Abschnitt 21

Die Schalfahrt im 16. Jahrhundert und ihre wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung


In Mecklenburg war in dieser Beziehung ebenfalls ein neuer Frühling angebrochen. Die Herzöge, vor allen Dingen Herzog Ulrich, kümmerten sich selbst um alle Zweige der Verwaltung bis ins einzelne. Das zeigt auch die Art und Weise, wie sie die Schalfahrt für ihr Land nutzbar machten. So nahmen sie laut Verträgen an dem Schalzoll teil, der doch nur zur Deckung der Unkosten erhoben werden sollte. Nachweislich aber hatten die Lüneburger die ganze Fahrt auf ihre Unkosten angelegt, und das wenige Holz, das die Herzöge umsonst beigesteuert hatten, wurde ausdrücklich immer als Geschenk bezeichnet; also war der Schleusenzoll auf der Schale eine rein fiskalische Einnahme, um so mehr als die Erlaubnis zur Anlage von den Lüneburgern mehrfach durch größere Summen bezahlt worden war. Ebenso war es mit dem Schutzzoll auf der Schale und Sude, der in Bausch und Bogen alljährlich abgetragen wurde und für den keine Gegenleistung mehr stattfand. Eine andere sehr günstige Folge der Schalfahrt war die stärkere Benutzung der Straße nach Wittenburg, wodurch sich auch die Einnahmen vom Landzoll, den beide Herzöge erhoben, vermehrten. Das Zollamt zu Vietow war zugleich die Kontrollstätte für den Schal- und Schleusenzoll, eine obere Behörde. Durch die Fahrt kam das mecklenburgische Holz in großer Menge in den Handel. Bei dem Fällen der Bäume, bei dem Verschiffen und Flößen wurden zahlreiche Mecklenburger beschäftigt und fanden ihr gutes Brot und ihr Auskommen. Außerdem besaß Mecklenburg nun in der Schale einen auf fremde Kosten kanalisierten Fluß, der mit Brücken überspannt war. Um Übergriffen der Lüneburger vorzubeugen, wurden die Boizenburger noch speziell mit dem Recht privilegiert, an der Sude allein Kauf und Vorkauf treiben zu dürfen. Soweit wäre der Nutzen der Fahrt für die Mecklenburger entschieden größer gewesen als für die Lüneburger, wenn nicht mit dem Recht der Schiffahrt und des Handels auf der Schale noch eine zweite Macht belehnt gewesen wäre, das Boizenburger Schiffsamt, so daß sich in der täglichen Praxis nicht Landesherr und Rat von Lüneburg gegenüberstanden, sondern zwei Städte, die eifersüchtig aufeinander waren, und über denen beiden sich der Landesherr als Inhaber des Flußregals erhob. Die wirtschaftlichen Konflikte der beiden Städte wurden, wie damals alle derartigen Kämpfe, in der Form von Rechtsstreitigkeiten geführt, und die Herzöge hatten die Entscheidung zu treffen. In dem Bestreben, möglichst gerecht zu sein, setzte Johann Albrecht die wirtschaftlichen Interessen Boizenburgs hinten an und gestattete Lüneburgern und Boizenburgern zu gleicher Anzahl in der Gallikonferenz den Holzpreis zu bestimmen. Damit ließ er eine fremde Macht über seinen Holzhandel gebieten, durch die Festlegung des Preises lähmte er die Freiheit des Ein- und Verkaufs und machte größere Gewinne unmöglich. Wohlverstanden, hauptsächlich in der Theorie, denn in der Praxis kümmerte man sich herzlich wenig um die Beschlüsse der Gallikonferenz, man machte seine Preise unter der Hand, und führte das zu Reibereien zwischen beiden Städten, wie oft geschah, so kam gerade dadurch wieder eine gewisse Beweglichkeit in den Betrieb. Daß aber die Herzöge hier ein derartig geringes Verständnis für den Handel zeigen konnten, erklärt sich aus dem Umstand, daß man damals eben erst mit der planmäßigen Aufforstung begann. In der Forstordnung Johann Albrechts ist ziemlich wenig über diesen Punkt gesagt, und doch war es ein Fortschritt, daß der Paragraph über die Neupflanzungen in den Holzordnungen der deutschen Territorien damals überhaupt erschien. Die Mecklenburger wußten die Lüneburger als ständige Holzabnehmer gar nicht zu schätzen, im Gegenteil, sie befürchteten Verwüstung und Verödung der Waldungen und eintretenden Holzmangel, eben weil sie nur spärlich für Nachwuchs sorgten und nur das Fällen und Verkaufen vor Augen hatten. Da die Herzöge keinen so großen Wert auf den Holzhandel an der Schale legten, so konnten sie auch die zeitweise gänzliche und teilweise Sperrung des Flusses als Strafe für Unfügsame verhängen. Der Fluß war Regal und stand ihnen ja jederzeit offen, aber den Privilegierten legten sie damit jede Betätigung auf der Schale lahm. Ebenso erschwerte Johann Albrecht den Verkehr durch die Zolleinziehung auf Waren statt auf Gefäße, wodurch die Schiffahrt hätte einfacher und schneller von statten gehen können. Man sieht, die Handels- und Verkehrsinteressen waren den Landesfürsten noch nicht die Hauptsache, sondern in erster Linie galt die Frage, ob ihrer fürstlichen Gnaden durch diese oder jene Einrichtung auch nichts an Einkünften entzogen würde. Es fragt sich nur, ob dasselbe fiskalische Streben zu gleicher Zeit volkswirtschaftlich sein kann, oder wie weit es von solchen Rücksichten begleitet wird. Wir sahen, daß die Herzöge auf die Bitten der Schalfahrer manchen Wasserzoll nachließen, um den Verkehr ins Land zu ziehen und nach dem Grundsatz der damaligen Zeit, bar Geld muß im Lande bleiben, wurde den Lüneburgern auf die Klage der Boizenburger hin der Handel mit anderen Waren als Salz im Inneren Mecklenburgs einfach untersagt.


Zwar hatte man damals keine rechte Idee von der Allgemeinheit der Wasserstraßen - man denke nur an die langwierigen Verhandlungen wegen der Freigebung der Elbe -, aber Herzog Johann Albrecht belehnte mit der Schale zwei Mächte, eine einheimische und eine fremde und verlieh damit Gerechtsame in seinem Lande an auswärtige Kaufleute. Man kann also nicht sagen, daß die Schalfahrt eine Einrichtung zum allgemeinen Besten war, immerhin aber eine solche für die ganze Landschaft, und wer sie sonst noch benutzen wollte, mußte mit Boizenburger oder Lüneburger Schiffern einen Vertrag abschließen und ihnen seine Güter übergeben. Die Boizenburger als die mächtigsten Anwohner gelten hier als die Repräsentanten des mecklenburgischen Volkes.

Man hat wohl hin und her gestritten, ob die Schalfahrt eine wirtschaftsgeschichtliche, ja, ob sie überhaupt eine Bedeutung habe. Jedenfalls ist sie einer von den verschiedenen Versuchen, Ost- und Nordsee mittelst des Stromgebietes der Elbe miteinander zu verbinden; ein Versuch, der zu neuen Plänen anregte, mögen sie nun Projekte geblieben oder zur Ausführung gekommen sein. Und wenn die Art der Verwaltung in fiskalischem Sinne geschah, so darf nicht übersehen werden, daß die deutschen Fürsten im 16. Jahrhundert das volkswirtschaftliche Erbe der Städte eben erst angetreten hatten. Indem sie das Territorium als ihr persönliches Eigentum, gleichsam als eine große Gutswirtschaft auffaßten, für die sie auf das Beste zu sorgen hatten, stellten sie das eigene Glück und das ihrer Untertanen in einen engen Zusammenhang. Nicht wie Friedrich der Große hielten sie sich für die ersten Diener ihres Staates, sondern, sich selbst unbewußt, waren sie Verkörperungen des l’état c’est moi im besten Sinne des Wortes. Aus dieser Gesinnung heraus muß man auch die Stellungnahme der Herzöge zur Schalfahrt beurteilen. Obgleich die Herzöge sich der Vollendung der Schalfahrt widersetzten, obgleich sie auf halbem Wege stehen blieben, so hat die Fahrt doch eine praktische Bedeutung. Denn durch ihr freilich unbeabsichtigtes Endziel, den Schalsee, führte sie die Schiffer mitten hinein in den Waldreichtum Mecklenburgs und Sachsens, und damit ist auch gleich ein anderes gesagt, sie war nicht nur fahrbar, sondern sie wurde auch befahren. Und das erhebt die Schalfahrt meines Erachtens über den Dömitzer Kanal, der zwar auf viel „breiterer, pekuniärer“ Grundlage begonnen wurde und den Vorzug hatte, daß Wismar sich tatsächlich an seinem Bau beteiligte, der auch zeitweise und teilweise fahrbar wurde, der aber nie, zu keiner Zeit, rege benutzt worden ist. Daß seine Bedeutung heute im Gegensatz zur Schalfahrt so nachdrücklich betont wird, beruht wohl darauf, daß wir uns über seine Anlage durch das außerordentlich reiche Aktenmaterial eine viel eingehendere Kenntnis verschaffen können und hat seinen Grund zum andern darin, daß durch das Aufblühen Berlins für uns heute ein Kanal von Wismar nach Dömitz natürlich eine viel größere Bedeutung haben würde als ein solcher von Wismar über Kölzin - Blücher-Wappau nach Boizenburg. Aber in der Geschichte kann der Wert vergangener Werke doch nur mit dem Maße der Vergangenheit gemessen werden. Ideell stand der Dömitzer Kanal selbstverständlich für Mecklenburg viel höher, weil er ein ureigenes Werk der Mecklenburger war, während die Schalfahrt ihnen sozusagen von Fremden eingerichtet worden war; aber vom praktischen Standpunkt aus geurteilt, nimmt die Schalfahrt unstreitig den ersten Platz ein.

Sie ist ein Werk deutscher Tüchtigkeit und deutschen Fleißes, ein Werk deutscher Kleinkunst, aber kein großartiges Kulturdenkmal, wie etwa die Wasserleitungen und Brücken der Römer, deren gigantische Überreste jetzt unsere Bewunderung erregen. Was an der Schale war, das ist gewesen, vorbei und vergangen.

Die Weiden am Bache, die Wiesen und Büsche, die Eichen und Buchen am See, sie erzählen uns nichts von vergangenen Tagen der Geschäftigkeit und Rührigkeit. Sollen wir bedauern, daß hier nur ein Traum von Macht und Reichtum geträumt wurde? Der große Strom des Lebens geht vorbei, hier ist Ruhe und Frieden. Ein leises Regen in Busch und Wald, ein emsiges Weben im Röhricht am See - ein Stückchen ursprünglicher reiner Natur, das zeigt uns der Schalsee heute.