Doerbeck. Berlin. Vormärzliche Zeit.

Derjenige Künstler, welcher uns in Karikaturen die treusten Typen aus dem Berlin um 1830 bewahrt hat, ist Franz Burchard Doerbeck (1799—1835). Er kam nach 1823 nach Berlin. Nach ihm betätigt sich Theodor Hosemann (1807—75) als Schilderer der gleichen Sphäre. Als Vorgänger der Doerbeckschen Karikatur müssen wir die Folgen von Ausrufertypen, Figuren der Kleinhändler, wie sie das Straßenleben in London, Paris und Hamburg mit sich brachte, betrachten.„Berliner Witze“, „Berliner Redensarten“ heißen die bei Gropius erschienenen Sammlungen Doerbecks. Sie decken sich ungefähr mit den literarischen Leistungen Glasbrenners, welche später in „Berlin, wie es ißt und trinkt“ uns diese für uns sonst spurlos verschollene Welt mit all ihren Eigenheiten, ihrem Witz, der vor nichts stillstand, mit ihrer schnoddrigen Lustigkeit, ihrer Lebenslust und besonders mit ihren sozialen Gegensätzen auszeichnete. Niemals später mehr hat sich das Berliner Volksleben karikaturistisch so rein und fast restlos umgesetzt wie in den dreien: Doerbeck, Hosemann, Glasbrenner, und wenn wir dazu noch die geistvollen Schilderer des alten Berlins und seiner Lebensbedingungen, Lenz und Eichler, Dronke und den satirisch scharfen Hermann Lessing (vor und nach dem März) rechnen, so haben hier Schriftsteller und Zeichner im Vereine eine künstlerische Umwertung der preußischen Residenz geschaffen, die sie uns mit allen seinen Zügen heute wieder vor unseren inneren Augen erstehen läßt.

Ein Placat-Kampf


Demokrat:

Mitbürger, seid ja auf der Hut!
Man will uns unsere Freiheit stehlen.
Laßt Barricaden, Tod und Blut
Und Blei und Pulver gar nicht fehlen!

Die Reaction, die Reaction,
Ha! Ha! Und die Reactionäre!
Die thun wahrhaftig wieder schon,
Als ob kein März gewesen wäre.

Reactionair:

O Volk; gedenke, deiner Pflicht!
Hör nicht auf diese Anarchisten.
Sie glaub`n an Gott und Jesum nicht:
Das sind die wahren Anarchisten!

O lieben Freunde, sagt euch los,
Von den verfluchten Demokraten!
Sucht euer Glück in unserm Schoofs:
Wir haben´s Geld und die – Soldaten!

Ein Anderer.

Brav Reactiönchen!. Halte dich!
Du bist noch mein einzige Stützte.
Versetz` dem Hundsfott einen Stich:
Er zielt nach meiner goldnen Mütze!?


Abb. 43. Fliegendes Blatt aus dem Jahre 1848. (königl. Bibliothek, Berlin.)

Ein eigentümliche Leben, ein Kampf zwischen Alt und Neu, Zopf und Stagnation, Aufstreben und Bewegung, Witz und wieder Witz, Kritik an allem, an den Mitmenschen, am Staat, an der Regierung, Schlagfertigkeit, stark entwickeltes Volksleben, eine Fülle charakteristischer Straßentypen, fromme Vereine und Laster — — und alles gleichmäßig bewacht von einer väterlichen Polizei und einer Zensur, der, wo es angeht, eine Nase gedreht wird. Der Berliner Volkswitz, der Berliner Jargon nimmt seinen Siegeslauf durch ganz Deutschland: der König bedient sich seiner, und der Zar von Rußland versäumt bei keinem Besuch, sich persönlich nach seinem Befinden zu erkundigen. Die Eckensteher geben ihre eigne Philosophie zum besten, die Glasbrenner in fügende Reime gebracht hat:

Das beste Leben hab' ick doch,
Ick kann mir nich beklagen,
Pfeift och der Wind durchs Ärmelloch
Det will ick sonst verdragen.
Des Morgens, wenn mir hungern dhut,
Eß ick `ne Butterstulle,
Dazu schmeckt mir der Kümmel jut
Aus meiner vollen Pulle.
Und drag' ick endlich mal was aus,
So dhu` ick Froschens kneifen,
Hol` wieder meine Stulle raus
Und dhue eenen pfeifen.


