Der Genuss.

Hier gilt es, drei Irrlehren zu bekämpfen, die in ihren Endzielen zur Verneinung der persönlichen Freiheit führen.

Zunächst die Irrlehre, dass der einzelne nicht nur für seinen Genuss im engeren Sinn, sondern auch für die Produkte, die er für seine produktive Tätigkeit erwirbt (Rohstoffe, Halbfabrikate, Hilfsstoffe und -Mittel), Konsument sei. Hieraus wird seitens der Anhänger der rein materialistischen Richtung gefolgert, dass die allgemeine Tendenz auf niedrige Preise gerichtet sein müsse und dass das freie Spiel der Kräfte auch auf diesem Punkte alles und zwar zu Gunsten der nichtbesitzenden Bevölkerung am besten regele. Von kommunistischer Seite wird dagegen geltend gemacht, dass der niedrige Preisstand nur auf Kosten des Arbeitslohns erzielt, d. h. die geringere Ausgabe der Arbeiter durch geringere Einnahme ausgeglichen werde. Dieses rein theoretische Gebäude fällt mit der Haltlosigkeit seiner Grundlage. Zwischen dem zu Genusszwecken Kaufenden und dem Käufer, der als Glied einer Produktionskette eine Ware von einer Produktionsstufe zur anderen führt, besteht ein prinzipieller Unterschied. Der erstere schränkt Genuss und Kauf ein, wenn die Preise steigen; der letztere kann wegen der Möglichkeit der Abwälzung auch hohe Preise zahlen, und im allmählichen Abnutzungskonsum zeitweise gebundene Güter wieder in den Produktionsprozess zurücknehmen. Von einem gemeinsamen Druck der Produzenten und Konsumenten auf die Preise kann keine Rede sein. Vielmehr wird unter einer vernünftigen Wirtschaftsordnung nicht der von Profitwut oder Lohndruck beeinflusste niedrige Preisstand, sondern der Preis die Regel sein, der sich aus dem von einem einsichtsvollen Gebrauch der persönlichen Freiheit geleiteten Interessenausgleich jeweils als der sachgemäßeste herausstellt.


Der zweite Widerspruch richtet sich dagegen, dass die Unvernunft im Genuss, die Verschwendung auf der einen, die Entbehrung auf der anderen Seite und ihre schädliche Rückwirkung auf die Produktion, Ursache und Folge der durch die persönliche Freiheit veranlassten ungerechten Einkommens- und Besitzverteilung sei. Den Willen, Arbeit und Genuss in ein richtiges Verhältnis zu bringen, ist die höchste rein individuelle Kunst, der größte Gewinn der persönlichen Freiheit, die keine kommunistische Reglementierung durch die Gesellschaft ersetzen kann. Der widersinnigste Einfluss geht gerade von der Modetorheit und Gleichheitssucht der Gesellschaft aus, von der Nivellierung der äußeren Lebensart, von der Sucht der besserstehenden Klassen, sobald die nachstehenden ihren Genusskreis mit Recht verbessern, auch den ihrigen grundlos zu steigern. Je mehr sich die Einzelempfindungen im Genussleben unbeschadet der Tendenz, dass die in gleicher Einkommenslage Befindlichen hinsichtlich der Verteilung ihrer Bedürfnisse auf die einzelnen Konsumzweige gleichmäßig verfahren, von der Willkür der gesellschaftlichen Modegebräuche befreien, desto mehr wird die Mäßigung im Genuss im Interesse seiner Dauerhaftigkeit, Veredelung und geistigen Verfeinerung zur Geltung kommen. Die Einfachheit des Genusslebens schließt keineswegs ein hohes Maß der Veredelung aus; nur muss darauf geachtet werden, dass die Gewohnheit im Genuss im Gleichgewicht zur Gewohnheit in der Arbeit bleibt. Nicht die Beseitigung des freien Genusswillens, sondern die Ächtung seiner Ausartung — insbesondere soweit der Luxus nur durch Steigerung harter körperlicher Arbeit befriedigt werden kann —, nicht diktatorische Genussvorschriften, sondern eine organische Steigerung der allgemeinen Genusskraft und Lebenshaltung auf Grundlage einer vernünftigen Einkommens- und Besitzverteilung sind das Ziel. Für seine Erreichung ist keineswegs die über einen bestimmten Punkt hinaus nicht mehr steigerungsfähige Genusskraft des einzelnen, sondern das Gesetz der großen Zahl entscheidend. Die Steigerung der Produktion muss zur Verallgemeinerung und Veredelung des Konsums führen; für die Massenerzeugung der Maschinen ist der Absatz an eine steigende Menge von Konsumstellen derart zwingend, dass die Besitzinteressen selbst hierauf hinwirken müssen. Und dieser Zwang wirkt progressiv, da die unübersehbaren Fortschritte der Maschinentechnik der Bevölkerungszunahme stets vorausgehen.

Ebensowenig haltbar ist die dritte und abstrakteste aller Theorien, die aus den Zeiten der wirtschaftlichen Abgeschlossenheit und unvollkommenen Technik stammende Lehre von der Unzulänglichkeit der Unterhaltmittel und von der Übervölkerung, der schärfste Angriff gegen die persönliche Freiheit, die Agitationswaffe aller pessimistischen Systeme. Sie bildet den Ausgangspunkt für die Behauptung, dass wegen zunehmenden Mangels der Naturkraft gegenüber der Bevölkerungszunahme der Besitz eine steigende Rente gegenüber dem Nichtbesitz beziehe. Allerdings können in einem isolierten Gebiete die Rohstoffernten an einen nicht mehr steigerungsfähigen Punkt gelangen, während die Bevölkerung, die in der ersten Generation sich verdoppelte, sich in der dritten Generation schon auf das Vierfache der ersten belaufen kann. Auch sind infolge ungenügender Verkehrsleitung oder rascher Bevölkerungszunahme örtlich und zeitlich vorübergehende Störungen möglich. Nimmer lassen sich jedoch solche Erscheinungen auf das Weltgebiet, wo sich Bedarf und Überschuss ausgleichen, übertragen und zu dem Trugschluss verallgemeinern, dass die Hemmnisse, welche die überwiegende Produktivkraft des Menschengeschlechts sich nach der Masse der Nahrungsmittel zu richten zwingen, auflösbar seien in Laster und Elend. Wo liegen denn die Beweise für eine Erschöpflichkeit der Natur in der Weltordnung, deren Kraftvorrat für menschliche Erkenntnis unübersehbar ist? Lässt sich eine Grenze der technischen Vervollkommnung aufstellen? Jeder technische Fortschritt, der die Produktion intensiver macht, ermöglicht die Befriedigung einer größeren Konsumentenzahl, während andererseits die Lebenskraft der Volksstämme ebenso einen Höhepunkt erreicht, wie diejenige der Menschen. Ist nicht gerade die mit der persönlichen Freiheit eng verknüpfte internationale Freizügigkeit, zu der die Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auf wirtschaftlichem Gebiete kommt, eines der wirksamsten Ausgleichmittel? Und selbst wenn das Phantom der Hilflosigkeit der Menschheit richtig wäre, könnte eine mehr oder minder kommunistische Wirtschaftsordnung im Endpunkt auch keine Lösung bieten.