eine Wolkenschichte am Horizont scheint ihr Feuer erlöschen zu wollen, wird aber dafür bestraft und lodert nun selbst in wilder Gluth empor – für uns ein herrlicher Anblick – denn hinter der Kirche di Castello bricht es hervor wie eine gewaltige Feuersbrunst, so daß weit an dem Himmel hinauf eine glühende Lohe schlägt . . . So sah ich sie noch am letzten Tage meines Aufenthalts in Florenz untergehen meine liebe schöne Sonne vom Lungarno, und wenn sie auch mit noch solcher Pracht verschwand, so machte es mich doch traurig und nachdenkend, denn sie ging hier für mich auf lange Zeit unter – vielleicht für immer – – denn wer kann dem Wetter und den Umständen trauen! Sie hatte so etwas menschlich rührendes an diesem Abende bei ihrem Niedergang und gab ein Bild so manchen Lebens; sie ging dahin wie ein glühendes wildes Menschenherz, unter in vergeblichen, unerreichbaren Wünschen . . .

Nach und nach verblaßte die Gluth am Horizont. Die Brückenbogen der Carraja standen schwarz gegen den hellen Schein; die Menschen, die hinüberschritten, glichen unbestimmten schattenhaften Wesen; das Wasser allein erschien noch hell und glänzend, und ein einsamer Nachen, der auf dem Arno dahin fuhr, zog einen langen und dunkeln Streifen nach sich. Jetzt wurden an den Ufern die Gaslaternen angezündet, und die weißen strahlenden Lichter machten eine unbeschreibliche Wirkung gegen den noch immer röthlich gefärbten Nachthimmel und die dunkeln Massen der Häuser.

Unterdessen hat sich der Spaziergang gänzlich entvölkert; man ist zur Tafel gegangen, in die Kaffees, in die verschiedenen Theater. Ein italienisches Kaffeehaus hat nicht viel bemerkenswerthes: die Räume sind einfach, die Conversation wird sehr leise geführt, und den größten Lärm machen die Kellner, die mit einem unnachahmlichen Aplomb Kaffee, Gefrorenes und dergleichen vor den Fremden hin lanciren, und nachher die kleine Münze, die man allenfalls heraus bekommt, mit außerordentlichem Geschrei dem ganzen Kaffee verkündigen.

Was die diesjährige Theatersaison in Florenz anbelangt, so kann ich nicht viel rühmliches davon sagen. Pergola hatte einen ordentlichen Tenor, eine leidliche Prima Donna, die für eine Engländerin das Italienische recht gut aussprach und auch bei ihren Bravour-Arien gehörig ins Feuer kam; ihre Stimme ist schön, doch in den obern Lagen etwas schreiend. Gegeben wurde der oben schon erwähnte Trovadore, eine neue Oper, welche Verdi eigens für die jetzige Saison und Sänger geschrieben. Was die Musik anlangt, so läßt sich nicht viel darüber sagen. Die Florentiner sind entzückt davon und meinen, sie sei fast besser als Luisa Miller; was indessen nicht hoch geschworen ist, denn Schillers Cabale und Liebe wurde von Meister Verdi mit einer Musik versehen, die über alle Beschreibung langweilig ist. Aber die Vergißmeinnicht-Romanze reißt den Troubadour durch, denn wenn die Musik derselben im letzten Act anhebt, so rückt der Italiener unruhig hin und her, hebt die Schulter in die Höhe, blickt schmachtend an dem Kronleuchter empor, und fühlt sich, indem er sagt: come e bello, für den ganzen Abend hinreichend entschädigt.

In Cocomero arbeitete eine französische Schauspielergesellschaft; sie gab unter anderm »Honneur et Argent« von Ponsard, ohne aber weder das eine noch das andere damit zu verdienen, denn der Beifall war verdientermaßen sehr gering und das Haus in allen Theilen wenig besetzt.

Im Theater Leopoldo mimte man neben einer unbedeutend und schlecht besetzten Oper den Meyerbeer'schen Propheten als Ballet, was schon der Mühe werth war angesehen zu werden. Leopoldo ist ein Theater vierten Rangs. Der Eintritt aufs Parterre kostet hier nach unserm Geld ungefähr 16 kr., und dafür hat man eine ganze Oper, freilich tant bien que mal, und ein Ballet von sieben bis acht Acten – in Summa ein Vergnügen, welches von 8 Uhr bis Mitternacht dauert. Das Publikum ist dabei sehr ungenirt, hat im Parterre den Hut auf dem Kopf, speist Feigen und Orangen, und treibt in den Zwischenacten allerlei erlaubte Kurzweil. Die Logen sind, wie in den großen Theatern, von einander abgetheilt, und bei einem Stück wie der Prophet, welches die elegante Welt ebenfalls sehen will, bemerkt man hier oft reiche und glänzende Toiletten, die dann seltsam genug mit dem Parterre contrastiren. Auf den Zetteln für heute Abend war »il Sole« mit riesengroßen Buchstaben bemerkt, und ich bin überzeugt, daß dieses bis jetzt hier noch unerhörte Schauspiel die große Menge bedeutend anzog.