Die Hökerfrau wirft uns Freundlichkeiten an den Kopf, der Guckkästner treibt Politik, der Holzhacker, der Sandjunge aus den Rehbergen, der Schusterjunge, beginnen eine komische Rolle zu spielen. Über den Ellenreiter, den Mühlendammer, den Tütendreher macht man sich lustig, der Stralower Fischzug, die Mottenfeste sind eine bedeutungsvolle Dokumentierung des Volkslebens. Und überall hat man das Gefühl, hier brodelt und gärt es, hier ist Leben und Entwicklung, und gerade dieses Zusammenspiel von Überlebtem und Aufsteigendem gibt jener Zeit den Reiz.

„Berlin — was man auch dagegen einwenden mag — ist eine große Stadt, und wenn man auch nicht viel darin erleben kann, weil die Verhältnisse an einer gewissen Ledernheit leiden, so kann man doch nicht leugnen, daß es alle Elemente zur großstädtischen Entwickelung in sich trägt, und in fünfzig Jahren ein Weltleben ausgebildet haben wird.“ So prophezeit mit sicherem Blick Eichler bereite im Jahre 1842. Für die Karikatur wird also hier schon für Deutschland der vierte Stand entdeckt, wenn auch anders, unschuldig, komisch, friedlich, eher als ein gemütliches Kuriosum, das uns lachen macht, denn als jene gärenden, unheimlichen Massen voller Armut, Laster und Hässlichkeit, welche uns heute so bitter aus Blättern eines Baluscheck entgegengrinsen. Die Beschäftigung mit dem vierten Stand gibt der Karikatur einen neuen Lebensboden und leitet sie ab von der übermäßigen Anteilnahme an dem Theater und den literarischen Dingen, auf welche sie sich aus Mangel an hinreichender politischer Betätigung geworfen hatte. Figuren, die hier viel Gelegenheit zur Verspottung gaben, waren in Berlin und München Saphir und seine Anhänger. — Nebenbei bemerkt, eine wenig sympathische, literarische Escheinung.

Die Zeit war friedfertiger, die Gegensätze waren weniger scharf, und doch soll man ja nicht den sozialen Charakter der Berliner Karikatur verkennen. Nur weil sie zur Unterhaltung der behäbig-liberalen Bürgerschaft geschaffen wurde, hat sie auch jenen behäbigen Charakter bewahrt, der uns heute anheimelt und uns glauben läßt, es wäre alles eitel Gemütlichkeit und Friedfertigkeit gewesen. In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre kehrt sie die soziale Seite nach außen. In dem von Hosemann illustrierten Bändchen Glasbrenners „Verein der Habenichtse, für sittliche Bildung der höheren Stände“ zeigt das Titelblatt einen Handwerker, der seinem reichen Bruder droht: „Schämen Sie sich nich, dass ick in den Wetter so zerlumpt rumlofen muss un nischt zu essen habe, haben Sie denn vergessen, daß ick Ihr Bruder bin?“

Wir haben absichtlich von Doerbeck etwas mehr Illustrationen beigegeben (31 — 36), als von ihm eigentlich in diesem Rahmen gebracht werden dürften, und damit vielleicht an anderen ein Unrecht begangen; aber die Dinge sind heute fast vergessen, und doch so außerordentlich charakteristisch und witzig, daß wir es schon verantworten können. Gerade die Lebenswerte Berlins haben sich im Gegensatz zu Paris so wenig in Kunst umgesetzt, daß wir uns freuen müssen, wenn wir ihnen einmal in so reicher Form begegnen. Man sehe sich nur einmal die Hökerfrau an: „Wat? sie will mir?“ (Abb. 36.) Wie echt der Typus, die Stellung, wie vorzüglich hier diese ganze giftgeschwollene Impertinenz, die sich im nächsten Augenblick in einem breit dahinrollenden Strom gekeifter Schimpfworte ausgeben wird; oder den Totengräber (Abb. 35) mit dem frömmelnden Himmelsblick und der Armenbüchse, ganz Wehmut, Amt und Würde. Und wenn Doerbecks Personen auch häufig etwas von Possenfiguren haben und manchmal der Hintergrund nur als Kulisse behandelt ist, so stehen dem doch wieder andere Blätter gegenüber von überraschender Echtheit; die Straße mit den Bänken vor der Tür neben den Kellerhälsen, die Marktstände, Höfe, die Brunnen — oder Plumpen, wie der Berliner sagt — mit den schweren, eisernen Schwengeln; das ganze heute vergessene Milieu, von dem hie und da noch ein letzter Rest in irgend einem kulturverlassenen Winkel zurückgeblieben ist, steigt wieder vor uns auf; und in ihm bewegen sich Menschen, deren Trachten, Frisuren, Hüte uns lachen machen: nicht, daß sie uns hässlich erscheinen, aber sie erscheinen uns altväterlich und komisch. Wir sehen sie unwillkürlich im Vergleich zu unserer Tracht, denken, wie würden wir uns darin ausnehmen? Wie wäre es mit geblümter Weste, blauem Frack mit gelben Messingknöpfen, mit würdevoll erhobenem Haupt und breiter, steifer Kravatte, in der eine dicke, goldne Lyra als Nadel prangt? So bieten in der Mode noch nicht zu lang verflossene Epochen uns Stoff zur Heiterkeit. Bei weiter zurückliegenden fällt der Grad des Vergleichs fort, und unser Interesse wird kalt und unpersönlich. Kommende oder eben überwundene Moden geben uns am ehesten Grund zum Spott, und nichts erscheint uns so komisch, wie die Zylinderform von vorgestern oder morgen. Es spricht sich in Doerbecks Werten soviel von der Zeit aus. Die Trachten der einzelnen Stände sind noch schärfer unterschieden; wir erkennen den Studenten, wie den Kaufmann, den Literaten, wie den Gelehrten, die Grisette, wie die Handwerkersfrau, den wirklichen Geheimrat, wie den Weißbierbürger; während die Mode heute die Gegensätze nivelliert hat und eine Art Uniform schafft, auch des Ausdrucks; all die Errungenschaften der Neuzeit beeinträchtigen eben mehr und mehr die Selbstherrlichkeit des Einzelwesens, machen uns zu Ziffern, Nullen oder Einsen in den langen Zahlenreihen.

Abb. 44. Der Zug der Tiere. Von Theodor Hosemann. 1848. (Sammlung von Lipperheide)

Und wie Doerbeck und Hosemann, von dem wir unter 1848 einiges bringen werden, das Berlin von ehemals abkonterfeien, so regt es sich auch in München, Hamburg und Wien. Wird doch Adolf Glasbrenner von dem Verleger Jakowitz auf acht Monate nach Wien geschickt, um dort analog dem „Ber-1in wie´s ißt und trinkt“ humoristische Skizzen des Wiener Volkslebens aufzunehmen. Wie unschuldig aber man noch damals war, und wie wenig Stachel manchmal der Witz hatte, das zeigt jenes kleine Blättchen: „Die zu enge Straße“ (Abb. 37). Das Mißgeschick, sich an einem Wagen vorbeidrücken zu müssen, entbehrt für uns jeder Komik, ist nur eine kleine Eventualität auf unserm Lebensweg, die jenseits von Ernst oder Heiterkeit liegt. — Wie es Adolf Glasbrenner gelang, dem Berliner Witz jene Souveränität zu geben, welchen er später 1848 behauptete, das hat Fedor Wehl in der „Deutschen Schaubühne“ launig und geistvoll dargestellt. „Der Berliner Witz war bis dahin nur ein Gassenjunge gewesen, ein Element, das auf allen Brunnenschwengeln, Treppengeländern und Fenstersimsen saß, mit den Beinen schlenkerte und schnoddrige Redensarten machte, aber von niemandem recht beachtet wurde — ausgenommen von denen, welchen er seine Schabernacke spielte. Adolf Glasbrenner erhob ihn aus dieser etwas unbequemen Situation, um ihn in eine epochemachende Stellung zu bringen. In versuchte ihm begreiflich zu machen, was er eigentlich sei: ,Berliner Witz, du bist kein bloßer, dummer Junge?, sagte er ihm, ,du bist das Genie Berlins, der souveräne Geist der Bevölkerung. Wenn du deiner selbst bewußt wirst, so kannst du es zu etwas bringen, so zu sagen, ein Mann bei der Spritze werden. Du musst dich nur gewöhnen, deinen Blick höher und über die sogenannten Kellerhälse der Häuser hinaus zu richten, du musst dich um Gott und die Welt und zuletzt auch ein wenig um Politik und Geschichte kümmern . . .“

Abb. 45. Berliner Krakeler. Karikatur auf Lola Montez.

