Und fern im dunkeln Haidemoor

Wie endlich das Waldbächlein doch wieder zum Tannenbaum zurückkam.


Und fern im dunkeln Haidemoor,
Da lag das Bächlein wie zuvor.
Doch weicher ward sein Herz und weicher,
Und seine Sehnsucht reich und reicher;
Es könnt' sich schier zu Tode weinen.
Da sprach's in Thränen fromm ergeben:
„Ach wollt' nur einmal in meinem Leben
Der Tannenzweig mir noch erscheinen!
Wie wollt' ich jetzt mich an ihm heben,
Wie wollt' ich in der Mitte bleiben,
Mit gleicher Kraft stromaufwärts treiben,
Geduldig stets, nicht toll, nicht träg,
Und nie zu lang würd' mir der Weg!
Und brächt' mich erst die Sterbestund'
Zum Tannenbaum an's heil'ge Ziel,
Mir wär' die Mühe nicht zu viel,
Wenn nur noch stark genug mein Mund,
Ihn um Erbarmen noch zu bitten,
Daß er durch mich soviel gelitten!
Doch zweimal er mir ja erschien,
Und zweimal, ach! verstieß ich ihn.
Ach, daß er käm' zum drittenmal
Mit seinem goldnen Gnadenstrahl!
Doch aus dem trüben, faulen Moor,
Da taucht er nimmermehr hervor:
Er ist ja doch so fleckenrein. –
Doch still! Ich will ergeben sein.“


Da waren die Vöglein schon ganz ihm nah;
Und wie ihr Aug' das Bächlein sah,
Da flog zuerst eins ganz allein
Dem Bächlein über's Herz so sacht,
Und warf das Blättchen ihm hinein.
Das Bächlein rief geheim sogleich:
„Was spür' ich doch so süße Macht,
Wie überschwebt's mich trostesreich!“
Und Eins flog leis dem andern nach
Und warf sein Blättchen in die Fluth,
Und Jedes im Vorüberschweben
Vertraut ein andres Wörtchen sprach.
Das rief: „Vertrau!“ und das: „Hab' Muth!“
Und das: „Wer fleht, dem wird gegeben!“
Und das: „Wer hofft, dem kömmt das Licht.“
Und das: „Wer klopft, dem schließt er auf.“
Und ach! das letzte rief darauf:
„Er will den Tod des Kindes nicht.“

Da ward des Bächleins zagende Brust
Von seliger Wehmuth so überreich,
Daß kaum es mehr zu sprechen wußt'.
Doch endlich rief es so dankesweich:
„Seid mir aus weinendem Herzensgrunde,
Ihr frommen Vöglein seid mir gegrüßt!
Wer seid ihr denn, daß so heilige Kunde
In meine Niedrigkeit ihr tragt,
Und mir so fromm den Jammer versüßt?
Wer hat euch vom armen Bächlein gesagt?“ –
Da setzten die Vöglein sich ringsumher:
„Ach kennst du uns denn nimmermehr?
Wir kommen aus den Tannenranken,
Sind ja deine eignen alten Gedanken!
Wir wachten auf aus schlafendem Tod,
Da litt' es uns daheim nicht mehr,
Wir hatten Heimweh nach deinen Schmerzen,
Und unsre Schwestern, die Röslein roth,
Die schicken durch uns die Blättchen her,
Und lassen dich grüßen aus tröstendem Herzen.“ Da rief das Bächlein: „O bleibt bei mir,
Daß ich mein Hoffen nicht wieder verlier'!
Ihr wißt so süß vom Erbarmen zu sagen!
Und doch, und doch – muß ich euch fragen,
Ach, glaubt ihr wirklich, daß je im Leben
Der Tannenbaum mir könnt' vergeben?“
Da riefen die Vöglein aus einem Munde:
„Gewiß, gewiß, er erbarmt sich dein.
Ruf' ihn nur an noch zu dieser Stunde,
So heiß du nur kannst, aus innerstem Grunde:
Dein Rufen wird nicht verschollen sein!“
Und heiß aus innerstem Grund es rief:
„O Tannenbaum, sieh', wie ich weine,
Und hör' mein Jammern reuetief!
Verschmachtend dich mein Herze sucht,
O laß mich finden auch das deine!
Was ich gefehlt, das sei verflucht!
Gesegnet seien meine Schmerzen!
Doch daß ich deinem treuen Herzen
Für all' die Lieb' nur Kummer gab,
Ist's herbste Leiden, das ich hab'.
Nur ein vergebend Wort mir sage!
Und wie ich auch die Schuld muß büßen,
Dieß eine Wort soll mir's versüßen,
Daß stumm ich deine Zucht ertrage!“
Und allsogleich stieg aus dem Moor
So ernst der Tannenzweig, und sprach:
„Du rufst – und sieh', ich steig empor.
Ich ging auch in den Sumpf dir nach
Mit meinem reinen Gnadenstrahl,
Wie mir's der Tannenbaum befahl:
Dran magst du seine Lieb' erkennen!
Und heute noch sollst du ihn sehn
Versöhnt zu deinen Häupten stehn,
Du sollst ihn den Versöhner nennen!“

Das Bächlein harrte nun und bebte
In stummer Demuth hingegossen.
Und sieh', von blendendem Glanz umflossen
Der Tannenzweig dem Moor entschwebte;
Und wie in hoher Luft er war,
Da hub er an gar wunderbar
In feuergoldnen Strahlenwellen
Stets mächt'ger, mächt'ger anzuschwellen,
Und ward zum Tannenbaume gar.
Und von des Reises Flammenpracht
Schwamm fluthend um des Bächleins Nacht
Wie Morgenroth ein ros'ger Saum.
Und ach! der goldne Tannenbaum
Der hob es mit des Lichts Gewalt,
Als silberklare Duftgestalt,
Aus seinem dunkeln Bett im Moor,
Und legt' mit seinem Gnadenschein
Sich leuchtend in sein Herz hinein.
Und wie verklärt es stieg empor,
Umflogen's all die Vögelein
In triumphirend hellem Chor,
Und Morgenlüfte frisch und rein,
Die trugen's auf den Händen weich
Durch Thal und Hügel, Bach und Steg.
Die Vöglein flogen mit zugleich
Und kreis'ten drum in flatterndem Rahmen,
Und wiesen singend ihm den Weg.
Und wie zum heil'gen Ziel sie kamen,
Lag sonnig Weben weit und breit,
Der Himmel war so duftigblau,
Es stand, vom Nachtjuwel umreiht,
So frisch und keusch die Waldesau,
Und athmete mit süßem Mund.
Und mitten aus ihrem Herzensgrund
Da rauscht' mit ausgestreckten Armen
Vom Wiederfinden und Erbarmen
Der Tannenbaum den Freudepsalm.
Die Röslein weinten wonnestumm,
Und flüsternd um den Fels herum
Lag auf den Knieen Halm an Halm.
Da hielten sie still auf ihrer Reise;
Die Vöglein schwebten nieder leise
Rings auf den moos'gen Felsenrand.
Die Lüfte senkten mit Bedacht
Das duft'ge Bächlein über'n Schacht,
Und zogen ängstlich weg die Hand –
Da sank es leise weinend nieder,
Und war beim Tannenbaume wieder.

Und ach! nun noch ich herzlich bitt':
Seht doch dem Bächlein, das da fließt,
Recht aufmerksam in's Aug' einmal!
Und jetzt geht doch ein wenig mit,
Wo sich der Laubgang dort erschließt.
Seht ihr das traute Waldesthal?
Und seht ihr nicht durch duft'ge Wiesen
Ein Bächlein zwischen Erlen fließen?
Und dort im Grund voll grüner Kühle, –
Seht ihr das Rad der alten Mühle?
Und drüben den Hollunderflieder?
Und jetzt, o seht, vom Fensterrand
Wirft grad' des Müllers Töchterlein
Ein Röslein in das Bächlein nieder!
Und seht ihr auf der Felsenwand
Das Kirchlein stehn im Abendschein?
Und fern der duft'ge Silbersaum!
Erkennt ihr ihn, den alten Rhein?
Und kennt ihr nun den Tannenbaum,
Um den ich euch so traut vereint?
Und wißt ihr, wen das Märchen meint?
O seht! Er hielt, was er versprochen!
Er hat noch nie sein Wort gebrochen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen