Abschnitt 2

Zwölftes Capitel


Ich habe eben gesagt, der Obrist hätte überall in seinem Hause die Augen gehabt; Nur über Einen Gegenstand schien er blind, und der war die Aufführung seines Sohns, des Fähndrichs. Das einzige Kind, die Verlassenschaft einer früh verlohrnen, geliebten Gattinn. – Das war es, was sich zu Rechtfertigung dieser Schwäche sagen ließ. Der junge Mensch führte nicht nur ein ausschweifendes Leben, sondern belog und bestahl auch seinen würdigen Vater, der ihm doch keine Bitte versagte; ja! er rühmte sich dessen laut. Sein Character und sein Wandel waren aber auch auf seinen bleichen, schlaffen Wangen, in seinen matten Augen und aus seinen unsichern, irrenden Blicken zu lesen. Männern war dieser Mensch unerträglich, aber – und leider! habe ich nachher in der Welt oft diese Bemerkung zu wiederholen Gelegenheit gehabt, – den mehrsten gewöhnlichen Weibern gefiel der Unverschämte besser, als ein blühender, tugendhafter, bescheidner Jüngling. Ich fühlte mich bey dem ersten Anblicke von ihm zurückgestoßen und seine Abneigung gegen mich war nicht geringer, sobald er sah, daß ich mich nicht nach seinem Muster bilden, mit ihm nicht gemeinschaftliche Sache machen wollte. Allein er war der Einzige im Hause, der mir abgeneigt war; alle Andre liebten mich, und mein Wohlthäter zeigte mir täglich mehr väterliche Zuneigung, obgleich der Fähndrich keine Gelegenheit versäumte, mich bey ihm anzuschwärzen.


Oft war ich in Versuchung, dem Obristen die Betrügereyen seines Sohns zu entdecken; Dankbarkeit schien mich dazu aufzurufen; aber Vorsichtigkeit hielt mich zurück. Indessen begegnete ich dem Bösewichte, selbst in des Vaters Gegenwart, mit der Verachtung, welche er verdiente; und so gerecht war der alte Mann, daß er mir, dieses seines Lieblings wegen, nie sein Wohlwollen entzog.

Ich war beynahe noch ein Knabe, als der Obrist mich dem Herzoge, seinem Herrn, zum Fähndrich vorschlug und, als mein Patent ausgefertigt war, mir eine größere Summe Geldes schenkte, wie ich zu meiner Equipirung bedurfte. Allein die Glückseligkeit, die ich an der Seite eines so guten Cheffs und edeln Wohlthäters genoß, dauerte nicht lange; Der alte Herzog, dessen Jugend-Freund er war, starb und der neue Herr warf, wie es zu geschehn pflegt, alles über den Haufen, was sein Vater eingerichtet hatte. Er war ein harter, gefühlloser, hochmüthiger, unwissender und mißtrauischer Mensch. Mit dem Militair wurde eine große Veränderung vorgenommen; die Officiers wurden aus einem Regimente in das andre versetzt, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie Wenige von diesen schlecht bezahlten Leuten im Stande waren, die Unkosten einer solchen Veränderung zu bestreiten; ja! es war ihm Ursache genug, jemand an einen andern Ort hin zu verpflanzen, wenn er merkte, daß Dieser gern da geblieben wäre, wo er war.

Mein redlicher Obrist erhielt ein anders Regiment; sein Sohn aber und ich blieben in der bisherigen Garnison und bekamen einen andern Cheff. Dieser war ganz ein Mann nach des Herzogs Wunsche; strenge, pedantisch, ein Camaschen-Held, der von unten auf gedient hatte und seine Untergebnen wie Sclaven behandelte. Ich hätte nun von meiner geringen Gage leben müssen, wenn mein großmüthiger Beschützer mir nicht von Zeit zu Zeit ansehnliche Zuschüsse geschickt hätte; allein meine Lage war darum nicht weniger unangenehm, denn mein neuer Obrist konnte mich nicht leiden, hatte immer etwas an mir auszusetzen und neckte mich unaufhörlich.

In der Stadt wohnte eine verwitwete Ritmeisterinn von Seebach nebst ihrer Tochter, einem liebenswürdigen, sanften und tugendhaften Mädchen. Ich hatte Umgang in dem Hause, wurde von Mutter und Tochter gern gesehn und würde, wäre ich nicht so arm gewesen, gewiß Plan auf ihren Besitz gemacht haben; so aber lehrten mich Vernunft und Pflicht, mich in den Gränzen der Hochachtung und Freundschaft halten und jede andre Neigung unterdrücken. Der Fähndrich aber, mein geschworner Feind, hatte ein Auge auf das Fräulein, so wenig sie ihn auch leiden konnte; und da alle seine Anträge verworfen wurden, glaubte er, ich stünde seinem Glücke im Wege. Eines Abends, als ich grade bey der Frau von Seebach war, kam er betrunken herein und betrug sich so ungezogen, daß ich endlich die Geduld verlohr und ihm Stillschweigen auflegte. Dem jungen Herrn schwoll der Kamm, er stieß Beleidigungen gegen mich aus; die Hitze überwältigte mich; ich warf ihn zur Thür hinaus, und er gieng drohend weg. Nachdem ich den Damen meine Entschuldigungen gemacht hatte, blieb ich noch eine Stunde lang bey ihnen und wollte dann nach Hause, wo ich eine Ausforderung von meinem Feinde erwartete. Es war in der Dämmerung eines Herbst-Abends; Ich mogte ungefehr zwölf Häuser vorbey gegangen seyn und wollte nun in eine enge Gasse einbeugen, als ich von dem Bösewichte und einem andern eben so schlechten Menschen, die sich an der Ecke versteckt gehalten hatten, meuchelmörderischerweise angegriffen wurde. Sie stürmten mit bloßem Degen auf mich ein und ich hatte kaum Zeit, den meinigen zu ziehn, mich an eine Wand zu stellen, um den Rücken frey zu haben und mich in Vertheydigungsstand zu setzen. Bey dem ersten Anfalle hatte Einer von den Schurken nach mir gestoßen, mich aber nur leicht in den linken Arm verwundet. Jetzt drangen sie Beyde ungestüm auf mich ein. Anfangs vertheydigte ich mich nur; da ich aber voraussah, daß ich auf diese Weise leicht ihr Opfer werden könnte, suchte ich wenigstens mir Einen vom Halse zu schaffen. Ich fiel also unerwartet aus, als mir der Fähndrich grade Blöße gab und wollte ihn etwa durch einen Stich in den Arm wehrlos machen; allein ich traf in den Leib; Er stürzte und der Andre entfloh.

Es fiel gleich nach der That zentnerschwer auf mein Herz, daß mein unglückliches Verhängniß mich gezwungen hatte, an dem Sohne meines Wohlthäters vielleicht zum Mörder zu werden; Ich eilte ihm zu Hülfe; Er war nur ohnmächtig, erholte sich bald wieder und war noch stark genug, sich von mir nach seinem Quartiere führen zu lassen. Dort verschaffte ich ihm einen Wundarzt, welcher gleich nach der ersten Untersuchung versicherte, daß gar kein edler Theil verletzt und durchaus keine Lebensgefahr da sey.

Ich würde also über die Folgen, welche dieser Vorfall für mich, der ich nur Nothwehr geübt hatte, haben konnte, sehr ruhig gewesen seyn, wenn ich weniger die schändliche Denkungsart meines Gegners und seines Beschützers, des Obristen, gekannt hätte. Dieser Letztere war jetzt mehr als jemals mein Feind. Er hatte kürzlich einen Unterofficier, bloß deswegen, weil er ihn in der neuen Mondirung angetroffen hatte, die er eigentlich nur auf der Parade tragen sollte, so gefuchtelt, daß der arme Mann davon gestorben war. 1) Ich hatte mich nicht enthalten können, über diese Greuelthat laut zu reden, und das hatte der Obrist wiedererfahren. Jetzt war die Gelegenheit da, mich seinen Haß fühlen zu lassen, und diese Gelegenheit ließ er nicht entwischen. Die ganze Sache wurde so verdreht und die Art der Untersuchung so unregelmäßig vorgenommen, daß ich, ohne ordentliches Verhör, zu einem Festungs-Arreste auf ein halbes Jahr verurtheilt wurde.




1) Diese Anecdote ist wahr – wahr, zur Schande des Bösewichts, eines Obristen von – die Finger jucken mich, den Kerl zu nennen – der vor einigen Jahren diese That begangen und zur Schande des Fürsten; der sie nicht bestraft hat. Wo dergleichen geschehn und niemand murren darf; nicht wahr, da ist kein Despotismus; da ist das Volk durch die Propaganda aufgehetzt, wenn es endlich ein wenig unruhig wird?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig