Erstes Kapitel

Gehen wir zunächst den Spuren nach, die auf ein einstiges Vorhandensein des Brautraubes schließen lassen. Die Idee des Brautraubes ist, den ritterlichen Verhältnissen angepasst, die, dass ebenso wie einem Krieger die gemachte Kriegsbeute rechtlich zugehört, so auch ein Ritter, der, sei es mit Gewalt oder List, eine Jungfrau dem Schutze ihrer Familie zu entreißen vermag, damit zugleich ein Besitzrecht auf ihre Person und ihr Vermögen erwirbt.

Der Brautraub im eigentlichen Sinne kann naturgemäß nur bei einem Volke vorkommen, das noch nicht zu einem von festen Gesetzen geschützten Zusammenleben gekommen ist, bei dem vielmehr noch ungeregelte, abenteuerliche Zustände herrschen. Diese Bedingung war in der vorhistorischen Zeit vorhanden und trat zum zweiten Male ein, als das mittelalterliche Rittertum, das in kultureller Beziehung wohl überhaupt eher einen Rückschritt als einen Fortschritt bezeichnet, wieder jenes abenteuerliche Element herbeibrachte, das für jene alten Anschauungen fruchtbaren Boden lieferte. Körperliche Tüchtigkeit wurde ja in jener Zeit über alles geschätzt. Wer im Kampfe sich auszeichnete, konnte, mochte er von noch so niedriger Geburt sein, zum höchsten berufen sein. Natürlich gaben ihm auch die Frauen vor weniger Tüchtigen den Vorzug; und wem es gelang, mit kecker Hand sich des Besitzes eines viel umworbenen Mädchens zu versichern, der konnte gewiss sein, wegen dieser Kühnheit nicht nur von den Mitbewerbern beneidet zu werden, sondern sich zugleich aus demselben Grunde die Liebe der auf diese Weise ausgezeichneten Jungfrau erworben zu haben. So tritt in dem Gedicht „Der gefahrvolle Kirchhof“ ein Ritter auf, der vor den Augen sämtlicher Genossen der Tafelrunde, sowie des Königs Artus selber, eine Dame entführt, indem er die Anwesenden auffordert, wenn sie vermöchten, im Kampfe ihm seine Beute wieder abzunehmen. Dieser Aufgabe unterzieht sich Gauvain, welcher den Ritter nach langen Mühen auffindet, besiegt und die Jungfrau an den Hof des Königs zurückführt. Sie hat übrigens den Werbungen des sie entführenden Ritters keinen allzu großen Widerstand entgegengesetzt und scheint ihre Zurückführung an den Hof keineswegs als Befreiung anzusehen. — Eine Stelle in Chrestiens „Erec und Enide“ zeigt uns ferner, wie sehr man in jener Zeit gewohnt war, die Frau als eine immerhin wertvolle Sache anzusehen, die, sobald sie herrenlos geworden, der „ehrliche Finder“ als sein Eigentum zu betrachten pflegte. Erec ist in Begleitung seiner Enide auf Abenteuer gezogen. In einem Kampfe erhält er schwere Wunden und wird ohnmächtig. Ein Graf, der mit einigen Rittern des Weges kommt, lässt den wie tot am Boden Liegenden auf eine Bahre heben und in sein in der Nähe gelegenes Schloss befördern. Enide, von deren Schönheit der Graf bezaubert ist, wird gewaltsam mitgeschleppt und soll am folgenden Tage dem Grafen angetraut werden. Im Augenblick der höchsten Not kommt Erec aus seiner todesähnlichen Betäubung wieder zu sich und befreit seine Gattin aus den Händen ihrer Räuber. — Ein andres Beispiel von Brautraub in weiterem Sinn bietet das Epos „Aye d'Avignon“. Bérenger, der sich einst um die Herzogin Aye beworben, benutzt die Abwesenheit ihres Gemahls, um sie in Avignon zu belagern und nach Eroberung der Stadt sich ihrer Person zu bemächtigen. Nach Rückkehr des enttäuschten Gatten wird Bérenger seinerseits in Avignon belagert. Doch gelingt es ihm, mit der Aye zu Schiffe aus der Stadt zu entkommen.


Sehr häufig ist die mit dem Brautraub eng zusammenhängende Erscheinung, dass ein König, dem die Hand einer Prinzessin verweigert ist, den Vater der betreffenden Jungfrau mit Krieg überzieht, um ihre Herausgabe mit offener Gewalt zu erzwingen. Oft entschloss sich der bedrängte Vater in solchem Falle durch schleuniges Nachgeben das Äußerste abzuwenden. So im „Athis und Porphirias“. Hier kommt im entscheidenden Moment dann allerdings noch eine andere Macht hinzu, nämlich der vom Vater notgedrungen übergangene Liebhaber. Evas von Rom hat dem Könige Bilas von Sizilien auf dessen Drohungen hin die Hand seiner Tochter Gayete zugestanden, obwohl diese schon dem Athis zugesagt war. Athis verschafft sich selber sein Recht, indem er mit einer kleinen Schar das Heer des Bilas überfällt, es vernichtet und die Gayete den Händen des Königs entreißt. Ein Beispiel haben wir sogar, wo der eigene Gatte zur Herausgabe seiner Gattin gezwungen werden soll. Der König Ganor von den Balearen erhält von Margoire, dem Sohne des berüchtigten Königs Marsilie, die Aufforderung, ihm seine Gattin, die schöne Aye, abzutreten. Auf Ganors Weigerung sucht Margoire ihn durch Waffengewalt willfährig zu machen.

Ein offener Raub oder Abpressung, wie in den angeführten Beispielen, war natürlich nicht ratsam und sogar unmöglich, wenn die Macht des Liebenden nicht ausreichte, um sich mit Gewalt des Gegenstandes seiner Zuneigung zu versichern. In diesem Falle musste mit List vorgegangen werden. Und auch hierfür fehlen uns die Belege nicht.*) Bekannt ist die Erzählung von dem hölzernen Pferde, welches die wunderbare Eigenschaft hat, dass es sich nach leichtem Druck an einer Schraube mit dem Reiter in die Lüfte erhebt und auf ähnliche Art sich lenken und wieder zur Erde bringen lässt.

*) Florient et Florete, hist litt, Bd. 28, S. 162 f. Zwei Ritter entführen zwei Jungfrauen aus feindlichem Lager und lassen sich sofort mit ihnen trauen.
Florent et Octavian, hist. litt, Bd. 26, S. 319. Befreiung eines Gefangenen durch eine Königstochter und gemeinsame Flucht.
Aiol entführt eine sarazenische Prinzessin, welche ihn alsbald wegen seiner Tapferkeit lieb gewinnt und sich nach ihrer Ankunft in Frankreich mit ihm verheiratet; hist. litt, Bd. 22, S. 283-285.


Es liegt nahe, dass der Reiter die Vorzüge dieses vortrefflichen Rosses auch dazu benutzt, sich sein Schätzchen zu holen. Und zwar wählt er den Augenblick, wo die ganze Hofgesellschaft und der König an der Spitze versammelt sind, um diesem seine Tochter zu entführen. Eine andere, nicht viel weniger wunderbare Entführungsscene findet sich in Guillaume de Palerme. Guillaume liebt die Tochter des Kaisers von Rom, welche dieser jedoch, ohne sich um ihre Neigung zu Guillaume zu kümmern, mit dem Sohne des Kaisers von Griechenland vermählen will. Am Tage der Hochzeit aber gelingt es den Liebenden, sich zu flüchten, indem beide, als Bären verkleidet, die Stadt durcheilen und bei dem allgemeinen Schrecken der Bevölkerung unbehindert entkommen. Wegen ihrer Eigenart bemerkenswert ist eine Episode in Gautier d'Aupais, dem sonst ziemlich wertlosen Werk eines anonymen Verfassers. Gautier, ein Jüngling von vornehmer Geburt, wird wegen seiner Misserfolge auf einem Turnier von seinem Vater aus dem Haus gejagt. Nachdem er lange Zeit arm und verlassen umhergeirrt, verliebt er sich in ein Mädchen aus edlem Geschlecht. Um Gelegenheit zu finden, sich ihr zu nähern, begibt er sich in die Dienste ihres Vaters. Heimlich lässt er sich von einem Jongleur in die Dicht- und Sangeskunst einweihen, und es gelingt ihm, durch seine Lieder die Aufmerksamkeit seiner Angebeteten auf sich zu ziehen und Gegenliebe zu erringen. Nachdem dann seine Herkunft bekannt geworden, und sein Vater sich mit ihm versöhnt hat, steht seiner Verbindung mit der Geliebten nichts mehr im Wege. Ein recht bezeichnendes Beispiel von Anwendung von List bietet endlich auch der Roman Floris und Liriope. *)

