Der Streik.

Die Organisation der Hafenarbeiter war vor dem Streik verhältnismäßig schwach*). Von ca. 20.000 Arbeitern, die in Betracht kamen, waren kaum ein Viertel gewerkschaftlich organisiert. Dementsprechend war der Geldvorrat ebenfalls nur gering. Ein längerer Streik schien also völlig ausgeschlossen. Als daher am 20. November 1896 die Schauerleute wegen Lohndifferenzen die Arbeit niederlegten, standen sie im vollen Widerspruch zur Verbandsleitung. Nichtsdestoweniger war die Erregung unter den Hafenarbeitern so groß, dass bis zum 28. November die wichtigsten Kategorien sich alle im Ausstand befanden. In kurzer Zeit folgten die übrigen, und die Zahl der Streikenden belief sich auf ca. 17.000 Mann.

*) C. Legien. Der Streik der Hafenarbeiter und Seeleute. Hamburg 1897.


Die Ursachen des Streiks lagen weiter zurück und hatten ihre letzte Quelle in den seit dem Zollanschluss stark veränderten Verhältnissen. Der Zollanschluss hatte eine allgemeine Verteuerung der Lebensmittel gebracht. Aber nicht das allein, durch den beginnenden gewaltigen Aufschwung Hamburgs wurden die bisherigen kleinen billigen Wohnungen am Hafen den Arbeitern erheblich verteuert, sodass die Arbeiter gezwungen wurden, weiter außerhalb Wohnungen zu suchen und dennoch einen doppelten Nachteil hatten, da sie der Entfernung wegen eine Einbuße an ihrer freien Zeit erlitten und auch häufig genug der Eile oder des schlechten Wetters wegen genötigt waren, die Verkehrseinrichtungen zu Land oder zu Wasser zu benutzen. Die hierdurch hervorgerufene Unzufriedenheit wurde noch besonders genährt von der Erbitterung über die Niederlagen in den Streiks und Aussperrungen des Jahres 1890 und durch das rücksichtslose Verhalten der Arbeitgeber, welche es an Maßregelungen und Bestrafungen nicht hatten fehlen lassen. Man wollte Revanche. Zu diesem kommen noch zwei weitere Ursachen hinzu, die der einzelne Arbeiter viel mehr und viel besser erkannte, da er zu ihrer Wahrnehmung täglich Gelegenheit hatte. Das waren die durch mancherlei Missstände hervorgerufenen Gefahren im Hafenbetriebe und die von manchen Arbeitgebern immer wieder versuchten Lohnkürzungen. Besonders die herrschenden Missstände sollen den Ausschlag gegeben haben*).

Im Laufe des Streiks bewiesen die Arbeiter eine anerkennenswerte Solidarität, die bei der mangelhaften Organisation durchaus nicht zu erwarten war**). Diese Solidarität wurde von den Unternehmerorganisationen durch den Anschluss an den Arbeitgeberverband von Hamburg-Altona beantwortet. Man war auf dieser Seite der Ansicht, dass die Arbeiter den Streik lediglich deshalb veranlasst hätten, um den Unternehmern ihre Macht fühlen zu lassen. Die Arbeitgeber beschlossen daher, die Bewegung mit allen erlaubten Mitteln niederzukämpfen. Die Kampflust auf beiden Seiten schien dem Gemeinwesen der Stadt gefährlich zu werden. Es machten daher der Chef der Polizeibehörde, der Präsident der Bürgerschaft und der Vorsitzende des Gewerbegerichts den Vorschlag, als Schiedsgericht zwischen beiden Parteien vermitteln zu wollen. Aber entgegen der Annahme seitens der Arbeiter, lehnten die Unternehmer ab. Dadurch wurden die Leidenschaften aufs neue entfesselt, auch die letzten Arbeiter fielen von den Unternehmern ab, und die Streikleitung hatte alle Hände voll zu tun, um genügend Unterstützungsgelder herbeizuschaffen.

*) Schutzkongress Berlin 1906. Referat des Vorsitzenden des Verbandes der Hafenarbeiter, J. Döring. „Ich möchte hier ausdrücklich konstatieren, dass es sich bei dem Streik weniger um eine Lohnbewegung als vielmehr um die Abstellung der Missstände und Schäden handelte“.

**) Z. B. Schauerleute. organisiert, 480, im Streik 4450, Streikbrecher 96, Ewerführer, organisiert, 1247, im Streik 1867, Streikbrecher 81.

Die Bewegung teilte sich nun auch weiteren Kreisen mit. Die Kleingewerbetreibenden ergriffen die Partei der Arbeiter, da sie sich in ihrer Existenz bedroht sahen. Aber auch außerhalb der Mauern Hamburgs erkannte man die Bedeutung des Streiks. Eine in Berlin zusammengerufene Versammlung von Männern und Frauen aller Stände verwarf mit Entschiedenheit den veralteten Standpunkt, dass ein Lohnstreit nur mit der bedingungslosen Unterwerfung des einen Teils enden müsse. Aber trotz aller Vermittlungsversuche auch von Seiten des Hamburger Senats, verharrten die Unternehmer bei ihrer Forderung einer bedingungslosen Unterwerfung. Die Fortführung des Streiks schien für die Arbeiter immer aussichtsloser, sie boten immer williger die Hand zum Frieden unter Voraussetzung vorher zu treffender Vereinbarungen. Die Unternehmer blieben unerbittlich, gestützt auf die große Industrie*) und moralisch gestärkt durch die Teilnahme des Deutschen Kaisers**). Noch einmal erhoben in einem öffentlichen Aufruf***) Männer der Wissenschaft wie Baumgarten, Kiel; Herkner, Karlsruhe; Pfarrer Naumann; Tönnies, Hamburg, u. s. w. ihre Stimme, aber auch diese Aufforderung zur Versöhnung war vergebens. Am 7. Februar 1897 mussten die streikenden Hafenarbeiter die Arbeit bedingungslos wieder aufnehmen. Ein gewaltiger Kampf hatte damit sein Ende erreicht. Hatten die Arbeiter aber auch keinen direkten Erfolg zu verzeichnen, so sollte der Kampf doch auch für sie nicht nutzlos gewesen sein. Der Streik hatte den Schleier ein wenig gelüftet, der bisher dem Fernerstehenden die Kenntnis der wahren Betriebsverhältnisse im Hafen völlig entzog. Das öffentliche Interesse war wachgerufen und damit der Boden für eine Reform geschaffen.

Die nächste Folge des Streiks war auf Seiten der Arbeitnehmer eine lebhafte Agitation für die gewerkschaftliche Sache. Der Hafenarbeiterverband gewann in Hamburg eine feste Grundlage. Die Zahl seiner festen Mitglieder ist nie mehr auch nur annähernd so tief gesunken, wie vor dem Streik.

Die Unternehmer ihrerseits erwogen eine eventuelle Lohnerhöhung und gestanden diese den Arbeitern im Laufe des nächsten Jahres zu.


*) Resolution der Generalversammlung des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller vom 10. Dez. 1896, Berlin.

**) Diner beim Reichskanzler am 17. Dez. 1896.

***) Aufruf vom 19. Januar 1897.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen