Erste Fortsetzung

Die deutsche Auswanderung in den letzten drei Jahrhunderten bietet deshalb, weil das Unglück sie in Bewegung setzte und nach allen Richtungen zerstreute, ohne dass sie ein deutsches selbstständiges Land gründete, nur trübe Blätter unserer Geschichte dar. Diese neue Auswanderung hat Deutschland ebenso viel geschadet, als die alte ihm genützt hat. Das deutsche Volk verlor im Mittelalter durch Auswanderung noch mehr Menschen, als in der neueren Zeit, aber es eroberte Länder dafür: die neueren Auswanderer gingen ihrem Vaterlande doppelt verloren. Auswanderer sind in der Regel gescheite und unternehmende Leute, Dummköpfe und Schlafmützen bleiben hinter dem Ofen. Durch den Verlust solcher Leute wurde Deutschland nicht allein an tüchtigen Menschen, an Arbeits- und Geldkräften ärmer, sondern die fremden Völker wurden durch solchen Zuwachs um eben soviel verstärkt. Die Engländer und Franzosen, die Dänen und Schweden, die Polen und Russen hätten sich sicher auch ohne die Deutschen, welche sie in sich aufnahmen, emporgeschwungen; gewiss aber wäre bei ihnen Handel und Gewerbe, Wissenschaft und Kriegskunst nicht sobald zur Blüte gediehen, wenn sie seit dem Mittelalter nicht fort und fort mit deutschen kenntnisreichen und ausdauernd fleißigen Einwanderern gekräftigt worden wären. Deutschland war einer vollsaftigen Pomeranze gleich, an welcher all die benachbarten Völker drückten und sich vollsogen. Hätten wir unsere Seemacht erhalten und große deutsche Kolonien jenseits des Meeres gegründet, so würde das Verhältnis gerade umgekehrt gewesen sein. —

Deutsche waren um die Zeit, als sich die Portugiesen und Spanier, die Holländer und Engländer zu einer Seemacht entwickelten, an allen Höfen und in allen Häfen bekannt und tätig. Zuerst waren es Kaufleute und Gelehrte, welche sich in fremden Ländern niederließen, ihnen folgten die Gewerker und bald auch die Ackerbauer nach. Der Welthandel von Antwerpen, Amsterdam, Hamburg blühte auf, je nachdem die deutschen Kaufleute sich in diese Städte zogen, von Antwerpen gingen sie nach Amsterdam und von Amsterdam später nach Hamburg. Ebenso siedelten sich deutsche Kaufleute, Reeder und Handwerker in den schwedischen, dänischen und norwegischen Seeplätzen an, in den daraus erwachsenen Städten bestand die Bürgerschaft zu einem guten Teile aus Deutschen. England erhielt aus Flandern und Holland seine Wollenweber und Heringsfischer, aus dem übrigen Deutschland seine Schiffsbauer, Metallarbeiter, Bergleute und nicht wenige seiner bedeutendsten Kaufleute, Fabrikanten und Handwerker. In London allein leben jetzt 80.000 Deutsche und in den Fabrikgegenden Englands sind mehrere der ersten Häuser von deutschem, altern oder neuern Ursprünge. In allen großen Handelsstädten in Frankreich, Spanien, Portugal und Italien findet sich eine Anzahl deutscher Kaufleute, und es gibt keinen namhaften Handelsplatz, sei es im Orient, in Südamerika, in Neuguinea, in Neuholland, in China, in welchen nicht wenigstens ein paar deutsche Handlungshäuser zu treffen wären. Neben dem Kaufmann aber errichtete auch der deutsche Handwerker seine Werkstätte. Am sichtlichsten ist noch die Zerstreuung unserer Handwerker in den Grenzlanden zwischen Frankreich und Deutschland. In den Städten der französischen Schweiz, in Burgund und Lothringen sitzen sie dicht zusammen. Lyon errichtete einem deutschen Webermeister als einen Ausdruck der öffentlichen Dankbarkeit vor ein paar Jahren eine Bildsäule. In Paris gibt es wenigstens 60.000 Deutsche, und es ist bekannt, dass dort wie in London die ersten Schneidermeister, welche die Moden machen, eingewanderte Deutsche sind. Mit dem Kaufmann und Gewerbsmann ist endlich der deutsche Gelehrte und Künstler in alle Ecken und Winkel der Welt gekommen. Von Mainz aus verteilten sich bei einer Belagerung die Buchdrucker nach Frankreich, England und Italien; das letztere Land verschrieb sich noch im siebzehnten Jahrhundert von Deutschland her Baumeister, Glockengießer, Kupferstecher und Holzschneider. Deutsche Ärzte, Naturforscher und Techniker sitzen überall umher. Deutsche Soldaten, Offiziere und Generäle gibt es im Kaukasus und in Algier, wie in Mexiko und Brasilien, deutsche Fürstenhäuser haben eine ziemliche Anzahl von Thronen bevölkert, und wo fände sich endlich nicht der arme deutsche Hofmeister?


Am stärksten blieb noch immer die Auswanderung der Deutschen nach dem Osten hin. Dort gab es nur schwelgerische Herren und elende Bauern, die Deutschen schoben zwischen beide den Bürgerstand hinein. Der beste Teil der eigentlichen Bürgerschaft in den Städten von Polen, Galizien, Ungarn, Siebenbürgen besteht aus Deutschen, neben ihnen schaffen dort die Juden, welche fast alle deutsch sprechen, wenn auch schlecht. Mit der deutschen Sprache kann man bis zum schwarzen und bis zum weißen Meere reisen und findet immer Leute, die sie verstehen. In Warschau wohnen 20.000, in Lemberg 6.000, in Ungarn 1 ½ Millionen Deutsche, in Siebenbürgen ist über ein Drittel des Landes ganz deutsch. Die braven Siebenbürger, mit ihrem deutschen Stolze, ihrem freimütigen republikanischen Wesen, ihrer Sorge für deutsche Wissenschaft und Sprache, mit ihrer Herzlichkeit und ihrem Frohsinn, sind ein leuchtendes Muster für alle Deutschen in der Fremde. Sie sind wie ein Stück aus dem deutschen Mittelalter zwischen die Türken, Ungarn und Russen geworfen, und haben diese eher nach sich selbst umgewandelt, als dass sie ihrer Volkstümlichkeit ein Haar breit vergeben hätten. Auch noch über Siebenbürgen hinaus, in Serbien, in der Walachei und Bulgarei, in Podolien und in den benachbarten Strichen sind zahllose Deutsche zerstreut. Wo es dort eine gute Ackerwirtschaft gibt, da ist der Besitzer oder der Verwalter ein Deutscher. Wenn man die Wanderungen meines Landsmannes, des Schneidergesellen Holthaus aus Westfalen, liest, verwundert man sich, dass er in jenen Gegenden allerwärts deutsche Handwerksgenossen antraf. Die Auswanderung dorthin war schon früher so stark, dass unter Kaiser Joseph II., welcher noch daran dachte, ganz Ungarn deutsch zu machen, oft 12.000 Wanderlustige auf einmal in Wien lagen. Jene Donaulande sind von der Natur und Geschichte den Deutschen zu ihrem Erbteile, zur Besiedlung angewiesen: aber da steht der Russe und verbietet es.

Und dieses Russland selbst, welches sich wie ein riesiger Alp über Deutschland hin zu legen droht, ist es nicht durch deutschen Geist und deutschen Fleiß zu seiner Macht empor gebracht? In der Tat, wenn man sagen kann, dass in den übrigen Ländern die deutschen Einwanderer den Speck abgegeben haben, mit dem der Braten gespickt wurde, dann sind sie in Russland das Fleisch zu dem Kohle geworden. Waren es nichtdeutsche Staats- und Kriegsmänner, deutsche Professoren und Lehrer, deutsche Kaufleute und Handwerker, deutsche Gärtner und Ackerbauer, die aus dem rohen russischen Klotze etwas geformt haben? Ein bisschen Firnis hat der vornehme Russe von den Franzosen angenommen, die Grundlage der Bildung in Russland aber ist deutscher Herkunft und deutschen Ansehens. Das Kaiserhaus ist ein deutsches, und über die Hälfte aller höheren Beamten in Russland sind Deutsche. Paskewitsch und jenen verrückten Tiger Sumarow und wenige Andere ausgenommen, sind selbst die berühmten Generäle der Russen Deutsche bis auf den heutigen Tag. Ebenso verhält es sich mit den russischen Diplomaten und Ministern, wenn sie auch ihren Namen umtaufen, gleichwie Krebs aus Hanau sich in einen Finanzminister Cancrin verwandelte. Wenn Russland die deutschen Ostseeprovinzen und die deutschen Einwanderer nicht hätte, woher wollte es seine bedeutenden Männer nehmen? In Petersburg wohnen jetzt 40.000, in Moskau 10.000 Deutsche; deutsche Ackerbauer und Handwerker in Russland mögen, wenn man die Menge und Volkszahl der neuangelegten und zum großen Teile von fremden Einwanderern bevölkerten Städte und der deutschen Dörfer am schwarzen Meer, an der Wolga und in Georgien überschlägt, auf eine halbe Million nicht zu hochgeschätzt werden.