Abschnitt. 4

In die erste Untergattung gehört insbesondere die ganze Geschichte bis zur Ankunft des Ordens, die wenigen spärlichen Nachrichten abgerechnet, welche sich bei den auswärtigen Geschichtschreibern früherer Zeit finden, insbesondere also das, was aus der Chronik des Bischofs Christian in die späteren Schriftsteller übergegangen ist. Wenn dieser Ereigniße erzählte, die sich mehr als ein halbes Jahrtausend vor ihm ereignet haben sollten, so konnte nur die Sage seine Quelle sein, wogegen er von dem, was er vom Gottesdienste und den Sitten berichtet, aus unmittelbarer Kunde sprechen mochte. Letzteres gehört daher auch nicht mehr in das Gebiet der Volkssage.

Bei den Legenden im allgemeinen ist wohl gewiß, daß sie weniger in dem Volke als in der Kirche ihre erste Entstehung gefunden und von letzterer dem ersteren überliefert sind, weshalb es denn auch durchaus angemessen ist, wenn sie sonst nicht in die Sagensammlungen Aufnahme erhalten. Anders ist, es bei Preußen. Von seinen Wunderthätern, die ersten Begründer des Glaubenswerkes, Adalbert und Bruno, abgerechnet, hat die römische Kirche stets so gut wie gar keine Kenntniß genommen; ist es doch nich einmal gelungen, für die heilige Dorothea vom päpstlichen Hofe die Heiligsprechung zu erreichen, und nur dem Volke verdankt sie ihre Canonisation. Preußen zur Ordenszeit hat aber auch gar keine theologische Literatur; was von Denkmälern jene Periode uns überliefert hat, ist fast durchgängig historischen Inhalts. Ueberhaupt war der Einfluß des Klerus hier nie von hoher Bedeutung, gewiß in keinem Staate der römisch-katholischen Christenheit geringer als in diesem geistlichen. Der Ritterorden ließ die Mönchsorden es entgelten, daß sie so lange seiner Entfaltung widerstrebt, wies ihnen, als sie nun bei ihm eine Heimath suchten, eine ziemlich untergeordnete Stellung an, und machte es ihnen unmöglich, irgend eine Gewalt über das Volk zu gewinnen. So erscheint es denn auch wohl gerechtfertigt, wenn man die preußischen Legenden den Volkssagen zurechnet. Was letzteren nicht unbedingt überwiesen werden konnte, wie z. B. manche Erzählungen vom heiligen Adalbert, die sich blos bei den Kirchenscribenten sinden, ist ausgeschieden.


B. Bei der zweiten Hauptgattung, den geographischen oder Localsagen, ist das örtliche Hauptelement, das Zeit- und persönliche Verhälniß außerwesentlich. Sie verlieren im Gegensatz gegen die historischen alle Bedeutung, wenn ihnen jenes entzogen wird. Theils beschäftigen sie sich mit der Entstehung der Ortschaften, und hier ist es insbesondere, wo die Sage, wenn die Geschichte schweigt, gern eintritt; theils knüpfen sie sich an auffallende Naturformen. Einen See von unergründlicher Tiefe, oder auf dessen Grundfläche sich besondere Gestaltungen zeigen, glaubt man durch das Versinken von Orten erklären zu müssen; Steine, die einer menschlichen Figur gleichen, hält man für versteinerte Personen. So erklärt es sich, daß dergleichen Sagen nicht selten, aber in einer Gegend, wo die Bodenverhältnisse wenig Abwechselung bieten, meist einförmig sind.

Wie hier die Gattungen und Klassen der Volkssagen aufgeführt sind, so haben sie auch bei der nachfolgenden Sammlung zum Faden, an den die einzelnen angereiht worden, gedient.

Bei der geographischen Begränzung hielten wir uns nun zwar im Allgemeinen an der politischen, welche gegenwärtig die Provinz Preußen hat; da jedoch Westpreußen, obwohl dem Volksstamm und der Geschichte nach meist von dem übrigen geschieden, nicht ausgeschlossen ward, so mußte auch das, was, wenn auch jetzt davon gesondert, bisher ihm zugehört hatte, wie die Länder Lauenburg und Bütow, berücksichtigt und selbst bei der Begränzung gegen die übrigen Länder polnischer Zunge zuweilen von der gegenwärtigen administrativen Scheidelinie abgewichen werden.

Um nun der Quellen, aus denen die Sammlung geschöpft worden, noch zu gedenken, so besitzt Preußen bis jetzt noch kein Werk, was sich speciell diesem Gegenstande widmete, aber besonders die früheren Chronisten enthalten einen nicht unbedeutenden Vorrath an Material.

Was die Sagengeschichte des Landes betrifft, so verdanken wir sie fast ganz dem Apostel der Preußen, dem Bischof Christian von Culm. Sein Werk ist zwar nicht mehr auf unsere Zeit gekommen, hat jedoch im sechszehnten Jahrhunderte noch existirt und ist namentlich von Simon Grunau und Lucas David benutzt. Weniges andre hierher Hehörige kommt auch bei Aeneas Sylvius und Erasmus Stella vor, die zwar schon im fünfzehnten Jahrhunderte schrieben, aber Bischof Christians Werk nicht kannten und daher auch von diesem vielfach abweichen.