Abschnitt 20

Die Schalfahrt im 16. Jahrhundert und ihre wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung


Wie langwierig war die Einrichtung dieser Fahrt vor sich gegangen, weit schwieriger aber schien ihre Erhaltung und Verwaltung zu sein! Was Wunder, wenn man sich von seiten der Lüneburger Schalfahrtbeamten überlegten, welcher Gestalt eine richtige Ordnung bei der Schalfahrt wieder einzurichten sei, wenn man sich vorher ganz genau die punkte aufschrieb, die man bei der Besichtigung zur Sprache bringen wollte und wenn man sich bei den fortwährenden Angriffen auch bedachte, ob die Schleusen ferner zu erhalten seien oder nicht.


Am ausführlichsten sind die Berichte der Besichtigungen von 1580 und 1586. Nach dem Gutachten von 1580 sind die Wasserbauten bis auf ein paar Bretter in gutem Stand. Nur bei der Blücherschleuse ist allerlei auszubessern und ein neuer Damm mit neuen Hecken anzulegen. Ganz anders zeigt sich die Fahrt bei der Besichtigung Von 1586. Kaum eine Schleuse, kaum eine Mühle war unbeschädigt, überall Verfall und Unordnung. Nachdem erst kurz vorher 1581 und 1582 eine sorgsamere Verwaltung eingesetzt hatte, waren sogleich die alten Mißstände in verstärktem Maße wieder eingerissen, als 1583 zur Zeit der Pest die Gegend verödete und die Fahrt unbenutzt und unbeaufsichtigt dalag. Dann war gleich nach dem Aufhören der Epidemie die Flößung mit allerlei Zugeständnissen und Freiheiten wieder eingeführt worden, damit die verschiedenen Handwerke die Arbeitsversäumnis möglichst schnell einholten. So kam es, daß 1586 bei der Besichtigung im Mai an den Schleusen, fast möchte man sagen, nichts niet- noch nagelfest war, und daß man das Holz an den Schleusen zerstoßen und vermodert fand. Es machte sich die Bestellung von Hunderten von Pfählen, Brettern, fielen und von Tragseilen und Bändern an die Schleusen nötig. Alles Material wurde ohne die Baukosten auf rund 730 . . .veranschlagt. Daß die Fahrt auch sonst nicht recht im Schwange war, zeigen die zum Schluß von der Kommission notierten Beobachtungen: „Noch ist befunden worden, daß von den 22 Schiffen, so gemeinen Sülfmeistern zustehen, nitt mehr als 6 Schiffe in der Fahrt sein, so gebraucht werden und wird itzo eins wieder gebessert, von den andern 15 Schiffen sein fast etzliche garnicht zu bessern, etzliche aber noch wohl wieder zu bauen, wo der Augenschein geben wird, wenn man sie aus dem Wasser bringt, denn sie alle hin und wieder im Wasser liegen. Der Brücken Gelegenheit ist befunden worden, daß die Kogelsche und die Brücke ans dem Hofe zu Kölzin zu bauen vonnöten sein wird. An den Schleusenhäusern ist befunden worden, daß das Haus auf der Wappau, ganz besonders aber das zu Blücher so baufällig ist, daß es mit Flicken mit gleichen Unkosten verbunden ist, als wenn ein neues Haus gebaut wird.“ Endlich wird noch so mancher Kachel- und Backofen genannt, der neu- oder wenigstens umgesetzt werden muß.

Freilich nahmen diese Reparaturen längere Zeit in Anspruch. Aber durch die auftauchenden Lübecker Pläne der Ratzeburger Fahrt wegen, durch die zahlreichen Konferenzen zwischen den Herzögen, dem Rat von Lüneburg und dem Schiffwerk zu Boizenburg, die zu der umfangreichen Schiffahrtshandlung vom Hochsommer 1587 führten, kam neues Leben, neue Betriebsamkeit in den Handel und Verkehr auf der Schale, und als dann noch die Schalmühle angekauft und wieder aufgebaut worden war, da befand sich, wie man wohl mit Recht behaupten kann, die Schalfahrt in gutem Zustand und aus der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit.

Das Werk war von der Stadt Lüneburg angeregt und eingerichtet worden. Was hatten die Lüneburger nun tatsächlich dadurch erreicht? Wir hören, daß sie ihr Salz auf bequemere und billigere Weise in das Innere von Mecklenburg führen konnten, als das auf der Landstraße der Fall gewesen war. Ihre Rückfracht war zollfrei, so weit sie als reines Privatgut der Lüneburger Bürger angesehen werden konnte, denn Abgaben wurden nur vom Handelsgut erhoben. Sie waren in den Stand gesetzt, ihre Sülze mit dem so nötigen Brennholz zu versorgen, indem ihnen Holzkauf und Holzhandel gestattet war. Bei sämtlichen Wasserbauten, insofern diese die Schiffahrt betrafen, beschäftigten sie ihre eignen und nicht mecklenburgische Handwerker. Den Brückenbau freilich, von dem in der Hauptsache die Anwohner einen Nutzen zogen, hatten sie durch Geld abgelöst. Der Rat der Stadt hatte sich wertvollen Grundbesitz angekauft, man denke nur an die Mühlen und an das Boissower Holz, in dem ihnen die Mecklenburger sogar verpflichtet waren, gewisse unentgeltliche Dienste zu leisten.

Diesen Vorteilen steht nun das gegenüber, was nicht erreicht worden war. Zunächst hatten sie sich durch diese Fahrt den Weg zum Meer nicht eröffnet, wie sie doch beabsichtigt hatten. Ihren bei den Mühlen angesessenen Beamten war alle Fischerei und aller Privathandel untersagt, also jeder Sondervorteil, den diese von ihrem Aufenthalt an der Schale haben konnten. Wegen der zahlreichen Zoll- und Handelsschwierigkeiten vermieden die Lüneburger selbst öfters die Fahrt. Zudem verursachte sie dem Rat recht erhebliche Unkosten. Die Zolleinnahme deckte durchaus nicht alle die aufzuwendenden Unterhaltungskosten der Bauten oder in sehr günstigen Jahren doch nur gerade, und an eine Verzinsung des Kapitals für die erste Anlage war gar nicht zu denken. Dazu kam, daß durch die Länge der Zeit - 150 bis 200 Jahre -, in der das Projekt geschwebt hatte, die Handels- und Verkehrsverhältnisse sich derartig verschoben hatten, daß die Fahrt gar nicht das gewähren konnte, was die Lüneburger sich von ihr versprachen. Und die Ansicht, daß ein kanalisierter Fluß als reine Verkehrsstraße für jedermann an und für sich in wirtschaftlicher und sanitärer Beziehung von Bedeutung ist, kannte man damals noch nicht. Wägt man also die genannten Vorteile und Nachteile miteinander ab, so kann man sehr im Zweifel sein, ob sie einander auch nur die Wage hielten, und nicht etwa die Nachteile schwerer wogen. Es drängt sich die Frage auf, war die Fahrt so, wie sie schließlich ins Leben trat, überhaupt noch zweckentsprechend?

Fast jeder Besichtigungsbericht endet oder beginnt mit der Mahnung, sich doch ernstlich zu überlegen, ob man die Fahrt der vielen Unkosten und des vielen Ärgers wegen nicht lieber eingehen lassen wolle. Und doch stimmen die Lüneburger immer wieder für die Erhaltung, und das nicht aus Starrköpfigkeit, um das einmal mit großen Opfern erworbene Vorrecht hartnäckig zu behaupten, selbst dann, wenn es keinen Nutzen brachte. Warum also dann? In den zahlreichen Berichten, Protokollen und Nachrichten wird kein Grund weiter angegeben, als daß man das schon hineingesteckte Geld nicht einfach verloren geben konnte. Das ist natürlich kein stichhaltiger Grund, um immer weiter nutzlos Geld auszugeben. Einmal jedoch äußert sich die Kommission genauer über diesen so wichtigen Punkt. Danach hielten die Deputierten es nicht für „diensamb“ die Schalfahrt eingehen zu lassen, weil sie ein heilsames Mittel sei, das Holz als ein unentbehrliches, zu Fortsetzung und Beförderung des commercii salis gehöriges requisitum aus einem benachbarten holzreichen Fürstentum beizubringen, den Preis des Holzes in Gleichgewicht zu halten und den Boitzenburgischen und andern Kaufleuten die schädliche Vorkäuferei und das monopolium niederzulegen, in der Erwägung, wenn die Sülfmeister in Lüneburg mit beiden nicht mehr übereinkommen könnten und ihnen das Holz über die Gebühr wohl gesteigert würde, daß sie alsdann selbst, vermöge ihrer habenden Freiheit zur Flößung schreiten und sich versorgen könnten. Hier ist es klar ausgesprochen, daß die Schalfahrt aus handelspolitischen Gründen unterhalten wurde. Denn es handelt sich viel weniger um die Beförderung des Holzes, das man sich auch durch die Stecknitzfahrt verschaffen konnte, als um den Einfluß auf den Holzpreis. Die Schalfahrt war nur Mittel zum Zweck. Der Gewinn, den die Lüneburger aus ihrer dadurch erlangten Stellung auf dem mecklenburgischen Holzmarkte zogen, war größer als die Unkosten der Fahrt. Das überschauten die Väter der Stadt. Während die Zolleinnahme von der Fahrt in den Säckel des Rates floß, nahmen an dem Profit der niedrigeren Holzpreise oder des größeren Umsatzes sämtliche holzkaufenden Bürger teil. Insofern hatte die Schalfahrt für Lüneburg allerdings volkswirtschaftliche Bedeutung, wenn auch nur für das verhältnismäßig kleine Volk einer einzigen Stadt.