Eisenindustrie

Auf Grund der reichen Vorkommen von Eisenerzen und verkokbarer Kohle hatte sich in der Ukraine bereits Jahrzehnte vor dem Kriege ein bedeutendes Eisenhüttenwesen entwickelt.

Das einschlägige Ziffernmaterial ist in der Anlage Nr. 2 niedergelegt.


Es veranschaulicht die gewaltig ansteigende Entwicklung der ukrainischen Eisenindustrie, ihre überragende Bedeutung für die Industrie des ganzen Ostens und zeigt zugleich, dass sich die Mitwirkung des ausländischen Kapitals im Prinzip nach zwei Richtungen vollziehen wird:

a) Wiederherstellung und Steigerung der Erzausbeute;

b) Verwertung des gewonnenen Erzes im Lande zur Halb- und Fertigfabrikaterzeugung.

Für deutsche Unternehmer wird eine dankbare Aufgabe darin bestehen, die Ukraine instand zu setzen, dass sie in eigenen Hochöfen ihr Erz schmelzen und Halbfabrikate daraus erzeugen kann. Es ist dann nicht zu zweifeln, dass bei der fast amerikanisch anmutenden Entwicklungsintensität der ukrainischen Hüttenindustrie diese Periode rasch durchschritten sein wird und dass dann der Aufbau einer leistungsfähigen Fertigwarenindustrie einsetzen wird. Vor dem Kriege bestand zwar in der Ukraine eine Anzahl von Maschinenfabriken, doch waren sie zumeist für die Bedürfnisse der heimischen Montanindustrie tätig. An Werken z. B. für den eigentlichen Großmaschinenbau fehlte es fast ganz. Eine der Bedingungen für den Aufschwung dieser Industrie wäre der Bezug normalisierter, in anderen Fabriken hergestellter Zwischenfabrikate. Solche Lieferungen können aber fast nur aus Deutschland kommen.

Wenn auch Weltkrieg, Revolution und bolschewistische .Wirtschaftsmethoden die ukrainische Hüttenindustrie zum großen Teile brach gelegt haben, so wird gerade die Dringlichkeit ihrer Wiederaufrichtung und die finanzielle Ohnmacht der ukrainischen Regierungen in den nächsten Jahren zu einer starken Inanspruchnahme ausländischen Kapitals und Unternehmertums führen müssen. Dazu kommt, dass speziell Erze (und einige andere Rohstoffe der Montanindustrie) verhältnismäßig am raschesten zur Ausfuhr werden bereitgestellt werden können, da ihre Ausbeute bei weitem ihre Verwendung in der Ukraine übertrifft. Während z. B. Kohle wohl kaum entbehrlich werden wird, werden Erze und Mangan usw. vorwiegend als Kompensationsobjekt und Zahlungsmittel bald ausfuhrbereit sein können, soweit natürlich ihre Verfrachtung ermöglicht wird.

Als natürliches Verbrauchsgebiet für das ukrainische Exporterz wird die oberschlesische Montanindustrie zu gelten haben. Freilich ist dann die Frage ihrer Zufuhr zu lösen, die in erster Zeit wohl auch politisch zu behandeln sein wird.

Zur Erfassung der ukrainischen Exportüberschüsse wird es sich empfehlen, in Deutschland ein finanzkräftiges Kaufsyndikat zu bilden, das den Erwerb der Erze und ihre Verteilung auf die deutschen Werke zu übernehmen hätte.

Neben der Inbetriebsetzung früherer Schächte wird auch die Erschließung neuer Erzvorkommen, die wissenschaftlich festgestellt, bisher aber noch nicht in Angriff genommen wurde, in Betracht kommen (siehe Anlage).

In dieser Richtung ist besonders wichtig die Ausbeutung der Magnesitlager im Kursk-Woronescher Gebiet, die einmal eine völlige Verschiebung der industriellen Verhältnisse nicht nur in Osteuropa, sondern wahrscheinlich auch in Mitteleuropa zu bewerkstelligen berufen sind. Die Erschließung dieser Vorkommen hängt allerdings mit der verkehrstechnischen Erschließung dieses Gebietes und der Sicherstellung genügender
Kokskohle zusammen. Beide Aufgaben bieten indessen keine allzu großen Schwierigkeiten, wenn die Mitwirkung kapitalkräftiger Interessenten gewonnen ist.

Berücksichtigt man, dass die ukrainische Erzausbeute im Verein mit der Kohlenproduktion die Grundlage der industriellen Tätigkeit nicht nur im Süden, sondern zum großen Teil auch im Norden Russlands bildete und dass sie auch bei dem Wiederaufbau der ukrainischen (und teilweise russischen) Volkswirtschaft eine hervorragende Rolle zu spielen berufen ist, so wird es ohne weiteres klar, dass dem Beherrscher dieses Produktes automatisch auch die Herrschaft über einen bedeutenden Teil der Industrie des Ostens überhaupt zufallen muss.

Ein stärkeres Engagement Deutschlands auf diesem Gebiete würde ihm, zumal sein eigenes Erzgebiet durch den Ausgang des Weltkrieges wesentlich geschmälert wurde, auch die Möglichkeit bieten, bedeutende Mengen dieses Materials aus der Ukraine zu beziehen. Durch den Verlust Lothringens und Luxemburgs ist der Anteil Deutschlands an den Eisenerzvorräten Europas bekanntlich von 32,5 % auf 10,8 % gesunken. Deutschland, das bereits vor dem Kriege namentlich Manganerze aus der Ukraine einführte, wird sich hier einen Rohstoffmarkt sichern können, der nach und nach seinen Erzbedarf voll zu decken imstande sein wird.