König Max I. und Montgelas. Von Karl Heinrich Ritter von Lang.

Karl Heinrich Ritter v. Lang, Direktor des von ihm erst geschaffenen Reichsarchivs in München und einer der amüsantesten Spötter seiner Zeit, der die Dinge gerne aus seine Art ansah und daher nicht in allen Fällen unbedingt glaubwürdig ist, schreibt in seinen berühmten ,,Memoiren“ über das Leben am bayerischen Königshof:

„Meine Audienz beim König fand in den nächsten Tagen statt, früh um 6 Uhr, in den königlichen Zimmern, die sich drei Treppen hoch unterm Dach befanden, indem die eigentliche königliche Wohnung zum Teil von der Königin eingenommen, zum Teil für die damals von allen Enden her reisenden Kaiser und Könige aufbewahrt wurde. Im Vorzimmer befand sich, in Ermangelung des diensttuenden Kammerherrn, der erst später herbeikam, ein großer Affe, der mich ziemlich geringschätzend anblickte und dann eifrig in seinem Geschäft des Flöhsuchens fortfuhr. Diese Frühstunde war es, wo der bereits angekleidete König sein Frühstück nahm, das er mit einem großen Löwenhund teilte, hierauf von Herrn Ringel sich die Anfertigungen zur Unterschrift vorlegen ließ, geringere zeremonielose Audienzen gab, hierauf vom Staatskassierer sein Taschengeld, täglich tausend Gulden, in Empfang nahm und vom Polizeidirektor die Geschichte des Tags und die Abenteuer der Nacht erfuhr. Daun ging es umher in den Gängen, im Stalle, auf der Schranne, wo die Höflinge Schwänke mit Bauern und Dirnen aufzuführen suchten.


Nach der Wiederkehr ins Schloss erfolgten militärische Rapporte und Aufwartungen und die schamlosesten Anbetteleien von allen Ständen, schriftlich und mündlich, sodass die tausend Gulden täglich meist schon in den Vormittagsstunden anflogen waren; hierauf Besuch bei der Königin, die vor zehn Uhr nicht vom Bette erstand, dann bei den königlichen Töchtern, sodann diplomatische Vorstelligen und Empfang fremder Herrschasten, und endlich gings zur Tafel, welche aus Mangel an Aufsicht sehr schlecht bestellt war. Man tat sehr ängstlich wegen weiterer Unterhaltung bis zur Theaterzeit oder dem Hofkonzert, griff auch an andern Tagen zur Karte; um 10 Uhr eilte der König zu Bette. Da der König nichts las und keine besondere Liebhaberei für irgend einen Zweig der Künste oder Wissenschaften hegte, so wenig als für Jagd und Reiterei, dabei auch kein Schwelger oder Trinker war, so blieb es eine schwere Aufgabe für die Höflinge, den Tag mit Spazierengehen, Liebeleien, verkappten Hofnarren, Stadthistorien und Kleinigkeitskrämereien aller Art auszufüllen. Aus solcher Geschäftslosigkeit des Königs gingen dann auch viele üble Launen hervor, besonders wenn irgend etwas sich seinen schnellen Wünschen entgegenzustemmen schien. War er einmal gegen gewisse Personen, besonders wider Geschäftsleute, durch die Einblasungen seiner Umgebung eingenommen, so brach er nicht selten in Drohungen aus, diesen Kerlen 25 Prügel aufzählen zu lassen, welches zwar nicht stattfand, jedoch zur heftigen Kränkung der armen Beleidigten von den Höflingen überall schadenfroh ausgebreitet wurde. Auf diese Art galten Seiner Majestät der Staatsrat von Hazzi, der berühmte Advokat von Ehrne, in der Folge auch ich, überhaupt jeder, der sich etwas keck und selbständig darstellte, wenigstens als – kerl. Überhaupt war in dem König eine gewisse Anlage zur Strenge nicht zu misskennen, der es nur an Ausdauer fehlte, und die sich nicht selten in gewaltsamen Ausbrüchen äußerte. Gleichsam als besonderer Ehrenpunkt galt es, daß die Hofdamen und Kammerzofen, wenn sie schwanger wurden, was sozusagen unter die gewöhnlichen Zufälle gehörte, sich unter den höchsten Schutz flüchteten, wofür sie dann 60.000 Gulden Ausstattung aus der Schuldentilgungskasse und einen Gardeoffizier zum Gemahl erhielten.

Die Leitung der Staatsangelegenheiten war unter solchen Umständen ausschließlich dem Grafen Montgelas überlassen. Der Neigung, sich je zuweilen in die Besetzung großer Staatsämter einzumischen, begegnete der Minister in der Art, daß er dem König alsbald mündlich dazu jemand vorschlug, von dem er wusste, daß er dem König über alles zuwider war. Indem nun der König sich mit allen Verwünschungen und Beteuerungen dagegen erklärte, rückte der Minister mit einem neuen, nicht minder missfälligen Bewerber hervor und endlich, nachdem auch dieser verworfen war, und gleichsam nach langem Besinnen mit seinem eigenen Kandidaten, an dem aber der Minister selbst tausend Einwürfe und Ausstellungen machte; dann rief der König, froh die anderen Schreckensmänner abgewiesen zu haben, gewöhnlich triumphierend aus: „Nein! Nein! Den will Ich gerade haben, und Sie werden nun meinen Befehl zu vollziehen wissen.“ An der Tafel rühmte er sich dann: „Heute bin ich dem Patron, dem Montgelas, wieder recht durch den Sinn gefahren. Der hat mir zwei saubere Burschen einschwärzen wollen, aber ich habe ihn schon von weitem schleichen sehen und habe meinen Kopf aufgesetzt.“

Der Graf Montgelas, von den günstigsten Umständen bei seinem Emporkommen geleitet, war anfänglich Privatsekretär des Zweibrücker Prinzen, dann dessen Ratgeber und Gefährte bei allem Mangel und Unglück und stieg endlich beim Sonnenschein zur Zeit des plötzlich seinem Herrn angefallenen Kurfürstentums ohne Schwierigkeit zum Posten eines allgewaltigen Ministers empor. Wirklich hätte auch das Glück dem Könige nicht leicht einen verständigeren und ergebeneren Diener zuführen können. Er war ein Mann, wie ich mir einen Mazarin oder Richelieu denke. Seinen Plänen, seinen Unterhandlungen, seinem richtigen Ergreifen des Augenblicks hat Bayern seine Erhebung zu einer größeren selbständigen Macht und selbst den äußerlichen Schmuck einer königlichen Krone zu verdanken . . . Seine Bildung und sein ganzes Äußere waren altfranzösisch. Ein stark gepuderter Kopf, hell von Verstande, sprühende Augen, eine lange, hervorstehende, krumme Nase, ein großer, etwas spöttischer Mund gaben ihm ein mephistophelisches Ansehen, obgleich die kurzen Beinkleider und die gallamäßigen, weißseidenen Strümpfe, anders erschien er nie, keinen Pferdefuß zu verstecken hatten. Kein Feind der sinnlichen Freuden und Genüsse, liebte er auch die Scherze und Gespräche der Tafel, weshalb er immer auch seine Gäste mit aus dem Künstler- und Gelehrtenstande wählte.

Der bayerischen Geschichte widmete er eine besondere Aufmerksamkeit, obwohl er sie im Ganzen für unerfreulich und überhaupt München - ich gebrauche seinen eigenen Ausdruck - noch für eine sehr rohe Stadt hielt. Im Arbeiten wusste er ein Maß zu finden, hasste das pedantische Treiben und behandelte das Ministerium des Innern und der Finanzen, wo er aufrichtig gesagt, nicht viel leistete, zu diplomatisch, das ist, er pausierte, lauerte und schlich auch hier und ließ darin den lieben Gott zu viel walten. Für Audienzen und Sollizitationen war er nicht alle Zeit gut zu erwischen, im Ganzen aber für die Staatsdiener mild und nachsehend, oft bis ins Weite. Der Bescheid: Ich kann nichts tun, es dependiert alles von Seiner Majestät, galt eigentlich als eine definitive abschlagende Entschließung. In Bezug auf den Unterschied der Stände und der Vorrechte des Adels, das ist des hohen Adels - den papierenen, wenigstens den nicht begüterten, zog er gar nicht in Betracht - waren seine Ansichten nicht unbefangen, doch verschloss er nirgends die Wege unbedingt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert München 1800-1900