Chemische Industrie

Die chemische Industrie im weitesten Sinne entwickelte sich in der Ukraine (wie auch in Russland) namentlich unter dem Druck des Krieges, erreichte aber in kurzer Zeit sehr schöne Erfolge und wird in Zukunft einen weiteren starken Ausbau erfahren. Doch auch hier wirkte die Tendenz Russlands, ihr Emporkommen zu unterbinden, um erstens die Ukraine als Absatzmarkt, zweitens als Rohstofflieferanten zu behaupten, hemmend auf ihre volle Entfaltung. (Das Beispiel des raschen Aufblühens der chemischen Industrie in der Ukraine ist übrigens bezeichnend dafür, wie bei einer tatkräftigen Initiative und planvoller Organisation allein auf der Grundlage der mannigfachen Naturreichtümer des Landes gewissermaßen über Nacht Industriezweige geschaffen werden können, die den Unternehmern reichen Gewinn, dem Lande wirtschaftliche und soziale Vorteile bringen würden).

Ein detailliertes Eingehen auf die einzelnen Zweige der chemischen Industrien ist im Rahmen dieser Flugschrift nicht beabsichtigt. Hier sollen nur einige der wichtigeren herausgehoben werden, insoweit sie für den Anfang der deutsch-ukrainischen Wechselbeziehungen von Bedeutung sind.


Kurze Angaben befinden sich in der Anlage Nr. 9.

Was die deutsche Betätigung auf diesem Gebiet anlangt, so hätte sie sich zunächst darauf einzustellen, die durch die Revolution zerstörte Erzeugung dort, wo sie sich vielversprechend zu entwickeln begonnen hatte, wieder aufzunehmen. Speziell deutsche Unternehmer wären infolge ihrer durchgreifenden wissenschaftlichen Schulung und ihrer praktischen Erfahrungen dazu wie kaum jemand geeignet. Die Voraussetzungen einer erfolgreichen Entwicklung gewisser Zweige dieser Industrie, und zwar insbesondere Rohstoffe, Kohle, und starke Nachfrage, sind in reichem Masse vorhanden.

Außer dem Wiederaufbau wäre noch der planmäßige Weiterbau eine dankbare Aufgabe; der gegenwärtige Stand der chemischen Industrie ist, wie jener der meisten anderen, ziemlich katastrophal.

Von den Säure- und Benzolfabriken steht der Hauptteil augenblicklich still. Die Schwefelsäurefabriken sind durch das Fehlen von Rohstoffzufuhren (aus Kertsch, dem Ural und den anderen Gebieten) ebenfalls zum Stillstand gekommen, Benzolfabriken durch den Mangel an Koks. Im Augenblick fehlen
also: Transportmittel, Heizmaterial, Schmieröl und Fachpersonal. Die Art der deutschen Betätigung ergibt sich nach Behebung dieser grundlegenden Hemmnisse dann von selbst.

Eine spezielle Bedeutung für die ukrainische Landwirtschaft haben chemische Düngemittel, vor allem Kalisalze, deren Bedarf in den letzten Jahren gewachsen ist. Die Forschungen nach neuen Kaliquellen in der Ukraine ergaben solche in der Krim, sowie in der Bucht von Odessa (Chadschibejskyj und Kujalnizkyj Liman). Versuche haben hier und besonders in den wegen des hohen Bromgehaltes bekannten und teilweise: bereits ausgebeuteten Solen des Sakisees in der Krim die Möglichkeit der Gewinnung hochwertiger (bis 30%) Kalisalze ergeben. Die an sich primitive Förderung wurde durch die Revolution fast vollkommen unterbrochen.

Interesse für deutsches Kapital böte ferner die Ausbeute der Phosphoritlager in der Ukraine, die bisher völlig unzulänglich durch Tagebau oder Duckeln erfolgte. Eine Darstellung der Phosphoritproduktion gibt Anlage 10.

Der Gehalt der Phosphorite an Kalziumphosphat ist in manchen Lagern sehr erheblich. Nicht ausgewertete reiche Ablagerungen befinden sich an mehreren Stellen der Zentralukraine und ihrer Grenzgebiete Kursk und Woronesch. Eine organisierte Exploitation dieser Fundstätten würde deutschen
Unternehmern gute Gewinnmöglichkeiten schaffen und die ukrainische Phosphatindustrie von dem Bezug überseeischer Rohmaterialien unabhängig machen. Darüber hinaus würde sie Deutschland gestatten, seine Vormacht auf dem Gebiet der chemischen Düngerwirtschaft auszubauen und zu verstärken.

Daneben behalten die in den vorhergegangenen Kapiteln angeführten anderen Betätigungsmöglichkeiten (Kauf, Pachtung, Instandsetzung von Fabriken, Ausbeutung von Rohstofflagern usw.) ihre Geltung auch hier.