I. Die beiden Hauptursachen der Veränderungen der Erdoberfläche

Die großartigsten Veränderungen der Oberfläche der Erde sind durch zwei Ursachen hervorgerufen worden, welche im Allgemeinen in ganz entgegengesetztem Sinne wirken und nur in wenigen Fällen einander unterstützen.

Die erste Ursache bilden die geheimnisvollen, im dunkeln Erdinnern tätigen, vulkanischen Kräfte. Durch die Reaktion des heißen, wahrscheinlich flüssigen Erdinnern gegen die abgekühlte Kruste oder Oberfläche sind die Unebenheiten der letzteren entstanden. Dass diese Kräfte noch heutzutage beständig tätig sind, zeigen uns die Vulkane, die Erdbeben und die langsam sich vollziehenden Hebungen und Senkungen einzelner Festländer und des Meeresbodens. Wie gewaltig das Wirken dieser Kräfte aber in weit hinter uns liegenden Perioden der Erde gewesen sein müsse, dafür liefern den deutlichsten Beweis die stolzen Gebirgszüge des Festlandes und die tiefen Abgründe des Meeres.


Die zweite Ursache der Umänderung der Erdoberfläche ist das Wasser. Den vulkanischen Kräften feindlich entgegenwirkend sucht es die durch sie hervorgerufenen Unebenheiten wieder zu zerstören und auszugleichen. Seine Arbeit könnte im Ganzen und Großen betrachtet als eine „nivellierende“ bezeichnet werden. Nicht zufrieden damit, dass es bereits fast drei Viertel der Erdoberfläche in Besitz genommen hat, – sucht es noch täglich Teile von den Küsten loszureißen und in sich aufzunehmen; zum Teil setzt es sie an andere Stellen wieder an, zum Teil führt es sie seinen noch wenig erforschten Tiefen zu. Alle Bäche und Flüsse unterstützen hierin, wenn auch nur in einem ganz geringen Maßstab, das Meer, indem sie letzterem beständig Teilchen des festen Landes zuführen. Diese von dem Wasser auf das feste Land ausgeübten Angriffe sind um so heftiger und erfolgreicher, je grösser seine Bewegung ist. Am meisten sind daher die Küsten in Gefahr, wenn die gewaltigen, von Stürmen oder gar Orkanen getriebenen Wogen gegen sie anprallen. Unter solchen Umständen werden jene verheerenden Überschwemmungen weiter Küstengebiete hervorgerufen, welche man mit dem Namen „Sturmfluten“ bezeichnet. Von ihnen soll, in soweit sie unsere Nordsee, namentlich die südliche und östliche Küste derselben heimgesucht haben, im Folgenden ein Bild entworfen werden. Wir werden sehen, welche bedeutenden Veränderungen durch sie bewirkt worden sind, sodass sie den vulkanischen Kräften ebenbürtig an die Seite gestellt werden können.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sturmfluten in der Nordsee *)