Abschnitt 1

Zwölftes Capitel


Was der Herr Hauptmann Previllier dem alten Dornbusch unterwegens erzählt. Zusammenkunft in Steinbrüggen.


Dem Herrn Dornbusch kam die Entdeckung, daß seine Tochter und sein Bruder noch vor zwey Stunden mit ihm zugleich in Peina gewesen wären, wie ein Traum vor. Der Officier fieng an, ihm das ganze Räthsel aufzulösen, sobald sie im Wagen saßen, und die Freude des alten Mannes, so gute Nachrichten von den Seinigen zu erhalten, war jetzt unbeschreiblich. Gern hätte Herr Previllier diese angenehmen Empfindungen in vollem Maße mit ihm getheilt, wenn nicht die Unruhe über den Verlust seiner Geliebten jeden fröhlichen Gedanken von ihm verscheucht hätte.

Doch, da der Förster und der geistliche Herr kaum vor anderthalb Stunden erst mit dem jungen Frauenzimmer abgefahren waren, schien es mehr als wahrscheinlich, daß sie das Fuhrwerk noch disseits Goßlar einholen würden und dann hörte ja die Gewalt des Oheims über die Nichte auf und er konnte die Schöne aus der Hand ihres Vaters empfangen. Diese Hofnung erheiterte ihn wieder, und da sein Pflegevater nur kurze, summarische Nachrichten von seinen erlebten Schicksalen nach Ostindien bekommen hatte, vertrieb er, auf das Bitten des alten Herrn, ihm unterwegens die Zeit durch genauere Erzählung dieser Begebenheiten, die wir denn auch den Lesern in seinen eignen Worten mittheilen wollen.

„Der redliche Consul, dem Sie mich anvertrauet hatten, handelte von dem Augenblicke an, da ich ihm war übergeben worden, wie ein leiblicher Vater an mir und mein Zutraun und meine Liebe zu ihm wuchsen mit jedem Tage. Er schwatzte nicht viel von zärtlichen Empfindungen und hatte überhaupt in seinem Äußern nicht jene unteutsche Geschmeidigkeit, wodurch Menschen von geringerm innern Werthe so gern die gute Meinung Derer, die sie fürchten, zu erschleichen pflegen; aber ächte Feinheit des Gefühls, die, bey reellen Veranlassungen, aus seinem wohlwollenden Herzen hervorblickte, thätige Hülfe, ohne viel Wortprunk, vereinigt mit unbestochner Wahrheitsliebe und Würde des Characters waren die Grundzüge des seinigen. Sobald er mich nun ausgerüstet und meinetwegen Antwort von seinem Freunde, dem Obristen erhalten hatte, schickte er mich, begleitet von einem treuen Mohren, der sein Bedienter war, mit dem Postwagen nach***. Daselbst trat ich in einem Gasthofe ab, kleidete mich sauber an, steckte das Empfehlungsschreiben des Consuls in die Tasche und wanderte hin zu meinem Obristen.

Ich muß, ehe ich in meiner Erzählung fortfahre, Ihnen hier ein schwaches Bild von diesem würdigen Kriegsmanne entwerfen. Er war in seinem äußeren Betragen rauh, doch von Herzen bieder, sprach sehr wenig, mehrentheils nur in abgebrochenen Sätzen; aber alles, was er sagte, hatte Kraft, Originalität und nicht selten einen Anstrich von eigenthümlichem Witze. Jeden solchen Kernspruch pflegte er dann damit zu beschließen, daß er ein Paar Noten hinterher sang: ‚Ich bin‘, sprach er, ‚nun einmal so; tüh–hü; und wer mich so nicht leiden mag, der kann mich laufen lassen; thü–hü.‘ Nächst dem Soldaten schätzte er den redlichen Handwerker am höchsten, höher wie die Menschen aus andern Classen. Gelehrte konnte er gar nicht ausstehn. Sie hätten, behauptete er, fast sämtlich ihre grade, gesunde Vernunft wegstudiert; Alles sey bey ihnen auswendig gelernter Kram; Ihre ganze Weisheit sey an einen langen gekauften Bindfaden (Er zielte damit auf den Systemsgeist) gereyht. Rührte man nun das eine Ende an, sagte er, so polterte einem immer der ganze Plunder über den Leib und immer derselbe Plunder, man mögte das vorderste oder das hinterste Ende ergreifen. Strenge waren seine Begriffe von Gerechtigkeit und deswegen verzieh er nicht leicht vorsetzliche Beleidigungen, wenn er nicht ungeheuchelte Reue wahrnahm; besonders da, wo nicht sowohl seine Person, als die Tugend selbst war gekränkt worden. Nicht ärger konnte er entrüstet werden, als wenn er darauf zu reden kam, daß gewisse Stände andre nützlichere Menschen-Classen geringschätzten. Einem Sattler, der lange für ihn gearbeitet hatte, entzog er seine Kundschaft, so bald er erfuhr, daß er seinen Sohn kein Handwerk lernen lassen, sondern ihn auf Universitäten schicken wollte.

