Abschnitt 19

Die Schalfahrt im 16. Jahrhundert und ihre wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung


Zu den Streitigkeiten der Lüneburger und Boizenburger untereinander kamen die mit den Anwohnern, denen jeder durch die Schiffahrt oder Flößung verursachte Schaden an Wiesen, Weiden, Fischerei und Aalfang zu ersetzen war. Besonders der Adel, der am Schalsee Besitzungen hatte, beklagte sich, daß seine Aalkörbe und Fischkästen zerstört würden und verlangte deshalb Kassierung der Schiffahrt und Einreißen der Schleusen. Zeitweilig versuchte sogar der Hauptmann von Plessen, den Schalsee am Ausfluß der Schale durch Wehre für die Schiffahrt zu sperren. Doch ist dies nur eine heitere Episode im Kampf der Lüneburger und Boizenburger um die Schalfahrt.


Die streitenden Parteien zum Frieden zu bringen, wandte man die verschiedenartigsten Mittel an. Man glaubte, daß außer der Aufrichtung von Verträgen, die stets Monate für sich in Anspruch nahm, die sofortige Schließung einer oder der anderen Schleuse oder sogar der ganzen Fahrt, die zeitweilige Suspendierung der Flößerei, das Anhalten und Arrestieren der Schiffe und Flöße, kurz mit einem Worte die Lahmlegung von Handel und Verkehr auf der Schale dazu sehr zweckfördernd sei. Der am meisten Benachteiligte bot dann gewöhnlich die Hand zum Frieden.

Oft machten der Lüneburger Rat und das Boizenburger Schiffwerk ihre Zwistigkeiten unter sich aus, zumal, wenn es sich um Dinge handelte, die sie in der Gesamtheit betrafen; kamen aber Vergehungen einzelner Untertanen in Frage, so hatten die Amtleute der mecklenburgischen Herzöge das Verhör anzustellen und die Strafe zu verhängen. Meist bestanden sie auf einem Schadenersatz, dessen Höhe von der Gallikonferenz bestimmt werden sollte, die überhaupt alle Taxationsgeschäfte zu besorgen hatte. Wenn der Streit jedoch um die Gerechtsame ging und jeder bei seiner Willensmeinung beharrte, dann wandten sich beide Parteien an die Herzöge mit der Bitte um Entscheidung. Es wurden Gesandtschaften geschickt, Bittgesuche überreicht, gemeinsame Verhörstage angesetzt wie 1574, die so und so oft verschoben wurden, bis dann endlich ein Vergleich zustande kam, deren wir eine Anzahl besitzen, so aus den Jahren 1561, 1563, 1567, 1570, 1581, 1587, in denen die wichtigeren Schiffahrtshandlungen festgesetzt wurden. Im Grunde waren es immer wieder dieselben prägen, um die man sich stritt, und manches Mal wurden die Herzöge der Zwistigkeiten müde und suchten die Entscheidungen von sich abzuwälzen, wie Herzog Ulrich, der 1591 den Lüneburgern auf ihre Klage über das Flößen auf der Sude einen Prozeß am Hofgericht anheimstellte.

Aus den vorhandenen Protokollen könnte man fast den Eindruck gewinnen, als habe man sich über die Schalfahrt nur vom grünen Tisch aus juristisch beraten, und als sei die praktische Verwaltung und Kontrolle so ziemlich außer acht gelassen worden. Und doch sollte alljährlich eine Kommission die Strecke Wappau -Blücher-Zarrentin abfahren, die Wasserbauten und Gebäude besichtigen und über den derzeitigen Stand der Fahrt, über etwaige Änderungen und Reparaturen ihr Gutachten abgeben. Leider sind nicht so sehr viele dieser Berichte vorhanden. Das wenige erreichbare Material zeigt uns jedoch zur Genüge, daß der Kommission mecklenburgischerseits mit der größten Abneigung begegnet wurde. Die Anlieger der Schale wurden nicht müde nachzuweisen, wie ihre Waldungen durch den Holzhandel und den Schleusenbau verwüstet seien, wie die Salz- und Holzschiffer die Zölle zu umgehen suchten, kurz, wie die Fahrt dem Lande Mecklenburg nur zum Schaden gereiche und den Lüneburgern allein von Nutzen sei. Darum stellte die Kommission Anfang der 70er Jahre fest: 1. daß die Lüneburger meist sächsisches und nicht mecklenburgisches Holz vom Schalsee herab brächten; 2. daß die Schleusen zum großen Teil aus sächsischem Holze erbaut wären; 3. daß beide Herzöge von jedem Faden = 8 . . . Schalzoll und 4 . . . Schleusenzoll - macht für jeden Herzog = 1 ß - bekämen (was allerdings vertragsmäßig bestimmt war, die Frage war nur, ob es tatsächlich immer geschah); 4. daß auf den Schiffen der Lüneburger meist mecklenburgisches Volk gebraucht würde, ebenso zu Holzhauern und Holzsetzern. Dadurch verdiente ein großer Teil mecklenburgischer Untertanen alljährlich viel Geld.

Wenn dieser Bericht auch den Tatsachen entsprach, so beruhigte sich doch die mecklenburgische Bauernschaft nicht dabei, sondern wurde immer wieder bei dem Rat und bei der Kommission vorstellig, bis sie schließlich 1580 eine Bittschrift um Abstellung der Fahrt an den Lüneburger Senat richtete. Es erfolgte eine Generaluntersuchung, nach der die Lüneburger sich denn folgendermaßen äußerten: „5. Januar 1581. Bericht der mecklenburgischen Fahrt und der Boitzenburger und Bauerschaft übergebenen Supplication halben. Erstlich, daß dem Land zu Mecklenburg der Fahrt und gebauten Schleusen halben kein Schade, besonders vielmehr Nutz und Frommen widerfahren werde in dem Befund, daß die vom Adel und ändern ein stattliches Geld ihres Holzes halben, da sie folgends den Grund zu Acker und Wiesen gebrauchen können, aus Lüneburg bekommen und daß die Inwohner an der Schale und darumhero der Arbeit an und bei den Schleusen, auch die Holzhauens halben und so sich auf den Schiffen gebrauchen lassen, ihre tägliche Nahrung und Vordienst können haben, also, daß zu Blücher und mehr Orten Leute befunden, so vormals das liebe Brot nicht haben oder vordienen können, itziger Zeit in ziemlichem Vorrat und guter Nahrung und Vordienst sitzen. Zum ändern, daß von wegen der Bandekower Schleuse und vorherigem Stauen derselben das Sandt sich in den Bandekower See geleget und Sandens dem Strome allerhand brächte, wird sich viel anders befinden, in Betrachtung, daß die Elbe etzliche Jahre so groß gewesen, daß an vielen Orten durchgebrochen und aufgelaufen und do große Dratheit und Kleinheit der Wasser, dergleichen bei Menschengedenken schwerlich befunden, vergangenes 80. Jahr ausgeweiset, was für Sand hin und wieder auf und an der Elbe und in ändern Strömen sich geleget, und die Kleinheit des Seehes nicht der Schleusen halben, besonderer Kleinheit halben der Elbe und anderen infließenden Strömen verursacht und herkommt und viel eher und mehr vermutlich, wann die Elbe im Wasser und die Bandekower Schleuse gestauet, das Sandt sich niederwärtslegen und nach der Hand in die Elbe kommen und treiben sollte. 3. Daß die Bauerschaft große Nahrung ihrer Fischereien halben gehabt, die ihnen durch die Schleusen und die Schiffahrt verderbt sein sollten, wird sich contrarium befinden, denn es haben die Leute, so an und bei den Schleusen gewohnet, nach Bauung der Schleusen ungleich mehr und besser Fischfang gehabt, denn zuvor, so mögen auch nit viele befunden werden, die ihrer Fischereien halben große Nahrung haben und treiben und dieselben nach Lübeck, Hamburg und Lüneburg oder ändern benachbarten Städten bringen und verkaufen, auch der Fischfang sich nach dem Wind, Wasser und Strömen und nicht nach den Schleusen oder Schiffahrt regulieret. 4. Daß aus vorgewandtem und anderem in den supplicationen angezogenen, verminderten Ursachen die Bandekower Schleuse abgetan oder umgerissen werden sollte, wird sich befinden, daß ihr, der Boitzenburger Fürwenden nicht erheblich, noch ihnen die Schleuse schädlich, besonders da dieselbe nicht sollte gebraucht werden und den Boitzenburgern ihres Flößens halber und daß sie in Holzkauf die Leute ihres Gefallens bedrängen möchten, eingeräumet wird, dem Städtlein und Inwohnern desselben, auch umbliegenden Dörfern zu nicht geringem Schaden und Nachteil samt den Ingesessenen im Lande würde gereichen und wider aufgerichtete Verträge zu dieser guten Stadt Nachteil vorgenommen wurde, damit die Schiffahrt in esse erhalten und der Boitzenburger und Bauerschaft ungereimte Fürgeben abgeschafft werden können.“ So lautete die Ansicht der Lüneburger, die sie über den Vorteil der Mecklenburger von der Schalfahrt hatten.