Vierte Fortsetzung
Doch ehe wir die absolute Notwendigkeit einer ununterbrochenen Eisenbahnverbindung von Europa mit Indien sowohl für England als auch für das gesamte übrige Nord- und Mitteleuropa besprechen, wollen wir noch einen Augenblick bei der Betrachtung der Bahn selbst verbleiben. Nicht will ich hier des Reichtums der Kaspischen Südküste an Metallen, Holz, Seide, Südfrüchten, Fischen erwähnen, deren genauer Würdigung ich früher eine Abhandlung gewidmet, — eines Reichtums, den Russland und das übrige kontinentale Europa ebensowohl, wenn nicht leichter ausbeuten könnten, wie England, wenn nur ersteres sich beeilte, seine Eisenbahnen bis zum Kaspischen Meere auszubauen; doch kann ich nicht umhin anzuführen, dass Obrist Gerssewanow auf der zweiten Versammlung der „Gesellschaft für Förderung der Russischen Industrie und des Handels", die in Moskau in diesem Sommer zur Zeit der Polytechnischen Ausstellung tagte, auf die Wichtigkeit aufmerksam gemacht hat, die das Kaspische Bassin und der ihm so nahe gelegene Chorassan für Versorgung Osteuropas mit textilen Stoffen, wie Baumwolle und Seide, hätten — ein Mahnruf, der merkwürdigerweise in unserer Presse keinen Nachhall gefunden!
Die ebenberegte Straße von Rescht über Kaswin, wenngleich sie bis zur letztgenannten Stadt mit einigen nicht unbedeutenden Terrainschwierigkeiten zu kämpfen hat, erweist sich als der einzig mögliche Weg, um aus dem Kaspischen Litoral über die Elborskette auf das persische Plateau nach Teheran emporzusteigen. Zudem bietet sie das beste Mittel der möglichst großen Annäherung an den reichen Aderbeidshan mit Tawris, dem eben so bedeutenden Handelszentrum Westpersiens, wie es Meschhed für den Osten Irans ist. Einmal auf der Hochplatte des inneren Irans angelangt, ergibt sich die Richtung des Weges nach Indien von selbst. Sie wurde bei der Besprechung des kaukasischen Eisenbahnnetzes in seinem Verhältnisse zürn zukünftigen Wege nach Indien seit lange in Tiflis in derselben Richtung am Südfuße der Elbors-Kette hin angedeutet, wie sie später von Sir Henry Rawlinson im Englischen Parlamente befürwortet ist. Überall durchzieht sie die fruchtbarsten Provinzen Persiens mit mildem, gesundem Klima und dürfte über Meschhed, Herat bis nach Kandahar in Afghanistan kaum auf erhebliche Terrainschwierigkeiten stoßen. Nach letzterer Stadt hin soll übrigens, wie verlautet, schon eine Eisenbahn von Schikarpur durch den Bolan-Pass her in Angriff genommen sein. Die Strecke von Rescht bis Teheran beträgt 410, diejenige von Teheran bis Schikarpur am Indus, bis wohin (ebenso wie bis nach Peschuwer am Fuße des Hindukuh-Himalaya) das weitverzweigte hindostanische Eisenbahnnetz vollendet ist, hat eine Länge von 2.170 Werst. Wenn nun die Engländer, wie es scheint, den Bau einer Bahn durch Kleinasien, die trotz der übermächtigen Terrainschwierigkeiten und der nötigen Überbrückung des Bosporus doch kaum mehr als eine Verbindung der respektiven Endpunkte, ohne den für ihre Rentabilität so notwendigen regen lokalen Verkehr wäre, auch aufgeben, so steht es kaum zu erwarten, dass sie es bei den Bahnen vom Busen von Alexandrette an den Golf von Persien, und von hier nach Enseli-Rescht am Kaspischen Meere bewenden lassen sollten. Erstere ist nichts weiter als eine bloß unbedeutende Annäherung Indiens an Europa; letztere aber, die mit dem Wege nach Indien eigentlich nichts zu tun hat, scheint auf die Ausbeutung der reichen Nordprovinzen Persiens und des Kaspischen Bassins berechnet zu sein. Diesen Zweck aber wird das kaukasische Bahnnetz und die Schifffahrt auf dem Kaspischen Meere weit besser erreichen, da ihr Weg nach Europa unvergleichlich näher ist, als der Englands durch Mesopotamien oder gar (wenn zu Schiffe) um das Kap der Guten Hoffnung herum. Und sollte es in Russland, wider Erwarten, an dem dazu nötigen Unternehmungsgeiste und Capital gebrechen, so stehen die russischen Bahnen dem gesamtem Nord- und Mitteleuropa zur Verfügung; käme dann doch wenigstens der bedeutende Warentransport den russischen Bahnen (von Rostow allein eine Strecke von über 1500 Werst) zu Gute.
*) Handel und Wandel an der Kaspischen Südküste — in Petermanns- Geographischen Mitteilungen, 1869, Heft III und VII,.
Sobald aber England von der eben erwähnten Bahn zwischen dem Kaspischen Meere und Persischen Golf in Teheran eine Bahn an den Indus abzweigt, was zur vollständigen Ausbeutung der Naturschätze des fruchtbaren Nordpersien notwendig, so werden die kaukasischen Bahnen in Astara (zwischen hier und Reschtj eine Lücke von nicht mehr denn 120 Werst — sage 3 Stunden Dampfer-oder Eisenbahnfahrt! — in der weltdurchfurchenden Bahn von Calais bis Kalkutta übrig gelassen haben. Diese Bahn wird zudem um 800 oder 1.200 Werst (gegen Rawlinsons Vorschlag gehalten) kürzer sein, als der Weg über Konstantinopel nach Indien — überhaupt der denkbar kürzeste Weg zwischen London und Indien, ein Weg, der in 8 Tagen durch gesunde Landstrecken mit gemäßigtem Klima zurückgelegt werden kann.
Eine direkte und schnelle Verbindung mit Indien bringt aber England ebensoviel Vorteil, wie dem übrigen Europa. Erreicht doch sein Handel mit Hindostan allein (ganz abgesehen von den dahinter gelegenen China, Japan, der indischen Inselwelt und Australien) bei Tausend Millionen Silberrubel jährlich, zumeist in wertvollen Waren oder Edelmetallen, die einen Eisenbahntransport wohl ertragen. England braucht einen gesunden und möglichst schnellen Weg nach Indien schon wegen der steten Geschäfts- und Gesundheitsreisen seiner zahlreichen Beamten und Kaufleute, die selbst jetzt mitunter auf der Tour nach Europa an der kaspischen Küste Russlands vorsprechen, — ja ganz besonders für den Fall eines immerhin möglichen Aufstandes in Hindostan. Insoweit wir nun die öffentliche Meinung unseres Vaterlandes zu kennen glauben, so können die zur Pazifikation Indiens von England zu unternehmenden Operationen seitens der sämtlichen Durchgangsländer Europas kaum günstigeren Blickes angesehen werden, als von Seiten Russlands, das in der Zivilisierung und Assimilierung eines ganzen Drittels von Asien mit seinen Millionen fanatischer Muhamedaner eine genügend große Aufgabe vor sich hat, um nicht in dem ihm benachbarten Hindostan ein kräftiges europäisches Regiment, verbunden mit Ruhe und Ordnung, für sein eigenes Interesse zu halten.
England habe, so meinen wohl Manche, nur einen triftigen Einwand gegen jedweden Überlandweg nach Indien, und das sei der Hauptgrund, weshalb England den geraden Weg nicht für den besten anerkennen wolle. Es sei der, dass die meerbeherrschende Nation nicht im Alleinbesitze eines solchen wäre. Ein Überlandweg werde die Wohltaten des Weltverkehrs allen Ländern und Völkern gleichermaßen zu Teil werden lassen, während bloß der Seeweg ein Monopol Albions verbliebe."
Wir lassen diese Ansicht dahingestellt sein.
Gegen den Strom des rührigen neunzehnten Jahrhunderts lässt sich nicht schwimmen und keine Dämme vermögen gegen die Wucht des in Schwung geratenen Weltverkehrs aufzukommen. Schon erheben sich Stimmen aus China, die in Anknüpfung an das Bahnnetz Indiens für den Lauf des gegenwärtigen Jahrzehnts eine direkte Verbindung zwischen Calais und Canton verkünden — und dies zwar über Russland. Eine Bahn nach der andern durchfurcht den Norden des Neuen Kontinentes, den Atlantischen mit dem Stillen Ozean verbindend, — und schon sucht selbst auf der südlichen Halbkugel das erwachende Brasilien sich eine Gesichtsseite nach dem Westen zu eröffnen. Der Alte Kontinent kann und darf keinesfalls hinter dem Neuen zurückbleiben, denn wenn er sich nicht beeilt, die breite, ungeschlachte Masse Asiens durch Schienenstränge zu gliedern und beweglich zu machen, so überflügelt ihn sein junger Rivale, macht den Stillen Ozean zu einem See Amerikas und leitet die Reichtümer von China, Japan und Indien nach Osten ab, statt sie, wie bisher, auf den Flotten Englands und Hollands nach Westen abziehen zu lassen.
Nur eine gliederreiche Kette von Eisenbahnen, die, von Europa ausgehend, Sibirien, China, Indien und Persien durchzieht und beseelt, vermag den Alten Kontinent vor diesem Erfolge seines rührigen Rivalen zu bewahren. — Caveant consules!
Tiflis, im Dezember 1872. N. v. SEIDLITZ.
*) Westermanns Illustrierte Monatshefte Januar 1872.
Die ebenberegte Straße von Rescht über Kaswin, wenngleich sie bis zur letztgenannten Stadt mit einigen nicht unbedeutenden Terrainschwierigkeiten zu kämpfen hat, erweist sich als der einzig mögliche Weg, um aus dem Kaspischen Litoral über die Elborskette auf das persische Plateau nach Teheran emporzusteigen. Zudem bietet sie das beste Mittel der möglichst großen Annäherung an den reichen Aderbeidshan mit Tawris, dem eben so bedeutenden Handelszentrum Westpersiens, wie es Meschhed für den Osten Irans ist. Einmal auf der Hochplatte des inneren Irans angelangt, ergibt sich die Richtung des Weges nach Indien von selbst. Sie wurde bei der Besprechung des kaukasischen Eisenbahnnetzes in seinem Verhältnisse zürn zukünftigen Wege nach Indien seit lange in Tiflis in derselben Richtung am Südfuße der Elbors-Kette hin angedeutet, wie sie später von Sir Henry Rawlinson im Englischen Parlamente befürwortet ist. Überall durchzieht sie die fruchtbarsten Provinzen Persiens mit mildem, gesundem Klima und dürfte über Meschhed, Herat bis nach Kandahar in Afghanistan kaum auf erhebliche Terrainschwierigkeiten stoßen. Nach letzterer Stadt hin soll übrigens, wie verlautet, schon eine Eisenbahn von Schikarpur durch den Bolan-Pass her in Angriff genommen sein. Die Strecke von Rescht bis Teheran beträgt 410, diejenige von Teheran bis Schikarpur am Indus, bis wohin (ebenso wie bis nach Peschuwer am Fuße des Hindukuh-Himalaya) das weitverzweigte hindostanische Eisenbahnnetz vollendet ist, hat eine Länge von 2.170 Werst. Wenn nun die Engländer, wie es scheint, den Bau einer Bahn durch Kleinasien, die trotz der übermächtigen Terrainschwierigkeiten und der nötigen Überbrückung des Bosporus doch kaum mehr als eine Verbindung der respektiven Endpunkte, ohne den für ihre Rentabilität so notwendigen regen lokalen Verkehr wäre, auch aufgeben, so steht es kaum zu erwarten, dass sie es bei den Bahnen vom Busen von Alexandrette an den Golf von Persien, und von hier nach Enseli-Rescht am Kaspischen Meere bewenden lassen sollten. Erstere ist nichts weiter als eine bloß unbedeutende Annäherung Indiens an Europa; letztere aber, die mit dem Wege nach Indien eigentlich nichts zu tun hat, scheint auf die Ausbeutung der reichen Nordprovinzen Persiens und des Kaspischen Bassins berechnet zu sein. Diesen Zweck aber wird das kaukasische Bahnnetz und die Schifffahrt auf dem Kaspischen Meere weit besser erreichen, da ihr Weg nach Europa unvergleichlich näher ist, als der Englands durch Mesopotamien oder gar (wenn zu Schiffe) um das Kap der Guten Hoffnung herum. Und sollte es in Russland, wider Erwarten, an dem dazu nötigen Unternehmungsgeiste und Capital gebrechen, so stehen die russischen Bahnen dem gesamtem Nord- und Mitteleuropa zur Verfügung; käme dann doch wenigstens der bedeutende Warentransport den russischen Bahnen (von Rostow allein eine Strecke von über 1500 Werst) zu Gute.
*) Handel und Wandel an der Kaspischen Südküste — in Petermanns- Geographischen Mitteilungen, 1869, Heft III und VII,.
Sobald aber England von der eben erwähnten Bahn zwischen dem Kaspischen Meere und Persischen Golf in Teheran eine Bahn an den Indus abzweigt, was zur vollständigen Ausbeutung der Naturschätze des fruchtbaren Nordpersien notwendig, so werden die kaukasischen Bahnen in Astara (zwischen hier und Reschtj eine Lücke von nicht mehr denn 120 Werst — sage 3 Stunden Dampfer-oder Eisenbahnfahrt! — in der weltdurchfurchenden Bahn von Calais bis Kalkutta übrig gelassen haben. Diese Bahn wird zudem um 800 oder 1.200 Werst (gegen Rawlinsons Vorschlag gehalten) kürzer sein, als der Weg über Konstantinopel nach Indien — überhaupt der denkbar kürzeste Weg zwischen London und Indien, ein Weg, der in 8 Tagen durch gesunde Landstrecken mit gemäßigtem Klima zurückgelegt werden kann.
Eine direkte und schnelle Verbindung mit Indien bringt aber England ebensoviel Vorteil, wie dem übrigen Europa. Erreicht doch sein Handel mit Hindostan allein (ganz abgesehen von den dahinter gelegenen China, Japan, der indischen Inselwelt und Australien) bei Tausend Millionen Silberrubel jährlich, zumeist in wertvollen Waren oder Edelmetallen, die einen Eisenbahntransport wohl ertragen. England braucht einen gesunden und möglichst schnellen Weg nach Indien schon wegen der steten Geschäfts- und Gesundheitsreisen seiner zahlreichen Beamten und Kaufleute, die selbst jetzt mitunter auf der Tour nach Europa an der kaspischen Küste Russlands vorsprechen, — ja ganz besonders für den Fall eines immerhin möglichen Aufstandes in Hindostan. Insoweit wir nun die öffentliche Meinung unseres Vaterlandes zu kennen glauben, so können die zur Pazifikation Indiens von England zu unternehmenden Operationen seitens der sämtlichen Durchgangsländer Europas kaum günstigeren Blickes angesehen werden, als von Seiten Russlands, das in der Zivilisierung und Assimilierung eines ganzen Drittels von Asien mit seinen Millionen fanatischer Muhamedaner eine genügend große Aufgabe vor sich hat, um nicht in dem ihm benachbarten Hindostan ein kräftiges europäisches Regiment, verbunden mit Ruhe und Ordnung, für sein eigenes Interesse zu halten.
England habe, so meinen wohl Manche, nur einen triftigen Einwand gegen jedweden Überlandweg nach Indien, und das sei der Hauptgrund, weshalb England den geraden Weg nicht für den besten anerkennen wolle. Es sei der, dass die meerbeherrschende Nation nicht im Alleinbesitze eines solchen wäre. Ein Überlandweg werde die Wohltaten des Weltverkehrs allen Ländern und Völkern gleichermaßen zu Teil werden lassen, während bloß der Seeweg ein Monopol Albions verbliebe."
Wir lassen diese Ansicht dahingestellt sein.
Gegen den Strom des rührigen neunzehnten Jahrhunderts lässt sich nicht schwimmen und keine Dämme vermögen gegen die Wucht des in Schwung geratenen Weltverkehrs aufzukommen. Schon erheben sich Stimmen aus China, die in Anknüpfung an das Bahnnetz Indiens für den Lauf des gegenwärtigen Jahrzehnts eine direkte Verbindung zwischen Calais und Canton verkünden — und dies zwar über Russland. Eine Bahn nach der andern durchfurcht den Norden des Neuen Kontinentes, den Atlantischen mit dem Stillen Ozean verbindend, — und schon sucht selbst auf der südlichen Halbkugel das erwachende Brasilien sich eine Gesichtsseite nach dem Westen zu eröffnen. Der Alte Kontinent kann und darf keinesfalls hinter dem Neuen zurückbleiben, denn wenn er sich nicht beeilt, die breite, ungeschlachte Masse Asiens durch Schienenstränge zu gliedern und beweglich zu machen, so überflügelt ihn sein junger Rivale, macht den Stillen Ozean zu einem See Amerikas und leitet die Reichtümer von China, Japan und Indien nach Osten ab, statt sie, wie bisher, auf den Flotten Englands und Hollands nach Westen abziehen zu lassen.
Nur eine gliederreiche Kette von Eisenbahnen, die, von Europa ausgehend, Sibirien, China, Indien und Persien durchzieht und beseelt, vermag den Alten Kontinent vor diesem Erfolge seines rührigen Rivalen zu bewahren. — Caveant consules!
Tiflis, im Dezember 1872. N. v. SEIDLITZ.
*) Westermanns Illustrierte Monatshefte Januar 1872.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die kaukasischen Eisenbahnen und der Überlandweg nach Indien.