Das Ballet begann übrigens mit den Schalmeien der Hirten, wie die Oper selbst, und ich glaubte schon aus der Musik derselben ein angenehmes Potpourri zu vernehmen; doch war diese Täuschung bald zu Ende, und die allergewöhnlichste Balletmusik unterstützte Pantomimisten und Tänzer in ihren extravaganten Bewegungen. Übrigens kommt jede Scene der Oper: Bertha wird von Overthal entführt, die drei Wiedertäufer reizen das Volk auf, und im zweiten Act erscheint Johann von Leyden, ein außerordentlich gewandter Pantomimist. Decoration und Costüm mußte man wirklich schön und elegant nennen; auch waren einige Corpstänze, namentlich im zweiten Act, so meisterhaft arrangirt, daß sie das Publikum unter einem rasenden Beifallsturm da capo verlangte; und die armen Geschöpfe auf der Bühne, außer Athem abgehetzt, zwangen sich zu dem bekannten unheimlichen Lächeln und begannen aufs neue. Darin ist das hiesige Publicum grausam und will nicht begreifen, daß von denen droben manche Lunge kaum noch zu athmen vermag und manches Herz unter rasenden Schlägen zu ersticken droht. Fortgetanzt muß werden, worauf man dann freilich den Balletmeister, die Solotänzer, die Decorationen und Gott weiß was noch alles zum Dank herausruft. Johann von Leyden wurde übrigens vortrefflich gegeben, und ich hätte nie geglaubt, daß jemand ohne Worte und Gesang, blos durch Bewegung und Mienenspiel, z. B. die Abschiedsscene von der Mutter, so wirklich ergreifend darzustellen im Stande wäre. Im dritten Act erschien das Lager von Münster. Morgendämmerung; der Prophet ordnet seine Schaaren zum Sturm gegen die Stadt; der Hintergrund beginnt heller und röther zu werden, und das Publikum rückt unruhig auf seinen Sitzen hin und her, denn der große Augenblick naht, wo il Sole sich präsentiren wird; endlich schießt sie die ersten Strahlen empor. Auf der obersten Gallerie des Hauses sieht man lachende Gesichter mit blinzelnden Augen, wie vom hellsten Sonnenlicht bestrahlt. Die Lampen des Kronleuchters scheinen trüb und roth zu brennen. Unten ist das ganze Haus wie mit gewaltigem Staub bedeckt, während sich, im gleichen Verhältniß wie auf der Bühne die Sonne emporsteigt, die Strahlen immer tiefer und weiter ausbreiten. Das Parterre ist vor Entzücken außer sich; man dreht sich herum, man lacht, man schreit, man hält die Hände vor das Gesicht, und selbst glänzend angestrahlt erblickt man lautlachend den Nachbar, dessen Gesicht so hell und rosig übergossen ist wie an einem schönen Sonnentag – und die Sonne hier ist nicht geizig; bei uns begnügt sie sich ein paar Zoll über den Horizont emporzusteigen, dann fällt neidisch der Vorhang; hier aber steigt sie glänzend und strahlend, ohne ein einzigesmal zu versagen, bis hoch an den Himmel. Der vierte Act spielt auf der Straße. Fides sammelt Almosen ein, worauf sich das Theater in eine prächtige Halle verwandelt – das Innere der Kirche darf in Italien begreiflicherweise hier nicht gezeigt werden – der Krönungsmarsch erschallt diesmal wieder aus der Oper, und der Einzug des Propheten erfolgt in aller Pracht und Herrlichkeit. So lange der König von Zion sein ländliches Costüm trug, die kurze Jacke, das enganliegende Beinkleid, hatten seine heftigen Bewegungen und Pantomimen durchaus nichts störendes; sobald er aber in langem weißem Gewand erscheint und damit wie in einem weiten Schlafrock auf der Bühne umherrast, die Krone auf dem Kopf, Scepter und Kugel in der Hand und, wie namentlich im vierten Act, die schauerlichsten Grimassen schneidet, geht alle Illusion verloren, und Johann von Leyden sieht aus wie ein wahnsinnig gewordener Kartenkönig; so geht denn auch die gewaltige Scene wie er seine Mutter zum Niederknieen zwingt, fast spurlos vorüber. Fides war in diesem Augenblick schon besser und hatte in ihrem Spiel wirklich ergreifende Momente, so als er sie fragte: »Liebtest du diesen Sohn?«, und sie ihm antwortete: »Ob ich ihn liebte?« Da war auf diesem Gesicht eine wahrhaft rührende Innigkeit, Hingebung und Liebe zu lesen.

Im Duett und Terzett des fünften Acts ist der Prophet aber nun ganz toll geworden, er raset hin und her, so daß seine langen schleppenden Kleider weit von ihm abfliegen, die Krone wird mehreremal auf den Boden geworfen und wieder aufgesetzt, mit satanischer Freude und entsetzlichem Kopfnicken zeigt er dem Publikum die wohlgefüllte Pulvermine, alles soll zu Grunde gehen, tanzte er – alles – alles – alles – Verwandlung. – Der Tanzsaal. – Diese letzte Scene des Ballets beginnt mit einem großen eingelegten pas de deux, während dessen der Prophet hinten an seinem Tisch sitzt, schmausend und zechend; auch ist er wieder ganz bon homme geworden und treibt mit den Tänzerinnen die ihn bedienen allerlei kleine unschädliche Späße – bis zu dem großen Moment, wo die Künstlerin vorne ihre letzte Verbeugung gemacht hat, und er nun hinten den Pokal ergreift um Meyerbeers wunderbares Trinklied abzupantomimiren. Darauf geht die Geschichte zum Schluß, wie wir bereits wissen. Die Dämpfe steigen aus dem Podium empor, rechts und links brechen die Wände auseinander, und im Hintergrunde brennt Münster.

Obgleich es über den mir selbst vorgesteckten Raum dieser Blätter hinausgehen würde, wenn ich mir erlauben wollte, über hiesige öffentliche Anstalten, seien es auch nur einzelne Zweige, wie z. B. das Unterrichtswesen, zu berichten, so kann ich doch nicht umhin eine Anstalt zu erwähnen, die im Auslande wenig bekannt, und doch, namentlich für Familien, die sich längere Zeit hier aufhalten wollen, von großem Interesse ist: es ist dieß nämlich ein Institut für Knaben, von Familienvätern gegründet, welches den Zweck hat, die Kinder unter den Augen ihrer Eltern in allen nöthigen Fächern der Wissenschaft so weit heranzubilden, daß sie von hier aus in jede höhere Lehranstalt des Auslandes eintreten können. Die Gesellschaft, welche begreiflicherweise nicht die Idee hat, bei dieser Anstalt etwas zu gewinnen, ja die im Gegentheil noch große Opfer bringt, wurde im Jahre 1838 von einigen Familienvätern allein in der Absicht gegründet, ihren Kindern eine gesunde, sorgfältige und christliche Erziehung zu verschaffen. Die meisten waren deutsche Protestanten oder Angehörige der englischen Kirche, doch wurden auch Katholiken aufgenommen, und viele italienische Familien dieser Religion ließen ihre Kinder dort erziehen; doch wurde es in jüngster Zeit den letztern verboten, ihre Kinder an dem Institut theilnehmen zu lassen. Dasselbe befindet sich in Florenz Casa Minucci Via dell' Ardiglione, ein schönes geräumiges Haus mit freundlichem Hofraume und Garten, welches von dem Directorium zu deren Zwecken erkauft wurde. Die Knaben haben hier luftige angenehme Schulzimmer und befinden sich, ohne im Raum beschränkt zu sein, beständig unter der Aufsicht ihrer Lehrer. Es gibt zwei Classen von Zöglingen: die einen welche bei ihren Eltern wohnen und nur die Schulstunden besuchen, die andern aber, die eigentlichen Pensionäre, die gegen möglichst billige Vergütung im Schulhaus selbst untergebracht sind. Die Professoren der Anstalt sind mit größter Sorgfalt gewählt und sprechen alle deutsch. Der Stundenplan ist sehr reichhaltig: man lehrt Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch, Lateinisch und Griechisch, allgemeine Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften, Mathematik, Zeichnen, Singen und Tanzen. Mehrere Stunden der Woche sind für gymnastische Übungen aller Art bestimmt, und da tummeln sich denn die kleinen Kerle der verschiedensten Nationen lustig durcheinander, exerciren militärisch oder arbeiten an der Schwingstange und dem Kletterbaum. Es herrscht ein wohlthuendes angenehmes Verhältniß zwischen Kindern und Lehrern, und alles betrachtet sich wie zu einer einzigen großen Familie gehörend. Der Director des Comites ist in diesem Augenblicke Hr. Dufresne, ein Genfer Kaufmann, dessen freundliche liebenswürdige Persönlichkeit wie ein guter Geist durch das ganze Institut zu gehen scheint, und dessen Herzlichkeit das Band der Liebe und Zuneigung fester um Lehrer und Lernende zieht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien