Das Leben der Päpste in Avignon

Es ist nicht nötig, hier die Beziehungen Johanns XXII. zu Ludwig von Bayern, noch die des Gegenpapstes Nikolaus zu betrachten; sie gehören lediglich der politischen Geschichte an. Aber wie um zu zeigen, auf welche Art sich die geistige Bewegung Bahn brach, entging der Papst selbst nicht einer Anklage auf Ketzerei. Obgleich Johann so vollauf mit weltlichen Dingen zu tun hatte, zauderte er doch nicht, die große Frage der „himmlischenVision“ aufzuwerfen. Seiner Meinung nach genießen die Toten, selbst die Heiligen, die himmlische Anschauung Gottes erst nach dem Jüngsten Tage. Sofort erhob sich unter den Orthodoxen eine Frage. „Wie! Stehen die Apostel, Johannes, Petrus, ja selbst die hochgelobte Jungfrau noch nicht vor dem Angesicht Gottes?“ Der Papst hieß die gelehrtesten Theologen die Frage prüfen, während er selbst tätig darauf einging. Die Universität Paris ward in den Streit verwickelt. Der König von Frankreich erklärte, dass sein Reich nicht mit solchen ketzerischen Lehren besudelt werden solle. Ein einziger Satz erklärt die praktische Richtung des Dogmas, soweit die Interessen der Kirche beteiligt waren: „Wenn die Heiligen nicht vor Gott stehen, was nützt ihre Vermittlung? Was nützt es, Gebete an sie zu richten?“ Der Papst konnte vielleicht durch sein Alter entschuldigt werden. Er war jetzt fast neunzig Jahre alt. Dass er sich nicht gemäß der vorherrschenden Meinung der niederen Mönchsorden benommen, welche glaubten, dass Armut wesentlich zum Seelenheil sei, zeigte sich bei seinem Tode, 1334 n. Chr. Er hinterließ achtzehn Millionen Goldgulden in Spezies und sieben Millionen an Silbergeschirr und Edelsteinen.

Sein Nachfolger, Benedikt XII., entschied die Frage der „himmlischen Vision“: „Nur diejenigen Heiligen, welche nicht durchs Fegefeuer gehen, erblicken unmittelbar die Gottheit.“ Das Pontifikat Benedikts bewahrheitete kaum den Ausdruck, womit er die Kardinäle, die ihn gewählt hatten, begrüßte: „Ihr habt einen Esel erwählt.“ Er führte ein lustiges Leben. Einer Überlieferung zufolge rührt von ihm der Ursprung des Sprichworts her: „Betrunken wie ein Papst.“


Unter dem folgenden Pontifikat Klemens' VI., 1342 n. Chr., wurde der Hof von Avignon der eleganteste der Christenheit. Ritter und Damen, Maler und andere Künstler drängten sich dort. Er zeigte einen Tagtraum von Aufzügen und Banketten. Der Papst selbst ergötzte sich in weiblicher Gesellschaft, gestattete aber in seiner Schwachheit seiner Dame, der Gräfin von Turenne. ungeheure Einkünfte aus dem Verkauf kirchlicher Beförderungen zu erpressen. Petrarca, der um diese Zeit zu Avignon lebte, spricht von demselben als von einem ungeheuren Bordell. Seine eigene Schwester war vom Heiligen Vater Johann XXII. verführt worden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Welt der Gotik