Doch sag, hab ich dich denn geheißen

Wie endlich das Waldbächlein doch wieder zum Tannenbaum zurückkam.


Doch sag'! Hab' ich dich denn geheißen,
Des Ufers Bande zu zerreißen?
Hast du es nicht von selbst gethan?
Hat nicht die Schlange dich verhetzt,
In blindem, aberwitz'gem Wahn
Hinauszustürzen in die Welt?
Was zürnst du deinem Vöglein jetzt?
Was geht die Schlange mich denn an?
Verdien' denn ich des Zorns Entgelt?
Verdient's die Schlange nicht allein?
War's Freiheit nicht und Sonnenschein,
Ein ewig Freuen und Genießen,
So lang im Bett du wolltest fließen,
In das ich deine Fluth befreit?
Hielt ich nicht treu, was ich versprochen?
Ward nicht die Treu durch dich gebrochen?
Pfui über deine Dankbarkeit!
Doch will ich edler sein, als du,
Weil so im Sumpf mir deine Fluth
Wahrhaftig weh im Herzen thut,
Und sag' aufs Neu den Schutz dir zu.
Es wird nicht lange Zeit mehr währen,
Wird's in den Wolken wieder gähren:
Ich hab' so ziemlich drüber Macht.
Dann will ich dich auf's Neu befrei'n
Und in das alte Bett dich leiten,
Und wieder sollst in alter Pracht,
In nie getrübtem Sonnenschein,
Du durch dein ganzes Leben gleiten!
Mich wirst du den Erlöser nennen,
Und dann erst wirst du mich erkennen!


Das Bächlein lange sich bezwang.
Ein fieberhaft erzitternd Wogen
Ging unstet seine Fluth entlang,
Seitdem das Vöglein hergeflogen,
Und immer mehr und mehr es stieg.
Doch wie das Vöglein endlich schwieg,
Da brach es aus in zorn'gem Muth:
„Fluch über dich, und deine Brut!
Ich kenn' dich nun! Dein Spiel ist aus!
Entlarvt bist du des falschen Scheins!
Du und die Schlange seid nur Eins. –
Und in der Hölle steht dein Haus!
Versuch's dich selbst erst zu erlösen
Von deiner finstern Macht des Bösen,
Eh' dich ich soll Erlöser nennen,
Der du mich konntest so verführen,
Mich vom Erlöser los zu trennen!
Laß liegen mich, so wie ich liege,
Es soll mein Elend dich nicht rühren.
Frohlocke nur ob deinem Siege,
Daß ich durch dich so mußt' verarmen!
Von deiner Gnad' ich Nichts begehr',
Denn du bist ewig gnadenleer!
Beim Tannenbaum nur ist Erbarmen.
Ja, laß die Wasser wieder schwellen,
Daß sie die Erde überschwemmen!
Ich werd' mich vor den Tempel stellen,
Und ihnen mich entgegenstemmen,
Bis daß zerstäubt in duft'gen Schaum
Mein allerletzter Tropfen weicht!
Ach dann – so hoff' ich – dann vielleicht
Werd' ich erlöst vom Tannenbaum!“
Drob lachte das Vöglein gellend laut:
„Erkennst du mich, du eitler Thor?
Hätt' dir es gar nicht zugetraut.
Nun ja! So faule denn im Moor!
Was hilft's? Du wirst ja doch noch mein!
Und wirst es grade du nicht sein –
Was liegt daran? Du halfst mir doch,
Zu rütteln an der Zeiten Bau,
Das war mir immer Dienst genug;
Und tausend Andre giebt es noch:
Drum nehm' ich's grad' nicht so genau.
Ich mach' ja Tag und Nacht den Flug,
Da will ich nicht auf Einen sehn,
Ob der nun steht, ob der nun fällt,
Hab' mehr im Aug' die ganze Welt –
Und die muß doch zu Grunde gehn!“