*) Floris und Liriope, Roman von Robert v. Blois, ed. von Zingerle, afr. Textbibl. 12, Leipzig 1891. Floris liebt Liriope, eine Herzogstochter. Da er aber mit seiner Liebe nicht offen hervorzutreten wagt, folgt er dem Rate seiner Schwester Florie, welche die vertrauteste Gespielin der Liriope ist. Er wechselt mit seiner Schwester die Kleider und gelangt so zum Ziel. Nachdem er dann an König Artus' Hof sich Ruhm und Ehre erworben, heiratet er die Geliebte.

Dem König, der die Hand einer Prinzessin mit Gewalt erzwingt, entspricht an anderen Stellen ein Ritter, der durch Zweikampf mit dem Vater der Erkorenen sich ein Anrecht auf dieselbe zu erwerben sucht. Gewöhnlich wurde nämlich die Werbung um die Tochter von hochstehenden Persönlichkeiten als Beleidigung aufgefasst, wahrscheinlich gemäß der alten Anschauung, dass die Frau bei der Heirat dem Manne nicht gleichberechtigt zur Seite trat, sondern gewissermaßen seine Dienerin wurde, eine Anschauung, die ja auch im Brautkauf sich ausprägt. Demgemäß ist es kein Wunder, wenn ein Mann von hohem Stande in der Verheiratung seiner Tochter eine Erniedrigung für sie und für sich selbst erblickte und jedem Bewerber, besonders natürlich, wenn dieser von niedrigerem Stande war, misstrauisch begegnete. So erklärt sich die nicht seltene Erscheinung, dass der Weg zur Tochter, so zu sagen, über die Leiche des Vaters ging. Wer um die Tochter warb, musste sich eventuell auf den Zweikampf mit dem Vater gefasst machen. Unter den mancherlei Abenteuern, welche Lanzelet zu bestehen hat, befindet sich auch das folgende: Lanzelet kommt in das Reich des Königs Ywaret eines Mannes von großer Wildheit und gewaltiger Körperkraft, der den Schwur getan hat, sich von seiner schönen Tochter, die er über alles liebt, nur trennen zu wollen, nachdem ein Ritter ihn im Kampf besiegt habe. Lanzelet unternimmt das Wagestück, tötet den Ywaret und erhält mit der Hand der Erbin zugleich das Reich des Vaters. *) Ein anderes Beispiel liefert uns das selbe Epos Lanzelet. Lanzelet reitet eine Straße, die zu der Burg Lymors führt; hier herrscht der sonderbare Gebrauch, dass jeder Ritter, der die Straße betritt, entblößten Hauptes, einen Olivenzweig in der Hand, laut seine Friedensliebe bekennen muss. Lanzelet, der von dieser Sitte nichts weiß, reitet ruhig seines Weges. Sofort stürzt die Menge auf ihn und hätte ihn in Stücke gerissen, wenn nicht die Nichte und Erbin des Burgherrn ihn vor dem unmittelbaren Tode gerettet hätte. Doch wird er dem Gesetz gemäß in einen finstern Kerker gesperrt. Dem Tode durch Henkershand kann er nur entgehen, wenn er einen Riesen, zwei Löwen und endlich den Burgherrn selber, einen gewaltigen Recken, im Kampf überwindet. In letzterem Falle soll er nicht nur mit dem Leben davonkommen, sondern obendrein die Hand der schönen Erbin und die Herrschaft in der Stadt erhalten.

*) Lanzelet von Ulrich v. Zatzikhofen, herausgegeben von K. A. Hahn, Frankfurt a. M. 1845, Vers 3872—4660. Über die französische Quelle des Lanzelet vgl. Einl. von Hahn und hist litt., Bd. 22, S. 214 f.

Wie sich erraten lässt, löst Lanzelet diese Aufgaben und erhält den zugesagten Preis. In La Vengeance de Raguidel wird von einem König erzählt, welcher den Schwur getan hat, seine Tochter solle erst nach seinem Tode heiraten, und zwar nur den, der ihren Vater im Kampfe erschlagen werde. Dieser solle ihm zugleich in der Herrschaft folgen. Als nun Gauvain den König im Kampfe getötet, bieten seine Vasallen ihm wirklich die Hand der Prinzessin an, auf welche Gauvain freilich zu Gunsten eines anderen verzichtet.

Auf ungefähr denselben Voraussetzungen beruht es, wenn ein Ritter die Witwe dessen heiratet, den er im Kampf erschlagen. In Chrestiens Iwain besiegt der Held des Gedichts einen Ritter, und schon nach acht Tagen geht die Witwe mit ihm eine neue Ehe ein. — In Bueves de Commarchis findet sich sogar der Zug, dass eine Braut den ihr verlobten Bräutigam verlässt, nachdem derselbe im Kampfe besiegt worden. Sie schenkt dem Sieger ihre Liebe, während der gedemütigte Ex-Bräutigam leer abziehen muss.*) Eine ganz ähnliche Auffassung tritt uns an einer anderen Stelle der Vengeance de Raguidel entgegen.

*) Auch im Daniel vom Stricker heiratet die Witwe eines besiegten Königs den Sieger Daniel. Genaue Inhaltsangabe des Daniel in „Karl der Große“ von dem Stricker, herausgegeben von Dr. Karl Bartsch, Quedlinburg und Leipzig 1857, S. XXV.

Gauvain hat sich ein Anrecht auf die Person der schönen Ide erworben, die er aus Räuberhand befreit hat. Als er nun mit seiner Verlobten an den Hof gekommen ist, tritt ein Ritter auf, welcher von Artus die Hand der Ide verlangt. Da Gauvain selbstverständlich dagegen protestiert, wird ein Zweikampf zwischen ihm und jenem Ritter verabredet. Der Sieg soll zugleich über den Besitz der Ide entscheiden. Nach Besiegung des Verlobten (Gauvain) wäre also die Braut in den Besitz des Siegers übergegangen. Nun kommt es freilich anders. Gauvain hat nämlich in der Zwischenzeit Gelegenheit, die Treulosigkeit der Ide zu erproben und, obwohl er im Kampfe mit seinem Rivalen Sieger ist, überlässt er diesem freiwillig die ungetreue Geliebte. — Der Roman de la Charette oder Lancelot von Chrestien beginnt damit, dass an Artus' Hof ein Ritter erscheint, der schon manchen von der Tafelrunde besiegt und zum Gefangenen gemacht hatte. Er macht dem König folgenden Vorschlag: Er solle einen seiner Helden zum Zweikampf stellen. Siegt dieser, so werden alle bereits gemachten Gefangenen herausgegeben. Andernfalls soll die Königin Genevre, Artus' Gemahlin, dem Sieger abgetreten werden. Wir haben hier den Fall, dass an Stelle des Gatten — König Artus erscheint überhaupt äußerst selten als handelnder Ritter — ein Anderer den Kampf übernimmt, im Übrigen aber sind die Bedingungen dieselben. Für Artus tritt hier Keux (vergl. S. 31) ein, der vom Pferde geworfen wird, worauf die Königin gezwungen ist, dem fremden Ritter zu folgen.

008 Prozession vor dem Dom

008 Prozession vor dem Dom

009 Dom-Inneres

009 Dom-Inneres

010 Gerichtsszene

010 Gerichtsszene

011 Bauern bei der Feldarbeit

011 Bauern bei der Feldarbeit

012 Bauernfamilie auf dem Weg zum Markt ziehend

012 Bauernfamilie auf dem Weg zum Markt ziehend

013 Bürgerstube

013 Bürgerstube

014 Hausorgelmusik

014 Hausorgelmusik

015 Frauenreise

015 Frauenreise

016 Tanzfest bei Hofe

016 Tanzfest bei Hofe

017 Ständchen

017 Ständchen

018 Mysterienspiele

018 Mysterienspiele

019 Ritter-Turnier

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020 Ausritt zur Jagd

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021 Armbrustschießen

021 Armbrustschießen

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