Viel Lärm um Nichts

Die Geschichte ist alt, rührt von meinem Urgroßvater her und ist mir von meiner Großmutter gar oft mit Wohlgefallen und umständlich erzählt worden. Damals galt es noch als ein halbes Verbrechen für einen sogenannten Menschen von Stand, sein eigenes Haar zu tragen; man trug lieber fremdes, oder Werg und Wolle, und zwar pfundweise, auf dem Kopf, und die Perückenmacher hatten gute Zeiten; denn wer, wie die Frauen, auch etwa keine Perücke trug, der gab seinem Haarputze doch das Ansehen einer solchen. An einem der kleinen, nunmehr ausgestorbenen Höfe Süddeutschlands bestand die Hauptbelustigung im Aufführen von französischen Theaterstücken, und es war zu dem Ende in der geräumigen Halle eines ehemaligen Zeughauses eine recht hübsche Bühne aufgeschlagen, deren Lichterglanz freilich mit dem Dunkel der anstoßenden offenen Seitenhallen einen gewaltigen Abstand bildete. Es war ein schöner lauer Vorsommerabend, durch die offenen, hohen Pforten kamen Blumendüfte des anstoßenden fürstlichen Gartens herein in die geschmückten Räume, in welchen eine geputzte, nur aus Geladenen bestehende Gesellschaft vor den Lampen saß und der Dinge harrte, die da kommen sollten. Das treffliche Musikchor spielte eine Eröffnungsweise und der buntgemalte Vorhang ging in die Hohe. Der Held, ein junger Graf, erschien in goldbrokatenem Rock mit wagerechtem Degen, den Hut unterm Arm, und trug auf das Zierlichste die französischen Verse seiner Rolle vor. Sein Selbstgespräch dauerte schon lange, da ward es auf einmal auf die furchtbarste Weise unterbrochen. Ein entsetzlicher, Mark und Bein durchschütternder Schrei erscholl und plötzlich stürzte die Prinzessin Antonie, ein noch kaum sechzehnjähriges Madchen, welche in dem Schauspiel ebenfalls mitwirken sollte, auf die Bühne, die höchste Angst in allen Mienen, und rasend, sinnlos schreiend, gleich wie um Schutz bei der Menge zu suchen, sah sie weder die Lampen vor sich, noch die Tiefe des Raumes für die Musiker und herab sprang sie mitten unter die letzteren. Sie fiel auf eins der hohen Notenpulte und dieses brach unter ihr zusammen. Eine Sekunde der fürchterlichsten Stille, der Starrheit des Schreckens folgte. Dann aber eilte Alles zu Hilfe; die Mutter des armen Mädchens lag ohnmächtig in dem gekrönten Sammetsessel, der Vater verleugnete selbst bei diesem Vorfall seine Würde nicht, so nahe er ihm auch gehen mochte. Man hob die Unglückliche auf; sie kam zu sich, schrie aber sogleich wieder von Neuem nach Hilfe und fiel in die grässlichsten Zuckungen. Mein Urgroßvater hob den Kopf des Madchens empor. — Da gewahrte er den bösen Urheber dieses Unglücks. Eine Fledermaus hatte sich in den gelockten, gepuderten, hoch aufgetürmten Haaren der Prinzessin gefangen, und flatterte so über ihrem Haupte. Das kleine Ungetüm konnte auch nicht von seinem Sitz abgelöst werden, ohne dass die Schere zu Hilfe genommen worden wäre. Mein Urgroßvater, ein aufgeklärter Mann, hielt die Fledermaus an dem einen Flügelfuß in die Höhe und sagte: „Beklagenswert! Um dieses unschuldige Tierchen!“ — Und er ließ es flattern — aber ein böser Blick wurde ihm zu Teil. Wohl war das Opfer beklagenswert — die arme Prinzessin Antonie, der Liebling des ganzen Ländchens, hatte eine Rippe und die beiden Füße gebrochen. Sie ward zwar wieder geheilt, allein sie blieb schief und konnte bloß an Krücken gehen und ihre Gemütsart änderte sich durch diese Schickung auf die bedauerlichste Weise. Den Tag nach dem Ereignis verkündete der Ausrufer mit der Schelle in der ganzen Stadt die landesherrliche Verordnung: „Dass den Untertanen aufgegeben sei, von nun an die gemeinschädlichen, insonders boshaften und widerwärtigen Gifttiere, so man Speckmäuse nennet, allenthalben von der Erde zu vertilgen, und dass für ein jedes eingelieferte Dutzend vieser „höllischen Kreaturen“ (!) auf hochfürstlicher Rentkanzlei ein Albus Silber ausbezahlt würde!“ — Da begann denn eine Jagd, wie man wohl noch keine weiter erlebt hat und an der sich besonders die Jugend sehr stark beteiligte. Mit der Dämmerung zogen Knaben und, Burschen hinaus, bewaffnet mit langen Stangen, an deren Spitze ungeheure Büschel Werg befestigt waren; darin fingen sie allerdings nur wenige der armen verfolgten Tiere, deren es dort zufällig eine große Anzahl gab, allein der Spaß der Jagd war doch die Hauptsache. Zuschauer waren immer noch mehr da als Jäger, jedoch merkwürdig, kein Einziger in der Perücke, die meisten sogar mit verbundenen Köpfen. Aber die Geschichte ist noch nicht aus. Es fanden sich auch einige Gewinnsüchtige, wahrscheinlich Taugenichtse; da nun in alten Gebäuden die ergiebigste Jagd zu machen war, so wurden dieselben allabendlich von Unten bis Oben mit Laternen untersucht. Die tollen Burschen, welche merkten, dass die gehetzten Tiere sich am Gebälke der Decken fest anklammerten, zündeten die Wergbüschel auf ihren Stangen an und quälten damit die hilflosen Geschöpfe in den Tod. Solche törichte Grausamkeit fand aber ihre furchtbare Strafe — denn es kam durch dieselbe Feuer aus und elf Häuser und neunzehn Scheunen brannten ab! Und das Alles wegen einer kleinen unschädlichen Fledermaus! Um aber auch das Ende zu erzählen, so fiel mein Urgroßvater wegen des erzählten Vorgangs bei Hof in Ungnade, ward seines Amtes entsetzt und zog fort, fast gänzlich mittellos, in ein anderes deutsches Land. Das aber war zu seinem Heil — „und siehst du,“ pflegte meine Großmutter ihre Erzählung zu enden, „die Fledermaus ist ganz allein Schuld daran, dass ich hier sitze und dir das erzählen kann.“ Ich aber lief gewöhnlich nach dieser Mitteilung hinaus vor unseren Torweg und betrachtete andächtig die in Stein gehauene Fledermaus, die den Bogen desselben zum Kopfzerbrechen der Nachbarsjungen schloss, denen ich zwar geheimnisvoll meine Mitwissenschaft, aber die Ursache des sonderbaren Wappens nur an Feiertagen andeutete.

Noch jetzt sind gar viele Leute von seltsamem Aberglauben hinsichtlich der Fledermäuse oder Speckmäuse befangen. Wie die Prinzessin Antonie vor mehr als 100 Jahren glauben sie noch heute daran, dass ein solches Tierchen giftig sei, dem, dessen Kopf es berühre, unheilbaren Aussatz bringe und die Eigenschaft besitze, alle Hände, die es angreifen, auf der inneren Fläche mit einem Pelze dichter, grauer Haare zu bedecken, welche niemals wieder wegzubringen sind. Wie gar lächerlich und töricht solch ein Wahn sei, hätte der gestrenge Herr, welcher seine genannte Verordnung gegen die „Gifttiere“ erließ, schon daraus abnehmen können, dass alle, welche in die Rentkanzlei abgeliefert wurden, mit Händen berührt waren, und dass die Prinzessin weder den Aussatz, noch mein Urgroßvater natürliche Pelzhandschuhe bekam. Verständige Leute glauben nicht an solchen willkürlichen Unsinn, welcher gar keine Berechtigung hat. Aber selbst, wer recht ängstlich wäre, brauchte sich doch durchaus nicht zu fürchten, dass ihm eine Fledermaus so leicht in die Haare gerate. Das kann nur durch einen außerordentlich seltenen Zufall geschehen. Denn sie hat ein so feines Gefühl, so haarscharfe Sinne, dass sie nicht so leicht gegen irgend einen Gegenstand anfliegt, es sei denn, dass sie, noch jung und ungeschickt im Fliegen, durch die Ermüdung dazu genötigt werde. Und außerdem, was wäre denn dabei so Schlimmes? Die Fledermaus ist zwar ein hässliches, übelriechendes, aber durchaus kein schädliches, sondern eher ein nützliches Tier. Denn sie lebt bloß von Insekten, namentlich von Fliegen, die sie in der Dämmerung im Fluge, besonders gern über dem Wasser hascht. Dadurch leistet sie dem Menschen also sogar eine Wohltat. Ein Märchen ist es, dass sie den Landleuten in die Schornsteine fliege und dort das aufgehängte Fleisch benage, woher auch ihr Namen „Speckmaus“ rührt. Dies vermag sie aus zwei Gründen nicht zu tun: Einmal ist ihr Gebiss viel zu schwach dazu, und sodann vermöchte sie, so geschickt sie auch zu fliegen versteht, in einem engen Schornstein nicht senkrecht wie eine Lerche empor zu flattern, sondern würde jeden Augenblick anstoßen und herabfallen. Dass schon ein oder das andere Mal eine Fledermaus wirklich durch das Kamin in die Küche gelangt ist und die Hausfrau erschreckt hat, bestätigt gerade die Wahrheit meiner Behauptung. Die Speckdiebe sind immer Mause oder Ratten, welche mit bewunderungswürdiger Fertigkeit an senkrechten Wänden empor zu laufen und selbst an den Fleischhaken hinab und hinauf zu klettern vermögen; dass sie die Räuber sind, haben zahlreiche Beobachtungen der Zahnspuren unwiderleglich ergeben.


Niemand braucht sich daher vor einer Fledermaus zu fürchten, oder hat einen vernünftigen Grund, dieses mausgroße Tierchen zu hassen. Es ist wahr, sein Leben und seine Stellung im Tierreich ist sonderbar, denn es bildet mit der Flughaut zwischen seinen Zehen und Füßen ein eigentümliches, ganz einsam stehendes Geschlecht, welches allein von allen Säugetieren die wirkliche Gabe des Flugs besitzt und daher wohl als der Übergang zu den Vögeln angesehen werden kann. Ununterrichtete zählen es sogar ganz zu den letzteren, und selbst Gelehrte wissen noch nicht, ob Fledermausarten nicht wandern, wie die Zugvögel. Ihre Zwitterbildung und ihr lichtscheues Wesen, verbunden mit der Wahl ihrer Aufenthaltsorte, wo sie verkehrt an den Hinterfüßen hängend den Tag verschläft, haben ganz allein das abergläubische Gerede über die gute Fledermaus zu verantworten.

In heißen Ländern des Südens, in Ostindien und Brasilien, gibt es Fledermäuse, welche bedeutend größer, wie die unserigen, allerdings aber nicht ganz so unschuldig wie diese sind. Denn entweder plündern sie die Obstgarten, oder sie setzen sich auf schlafende Tiere, beißen denselben die Haut auf und saugen ihnen Blut aus. Dies tun besonders die Vampyre in Südamerika, welche es so arg treiben, dass viele Kälber, die Nachts im Freien bleiben, ihnen zum Opfer werden. Auch schlafende Menschen sollen sie schon angefallen und ihnen ein Bischen Blut abgezapft haben. Das ist aber nur selten geschehen und kein wahres Beispiel bekannt, dass ein solcher nächtlicher Besuch bei einem Menschen schlimme Folgen hinterlassen habe. Sollte man nun glauben, dass sich das Märchen von großen Fledermäusen, die dem Menschen Nachts die Adern öffnen und ihn töten, aus dem Mund übertreibender Reisender auch nach Europa verpflanzt und zu der schauerlichen Sage vom Vampyr Veranlassung gegeben hat, welcher in Österreich, in Kärnthen, Ungarn und den Donaufürstentümern noch unter dem rohen Landvolk vielfach verbreitet ist? Unter einem Vampyr versteht man aber dort einen Gestorbenen, der sich allnächtlich aus dem Grabe erhebt und umherwandelt, um irgend ein Opfer zu finden, welchem er das Blut aussaugen kann, womit er dann sein, Totenleben im Sarge fristet. Wenn daher in einem Dorfe mehre Menschen rasch hintereinander sterben, was doch gar leicht vorkommen kann, so verbreitet sich schnell die Meinung: Es ist ein Vampyr über uns gekommen! und mit derselben bezeichnet gewöhnlich dann auch der törichte Wahn des rohen Haufens irgend einen der zuerst Gestorbenen als den Blutsauger. Und nun — wende dich ab, Menschheit, und verhülle weinend dein Haupt — mich schauderts, dass ich es erzählen soll — nun zieht Jung und Alt auf den Gottesacker und der vermeintliche Vampyr wird wieder ausgegraben. Die Kennzeichen, dass er es wirklich ist, bestehen darin, dass der Leiche Haare und Nagel gewachsen sind und dass sie ein frisches Aussehen hat. Diese Bedingungen treffen aber bei gar vielen Leichnamen ein, denn das unbewusste tierische Leben ist noch keineswegs ganz erloschen, wenn auch die Seele längst entschwunden ist, sondern es dauert in einzelnen Teilen und unter günstigen Verhältnissen, so namentlich in der tiefen, kühlen Erde noch so fort, dass Haare u. s. w. noch eine Zeit lang wachsen und die Farbe der Haut sich erhält. Also diese ganz natürlichen Anzeigen stempeln den Todten zum Vampyr. Was geschieht! Ein schwerer, zugespitzter Pfahl von Eichenholz wird von vier kräftigen Männern der Leiche durchs Herz gestoßen — bei diesem Stoß, der ihm den Rest geben soll, stößt der Vampyr immer einen Schrei aus; neuer Beweis, dass er es war, wofür man ihn hielt! Aber wie leicht ist auch das erklärbar: In dem Körper des Leichnams selbst sind die Weichteile schon sämtlich in Zersetzung übergegangen, haben dabei viele Gasarten entwickelt und diese spannen solchergestalt die Haut, bis letztere endlich selbst zersetzt wird. Sobald diesen Gasen nun ein gewaltsamer Ausweg eröffnet wird, so entladen sie sich so heftig, dass ein Geräusch entsteht, und da haben wir denn den Schrei des Vampvrs. Ich habe diese unseren Zeiten wenig Ehre bringende Sage mit vielem Fleiß hier erzählt, weil sie besser als gar viele andere den Beleg dafür liefert, dass die allernatürlichsten Dinge oftmals dazu dienen müssen, dem Aberglauben die Hand zu bieten, dass aber der Aberglaube selbst immer der Sohn der Unwissenheit ist. Kenntnis der Natur und ungetrübte Beobachtung ihrer Erscheinungen heben über alle Annahmen hinweg, die vor dem Richterstuhle der gesunden Vernunft keinen Bestand haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Tierwelt und der Aberglaube