Und wieder lacht' es schaurig schrill,
Und in den Lüften war's zerronnen.
Das Bächlein hielt sich grabesstill,
Und wie es lange tief gesonnen,
Da sah's zum Himmel sternenleer,
Und sprach gebrochen, dumpf und schwer:
„Kein Stern wird sein in deiner Nacht,
Dahin, dahin, dein wüster Traum!
Das Vöglein teuflisch dich verlacht;
Und zum Erbarmen wirst du flehn,
Dir mög' der alte Tannenbaum
Nur einmal noch zu Häupten stehn.
So sprach er, und er hatte Recht.
Doch nein, noch mehr! Ich trau' ja kaum
Auch nur dieß flehend Wort zu sagen,
Dazu ist ja mein Herz zu schlecht.
Ich traute zitternd nur zu fragen,
Ob er mir jemals könnt' vergeben,
Daß ich ihn mocht' so treulos kränken:
Dann trüg' ich gern mein niedrig Leben!
Daß er mir könnt' zu Häupten stehn,
Dran kann ich nie und nimmer denken,
Denn allzuschwer ist mein Vergehn.“
Und ach! des Bächleins leises Wort
Schwang durch die stumme Nacht sich fort,
Und wanderte nach heil'gem Ziel
Durch Thal und Hügel ruhelos,
Bis in des Tannenbaumes Schoos
Vor Sehnsucht müd' es niederfiel.
Und in dem ewig grünen Reis,
Da hub es an zu flehen leis,
Und laut und lauter drin es sprach
Von Mutterlieb und Kindesschmerz –
Stieg auf und ab von Ast zu Ast,
Und ließ nicht mit dem Suchen nach,
Bis daß es fand das Mutterherz,
Das flehentlich es hielt umfaßt.
Und bittend fort und immer fort
Es an dem grünen Herzen hing,
Bis das zuletzt erbarmend rief:
„Ach, das ist meines Kindes Wort,
Das mir dereinst verloren ging!“
Und ach! ein Rauschen leis und tief
Stieg aus dem Herzensschoos hervor,
Und mehr und immer mehr es schwoll,
Bis daß es hell und brausend scholl
Wie tausendstimm'ger Freudenchor.

Da waren auch aus ihrer Nacht
Die todten Vöglein aufgewacht,
Und sahn sich staunend um und um,
Und Eins flog zu dem Andern schnell,
Und grüßt' es zitternd, freudenstumm,
Das Aug' voll Thränen freudenhell,
Und Eins dem Andern leis vertraute:
„Mein Aug' im Traum das Bächlein schaute,
Im dunkeln Moor ich's weinen sah,
Es war betrübt bis in den Tod.
Ich spürt' auch schon sein Herz mir nah',
‘S war flehend um Erbarmen da;
Und kömmt nur erst das Morgenroth,
Dann kehrt's zurück zum Tannenbaum!“
Und ach, das war ein Jubeln reich
Ob dem glücksel'gen Himmelstraum!
Und ungeduldig all' zugleich
Sie niederflogen auf den Plan,
Die Röslein aus dem Schlaf zu wecken.
Doch freudig ringsum in den Hecken
War jedes Aug' schon aufgethan,
Und hastig rief's aus jedem Strauch:
„Grüß' Gott, ihr Vöglein, erwachtet ihr auch?
Ach hört nur unsern seligen Traum,
Das Bächlein kehrt zum Tannenbaum!“
Da riefen die Vöglein: „Wir wissen's schon,
Wir wollten grad' euch sagen davon.
Wir fliegen zu ihm über Berg und Thal,
Und singen es heim beim Morgenstrahl.“
Die Röslein baten: „Ach thut uns die Bitt'!
Nehmt doch auch von uns ein Blättchen mit,
Und grüßt es von uns aus tröstendem Herzen!
Sonst könnt' es von uns das Bächlein schmerzen!“
Und aus der Rosen thauigem Schoos
Pickt' jedes Vöglein ein Blättchen los,
Und mit den duftigen Grüßen im Munde
Ging's fort durch die heimliche Dämmerstunde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen