Abschnitt 3

Zwölftes Capitel


Was war zu thun? ich mußte der Gewalt nachgeben. Da mir’s indessen erlaubt war, aus meiner Gefangenschaft Briefe fortzuschicken, so schrieb ich nicht nur an meinen würdigen alten Obristen, um ihn um Verzeyhung zu bitten, sondern meldete auch meinem guten Consul den Vorfall und meinen Entschluß, gleich nach meiner Befreyung den ***schen Dienst zu verlassen und anderswo mein Glück zu suchen.


Der bayrische Successions-Krieg, welcher grade in dieser Zeit ausbrach, gab mir einen ehrenvollen Vorwand, meinen Abschied zu fordern, indem ich den Herzog bat, mich zu entlassen, damit ich bey der österreichschen Armee ein Paar Feldzüge mitmachen und die militairischen Kenntnisse, welche ich in seinem Dienste zu erlangen das Glück gehabt hatte, practisch ausüben lernen könnte. Der Abschied wurde mir nicht versagt; Wieder die Gewohnheit junger Officiers hatte ich mir von den Geschenken meines Wohlthäters eine Casse von einem Paar hundert Thalern gesammelt; Der Consul vermehrte diese Summe auf die großmüthigste Weise und schickte mir zugleich Empfehlungsschreiben an zwey österreichsche Generals; und so war ich denn im Stande, meine Reise zur kaiserlichen Armee anzutreten.

Allein ich hatte vorher noch eine Pflicht zu erfüllen; ich mußte dem würdigen Obristen meine Dankbarkeit darbringen und mich bey ihm rechtfertigen, wenn auch ihm meine Aufführung vielleicht aus einem falschen Gesichtspuncte war vorgestellt worden. Beydes glaubte ich am besten schriftlich thun zu können; doch schonte ich dabey, so viel sichs irgend thun ließ, seines Sohns.

Ich konnte die Antwort nicht abwarten, habe auch seit der Zeit hie wieder eine Zeile von dem edeln Manne gelesen, denn er starb wenig Monate nachher am Schlagflusse.

Da ich vorher an den großen, guten Kaiser Joseph geschrieben und von ihm die Zusicherung erhalten hatte, als Capitain bey einem der neu errichteten Frey-Corps angesetzt zu werden, in so fern ich eine gewisse Anzahl Recruten lieferte; so machte ich dazu Anstalt, brachte bald in den Rheingegenden einen Theil dieser Mannschaft zusammen, bezahlte für die Fehlenden eine bestimmte Summe, und gieng dann zur Armee.

Die kräftigen Empfehlungsbriefe des Consuls und ein Paar glückliche Vorfälle, die mir Gelegenheit gaben, Diensteifer und einigen Muth zu zeigen, erwarben mir die Achtung meiner Cameraden und die Zufriedenheit meiner Vorgesetzten. Der Krieg dauerte zum Glücke der Völker nicht lange; die Freycorps giengen dann auseinander; allein ich erhielt die Versprechung, in ein regulaires Regiment eingesetzt zu werden. Um diese Sache nun thätiger betreiben zu können, gieng ich gleich nach dem Frieden nach Wien. Dort brachte ich beynahe ein halbes Jahr sehr vergnügt zu und machte manche recht interessante Bekanntschaft. Wichtiger wie alles übrige war mir das Glück, den liebenswürdigen Fürsten in der Nähe bewundern zu können, der ohne Prunk, aus wahrer Wärme für das Gute, so thätig war, Glück und Wahrheit zu verbreiten; der gegen so unendliche Schwierigkeiten, die ihm Dummheit und Bosheit in den Weg legten, muthig ankämpfte, kein Gift, keinen Dolch und keine spitzige Feder fürchtete, weil er wußte, daß die Vorsehung wahre Größe schützt, und daß man nur dann Ursache hat, sich zu fürchten und das Licht zu scheuen, wenn man sich selber nicht trauen, sich selber nicht respectiren darf; und der, wenn er eben so glücklich gewesen wäre, als er gut und eifrig war, von der späten Nachwelt noch mit Bewundrung angestaunt werden würde.

Meine Hofnung, wieder in Thätigkeit zu kommen, wurde bald erfüllt; man setzte mich in meinem vorigen Range im ***schen Regimente an und bald nachher bekam ich den Befehl, nach Goßlar auf Werbung zu gehn.

Sie wissen, bester Vater!, daß ich dort die Bekanntschaft Ihrer liebenswürdigen Tochter machte und was weiter vorgefallen ist; Mögten wir nun nur den Zweck erreichen, sie bald wieder einzuholen! Dann ist es in Ihren Händen, mein Glück, dessen erster Schöpfer Sie gewesen sind, vollkommen zu machen.“

Während der Hauptmann Previllier diese seine Geschichte erzählte, blickten sie Beyde oft zum Wagen hinaus, um zu entdecken, ob sich nicht ein Fuhrwerk vor ihnen sehn ließe. Sie fragten jeden, der ihnen begegnete und erfuhren endlich, daß die bewußte halbe Kutsche ungefehr eine Stunde früher denselben Weg genommen hatte. Diese Nachricht erhielten sie kurz vor Steinbrüggen und als sie dahin kamen, sahen sie den Wagen in einem Hofe stehn. Ihre Freude war unbeschreiblich; sie sprangen aus der Callesche – aber alles im Wirthshause lief durch einander – diese Verwirrung prophezeyete ihnen nichts Gutes. Der Förster rennte wie unsinnig herum und fluchte wie ein Hesse. Sein Bruder fiel ihm um den Hals – er wußte nicht, wie ihm geschahe – „Bruder! lieber, theurer Bruder! Aber wo ist sie? Wo ist meine Margaretha?“ – „Wo sie ist? der Teufel hat sie geholt, das Wettermädchen! Aber finden muß ich sie und sollte ich die halbe Welt durchrennen.“

So standen die Sachen in Steinbrüggen – Allein es ist Zeit, daß wir wieder zu der Demoiselle zurückkehren, die wir auf freyer Heerstraße allein gelassen haben. Wir sind zu galant, um ihr nicht bald zu Hülfe zu eilen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig