Zweite Fortsetzung

Schönhausen, das Lustschloss der Gemahlin Friedrichs des Großen, das diese auf ausdrücklichen Befehl des Königs vor einigen Tagen verlassen hatte, um ihre Residenz nach Magdeburg zu verlegen, hatte ein ähnliches Schicksal. Acht russische Husaren drangen in das Schloss und forderten unter fürchterlichen Drohungen das königliche Silberzeug. Der Kastellan entgegnete ihnen, dass Alles mit nach Magdeburg genommen sei; aber vergebens. Sie durchsuchten alle Räume, und da sie nichts fanden, gerieten sie in die wildeste Wut, zogen den Kastellan und seine Frau nackend aus, peitschten sie mit Ruten und zwickten sie mit glühenden Eisen. Einige Tage nachher langten noch mehrere Scharen an und plünderten das Schloss gänzlich aus. Ein königlicher Diener wurde von diesen Unholden mit dem Säbel in Stücke gehauen, ein anderer lebendig auf glühende Kohlen gelegt.

Potsdam indessen, wo der humane österreichische General Fürst Esterhazy kommandierte, erfuhr eine glimpfliche Behandlung. Dieser wachte sorgsam für die Sicherung alles Königlichen Privateigentums und nahm sich nur zum Andenken ein B?ld aus dem Schloss mit. —


Am Tage nach der Einnahme von Berlin bewegte sich ein Zug von Knaben in Militäruniform, zu beiden Seiten sächsische Dragoner und Österreichische Jäger, die Linden hinunter durch das Brandenburger Tor und schlug die Straße nach Charlottenburg ein. Es war das Corps der Kadetten — kleine unmündige Knaben, nicht über zwölf Jahre alt, da die Älteren wegen Mangel an Offizieren zur Armee abgegangen waren — welches der Sieger so hart war zu Kriegsgefangenen zu machen. In der Kapitulation hatte man ihrer nicht gedacht und geglaubt, sie seien durch ihre Jugend und Schwäche vor einem solchen Schicksal gesichert. Die Einwohner sahen diese Kinder, die in der jetzigen nassen und kalten Jahreszeit ohne Mantel und nur mit den kurzen Röcken ihrer Uniform bekleidet waren, mit großer Rührung und Trauer abziehen. Die Russen schleppten sie später bei ihrem Abzuge mit sich fort. Sie mussten alle Strapazen des Marsches mitmachen, auf bloßer Erde unter freiem Himmel schlafen; man sorgte wenig für sie, und das Brot wurde ihnen wie ein Almosen zugeteilt. Mehr denn zwanzig dieser kleinen Kadetten starben vor Hunger und Anstrengung verlassen und einsam auf der Heerstraße.

In dieser Zeit der Trauer und Beängstigung war wieder der edle Gotzkowsky der Anwalt der ganzen Stadt. Jeder, der Hilfe bedurfte, wandte sich an ihn, da sein Wort vielvermögend bei den russischen Befehlshabern war und die Russen mit Niemand als mit ihm zu tun haben wollten. Sein Haus, wo nur
allein noch Schutz und Sicherheit zu erwarten war, war Jedem geöffnet. In seinen feuerfesten Kellern bargen die Reichen ihre Kostbarkeiten, die Hilfsbedürftigen fanden hier Obdach und Nahrung.

Manches Unglück hat er von der Stadt abgewandt. So hatte der russische Oberbefehlshaber Fermor den Befehl zur Plünderung und Zerstörung aller königlichen Fabriken gegeben. Der 10. Oktober 1760 war zur Ausführung bestimmt. Gotzkowsky hatte es nicht sobald erfahren, als er zu Tottleben eilte und ihm vorstellte, dass alle die bezeichneten sogenannten königlichen Fabriken — die Gold- und Silbermanufaktur und das Lagerhaus, das den preußischen Truppen das Tuch lieferte — nicht dem König gehörten und kein Heller von ihrem Ertrage in die Königlichen Kassen flösse, letzterer vielmehr zur Erhaltung des neuen großen Waisenhauses in Potsdam bestimmt sei. Tottleben achtete diesen Grund und fand ihn zu seiner Rechtfertigung bei seinem Oberbefehlshaber für zureichend. Gotzkowsky musste ihm seine Versicherung schriftlich in Form eines Eides geben, und die Sache
unterblieb.

Ebenso wendete der edle Patriot die von den Russen anbefohlene, für die Berliner höchst schimpfliche Ablieferung aller ihrer Feuergewehre ab. Es wurden, damit es wenigstens den Anschein habe, dass man den Befehl erfülle, auf dem Schlossplatz einige Hundert alte, unbrauchbare Gewehre zusammengeworfen, woselbst sie die Kosaken zerschlugen und ins Wasser warfen.

Die Zeitungsschreiber Kretschmer und Krause, jener Redakteur der Vossischen, dieser der Spener'schen Zeitung, hatten in ihren Zeitungen von den Russen nicht mit Glimpf gesprochen. Der General Tottleben selbst war von ihnen nicht verschont worden, und Krause hatte ihn einen berüchtigten Abenteurer genannt, der, nachdem er die Gnade des Königs von Preußen genossen, verräterisch zu dem Feind übergegangen sei. Außerdem hatte Kretschmer eine Broschüre mit beißenden satyrischen Ausfällen gegen die Herrscher von Österreich, Sachsen und Russland unter dem Titel: „Ernsthaftes und vertrauliches Bauerngespräch, den gegenwärtigen Krieg betreffend“ geschrieben. Maria Theresia war darin die „Muhme Tillacksche“ genannt, der Kurfürst von Sachsen „der Bruder Osten“, die russische Kaiserin Elisabeth „die Muhme Liese“, Friedrich der Große „der Nachbar Flink“. Die Sieger wollten jetzt an ihnen die beleidigte Ehre ihrer Nation rächen, wie jener preußische Offizier im Jahre vorher, der einen Erlanger Zeitungsschreiber, welcher einen
ausfallenden Artikel gegen Friedrich den Großen geschrieben, mit Stockprügeln züchtigte und sich sogar noch eine Quittung von ihm über die empfangenen Prügel ausstellen ließ. Unseren Redakteuren war aber noch eine weit schlimmere Strafe zugedacht: das Spießrutenlaufen. Gotzkowsky, der auch ihre Sache in edler Aufopferung zu der seinigen machte, verwandte sich für sie beim General Tottleben. Der Graf war jedoch, weil persönlich von ihnen beleidigt, diesmal unbeweglicher als sonst. Doch gelang es endlich den wiederholten Bitten ihres Fürsprechers, die kühnen Federhelden, die bereits als Gefangene auf der Hauptwache ihr hartes Schicksal erwarteten, von der Strafe frei zu machen. Doch ganz ohne Züchtigung sollten sie nicht ausgehen. Man führte sie vor die zum Laufen bestimmte Soldatengasse auf den Neumarkt, um welche sich die schaulustigen Berliner zahlreich versammelt hatten, und hier erhielten sie eine derbe Strafpredigt. Der bereits achtundsechzigjährige
Krause musste die erlittene Angst und Schmach mit einem gefährlichen Krankenlager büßen, von welchem er indes glücklich wieder genas. —

Die Rachepläne der andern jetzt die Residenz behauptenden Feinde Preußens vermochte jedoch weder Gotzkowsky noch selbst Tottleben abzuwenden. So wollte man das Berliner Zeughaus, ein Meisterstück der neueren Baukunst, das prächtigste Gebäude in Europa und inmitten der Stadt gelegen, in die Luft sprengen, ohne Rücksicht darauf, dass man dadurch weithin Tod und Verderben ausstreute und unzähligen Menschen Gut und Habe oder das Leben nahm. Die schönsten Paläste sowie das Königliche Schloss liegen ganz in seiner Nähe. Vergebens berief sich Tottleben den österreichischen und sächsischen Befehlshabern gegenüber auf sein den Berlinern gegebenes Versprechen des Schutzes und der Schonung, vergebens beschwor er sie, von einem solch abscheulichen Vorhaben abzustehen. Ein Kommando Russen von fünfzig Mann wurde abgesandt, von einer Pulvermühle, welche jenseits einer großen Sandebene lag, die sich hinter den Gärten des in der Oranienburger Vorstadt gelegenen königlichen Lustschlosses Monbijou erstreckte, das zur Sprengung erforderliche Pulver zu holen, da man das eigene bereit verschossen hatte. Die Russen, mit der Natur des gegenwärtigen Dienstes unbekannt, gebrauchten bei der Annäherung an das Pulvermagazin nicht die nötige Vorsicht, es fing Feuer und flog in die Luft, wobei die ganze Mannschaft jämmerlich ums Leben kam. In Berlin vernahm man überall den Knall und spürte die Erschütterung der entsetzlichen Explosion; in der Friedrichsstraße, welche sich damals nicht weiter als bis zur Spree erstreckte, zitterten die Häuser wie bei einem Erdbeben, und die Fenster zersprangen. Dieser Zufall rettete das Zeughaus, da man zu seiner Demolierung kein Pulver mehr hatte. Man begnügte sich, es auszuräumen. Außerdem wurden das königliche Gießhaus, die Münzmaschinen und alle königlichen Fabriken ruiniert, alle Magazine und königlichen Kassen ausgeleert.

Der Triumph der Feinde, die schon den Krieg beinahe wie geendet betrachteten und von Winterquartieren in Brandenburg träumten, währte indessen nur einige Tage. Schon am 11. Oktober traf die Nachricht ein, dass Friedrich der Große zur Befreiung seiner Hauptstadt heranziehe, und das bloße Wort: „Der König kommt!“ verscheuchte wie ein rascher Windstoß seine übermächtigen Gegner. Am 12. Oktober zog Alles in großer Eile davon; die Russen gingen über die Oder zurück, die Österreicher wandten sich nach Sachsen. Erstere nahmen wegen des noch nicht gezahlten Restes der Kontribution die Kassierer der drei vornehmsten Bankiers in Berlin als Geisel mit und schleppten sie nach Königsberg, wo sie wie Missetäter behandelt wurden.

Die Stadt wollte dem General Tottleben zum Dank, dass er ihr Schicksal erträglicher gemacht, bei seinem Abzuge ein Geschenk überreichen, er lehnte es jedoch ab mit den Worten, dass er durch die Ehre, drei Tage Befehlshaber von Berlin gewesen zu sein, hinlänglich belohnt sei. Der General musste sein mildes und schonendes Betragen gegen Berlin teuer büßen. Einige Monate später ließ ihn seine Regierung deswegen verhaften und als Gefangenen nach Petersburg führen.

Um seiner Residenz die noch ausstehende Million Kontribution zu retten, befahl ihr Friedrich der Große, sich mit der Zahlung nicht zu übereilen. Den Russen kam dies zu Ohren, sie drohten, an den Berliner Kaufleuten, welche die Wechsel ausgestellt, Revanche zu üben, sich aller ihnen gehörigen Effekten in Danzig, Preußen, Livland und Kurland zu bemächtigen, überdies an allen Börsen Europas ihre Namen als ehrlos anschlagen zu lassen.

Da entschloss sich der König auf Gotzkowskys Vorstellung, der dieserhalb eiligst zu ihm nach Sachsen reiste, die ganze Kontribution zu bezahlen; doch sollte die Sache vor der Hand noch geheim gehalten werden.

Diesem hochherzigen Patrioten ließ Friedrich für alle seine Opfer und Bemühungen im Interesse seiner Mitbürger 150.000 Reichsthaler auszahlen. Er erwies sich dankbar dafür, indem er einen großen Wunsch des Königs erfüllte und in Berlin eine Porzellanfabrik errichtete, die in kurzer Zeit den besten in Europa den Rang streitig machte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Russen in Berlin. 1760 – Geschichtsbild