Die deutsche Auswanderung und ihre Bedeutung in der Kulturgeschichte.
Aus: Der Deutsche Pionier. Jahrgang 6 u. 7
Autor: Löher, Franz von (1818-1892) deutscher Rechtshistoriker und Politiker, Erscheinungsjahr: 1874
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderer, Auswanderung, Vereinigte Staaten von Amerika, Deutsche, Pioniere, Kolonisten, Bauern, Farmer, Handwerker, Deutsch-Amerikaner, Heimat, Heimatvereine, Gesangsvereine, Bildungsvereine, Sängerbund, Pioniergeist, Historisches, Demokratie, Freiheit, Auswanderungslust, Lebensverhältnisse, Vaterland, Kultur, Sitten, Bräuche
Inhaltsverzeichnis
Wenn man das Verdienst der verschiedenen Völker vergleichen will, so darf man die Auswanderung, die von einem Volke zum andern geschieht, nicht außer Acht lassen. Von welcher Bedeutung erscheinen nicht die Griechen, welche im Altertum und im Mittelalter nach Italien auswanderten, — wie vorteilhaft wirkten nicht hin und wieder die Hugenotten, welche nach dem Edikt von Nantes Frankreich verließen, — mit wie viel schmerzlichen und bitteren Gefühlen haben nicht die vertriebenen Polen die Länder erfüllt? — Ach, auch unser Vaterland war nur zu oft genötigt, edle Kräfte in die weite Welt hinaus zu schicken, und mehr, viel mehr als die übrigen Länder. Wie Deutschland, in Politik, Handel und Gewerbe, in Religion, Wissenschaft, Literatur und Kunst, in die Entwicklung der Menschheit eingegriffen hat, so wurde es andern Ländern nicht minder dadurch zum Segen, dass es sie mit nützlichen Bürgern versah, selbst aber um eben so viele verarmte.
*) Aus einem Vortrag welchen Herr Löher im Februar 1847 vor dem deutschen Lese- und Bildungsverein in Cincinnati gehalten hat.
Die deutsche Auswanderung hatte während des Mittelalters ihre Strömung in den breiten slawischen Osten hinein gehabt und dort weite Striche in deutsches Land umgewandelt; mit dem Beginne der neueren Zeit fing sie an, sich auf gutes Glück nach allen Ländern der Welt hin zu zerstreuen. Die verheerenden Kriege, die Zerrüttung der öffentlichen Zustände, die politischen und religiösen Bedrängnisse, die Verarmung und Bedrückung des Volkes brachten eine Unzahl deutscher Familien dahin, dass sie den Wanderstab, ergriffen und der schönen Heimat den Rücken kehrten. Im selben Maße, als die Staatseinheit des Vaterlandes mehr und mehr durchlöchert und zerbrochen wurde, schienen auch viele Bürger keinen rechten Halt im Vaterlande mehr zu finden. So wie dos deutsche Volk zerstückelt wurde, so lief es auch nach allen Seiten aus einander. Zu dem öffentlichen und Familien-Unglück kam die den Deutschen angeborene Lust nach Abenteuern und die Sehnsucht nach dem Idealen, die aus den beschränkten Verhältnissen des Geburtsortes flüchtet, das Glück in der dunkeln Ferne sucht und dennoch das Heimweh im Herzen behält.
Das hat die Deutschen zu einem Volke gemacht, welches die Welt durchwandert und aller Orten sich ansiedelt. Man muss daher oft hören, die Deutschen seien wie die Juden über die Erde zerstreut. Am meisten sagen das die Engländer, weil sie sich ärgern, dass der biedere, fleißige und gescheite Deutsche überall wohlhabend wird und gar so demütig dem Fremden sich anschließt. Zum letzteren wird es nur zu sehr verleitet. Sein deutsches Vaterland ist weitläufig und kein einiges Ganzes, sein schwäbisches oder westfälisches, pommerisches oder schlesisches Vaterland aber ist nicht selbstständig und gewichtig genug: wo soll er mit seinen Gedanken und seinen Empfindungen sich anklammern, als an den Ort seiner Kindheit? Noch schlimmer aber, der ausgewanderte Deutsche ist von seinem Vaterlande verlassen und aufgegeben, es gewährt ihm in der Fremde keine Liebe und keinen Schutz mehr und hält seinen Nationalstolz nicht mehr aufrecht. Deshalb und weil er von Natur gerecht und bildsam ist, fügt er sich in die fremde Bevölkerung ein und wird eine Wohltat für das Dorf oder die Stadt, wo er sich niederlässt. Obgleich er aber ein guter Bürger seines neuen Landes wird, so kann er dennoch sich seiner Volkstümlichkeit niemals vollständig entäußern, immer fehlt ihm etwas in der Fremde, sein Verstand und sein Ehrgeiz mögen befriedigt sein, sein Gemüt findet nie die Befriedigung; das gibt dem Deutschen etwas Haltloses, Zerfahrenes und Gedrücktes, so lange er lebt, es sei denn, dass er mit seinen Landsleuten sich eine neue deutsche Heimat schaffe. Der Engländer dagegen ist auch überall, aber er setzt sich hin wie ein Blutegel und wenn er sich vollgesaugt hat, kehrt er nach Altengland zurück. Der Irländer, Wälsche und Slawe geht in kurzer Zeit mit Haut und Haaren in eine fremde Volkstümlichkeit auf. Der Franzose, Italiener und Spanier verlässt nicht gern seine Heimat, und ist er doch dazu genötigt, dann verliert er niemals die Rückkehr aus dem Auge, Teil eines andern Volkes kann er bei dem besten Willen nicht werden.
*) Aus einem Vortrag welchen Herr Löher im Februar 1847 vor dem deutschen Lese- und Bildungsverein in Cincinnati gehalten hat.
Die deutsche Auswanderung hatte während des Mittelalters ihre Strömung in den breiten slawischen Osten hinein gehabt und dort weite Striche in deutsches Land umgewandelt; mit dem Beginne der neueren Zeit fing sie an, sich auf gutes Glück nach allen Ländern der Welt hin zu zerstreuen. Die verheerenden Kriege, die Zerrüttung der öffentlichen Zustände, die politischen und religiösen Bedrängnisse, die Verarmung und Bedrückung des Volkes brachten eine Unzahl deutscher Familien dahin, dass sie den Wanderstab, ergriffen und der schönen Heimat den Rücken kehrten. Im selben Maße, als die Staatseinheit des Vaterlandes mehr und mehr durchlöchert und zerbrochen wurde, schienen auch viele Bürger keinen rechten Halt im Vaterlande mehr zu finden. So wie dos deutsche Volk zerstückelt wurde, so lief es auch nach allen Seiten aus einander. Zu dem öffentlichen und Familien-Unglück kam die den Deutschen angeborene Lust nach Abenteuern und die Sehnsucht nach dem Idealen, die aus den beschränkten Verhältnissen des Geburtsortes flüchtet, das Glück in der dunkeln Ferne sucht und dennoch das Heimweh im Herzen behält.
Das hat die Deutschen zu einem Volke gemacht, welches die Welt durchwandert und aller Orten sich ansiedelt. Man muss daher oft hören, die Deutschen seien wie die Juden über die Erde zerstreut. Am meisten sagen das die Engländer, weil sie sich ärgern, dass der biedere, fleißige und gescheite Deutsche überall wohlhabend wird und gar so demütig dem Fremden sich anschließt. Zum letzteren wird es nur zu sehr verleitet. Sein deutsches Vaterland ist weitläufig und kein einiges Ganzes, sein schwäbisches oder westfälisches, pommerisches oder schlesisches Vaterland aber ist nicht selbstständig und gewichtig genug: wo soll er mit seinen Gedanken und seinen Empfindungen sich anklammern, als an den Ort seiner Kindheit? Noch schlimmer aber, der ausgewanderte Deutsche ist von seinem Vaterlande verlassen und aufgegeben, es gewährt ihm in der Fremde keine Liebe und keinen Schutz mehr und hält seinen Nationalstolz nicht mehr aufrecht. Deshalb und weil er von Natur gerecht und bildsam ist, fügt er sich in die fremde Bevölkerung ein und wird eine Wohltat für das Dorf oder die Stadt, wo er sich niederlässt. Obgleich er aber ein guter Bürger seines neuen Landes wird, so kann er dennoch sich seiner Volkstümlichkeit niemals vollständig entäußern, immer fehlt ihm etwas in der Fremde, sein Verstand und sein Ehrgeiz mögen befriedigt sein, sein Gemüt findet nie die Befriedigung; das gibt dem Deutschen etwas Haltloses, Zerfahrenes und Gedrücktes, so lange er lebt, es sei denn, dass er mit seinen Landsleuten sich eine neue deutsche Heimat schaffe. Der Engländer dagegen ist auch überall, aber er setzt sich hin wie ein Blutegel und wenn er sich vollgesaugt hat, kehrt er nach Altengland zurück. Der Irländer, Wälsche und Slawe geht in kurzer Zeit mit Haut und Haaren in eine fremde Volkstümlichkeit auf. Der Franzose, Italiener und Spanier verlässt nicht gern seine Heimat, und ist er doch dazu genötigt, dann verliert er niemals die Rückkehr aus dem Auge, Teil eines andern Volkes kann er bei dem besten Willen nicht werden.