Zweite Fortsetzung

Den Nutzen, welchen Russland und Ungarn von deutschen Handwerkern und Ackerbauern zog, suchten sich die übrigen Völker ebenfalls zuzuwenden, und so begann schon seit dem Anfange des vorigen Jahrhunderts ein wahrer Menschenmarkt. Die Holländer, Engländer und Spanier suchten in Deutschland Futter für ihre Kolonien. Selbst nach Spanien wurde 1776 eine Schaar von 6.000 Deutschen gebracht, welche noch jetzt in der Sierra Morena mehrere deutsche Gemeinden ausmachen. Dieser schändliche Handel mit weißen Menschen hat in der neueren Zeit überhand genommen und uns in den Augen der andern Völker erniedrigt. Es gibt kein überseeisches Land, welches nicht seine Mäkler in Deutschland hätte, um Ansiedler herüber zu locken. In Deutschland selbst standen Abenteurer genug auf, welche mit Menschenkräften Geschäfte machen wollten. Reeder und Banker, Prediger und Bücherschreiber suchten an der Auswanderung zu verdienen. Die tollsten Pläne wurden ausgedacht, und die armen Landsleute geradezu ins Verderben hineingeführt. Über Bremen allein sind in den letzten vierzehn Jahren 240.000 Deutsche nach Amerika ausgewandert; rechnet man dazu die Scharen, welche von Hamburg, Amsterdam, Antwerpen, Dünkirchen, Havre abgehen, und die, welche sich nach Polen, Ungarn und Russland wenden: so hat in dem kurzen Zeiträume eines halben Menschenalters eine Million Menschen Deutschland verlassen, um nimmer wieder zu kehren. Nach allen Staaten von Nord- und Südamerika, nach Algier, nach dem Kaukasus, nach dem Cap, nach Neuseeland, nach allen vier Windstrichen sind sie zerstreut worden, wer weiß es, wo dieses und jenes Hundert hingeraten ist oder seinen Tod gefunden hat?

Wären nicht die Herren zur Ausbeutung der Auswanderer da gewesen, so würden jene Scharen zum bei weitem größten Teile ihren Zug ruhig nach dem Lande hingenommen haben, welches jetzt das beste für sie ist, nach den Vereinigten Staaten, wo sie ein freies geordnetes Staatswesen, Land und Beschäftigung und ihre Landsleute finden. So lange Deutschland, zerrissen und gebunden wie es ist, keine Kriegsflotte wieder erhält: so lange bleibt für den Vaterlandsfreund nur die einzige Hoffnung, dass deutsche Männer als Bürger des freien Amerika durch ihre eigene Kraft und ohne Unterstützung vom alten Vaterland her eine neue Heimat gründen, in welche der bedrängte Deutsche flüchten kann, ohne aufhören zu müssen, ein Deutscher zu sein. Hier in den Vereinigten Staaten kann den Deutschen eine Zukunft blühen, welche für sie wie für das alte Vaterland gleich ehrenvoll und vorteilhaft ist. —


Die erste Einwanderung von Deutschen nach Nordamerika fand statt unter dem Geleite der Holländer. Es befand sich in New-York in früher Zeit sogar schon eine lutherische deutsche Gemeinde, obgleich sie von den reformierten Holländern unterdrückt wurde und erst 1669 sich einen Prediger aus Deutschland berufen durfte. Die sogenannte schwedische Kolonie bestand wenigstens zur Hälfte aus Deutschen. In Pennsylvanien fanden sich die ersten deutschen Einwanderer schon zwei Jahre vor Penn, in Menge kamen sie aber erst 1633, wo sie Germantown mit deutsche-reichsstädtischer Verfassung anlegten. Von jener Zeit an dauerte die Einwanderung von Deutschland her ununterbrochen fort bis zum Unabhängigkeitskriege. Einige Züge kamen unter geschickten Führern, nachdem sie schon vorher durch Abgeordnete sich Landstriche gesucht und gekauft hatten; solche deutsche Kolonien lassen sich schon in ältester Zeit selbst in den südlichen Staaten nachweisen. Am vorsichtigsten gingen die Religionsgesellschaften zu Werke, deren eine ganze Reihe sich in die neue Welt begab. Unter Penn kamen die deutschen Quäker, von 1698 bis 1716 die ihnen verwandten Mennoniten, 1728 die Tunker, 1734 die Schwenkfelder, 1737 die Herrenhuter oder mährischen Brüder. Außer diesen, welche in der Regel Vermögen mit sich brachten, kamen noch unzählige Scharen von allen Ständen und Religionen herüber, welche sich durch das Land zerteilten; die Armen mussten als Käuflinge (Redemptioners) die Kosten ihrer Überfahrt abverdienen. Wie zahlreich diese Einwanderung der Deutschen war, sieht man daran, dass schon im Frühjahre 1709 beinahe 33.000 Deutsche aus einmal in London versammelt waren, um nach Amerika zu segeln, der dritte Teil davon ist sicher herüber gekommen. Im Herbste 1749 kamen in Philadelphia allein 25 Schiffe mit 7.049 Deutschen an, einige sagen, es wären 12.000 gewesen; in jedem der drei folgenden Jahre eben so viele. Nach derselben Stadt kamen im Jahre 1759 bloß aus der Pfalz und aus Baden und Württemberg gegen 22.000. In den grässlichen Hungerjahren 1770 und 1771 kam die größte Menge herüber, und noch in den vier nächstfolgenden Jahren landeten in jedem Herbste 20 bis 25 Schiffe mit deutschen Einwanderern. Diese Nachrichten sind damals von Mitreisenden oder in Philadelphia wohnenden deutschen Predigern aufgezeichnet, und die darüber sprechenden Schriften sind noch erhalten.

