Senatskommission.

Die wichtigste Folge aber war die Einmischung der Regierung. Es wurde vom Senat eine Kommission eingesetzt zur Prüfung der Hafenverhältnisse. Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden vorgeladen und ihre Aussagen protokollarisch aufgenommen. Es wurden von den Arbeitern viele Missstände zur Sprache gebracht. Die meisten Klagen wurden geführt über die Art der Arbeitsvermittlung, welche fast nur in den Wirtschaften stattfand, lange Arbeitszeit und geringen Lohn. Dass die Arbeitszeit zum Teil eine außergewöhnlich hohe war, ist nachgewiesen. Der „36 Stundentag“ war keine Seltenheit im Stauereibetriebe, aber auch der „48 Stundentag“ kam häufiger vor. Dass eine so gründliche Ausnutzung der menschlichen Arbeitskräfte auch in dem Jahrzehnt nach dem Streike noch gang und gebe war, bewiesen die Lohnbedingungen der Schauerleute, welche besonders bestimmten, dass kein Arbeiter verpflichtet sei, mehr als 36 Stunden hintereinander zu arbeiten. Seitens der Senatskommission wurde zweifellos versucht, unparteiisch vorzugehen und auf eine Abstellung der gerügten Missstände und Arbeitsverhältnisse zu dringen. Es zeigten sich dabei aber unüberwindliche Schwierigkeiten. Die Kommission konnte unmöglich den rechten Einblick gewinnen, da die Arbeitgeber versicherten, dass die Verhältnisse durchaus gut und geordnet seien, die Arbeitnehmer aber nicht alle immer recht mit der Sprache heraus wollten, da sie beständig befürchten mussten, wegen ihrer Aussagen von ihrem Arbeitgeber gemaßregelt zu werden und Lohn und Brot zu verlieren. Hinzu kam, dass die „Streikbrecher“, um sich bei ihren Arbeitgebern angenehm zu machen, sich zum teil nicht davor scheuten, recht unsinnige Angaben zu machen, und die lange Arbeitszeit als leicht erträglich hinzustellen. Diese widersprechenden Aussagen der Arbeitnehmer veranlassten die Kommission, sich mehr auf die Seite der Arbeitgeber zu stellen. Die Kommission war auch gar nicht in der Lage, die Ursachen der Missstände in den Betrieben zu erkennen und zu beseitigen, da die Eigenart der Hafenverhältnisse es unmöglich machte. Zur Erläuterung mag ein kleines Beispiel aus den Protokollen dienen. Der Arbeitnehmer behauptet, in den Schuten sei kein oder mangelhaftes Geschirr. Der Arbeitgeber antwortet, es sei alles da, und wenn es nicht in Ordnung wäre, so sei es eben gestohlen. Worauf der Arbeitnehmer erwidert, dann sei es doch nicht da. Die Kommission steht hier vor der Frage, wer nun die Schuld an dem Mangel trage, in Wahrheit liegt die Sache so, dass beide recht haben, eine Schuld aber keinem beizumessen ist bei einem eintretenden Unfall. Der Arbeitgeber kann unmöglich bei der weiten Ausdehnung des Hafens über seine überall zerstreut liegenden Schiffe eine beständige und genaue Kontrolle üben, ebensowenig kann der Arbeiter an Stelle des fehlenden oder schlechten Geschirrs neues hervorzaubern. Schuld sind an diesem Missstande aber zweierlei, die geringe Sicherheit des Eigentums und die Unachtsamkeit und Sorglosigkeit desjenigen Arbeitnehmers, der schlecht mit dem Geschirr gearbeitet hat und es nicht gut verschlossen oder eine Mangelhaftigkeit dem Arbeitgeber nicht angezeigt hat.

Die Senatskommission hat für ihre umfangreiche Arbeit sich weder den Dank des Unternehmers noch des Arbeiters erwerben können. Allerdings sollte sie nicht ganz erfolglos auseinandergehen. Die von den Arbeitern lange geforderte Hafeninspektion wurde eingesetzt, wenn auch nicht in der Form, wie sie gewünscht war. Die Behandlung aller übrigen Streitfragen wurde wie vor dem Streik den beiden Parteien zur Schlichtung überlassen und damit eigentlich selbst das Signal zu weiteren Kämpfen gegeben.


Ein allgemeiner großer Ausstand hat im Hamburger Hafen seit 1897 nicht wieder stattgefunden, aber ebensowenig kann man von einer allgemeinen Ruhe während dieser Zeit sprechen. Es sind immer einzelne Gruppen der Hafenarbeiter in Bewegung, und von allen wird unermüdlich daran gearbeitet, die wirtschaftliche Lage zu verbessern. An der Regelung des Arbeitsnachweises und der Arbeitsbedingungen gewinnen sie allerdings direkt nicht bestimmten Einfluss, wie wir weiter unten sehen werden, wohl aber wird das Unternehmertum gezwungen, um sich vor Beunruhigungen zu schützen, den Wünschen der Arbeiter häufig willfährig zu sein. Dieser beständige Druck der breiten Arbeitermassen äußert sich besonders dort, wo es sich um die Abstellung von Missständen oder die Befolgung von Arbeiterschutzvorschriften handelt. Unter diesem Drucke haben sich die sozialen Verhältnisse des Hamburger Hafens seit dem Streik ohne Frage bedeutend verbessert, wenn auch die gegenwärtigen Zustände noch nicht als durchaus befriedigend zu bezeichnen sind.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen