Da lag es denn da im schwarzen Moor

Wie endlich das Waldbächlein doch wieder zum Tannenbaum zurückkam.


Da lag's denn da im schwarzen Moor,
Das arme Bächlein, so stolz zuvor.
Da lag's verlassen mit seinem Harm,
Da lag's nun frei, daß Gott erbarm'!
Ja, ja! ‘S war frei, wie's frei konnt' sein.
Da schloß kein Tannenbaum es ein
In fesselnd läst'gen Mutterarm;
Und auch das Vöglein gab es frei,
Und ließ es liegen ungestört.
Nicht eine Welle kam herbei,
Nicht eine fragte, wie's ihm geh';
Kein Halm, kein Lüftchen ward gehört,
Das mit ihm sprach von seinem Weh;
Ach, keine Seele ringsumher
Bekümmerte sich um sein Leben.
War's da nicht frei? was wollt' es mehr?
War ja die Freiheit all sein Streben!


Nun war das Licht ihm aufgegangen,
Darum es floh die Waldesnacht;
Nun blüht' ihm die verheißne Pracht –
Nun ja! Es war ja sein Verlangen.
Das Vöglein sprach so schön ihm vor
Von Lust der Freiheit und des Lichts,
Da mußt' es freilich gleich ihm glauben.
Der Tannenbaum, der alte Thor,
Der wußte ja vom Lichte Nichts,
Und wollt' ihm nur die Freiheit rauben! –

Ach weit und breit kein einz'ger Strahl!
Vom grauen Abendhimmel sanken
Die Nebel nieder feucht und fahl.
Da war kein Blatt, das ihm gerauscht;
Kein Vöglein flog aus duft'gen Ranken,
Das traut mit ihm ein Wort getauscht;
Kein einz'ger Stern sich schauen ließ.
Und ach! da war kein Tannenbaum,
Der ihm erzählt vom Paradies,
Davon ihm kam ein goldner Traum. –
Ringsum an seinem niedern Strand
Lag düster sinnend Haideland.
Nur ein Paar Weiden, müd versunken,
Sahn aus dem Nebel trüb' hervor;
Es hört' alleinzig nur im Rohr
Das traurige Gestöhn' der Unken,
Als hört' es seufzen sein Gewissen.
Und vor ihm lag mit blut'gem Haare
Das bleiche Weib auf sumpf'ger Bahre,
Zur Seit', vom Herzen ihr gerissen,
Das Kind mit schmerzlichem Gesicht;
Dabei das Hüttlein halb durchbrochen –
Das war die Freiheit und das Licht,
Das ihm das Vöglein einst versprochen!

Das Bächlein drückte die Augen zu,
Und wollt' mit Gewalt sich schläfrig machen,
Weil es sich fürchtete zu wachen;
Doch ließen ihm die Träume nicht Ruh'.
Bald kam die Schlange leis geschlichen,
Und legt' sich um sein Herz im Ring,
Und stach's mit tausend gift'gen Stichen,
Daß laut es an zu ächzen fing.
Und wie es zitternd mußt' erwachen,
Ging durch die Luft ein höhnisch Lachen.
Bald sah's den Tannenbaum zersplittert,
Die Rosen lagen welk zerknittert,
Vertrocknet war der grüne Plan;
Und aus dem Stamme rief's ihm zu:
„Mein Kind! sieh', das hast du gethan!
Dich flieht nun ewig Glück und Ruh!“
Und schnell mit rothem Feuerschein
Schwang um den Stamm die Schlange sich,
Und rief: „Nun Alter, bist du mein!“
Und wieder lacht' es fürchterlich.

Da konnte das Bächlein nicht schlafen mehr,
Und holte den Odem so tief und schwer:
„Was hilft des Schlafes plumpe List?
Die Reu nicht mit sich geizen läßt:
Im Traum und Wachen zum Jammerfest
Gleich voll ihr bittrer Becher ist.
Und glaub' ich auch sie zu ermorden,
Und ihr den letzten Rest zu geben,
Gleich ist sie wieder lebendig worden, –
Die Reue hat ein zähes Leben.
In Gottes Namen! So mag's denn sein!
Will sehn dem Elend in's Aug' hinein.
Was mag solch schaurig Träumen taugen,
Um nur erwacht noch mehr zu erschrecken?
Da giebt's kein Trügen und Verstecken, –
Die Reue sucht mit tausend Augen.“
Und all' des jungen Lebens Kraft
Durchschauert es zusammenrafft',
Um offnen Augs umherzusehn.
Da sah's erst recht, was Alles geschehn,
Und wie so tief sein Elend war.
Wohl wusch es rein der Mutter Haar
Und spült' das Kind ihr an das Herz,
Wohl drückt' es Mund an Mund zugleich;
Doch ach! sie blieben kalt und bleich.
Da starrt' es hin in dumpfem Schmerz:
„Da lieg' ich nun, o Höllenlug!
In meiner ganzen Herrlichkeit.
Was jammer' ich nun, und schrei' Betrug? –
Er hat mir Alles ja prophezeit!
Hab' ja gewußt, was ich gesollt,
Und hab' es anders doch gewollt.
Ich hab' gesät, das ist die Frucht!
Hab' mich ja selber nur verflucht.
Doch wär's noch nicht so große Noth,
Ich trüg' geduldig noch die Pein –
Sie währt ja doch nur kurze Zeit –
Käm' nur nicht auch noch hintendrein, –
Wie bei dem Wort mich friert! – der Tod!
Und dann noch gar – die Ewigkeit!“ –

Da flog das Vöglein schnell herbei,
Und herrscht' hernieder mit heiserm Schrei:
„Was hör' ich für ein winselnd Klagen!
Pfui Schande über solch Betragen!
Bist du ein Kind, bist du ein Mann?
Wer das noch unterscheiden kann!
Ist das der Dank, daß ich so treu
Von deinen Fesseln dich befreit,
Daß du nun faselst von der Reu',
Von Tod und gar von Ewigkeit?
Toll Zeug! Das Wasser wird zu Rauch,
Und der verfliegt für immer auch.
Das ist, und um kein Härchen mehr,
Von Ewigkeit die ganze Lehr'.
Drum sei kein Narr, und denk' an's Leben!
Wer da nicht trinkt den Becher leer,
Deß Mund hat auch für alle Zeit
Des Wonnetrankes sich begeben.
Im dunkeln Strom der Ewigkeit,
Da giebt's für deine trocknen Lippen
Auch nicht ein Tröpflein mehr zu nippen, –
Ganz einfach, weil es keine giebt!
Nicht wahr, wenn nun der Plan gelungen,
Und ihr als Herrn die Welt bezwungen,
Ei Wunder! Wär' ich da geliebt,
Und ständ' in Gnaden und in Ehr'!
Nun da das Glück dich ließ im Stich,
Nun schiltst du gar Verführer mich,
Nun gelt' ich keinen Heller mehr.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen