1848.

Es ist eine eigenartige Zeit, dieses 1848, und man mag es beurteilen, wie man will, das eine ist unleugbar, nie hat die deutsche Karikatur eine bewegtere und reichere Zeit durchlebt, und kaum ist ein Jahr befruchtender für jede geistige und künstlerische Tätigkeit gewesen. Man lachte und spottete so laut und kräftig, wie nie zuvor, und bei allem Ernst, aller Erbitterung, allem Blutvergießen offenbarte man einen prächtig lebensfähigen Humor, einen Witz, der ins Schwarze trifft, ja man verliert selbst im Kugelregen und Kartätschenhagel nicht die gute Laune. Niemals hat der deutsche Humor wieder so tief in das öffentliche Leben eingegriffen. Es ist ja wahr, daß diese Zeit mit ihren unreifen Wünschen, mit ihrem missverstandenen Wollen, außerordentlich viel Stoff zu fehlerer Komik bot; — keiner hat das wohl stärker zum Ausdruck gebracht, wie der alte Burschenschafter Fritz Reuter in seinem Stavenhagener Reformverein der „Stromtid“ — aber es ist doch auch in der gröberen Karikatur jener Zeit ein gesunder Zug gegenüber den Arbeiten unserer westlichen Nachbarn, die unter gleichen Umstäuben entstanden sind. Geht hier der Spott sofort bis zur höllischen Grausamkeit, wirft man im Augenblick alle moralischen Bedenken über Bord, kämpft mit allen Mitteln, gut oder böse, so bewahrt sich der Deutsche auch hier sein Bestes, seinen Humor, ohne deshalb minder scharf oder treffend zu sein. Ihm kommt der Witz von Herzen, dein Franzosen aus der Galle. Es ist nur ein Gegengewicht, eine Reaktion der Seele gegen die andrängenden äußeren Übel.

Abb. 51. Anonyme Karikatur. Berlin. (Kommisbrote-) Soldat. Beziehungen unbekannt.
Schwarzbrot-Bürgerwehr, vielleicht das Gerücht betreffend: Leichen gefallener Soldaten wären in Kähnen nach Spandau geschafft und dort heimlich begraben worden.


Abb. 52. und 53. Karikatur. Aus den „Leuchtkugeln“.


„Das Leben ist so ernsthaft,“ steht 1848 in dem Vorwort der „Düsseldorfer Monatshefte“ , „daß es auch dem ernsthaftesten Menschen mitunter zu toll wird, dann sehnt er sich nach einer Erholung und sucht den Dingen eine andere Seite abzugewinnen, indem er nach Laune mit ihnen spielt. Nicht selten kommt alsdann erst die wahre Seite zum Vorschein, öfter noch die schwache, fassbare, — denn alles in der Welt hat seine schwache Seite . . .“

Und es gab viele Schwächen und Jämmerlichkeiten in jener Zeit, viel zu weinen und viel bitteres Unrecht, aber es gab auch viel zu lachen. Zu lachen über den Lärm um nichts, die Kannegießerei und Unreife, die Kleinlichkeit; zu lachen über die Verwirrung bei Fürsten und Volksführern, die nicht wußten, was zu tun, und wie Wetterfahnen hin- und herschwankten; über die roten, langbärtigen Volksführer der Linken, die, wenn ihnen später das Glück gewogen war, Minister wurden und dann, wie die Butterbrote, auf die rechte Seite fielen; über die Dichter, welche glühende Freiheitslieder schrieben und dann, wenn sie vor dem Fürsten ein freies Wort hätten reden können, vor Verwirrung nicht wußten, was sie sagen sollten (Abb. 42): Herwegh, die eiserne Lerche, die in der richtigen Überzeugung, daß der Märtyrer nichts beweist, endlich den besseren Teil der Tapferkeit ergriff. Zu lachen gaben Lola Montez und die friedliche Revolution der Bayern — es ging nur um die Verfassung, nicht um die Bierpreise. — Zu lachen gab es in der Frankfurter Paulskirche, wo man die Siege mit Silben zu Niederlagen umschuf, und Worte das verdarben, was Hände errungen.

Abb. 54. Anonyme Karikatur auf die Berliner Bürgerwehr 1848.[/b]

Zu lachen gab es über alles Alte, den Bureaukratismus, den gähnenden, deutschen Michel mit der Schlafhaube, über den Zopf und über die Bürgerwehr, die Kuhfüße, die Kokarden in der Größe der Kuchenteller. Zu allein, was sich ereignete, Woche für Woche, pfiff die Karikatur ihre Spottverse. Wie wenn ein Wehr ausgezogen wird, das lange einen Wasserlauf staute, so brechen plötzlich, nach Beseitigung der Zensur, Druckschriften, Spottblätter in vollen Massen über das Land herein, und man wird stets von neuem erstaunen über die Unsummen geistiger Kräfte, die plötzlich geweckt wurden. Die ersten, deutschen Witzblätter entstanden, die Form der Einzeldrucke wird das letzte Mal in großein Maßstab angewandt. Dag Plakat, der Maueranschlag, ernst oder karikaturistisch, hochdeutsch oder im Jargon, hat eine ungeheure Macht gewonnen. Wie stark der Einfluß dieser Anschläge war, und wie mit ihnen alles ausgefochten wurde, das zeigt das Blatt (Abb. 43): „Ein Plakatkampf“, welcher nebenbei zu den besseren der im allgemeinen ziemlich minderwertigen Berliner Arbeiten gehört. Im Jahre 1848 kommt das erste Mal der Tagesschriftsteller, der Literat zur vollen Geltung; er wird eine wortführende, aufstachelnde, richtende Macht. Die gesamte Presse nimmt einen ungeheuren Aufschwung, Leute von geistiger Bedeutung und gewandter Feder, Männer von kaustischem Witz treten in den Kampf ein. Die Tradition — gutes Deutsch zu schreiben — wird noch von Börne, Menzel, Görres bewahrt und ist ihnen noch nicht, wie den heutigen Journalisten, zur frommen Sage geworden. Der Zeitungsverkäufer tritt in die Rolle des Eckenstehers, als volkstümliche Figur. Das Leben verlegt seinen Schwerpunkt aus dem Innern der Häuser auf die Straßen. Als gangbarste und schnellste Reproduktionsform wird meist noch die Lithographie oder der lithographische Umdruck gewählt, aber auch der Holzschnitt, welcher ohne jede Schwierigkeit in den Druckspiegel eingefügt werden kann, beginnt wieder an Boden zu gewinnen.

[i]Abb. 55. Metamorphose des Marschalls Druff. Karikatur auf Wrangel 1848. (Berliner Krakehler)

Abb. 56. Karikatur von W. Scholz. Aus dem „Kladderadatsch“ 1848. Verlag von A. Hofmann & Comp. In Berlin.


Über die Karikatur des Jahres 1848 hat Eduard Fuchs 1898 eine vorzügliche Sonderpublikation mit reichem Bilder-schmuck bei M. Ernst in München erscheinen lassen. Auch Hans Blum „Die deutsche Revolution 1848“ (E. Diederichs, Leipzig 1898) bringt eine Unzahl Nachbildungen von Spottblättern, belegt Schritt für Schritt seine Ausführungen mit diesen Dokumenten. Grand-Carteret reproduziert besonders süddeutsche Karikaturen aus den „Leuchtkugeln“ und „Fliegenden Blättern“, und wir hoffen diese Anzahl von Blattern um manches interessante Stück bereichert zu haben, so daß sich heute selbst der, welchem Sammlungen und Archive nicht zugänglich sind, ein ausreichendes Bild der Karikatur des Jahres 1848 verschaffen kann.

In „Der Kladderadatsch und seine Leute“ (Berlin 1898) findet man eine ziemlich vollständige Übersicht der literarisch-humoristischen Erscheinungen der Zeitschriften, Anschläge, Witzblätter jener Tage, und selbst die wenigen dort angeführten Proben des Inhalts lassen uns ahnen, welch ein seltener Reichtum, ein Stück deutscher Kulturgeschichte in diesen Dokumenten niedergelegt ist. Künstlerisch sind Düsseldorf, Frankfurt, München führend. Literarisch steht Berlin obenan. Leider sind uns viele der Künstler, aus erklärlichen Gründen, unbekannt geblieben, — bei manchen mag es uns gleichgültig sein, aber in einigen Fällen möchte es uns doch freuen, wenn wir wüssten, wem diese charakteristischen Schöpfungen zuzuschreiben sind.---------

Abb. 57. Zwei fliegende Buchhändler.

Lude: Nu sag mal Fritze, wat machen mir nu, nu Allens verboten ist?

Fritze: Dat will ick Dir sagen, mein Junge! Du schreist Kladderadatsch aus und ick denuncier` Dir bei Hinkeldeichen. Ich kriege zwei Thaler und Du eenen Tag Ufhebung der persönlichen Freiheit. Dann schreie ick wieder Kladderadatsch, und Du denuncierst mir, un uf die Art können wir`n Belagerungszustand aushalten.

Kladderadatsch 1848. (A. Hofmann & Comp., Berlin.)


Und doch ist dieses 1848 ein grausames, ein tolles Jahr, das mit Witzen und Lachen über Tausende von Leben und Existenzen hinschreitet, das ganze junge Saaten von Hoffnungen niedertritt. Das grausige Symbol des Jahres bleibt doch der „Tod“, der die Menschen in das Verderben führt, der „Tod als Barrikadenkämpfer“ (Abb. 39), den uns Rethel geschaffen. Nächst ihm hat nur noch einer diese Tragik des Jahres 1848 voll erfaßt, ein Geistesverwandter, Gigant wie er: Max Klinger in seinen Dramen.

Abb. 58. Gespräche an der Berliner Börse.

A.: Nu was habe ich Ihnen gesagt, 3 Tage Belagerungszustand und die Corsche 3 Prozent gestiegen.

B.: Nu was hab ich Ihnen gesagt, wenn ma wärd aufhängen alle de Nischtthuers, alle de Literaten, wer`n mer bekommen Staatsschuldscheine 98½.

A.: 98½? Nu warum hängt man se nich uf?

Kladderadatsch 1848 (A. Hofmann & Comp., Berlin.)


Wie zahlreich die Missstände waren, welche zu dieser Krisis führten, hat wohl niemand knapper und geistvoller dargestellt, als Theodor Hosemann in dem vorzüglichen „Zug der Tiere“ (Abb. 44).

Alle Gründe, welche die Revolution schufen, alles, was in dem Jahre 1848 zusammenprallte, ist hier treffend versinnbildlicht, und daß die Geldaristokratie es ist, welche an der Spitze marschiert — die Kornwucherer (mit Nationalkokarde), welche folgen — das zeigt wohl am besten, daß es nicht allein der Liberalismus war, der kämpfte, nicht nur Fragen, wie Preßfreiheit, Versammlungs- und Stimmrecht, um welche man sich stritt: sondern, daß auch diese Erhebung ihre Wurzeln im Proletariat, im vierten Stand hatte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert