Die Welt der Gotik

Die geistige Entwicklung Europas vom 14. bis 16. Jahrhundert
Autor: Gleichen-Rußwurm, Alexander von (1865-1947) deutscher Schriftsteller, Herausgeber, Übersetzer und Kulturphilosoph, Erscheinungsjahr: um 1925
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gotik, Kulturgeschichte, Sittengeschichte, Sozialgeschichte, Religion, Papstum, Mittelalter, Kirche,
Vorwort.

Während die Renaissance und der Humanismus vorzüglich italienischen Charakter trugen und überall, wo sie sich durchsetzten, den Einfluss von Florenz, Rom oder Venedig erkennen ließen, behielt das Volksleben, das Wesen der Bürgerschaft, der Ritter und der niederen Geistlichkeit im übrigen Europa durchaus gotischen Charakter. Wo nicht der Handelsverkehr, wie in Nürnberg und Augsburg, der Hofstil reicher Kirchenfürsten, wie am Rhein und in Salzburg, oder die vom Süden aus modernisierten weltlichen Höfe den Geschmack und Geist der neuen Zeit lebendig machten, bewegte sich das Leben in der traditionellen Form und ließ Neuerungen nur langsam oder widerwillig ein. Rückblickend ist in diesem Band mancherlei herangezogen, was bestehen blieb und den Wechsel überdauerte, als die Religionsstreitigkeiten die Länder verheerten und der reichen gotischen Kultur unheilbare Wunden schlugen.

In der Kulturgeschichte gibt es keine streng getrennten Abschnitte, die Weltanschauungen, die Sitten, die Formen des äußeren Daseins fließen ineinander, was anfangs Mode einer Elite gewesen, geht in den Volksgebrauch über, und was für affektierte Neuerung galt, wird allgemein Gebrauch, wie z. B. die Verwendung der Gabel bei Tisch. Es gibt weite Länderstrecken, an denen die Renaissance fast spurlos vorüberging und deren Grundstock an Lebensform und Bildung gotisch blieb, bis das Barockzeitalter siegreich einzog, wenn auch da und dort ein Bauwerk — von ausländischen Meistern ausgeführt — die Architektur und Bildkunst der Italiener brachte. Das Kriterium ist immer nur der Lebensstil, als ein Ganzes betrachtet. Aus diesem Grunde bilden die drei Bände des Mittelalters, der Gotik und der Renaissance innerlich eine Einheit, und vieles, was in dem einen gesagt ist, hat seine Geltung für die andern behalten.

Alexander von Gleichen-Rußwurm.
Geschichte der geistigen Entwicklung von Europa im Glaubenszeitalter.

Von John William Draper*).

*) John W. Draper (1811—1882) war Professor der Chemie und Physiologie an der Universität Neuyork. Er betrachtete die Welt von einem durchaus neuzeitlichen und naturwissenschaftlichen Standpunkt aus und trat an die historischen Fragen, die er mit Vorliebe zu lösen trachtete, mit amerikanischer Unbefangenheit heran. So kam er unwillkürlich einer kulturhistorischen Auffassung näher und verstand — von Amerika aus gesehen — Europa als ein Ganzes zu betrachten, was den nationalen Historikern des eigenen Erdteils meist versagt war. Außer seinem bekanntesten Buch, dem die vorliegenden Abschnitte entnommen sind, „History of the intellectual development of Europe“ (1862. Deutsch von Bartels), schrieb er eine Geschichte der Konflikte zwischen Religion und Wissenschaft und eine Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs.

Sturz des italienischen Systems durch den vereinten intellektuellen und moralischen Angriff.

„Das Ewige Evangelium.“ — Einleitung zu demselben vom General der Franziskaner. — Versuche, das Buch zu vernichten. — Der Kommentar zur Apokalypse. — Herannahende Schwierigkeiten der Kirche. — Peter Morrone ist Papst. — Cölestin V. zur Abdankung gezwungen. — Das Wunder von Loretto. — Bonifaz VIII. — Cölestins Himmelfahrt. — Streit zwischen Bonifaz und den Colonnas. — Geldbedürfnisse Roms. — Der König von England zwingt die Geistlichkeit, Steuern zu zahlen. — Der König von Frankreich versucht es. — Die Bettelmönche leisten ihm Vorschub. — Er wird von den Juristen tüchtig unterstützt. — Die vier Feinde Bonifaz'. — Wilhelm de Nogaret. — Haltung der Generalstaaten. — Anklagen wider den Papst. — Seine Ergreifung durch de Nogaret und sein Tod. —Vergiftung Benedikts XI. — Übereinkommen zwischen dem Könige und dem Erzbischof von Bordeaux. — Entfernung des Papsttums nach Avignon. — Philipp willigt ein, von der Verfolgung abzustehen. — Religiöser Zustand Papst Bonifaz'. — Seine Ursachen. — Marsilios Werk: „Der Verteidiger des Friedens.“ — Die „himmlische Vision“. — Sie wird von Benedikt XII. erklärt. — Wollust Avignons. — Rienzi. — Unehrerbietigkeit Barnabas Viscontis. — Die Päpste kehren nach Rom zurück. — Ursachen der großen Spaltung. — Geldbedürfnisse der Nebenbuhlerpäpste. — Organisation der Simonie. — Entrüstung des frommen Europas. — Drei Päpste. — Wiclif, der englische Reformator. — Er übersetzt die Bibel. — Verbrennung englischer Ketzer. — Das Konzil von Konstanz setzt den Papst ab. — Tod des Johann Huß. — Edles Benehmen Huß'. — Das Konzil von Basel. — Ursache und Schluss dieser Unruhen. — Ende des intellektuellen Einflusses des Papsttums. — Erscheinen der Türken. — Ausdehnung ihrer Macht in Europa. — Die byzantinischen Herrscher wenden sich an den Westen. — Die griechische Kirche unterwirft sich der lateinischen. — Mohammed II. — Belagerung Konstantinopels. — Fall der Stadt. — Schrecken der Christenheit über den Fall Konstantinopels. — Fortschritt der Türken. — Wirkung der türkischen Eroberung. — Nikolaus V. ein Beschützer der Kunst. — Allmählicher Ursprung der schönen Künste. — Philosophische Eigentümlichkeiten des Zeitalters. —Charakter seiner Logik. — Seine Annahme des Supranaturalismus. — Die Juden und Sarazenen vernichten den Supranaturalismus. — Lage der Kirche. — Sie konnte sich aus ihrer falschen Stellung nicht herausreiften. — Stufenweise Folge supranaturalistischer Vorstellungen. — Orientalische Magier. — Simon Magus. — Griechische Thaumaturgen. — Einführung eines arabischen Regiments. — Einführung europäischer Zauberei und Hexerei. — Modifikationen des Supranaturalismus. — Verfolgungen wegen Hexerei. — Erfahrungen Luthers. — Völliges Verschwinden dieser Täuschungen. — Wert menschlichen Zeugnisses. — Der Supranaturalismus gehört einer Periode des Lebens an. — Einfluss der Juden auf den Supranaturalismus. — Schriften jüdischer Arzte. — Gründung von Hochschulen. — Medizinische Studien unter den Juden. — Quacksalberei. — Die Rabbiner treiben Heilkunde. — Und andere Wissenschaften. — Schriften der spanisch-jüdischen Ärzte. — Maimonides. — Spätere jüdische Ärzte. — Die Universität Paris verursacht die Vertreibung der Juden aus Frankreich. — Ergebnis, das sie vollbracht hatten. — Vernichtung der Feen durch Tabak. — Ursachen des kirchlichen Widerstandes. — Entarteter Zustand Italiens. — Entstehung eines neuen gesellschaftlichen Systems. — Einfluss dieses neuen Systems. — Keine Literatur im Glaubenszeitalter. — Seine kritische Unschuld. — Nichtgebrauch patristischer Werke. — Erklärung aus der Lebensgeschichte Arnolds. — Zwei Impulse — ein geistiger und sittlicher — in Tätigkeit. — Kampf des Kirchentums wider das intellektuelle Prinzip. — Die Schwierigkeit lag im System, nicht in den Menschen. — Der intellektuelle Impuls macht seinen Angriff durch die Astronomie. — Und die Kirche wird vernichtet. — Der sittliche Impuls. — Ursprung des sittlichen Impulses. — Verlust der heiligen Orte. — Wirkung der Kreuzzüge. — Meinungsveränderung bei den Kreuzfahrern. — Sie entdecken die Unsittlichkeiten Italiens. — Gleichzeitige Veränderungen in Europa. — Verlust der Macht in Kirchenorganisationen. — Zusammenhang religiöser Vorstellungen in Italien mit seinem ethnischen Zustande. — Angabe dessen, was die Kirche wirklich getan hatte. — Eigentümlichkeiten des Zeitalters der Vernunft. — Natürliche Perioden verschwinden ineinander. — Künstliche Epochen. — Ursprung und Ende des Glaubenszeitalters. — Vorspiel zum Zeitalter der Vernunft. — Albertus Magnus, der Dominikaner. — Roger Bacon, seine Entdeckungen. — Wird verfolgt und eingekerkert. — Kleinere Alchimisten Englands, Frankreichs und Deutschlands. — Augurelli, der poetische Alchimist. — Basil Valentin führt das Ammonium ein. — Die neue Epoche. — Schwierigkeit, sie wissenschaftlich zu behandeln. — Kleinere Land- und Seereisen. — Teilnahme anderer Nationen an diesen Ereignissen. — Epoche der geistigen Bewegung. — Gebrauch des Lateinischen als einer heiligen Sprache. — Ursachen der Abneigung Roms gegen das Griechische. — Und Gefahr von den neueren Sprachen. — öffentliche Nachteile einer heiligen Sprache. — Wirkung neuerer Sprachen. — Allmählicher Fortschritt der Restauration. —Veränderung des menschlichen Denkens. — Veränderungen in den italienischen Vorstellungen. — Die Reformation; ihre Geschichte. — Der vorbereitende Zustand Deutschlands, Frankreichs, Englands. — Römische astronomische Vorstellungen. — Richtigere Vorstellungen unter einigen der Geistlichkeit. — Die geozentrische und heliozentrische Theorie. — Die geozentrische Lehre von der Kirche angenommen. — Vorbereitungen zur heliozentrischen Lehre. — Notwendigkeit der mechanischen Wissenschaften. — Lionardo da Vinci.