Vor dem Unabhängigkeitskriege machten die Deutschen mit den Holländern im Staate New-York vier Fünftel, in Pennsylvanien zwei Drittel, in New-Jersey, Delaware und Maryland die Hälfte, in Virginien mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus, und in beiden Carolinas sowie in Georgien und Louisiana waren sie bereits in nicht geringer Anzahl vorhanden. Wo sie in Haufen zusammen saßen, hielten sie sich deutsch in Sprache und Sitten, meist sogar in Absonderung und Feindschaft mit der englisch sprechenden Bevölkerung. Wo sie einzeln oder familienweise unter die letztere zerstreut wurden, haben sie sich nach und nach mit ihr vermischt. Nachdem die Staaten sich von England losgelöst hatten, hörte die Massen Einwanderung von Deutschland auf, und, was auf die Deutschen in Amerika empfindlich einwirkte, der geistige Verkehr, welcher vorher insbesondere durch die Hallischen und Herrnhuter Geistlichen mit Deutschland in mancher Weise bestand, schlief ein und wurde erst seit etwa dreißig Jahren wieder eröffnet. In jener Zeit entwickelte sich die amerikanisch-deutsche Bevölkerung in eigentümlicher Weise, sie nahm in Sprache und Geschäften sehr viel von den Englisch-Irischen auf, blieb aber in Charakter und Sitten deutsch. Weil die Deutschen aber in ihrer Abgeschlossenheit kein selbstständig deutsches Leben hervorbringen konnten, welches in geistiger Weise eine höhere Andeutung und Freudigkeit gehabt hätte, so verloren sie nicht wenige ihrer besten Köpfe und reicheren Familien an die Nichtdeutschen. Eigentliche Niederlagen erlitt aber das deutsche Wesen erst mit dem Beginne dieses Jahrhunderts, oder vielmehr erst nach dem letzten englischen Kriege, als die amerikanische Volkstümlichkeit sich mit außerordentlicher Schnellkraft zu Bewusstsein vielseitigem Reichtum erhob. Immer aber blieben jene Pennsylvanier Deutschen, wie man die Nachkommen der alten Einwanderung zum Unterschiede von der neuen benannte, ein ehrenhafter Stamm und sie hielten mehr an deutscher Tüchtigkeit, Geradheit und Gemütswärme fest, als so viele der Neueingewanderten, welche sich in sehr billig zu habenden Witzen über die Pennsylvanier auslassen.

Welche Massen von Deutschen aber seit 1815 nach den Vereinigten Staaten eingewandert sind, wie ihre Anzahl mit jedem Jahre gestiegen ist, so dass im letzten Jahre (1846) bloß nach New-York auf 340 Schiffen 52.326 deutsche Einwanderer kamen, ohne die zu zählen, welche in Bosten, Baltimore, Charleston und New-Orleans landeten, — und wie es kaum eine große oder kleine Stadt oder kaum irgend einen Geschäftszweig in Amerika gibt, worin nicht wenigstens ein paar neueingewanderte Deutsche tätig wären, — das, meine Herren, ist Ihnen selbst wohlbekannt.*)

Uns ist hier die Frage von Wichtigkeit: welche Bedeutung die Deutschen für staatliche, gewerbliche und geistige Entwicklung in den Vereinigten Staaten hatten und haben?