Abb. 46. Anonyme Karikatur auf Lola Montez ( nach Rubens` gleichnamigen Bild). Erschienen: München 9.Febr. 1848. (Sammlung Mai)

Abb. 47. Ein Heuler. Aus den „Münchener Leuchtkugeln“.

Abb. 48. Der Bureaukrat. Aus den „Münchener Leuchtkugeln“.

Abb. 49. Ein Wühler. Aus den „Münchener Leuchtkugeln“.


Und dies tat er von nun an in reichlichem Maße. Die Zensur beschnitt ihn nicht; der alte närrische Dichter Langbein — weiland Inhaber der großen Schere —-ließ ihn gewähren, bis alle Maßregeln den sieghaften Berliner Witz nicht mehr zu unterdrücken vermochten.

In allem bereitete sich der Umschwung der Dinge vor, selbst in den feuchtfröhlichen Karnevalsblättern des Rheines — die Deutschen hatten, so wie sie wieder zur Ruhe kamen, den alten Humor des Trinkens mit erneuten Kräften aufgenommen. Sie haben ihn bis heute sorgsam gepflegt, als ein schon von Urvätern her überkommenes Erbe, das in Ehren gehalten werden muss: selbst in den Düsseldorfer Künstlerkreisen (gerade die bildenden Künstler sind es, welche sonst in politischen Fragen meist indifferent sind; hierin liegt auch eine große Schwierigkeit für die Leiter politischer Witzblätter, geeignete Illustratoren zu erhalten oder heranzubilden!) — selbst bis dorthin drang die Unzufriedenheit, und suchte, mit Wort und Bild sich Geltung zu verschaffen. Im allgemeinen spricht sich sonst im Karnevalsleben, wie in den Narrengesellschaften, eine nüchterne Komik aus, die mit rohen Mitteln, nach dem Schema F. einer ans Paragraphen gezogenen Spießerlustigkeit arbeitet, und die wir daher hier kaum zu berühren brauchen. —

Verbrüderungs-Fest.

Unsere Brüder sind im Heer erwacht – die Reaction hat den letzten Stoss erhalten!
Die Redacteure der Reform.


Die Brüder sind, im Heer erwacht
Hurrah. Jetzt haben wir gewonnen.
Nun Reaction nimm dich in Acht!
Dein Lebens-Fad`n ist abgesponnen.

Ja, sie sind für die Freiheit reif,
Die wachern Brüderchen im Heere!
Wie`s Täubchen liebt der Vogel Greif,
So lieben sie auch uns – auf Ehre!

Schau her, schau her! wie inniglich,
Wie fest sie sich mit uns verbrüdern!
Hurrah! das ist recht feuerlich,
Wir können`s gar nicht so erwiedern.

In Frankfurt, Schweidnitz, Mainz und Trier,
Lies`s man es nicht an Liebe mangeln.
Die Mehrzahl brennt schon vor Begier,
Berlin auch liebevoll zu wrangeln.

In, unsern Strassen wuchs das Gras –
Der Marschall „Drauf! hat es gesehen.
Hurrah! Hurrah! Er wird es bass
Von seinen Schnittern lassen mähen.


Abb. 50. Fliegendes Blatt aus dem Jahre 1818.

Heine, Börne, Herwegh, Freiligrath waren Vorkämpfer gewesen. Arg waren die Unterdrückungen der Zensur, unter denen das freie Wort zu leiden hatte, der Zensur, welche sich in alles mischte und welche, z. B. in Berlin, die Bestimmung enthielt, daß neue Theaterstücke erst nach der dritten Aufführung in den Zeitungen besprochen werden durften.

Es blüht der Lenz, es platzen die Schoten,
Wir atmen frei in der freien Natur,
Und wird Uns der ganze Druck verboten
So schwindet am Ende auch die Zensur —


singt der unermüdliche Spottvogel Heine.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert