§ 3. Der Frankfurter Streit; die Freiheitsberaubung in den „freien Städten“

Gleichzeitig mit dem Krieg, den die deutsche Öffentlichkeit gegen die Juden führte, wütete der Krieg, der ihnen in allen deutschen Bundesstaaten von den Regierungen angesagt worden war. Den Feldzug eröffneten die freien Städte, die ihr Recht auf die Entrechtung der Juden bereits auf dem Wiener Kongress geltend gemacht hatten. Die zweideutige Fassung des Artikels 16 der „Bundesakte“ ließ, wie erinnerlich, Frankfurt und den anderen freien Städten in dieser Richtung weitesten Spielraum, und so gingen sie nun daran, die jüdische Rechtlosigkeit in dem Umfange wiederherzustellen, in dem sie vor den französischen Neuerungen in Geltung gewesen war. Indessen war die Ära der Freiheit, wiewohl kurz, auf die Juden nicht ohne Einfluss geblieben: sie waren nicht mehr die demütig ihr Joch tragenden Söhne des Ghettos, sondern Männer, die um ihr Recht zu kämpfen wussten. Am zähesten zeigten sich in diesem Kampfe die Juden von Frankfurt. Der Rechtsstreit zwischen ihnen und der Regierung, dem reichsstädtischen Senat, zog sich über ein volles Jahrzehnt hin und beschäftigte außer den Wiener Kongress den Deutschen Bundestag, die juristischen Fakultäten mehrerer Universitäten und auch die Presse. Zwar endete er mit einem Kompromiss zwischen Macht und Recht, machte aber zugleich offenbar, dass es mit der jüdischen Unterwürfigkeit endgültig vorbei sei.

Als nach dem Wiener Kongress der Frankfurter Senat an die Wiederherstellung der alten Ordnung und an die Schmälerung der Bürgerrechte der Juden ging, trat die jüdische Gemeinde mit einem energischen Protest hervor. Sie unterbreitete dem in Frankfurt versammelten Bundestag eine umfangreiche Denkschrift, in der sie gegen die Handlungsweise des Frankfurter Senats gewichtige juristische Argumente ins Treffen führte: das Vorgehen des Senats — so hieß es in der Denkschrift — widerspreche einerseits den Bestimmungen des von den Juden mit der früheren gesetzmäßigen Regierung des Herzogs Dalberg geschlossenen Vertrages, andererseits dem Sinn der Beschlüsse des Wiener Kongresses, der den Juden die Unverletzlichkeit der von ihnen ehedem erworbenen Rechte gewährleistet hätte (November 1816). Daraufhin forderte der Bundestag den Frankfurter Senat auf, zu der ihn betreffenden Beschwerdeschrift Stellung zu nehmen. In seiner im Mai 1817 eingegangenen Rückäußerung wies der Senat alle „Ansprüche“ der Juden aufs entschiedenste zurück. Er berief sich hierbei auf die von den Stadtbehörden im Jahre 1616 kraft ihrer aus ältester Zeit stammenden Privilegien erlassene „Judenstättigkeit“ (Band VI, § 28), wonach die Juden mit dem Vorbehalt in die Stadt wieder eingelassen worden seien, dass sie in einem Sonderviertel leben und sich sonstige Rechtsbeschränkungen gefallen lassen; die Fremdherrschaft der letzten Jahre hätte zwar diese Ordnung umgestoßen, doch müsste mit der Wiederaufrichtung der legitimen Gewalt auch das alte Rechtsverhältnis erneut in Kraft treten. Seiner Antwort fügte der Senat ein „unangreifbares“ Dokument bei: ein Gutachten der Berliner Juristischen Fakultät, an deren Spitze der Begründer der reaktionären „historischen Rechtsschule“ Savigny stand. Die Fakultät argumentierte folgendermaßen: im Mittelalter seien die Juden „Kammerknechte“, Leibeigene der Monarchen gewesen ; nun hätten diese ihre Verfügungsgewalt über die besagten Leibeigenen in Frankfurt an die Stadtverwaltung abgetreten, die ihnen darum auch jede beliebige Bedingung diktieren könne; der Bundestag aber sei für die Entscheidung des Streites überhaupt nicht zuständig, da er sich in die inneren Angelegenheiten einer freien Reichsstadt nicht einmischen dürfe.


Das Gutachten der Berliner Rechtsgelehrten, deren Beweisführung darauf hinauslief, dass das Ghetto und die schmähliche Knechtschaft aus dem Grunde beibehalten werden müssten, weil sie ehedem in den Privilegien der Zwingherren verankert gewesen seien, blieb seitens der Frankfurter Gemeinde nicht unwidersprochen. In einem dem Bundestag überreichten „Nachtrag“ zu der früher vorgelegten Denkschrift (Juli 1817) sprach die jüdische Gemeinde ihre Verwunderung darüber aus, dass der Senat und die ihn unterstützenden Juristen in ihrem historischen Rückblick bei der mittelalterlichen Institution der „Kammerknechtschaft“ stehen geblieben seien, ohne an die weiter zurückliegende Zeit des germanischen Altertums zu denken, in der sich die Juden als Bürger des Römischen Reiches im Lande angesiedelt hätten. Übrigens hätten sich die Juden selber nie als Leibeigene oder ,,Knechte“ betrachtet. Die souveräne Macht über sie hätten nicht die Städte, sondern allein die Kaiser besessen, so dass der Herzog Dalberg, der Rechtsnachfolger der kaiserlichen Gewalt in Frankfurt, ihnen die Gleichberechtigung auf unanfechtbarer Grundlage verliehen hätte. Obendrein legte die Gemeinde ein Gutachten der Juristischen Fakultät von Gießen vor, die im Gegensatz zu der Berliner Fakultät die Kompetenz des Bundestages in der umstrittenen Frage vorbehaltlos anerkannte: sei doch das höchste Organ des Bundes dazu berufen, über die Einhaltung der Bestimmungen der Bundesakte zu wachen, und diese hätte den Juden die ihnen in allen deutschen Staaten eingeräumten Rechte ausdrücklich gewährleistet. — Die Entgegnung der Juden veranlasste den Senat, sich erneut zu Worte zu melden (Oktober 1817). Diesmal suchte er sein Heil in einem fadenscheinigen Sophismus: wohl seien die Juden zu Bürgern des von Napoleon errichteten Großherzogtums Frankfurt, nicht aber der freien Stadt Frankfurt erklärt worden, weshalb mit dem Erlöschen des Herzogtums auch das Bürgerrecht der Juden erloschen und an dessen Stelle erneut ihre Abhängigkeit von dem Gutdünken der Stadtbehörden getreten sei*).

*) All diese Argumente und Gegenargumente blieben keineswegs Kanzleigeheimnis, vielmehr wurden sie auch vor das Forum der öffentlichen Meinung gebracht. Beide Parteien verbreiteten nämlich zu Agitationszwecken die von ihnen ausgearbeiteten Denkschriften nebst den eingeholten Fakultätsgutachten in Form von Flugschriften. Daneben wurden anlässlich des Frankfurter Rechtsstreites viele Flugschriften von privater Seite publiziert (s. Bibliographie zu diesem Paragraphen).

Nachdem der Bundestag das Für und Wider geprüft hatte, setzte er eine Sonderkommission ein und beauftragte sie, einen Vergleich zwischen den Parteien herbeizuführen (1818). Nun begann die Stadt um den Umfang der den Juden einzuräumenden Rechte hartnäckig zu feilschen. Die Stadtbehörden fanden sich bereit, die Juden in Frankfurt als „Schutzgenossen“ zu belassen und ihren Wohnbezirk zu erweitern, wollten jedoch zugleich die Normierung der jüdischen Ehen, die Beschränkung der Gewerbefreiheit und sonstige Rechtsbeschränkungen voll erhalten wissen. Die hierüber empörte jüdische Gemeinde erklärte ihrerseits, dass sie sich das Regime des „Schutz Judentums“ unter keinen Umständen gefallen lassen würde: gingen doch die Juden überall den Weg von der Sklaverei zur Freiheit, nicht aber den umgekehrten Weg. Die Schlichtungskommission des Bundestages schlug daraufhin dem Senat vor, auf die kränkende Bezeichnung „Schutzgenossen“ zu verzichten und weitere Zugeständnisse zu machen. Unter den Senatsmitgliedern machte sich eine gewisse Unentschlossenheit bemerkbar. Ein Sonderausschuss des Senats brachte die folgenden Konzessionen in Vorschlag: die Juden sollten hinfort ,,Israelitische Bürger“ heißen und im Erwerbsleben größere Bewegungsfreiheit genießen, hingegen sollte die Normierung der jüdischen Ehen unangetastet bleiben. Für den Fall der Zusicherung uneingeschränkter Gewerbefreiheit erklärte sich nun die jüdische Gemeinde zu einer Verständigung bereit, nur verlangte sie, dass die zwischen ihr und dem Senat zu treffenden Abmachungen vertraglich festgelegt und nicht in die Form eines vom Senat einseitig erlassenen Gesetzes gekleidet werden sollten, das durch einen Senatsbeschluss wieder aufgehoben werden könnte. Die Vollversammlung des Senats ging indessen weder auf die von ihrem eigenen Ausschuss beantragte Subsumtion der Juden unter den gefährlichen Begriff ,,Bürger“, noch auf die von jüdischer Seite laut gewordene Forderung ein, derzufolge der Willkür der Gesetzgeber vertragliche Schranken gesetzt werden sollten. In solchem ergebnislosen Feilschen verging das traurige Jahr 1819, das auch in Frankfurt im Zeichen der Straßenkrawalle stand.

Die Unnachgiebigkeit des Senats veranlasste die Juden, sich nach Wien, an den Fürsten Metternich zu wenden, den maßgebenden Führer des Deutschen Bundes, dem von Amts wegen der Schutz der „Bundesakte“ oblag (1820). Die Bankherren Amschel Rothschild in Frankfurt und sein Bruder Salomo in Wien taten das ihrige, um den Eifer des österreichischen Staatskanzlers anzuspornen. Bald wurde denn auch dem Frankfurter Senat von Wien aus bedeutet, dass sein hartnackiges Bestreben, die Juden in Widerspruch zu den Bestimmungen der Bundesakte zu degradieren, den Bundestag zwingen würde, die Sache in eigene Hand zu nehmen. Der Senat war aber auch einem Drucke von anderer Seite ausgesetzt: um ihre Krämerinteressen besorgt, wollten nämlich die Bürger von Frankfurt von Konzessionen an die Juden nichts hören. In einem von der Bürgerschaft publizierten Pamphlet hieß es:

„Sanktionieren wir nun den vorliegenden Entwurf mit dem liberalen Handelsrayon und dem noch liberaleren Antrage der Mehrheit der Kommission hinsichtlich der Wohnung — und das Neue Jerusalem steht fertig da,! ... In zwanzig Jahren werden unsere Kinder und Enkel bei den Juden Mores machen, und es wird nur noch eines Kredit-voti bedürfen, um die Christengasse gehörig zu verschließen“. Unter der Einwirkung dieser Agitation ließ es der Senat, ohne sich an die Ermahnungen aus Wien zu kehren, auf einen Bruch ankommen (1822), und in den Verhandlungen trat eine längere Pause ein.

Die Wiederaufnahme der Verhandlungen erfolgte erst zu Beginn des Jahres 1824, als die jüdische Gemeinde die Kommission des Bundestages erneut aufforderte, sich darüber schlüssig zu werden, ob sie sich der positiven Auffassung der Gemeinde anschließen wolle, wonach die Juden Bürger seien und nur um eines Vergleiches willen einen Teil ihrer Rechte zedierten, oder die negative Ansicht des Senats teile, derzufolge die Juden, an sich rechtlos, erst auf Grund eines Übereinkommens gewisse Rechte erwerben würden. Die Kommission ergriff diesmal mit Entschiedenheit die Partei der Juden: sie sprach sich sowohl für die Einführung der Bezeichnung „Israelitische Bürger“ als auch für die vertragliche Festlegung des neuen Reglements aus; daneben wollte sie den in Aussicht genommenen Vertrag möglichst bald abgeschlossen wissen, wobei sie darauf hinwies, dass die traurigen Ereignisse des Jahres 1819 nicht zuletzt durch die dauernde Ungeklärtheit der Lage der Juden verschuldet worden seien; auch war die Kommission der Ansicht, dass die Beschränkung der 3.000 Seelen zählenden jüdischen Bevölkerung auf fünfzehn Ehen im Jahr widernatürlich und unsittlich sei, da die Folge davon Umgehung des Gesetzes oder außereheliches Zusammenleben sein müsse.

Die Vermittlungsaktion des Bundestages führte endlich zum Ziel.

Am 2. September 1824 unterzeichneten die Bevollmächtigten der jüdischen Gemeinde auf der einen und die des Senats auf der anderen Seite ein Übereinkommen, das die folgenden Bestimmungen enthielt: die in Frankfurt ansässigen „Israelitischen Bürger“ bildeten eine Gemeinde für sich, deren Mitglieder an der allgemeinen städtischen Verwaltung keinen Anteil hätten und die auf Grund von besonderen Regeln zu verwalten sei; das Wohnrecht der Juden erstrecke sich auf die ganze Stadt, in der sie auch Immobilien erwerben dürften, jedoch nicht mehr als ein Wohnhaus für jede Familie; die Zahl der von ihnen alljährlich zu schließenden Ehen bleibe auf fünfzehn beschränkt (diese barbarische Vorschrift wurde allerdings bald gemildert und i83/i ganz aufgehoben). Auch im Kleinhandel galt für die Juden eine bestimmte, ihrer zahlenmäßigen Stärke entsprechende Norm, wobei ihnen der Handel mit bestimmten Waren: mit Mehl, Viehfutter, Obst und Heizmaterial untersagt blieb; nach Ablauf einer Frist von sechs Jahren sollten überdies jüdische Handwerker christliche Gesellen nicht mehr beschäftigen dürfen.

Durch den zehn Jahre währenden Kampf zermürbt, mußten sich die Juden mit dieser an Stelle der noch vor kurzem geltenden Emanzipationsurkunde getretenen Verfassung wohl oder übel abfinden. Nachdem sich aber die jüdische Gemeinde von dem Boden des Kampfes ums Recht einmal hatte abdrängen lassen, mußte sie auf dem Wege der Konzessionen unaufhaltsam weitergehen. Am nachgiebigsten zeigte sie sich in der Frage ihrer Selbstverwaltung. Der Senat, der nicht gezögert hatte, den Juden das Recht, sich an der Stadtverwaltung zu beteiligen, rücksichtslos zu verweigern, nahm für sich selbst das Recht in Anspruch, in die jüdische Selbstverwaltung einzugreifen und sie zu kontrollieren. Laut dem von ihm bestätigten Gemeindestatut unterstand nämlich der Gemeindevorstand einem vom Senat bestellten Kommissar, und auch die Vorstandsmitglieder selbst wurden aus der Zahl der vorgeschlagenen Kandidaten vom Senat ernannt; ohne Zustimmung des Kommissars sollten die Beschlüsse des Vorstandes keine Gültigkeit haben; diese Beamtenkontrolle erstreckte sich nicht nur auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Gemeinde, sondern auch auf die das religiöse Leben betreffenden Beschlüsse, die auf ihre Übereinstimmung mit den Staatsgesetzen hin zu prüfen waren. Zu welch ungeheuerlichen Konsequenzen die obrigkeitliche Einmischung führen mußte, zeigte sich alsbald, nach der Spaltung der Gemeinde in Orthodoxe und Reformisten (unten, § 12): jede der Parteien rief den Beistand des Senats an und zog so in die geistigen Kämpfe innerhalb des Judentums eine Macht hinein, die ihm grundsätzlich feind war. Als sich der Reformationskampf besonders zugespitzt hatte (1839), stand der Senat nicht an, im Tone einer unfehlbaren Autorität zu erklären: „Der Senat wird stets bereit sein, allem demjenigen entgegenzutreten, was die Gewissen gläubiger Israeliten mit Recht verletzen und ihren hergebrachten Gottesdienst stören und hindern könnte, hingegen auch was für die wahre und wesentliche religiöse Bildung durch die Fortschritte der Zeit geboten ist, an seinem Teil zu befördern“. Das Frankfurter Bürgertum, das die Juden ihrer Bürgerrechte beraubt hatte, maßte sich unwidersprochen das Richteramt in inner jüdischen Religionsstreitigkeiten an — so tief waren die „israelitischen Bürger“ gesunken! Sie selbst freilich waren sich dessen kaum bewusst. Glaubte doch damals einer der besten Vertreter der Frankfurter Gemeinde, der Geschichtsschreiber Jost, eine solche Ordnung als „durchaus zweckmäßig“ bezeichnen zu können.

Die Feinde der jüdischen Gleichberechtigung, die in Frankfurt erst nach einem zehnjährigen Kampf ans Ziel gelangten, errangen den gleichen „Sieg“ in den anderen freien Städten fast ohne Kampf. Die Frankfurter Juden konnten sich immerhin auf das juristische Argument stützen, dass ihnen die Gleichberechtigung von der gesetzmäßigen, durch den Großherzog Dalberg repräsentierten Gewalt zuerkannt worden sei; in Hamburg, Lübeck und Bremen war hingegen die Gleichberechtigung ein unmittelbares Ergebnis der französischen Okkupation gewesen und ihr Weiterbestand konnte daher mit formellen Gründen auf dem Boden der Bundesakte nicht gut verfochten werden. Die Ersetzung der Präposition „in“ durch „von“ im Artikel 16 dieser Akte wurde in diesen Städten den Juden zum Verhängnis: sie mußten sich in den „Urzustand“ zurückversetzen lassen. In Hamburg wurde die jeweilige Richtung der Politik von der christlichen Kaufmannschaft bestimmt, die nach einem treffenden Worte B?rnes die Juden nicht deshalb hasste, „weil sie es verdienen, sondern weil sie verdienen“. Dies war auch der Grund, weshalb die dortige jüdische Bevölkerung, die über 7.000 Seelen stark war, hauptsächlich unter der Eindämmung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu leiden hatte. Den Hamburger Juden war es verboten, sich in den geschlossenen Handwerken sogar als Gesellen oder Lehrlinge zu betätigen sowie Kleinhandel mit Lebensmitteln und namentlich Hausierhandel zu treiben; überdies durften sie in bestimmten Stadtvierteln weder Wohnsitz nehmen noch Immobilien erwerben. Ebenso wie zum Schneider- und Schusterhandwerk war den Juden der Zutritt auch zu den freien Berufen verwehrt: die jüdischen Juristen wurden nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und die Ärzte in ihrer Praxis stark behindert. Die antijüdischen Straßenkundgebungen im Jahre 1819, die auch Hamburg nicht erspart geblieben waren, gaben den Reaktionären den erwünschten Vorwand zur Rechtfertigung der ungeheuerlichen Rechtsverweigerung: den Juden, so hieß es, sei das gleiche Recht schon darum vorzuenthalten, weil das Volk gegen sie eingenommen sei. Als es im Jahre 1830 unter der Einwirkung der französischen Julirevolution in Hamburg zu Volksunruhen kam, die von Überfällen auf die Juden begleitet waren, erblickten die Judenhasser hierin eine neue Stütze für die von ihnen befürwortete Politik. Im Jahre 1831 suchte eine Gruppe jüdischer Honoratioren mit dem jungen Publizisten Gabriel Riesser an der Spitze beim Hamburger Stadtrat um Zulassung der Juden zum Handwerk und zur Rechtsanwaltschaft nach; um einen Grund mehr für die Ablehnung der Petition zu haben, provozierte nun die Bürgerschaft einen Zusammenstoß zwischen Christen und Juden zunächst in einem Kaffeehaus, dann auch auf der Straße (1835), und erklärte sodann, dass die Revision der Judengesetze bis zum Wiedereintritt der Ruhe vertagt bleiben müsse. In dieser Knechtschaft mußte eine der bedeutendsten jüdischen Gemeinden Deutschlands bis zur Revolution von 1818 schmachten.

Am entschlossensten rückten die beiden anderen Hansestädte, Lübeck und Bremen den Juden zu Leibe. Auf diesem ihnen bis in die Zeit der französischen Okkupation hinein verwehrten Gebiet machte man ihnen sogar das Niederlassungsrecht streitig. Der Lübecker Senat zögerte nicht, die zweideutige Fassung des einschlägigen Artikels der Wiener Bundesakte zu seinen Gunsten auszulegen, und befahl im September 1815 den 66 jüdischen Familien, die sich in Lübeck „eigenmächtig“ angesiedelt hätten, die Stadt zu räumen. Als sich die Juden, auf ihr wohlerworbenes Recht pochend, dem unmenschlichen Befehl widersetzten, ließen die Behörden ihre Läden versiegeln und die Waren konfiszieren (1816). Die Unglücklichen mussten sich fügen und zogen nach dem benachbarten Dorfe Moisling, aus dem sie zum größten Teil zugewandert waren. In der Stadt selbst durfte nur eine geringe Anzahl von privilegierten Familien verbleiben. In ähnlicher Weise löste auch die freie Stadt Bremen die „Judenfrage“.