Die Hauptsehenswürdigkeiten des damaligen Rom. Die Basiliken und die Schöpfungen der Renaissancekunst. Aldrovandi über die Werke der Skulptur. Zeiteinteilung eines Fremdenführers für den Besuch der Hauptsehenswürdigkeiten

Für alle Kirchenfeste, die der Papst selbst abhielt oder die in seiner Gegenwart stattfanden, waren von altersher bis ins kleinste gehende Bestimmungen festgesetzt, über deren pünktliche Einhaltung die Zeremonienmeister wachten. Der Würde, welche Paul III. und Julius III. bei diesen Feierlichkeiten beobachteten, entsprach die vortreffliche Musik, welche sie begleitete. Ein deutscher Berichterstatter, der die Karwoche und die Osterzeit des Jahres 1554 in Rom miterlebte, hebt ausdrücklich hervor, dass, wie in St Peter, wo Palestrina Kapellmeister war, so auch im Lateran in dieser Hinsicht Hervorragendes geleistet wurde. Allein nicht bloß die Kirchenfeste, auch die Gotteshäuser selbst machten auf alle Fremden einen tiefen Eindruck. Bezeichnend ist, dass Fichard bei aller Begeisterung für das Altertum als Hauptsehenswürdigkeiten der ewigen Stadt nennt: den Vatikan mit der Bibliothek und dem Belvedere, die Cancelleria und die Basiliken St Peter, S. Giovanni in Laterano, S. Paolo fuori le mura, S. Maria Maggiore, S. Maria sopra Minerva, S. Maria del Popolo, endlich die deutsche Nationalkirche mit dem schönen Grabmal Adrians VI.

Acht Jahre nach der Anwesenheit des Frankfurter Reisenden hat ein ungenannter florentinischer Rompilger Aufzeichnungen über die hauptsächlichsten Schöpfungen der Renaissancekunst gemacht, welche damals in der ewigen Stadt zu sehen waren. Diese Notizen, die in mehrfacher Hinsicht von Interesse sind, beginnen mit der Basilika des Apostel fürsten und ihrem Neubau. Von den Kunstwerken in St Peter rühmt der Ungenannte die Pietà Michelangelos, die nach dem Abbruch der Petronillakapelle in das Oratorio di S. Gregorio gebracht wurde. Von den übrigen Monumenten der Peterskirche werden nur die Grabmäler Sixtus' IV. und Innozenz' VIII. erwähnt. Als bedeutendste Sehenswürdigkeit des Vatikans heben die Aufzeichnungen die Stanzen und Loggien Raffaels hervor, damals noch in voller irbenpracht erstrahlend, dann die Sixtina mit ihrem unvergleichlichen Freskenschmuck. Die Zerstörung von Fiesoles Sakramentskapelle wird durch den Ungenannten mit Recht beklagt. Aus der großen Menge der Kirchen nennt er nur solche, die ganz hervorragende Werke der Renaissancekunst bargen. In S. Agostino galten schon damals als Hauptsehenswürdigkeiten neben Raffaels Jesaias die von Jacopo Sansovino gemeißelte Madonna del Parto und die von Andrea Sansovino ausgeführte Marmorgruppe, Maria, Anna und das Jesuskind darstellend; die eine stand wie heute rechts an der Eingangswand, die andere aber links beim dritten Pfeiler unter dem Jesaias. Raffaels Sibyllen in S. Maria della Pace rühmt der Florentiner als eines der schönsten Werke des Urbinaten in Rom. Daneben gedenkt er auch Baldassar Peruzzis Darstellung im Tempel, die damals noch nicht stark übermalt war. Von den zahlreichen herrlichen Marmorgräbern in S. Maria del Popolo erwähnt er nur die beiden größten und schönsten: die Monumente der Kardinäle Girolamo Basso und Ascanio Maria Sforza von Andrea Sansovino. Auffallenderweise übergeht er mit Stillschweigen Pinturicchios Deckenfresken im Chor, die Glasgemälde von Claude und Guillaume Marcillat, ja selbst die wunderbare Kapelle Chigi. Dagegen berichtet er von zwei Gemälden Raftaels: der später verschollenen Madonna di Loreto und dem berühmten Porträt Julius' II., das jetzt die Uffizien schmückt; beide wurden damals bei feierlichen Gelegenheiten an den Pilastern der Kirche aufgehängt. In S. Maria in Aracoeli bewunderte unser Führer Raftaels Madonna di Foligno, in der Dominikanerkirche S. Maria sopra Minerva als Hauptschmuck die Fresken Fllippino Lippis in der Kapelle Carafas und Michelangelos Christusstatue. Die Gräber Leos X. und Klemens' VII. werden erwähnt, aber begreiflicherweise nicht gelobt. Von dem „Moses“ Michelangelos in S. Pietro in Vincoli sagt der Ungenannte, er erscheine ihm als ein göttliches Werk. Er gedenkt auch der in dem genannten Gotteshause befindlichen Grabmäler des Pietro und Antonio Pollajuolo. In der spanischen Nationalkirche S. Giacomo stand zu jener Zeit die Jakobusstatue des Jacopo Sansovino, die sich jetzt in S. Maria in Monserrato befindet.


Von den Kunstwerken in der Stadt jenseits des Tibers rühmen die Aufzeichnungen den Freskenschmuck der P'arnesina und das unvergleichliche Tempietto Bramantes bei S. Pietro in Montorio. In dieser Kirche zierte damals noch Raffaels Transfiguration den Hauptaltar. Der Ungenannte konnte außerdem in S. Pietro in Montorio neben dem jetzt noch vorhandenen Fresko des Sebastiano del Piombo die Geißelung Christi, ein später verschwundenes Gemälde Michelangelos bewundern, welches den hl. Franziskus darstellte.

Wie der Florentiner nur Kunstwerke der Renaissance anführt, so zählt Ulisse Aldrovandi in seinem 1550 verfassten Verzeichnis beinahe ausschließlich Antiken auf. Von Werken moderner Skulptur erwähnt Aldrovandi nur ganz wenige, hauptsächlich mehrere Arbeiten Michelangelos, dessen Moses er das höchste Lob zu erteilen glaubt durch die Bemerkung, dass diese Schöpfung sich mit jeder antiken messen könne. Den Namen anderer modernen Meister sucht man bei Aldrovandi vergebens. Wie gering er sie gegenüber den Antiken schätzte, erhellt deutlich aus Äußerungen wie: „ein Merkur mit Lyra, eine schöne Statue, aber sie ist modern“; „ein weiblicher Kopf mit nackter Brust, aber es ist ein modernes Werk“. Noch weniger erfährt man aus der Beschreibung des bolognesischen Gelehrten über den Gemäldereichtum Roms und die vielen Kostbarkeiten, welche die Paläste des Adels und vor allem der Kardinäle bargen.

Wie sehr die Antike das Interesse aller fesselte, ergibt sich daraus, dass sie selbst in den gewöhnlichen Führern, die in Anlehnung an die mittelalterlichen Mirabilien vorwiegend die Reliquien und Ablässe der Kirchen aufzählen, einen breiten Raum einnimmt. In einem solchen Führer vom Jahre 1563 wird eine Zeiteinteilung für den Besuch der Hauptsehenswürdigkeiten gegeben, die in mehrfacher Hinsicht sehr charakteristisch ist. Der Führer will dem eiligen Reisenden eine Anleitung bieten, wie er in wenigen Tagen möglichst viel sehen könne. Die Einteilung auf drei Tage ist für einen Fremden berechnet, der sehr früh aufbrach und dem ein Pferd zur Verfügung stand. Als Ausgangspunkt des ersten Tages wird der Borgo genommen, von wo aus Trastevere, die Tiberinsel, der Monte Testaccio, S. Paolo fuori le mura, S. Gregorio, die Caracallathermen, S. Stefano Rotondo uml der Lateran besucht werden sollten. Für den zweiten Tag wird eine Tour vorgeschlagen, die dem wissbegierigen Reisenden noch mehr zumutet: vom Mausoleum des Augustus nach S. Maria del Popolo, SS. Trinità de' Monti, Monte Caxallo mit den berühmten Vignen der Kardinäle Carpi und Este, dann sollten besucht werden S. Agnese fuori le mura, die Diokletiansthermen, S. Pudenziana, S. Maria Maggiore, die Sette Sale, das Kolosseum, der Palatin, das Forum, das Kapitol, das Marcellustheater, der Portikus der Oktavia und endlich noch die Paläste Capodiferro und Farnese. Die Wanderung des dritten Tages soll an der Piazza Colonna beginnen. Außer der Besichtigung der Trajansäule, der Minervakirche und des Pantheons empfiehlt der Führer auch den Besuch einer an Antiken und neueren Gemälden reichen Privatsammlung auf Monte Citorio, das Haus des Monsignor Girolamo Garimberti, Bischofs von Gallese. Das Mittagsmahl soll in einer der Osterien bei der Piazza Navona in der Nähe des Pasquino eingenommen werden. Für den Nachmittag wird ein Besuch in der Villa Giulia angeraten.

„In den Häusern einiger Kardinäle und mancher Privatpersonen“, heißt es in dem genannten Führer, „sind noch viele schöne Dinge zu sehen, die ich aber nicht nenne, weil sie in beständigem Wechsel begriffen sind und ich die Reisenden nicht umsonst bemühen möchte.“ In der Tat war der Bestand der Antiken durch Kauf, Tausch und Schenkungen stetig Veränderungen ausgesetzt. Viele der kleinen Sammlungen, die am Anfange de Cinquecento existierten, wurden von den großen Sammlungen Cesi, Carpi, Este, Medici, Valle um die Mitte des Jahrhunderts aufgesogen. Da aber das Sammeln von Antiken ein repräsentativer Luxus für die Prälaten und römischen Adeligen geworden war, entstanden unaufhörlich kleinere Sammlungen mit neuen Stücken größeren oder geringeren Wertes, wie sie durch die in immer steigendem Maße fortgesetzte Ausgrabungstätigkeit ans Tageslicht kamen. Aldrovandi zählt über hundert Häuser auf, in denen antike Statuen, Büsten und Reliefs aufgestellt waren. Die Bestände dieser Sammlungen gingen gegen Ende des Jahrhunderts zum erheblichen Teil wieder in die großen Sammlungen der Mattei, Montalto, Giustiniani, Borghese über.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Stadt Rom zu Ende der Renaissance