So war der Mann beschaffen, von dem ich mein künftiges Glück erwarten sollte. Als ich bey ihm angemeldet wurde, ließ er mir zuerst meinen Brief abfordern, und nachdem er ihn gelesen hatte, mußte ich zu ihm hinaufkommen. Er nickte wiederholt freundlich mit dem Kopfe, ohne ein Wort zu reden, als ich mich ihm näherte; dann stand er auf, ergriff mich bey den Schultern und drehete mich dreymal herum. Als er nun den kleinen Haarbeutel gewahrwurde, den ich, um mich recht herauszuputzen, eingebunden hatte, fieng er laut an zu lachen und rief aus: ‚hah! ein junk französch Marquis! kann niks teutsch parlier; tüh–hü.‘ Dieser seltsame Empfang verblüffte mich so, daß mir die Thränen in die Augen traten; Das that dem guten Manne weh; Er streichelte mir daher die Backen und sagte liebevoll: ‚Nur getrost, mein Jüngelchen! Ich will Dich bey mir behalten und einen rechtlichen Kerl aus Dir machen, und der Haarbeutel soll verauctionirt werden; tüh–hü.‘ Noch an demselben Tage wurde dann der Regiments-Schneider geholt, um mir das Maaß zu nehmen; und sechs und dreyßig Stunden nachher stand ich als wohl bestallter Fahnenjunker da. ‚So lasse ich’s gelten; tüh–hü!‘ sang der Obrist und behandelte mich von nun an wie sein eignes Kind. Ich bekam ein Zimmerchen angewiesen, speiste an seinem Tische, lernte das Exerciren, bekam Unterricht im Rechnen und Schreiben, dann auch in den mathematischen Wissenschaften; im Französischen, im Reiten und Fechten und noch obendrein gab mir der großmüthige Mann Taschengeld, und erst nachher habe ich erfahren, daß er von dem Consul keine Entschädigung dafür annahm. Aller dieser Wohlthaten ungeachtet redete er selten ein einziges Wort mit mir; aber auf seinem Gesichte konnte ich es lesen, ob er von meinem Fleiße und meiner Aufführung mehr oder weniger zufrieden war.

Der Haushalt meines Obristen bestand, außer ihm und seinem Sohne, dem Fähndrich, einem Erz-Taugenichts, der ihm viel heimlichen Kummer machte, aus einem alten tauben Koche, einer einäugichten Soldaten-Witwe, welche die Betten bereiten und das Haus rein halten mußte, einer dicken plumpen Küchen-Magd, zwey Bedienten, die zugleich Soldaten waren, und einem Reitknechte. Der alte Obrist hatte seine Augen aller Orten und eine größere Ordnung und Pünctlichkeit, wie in seinem Hause herrschte, konnte man sich kaum denken. Das Gesinde liebte und fürchtete ihn, war treu, fleißig, häuslich und einig unter einander. Des Sonntags, wenn der Herr im Clubb war, holte der Koch eine schmutzige Violine vom Hacken herunter, wo sie hieng, fiddelte den Dessauer Marsch, oder einige Tänze, die zu Georg des Andern Zeiten in Hannover, wo er seine Kunst gelernt hatte, Mode gewesen waren, und die Bedienten spielten im Dam-Brette, wozu sie die Steine selbst geschnitzelt hatten. So gieng alles, Jahr aus, Jahr ein, seinen ruhigen, friedlichen Gang fort. Der Obrist war gastfrey, doch nur gegen die Officiers seines Regiments, gieng selten aus, und las, wenn er allein war, alte und neuere historische Bücher.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig