Abschnitt 3

Eilftes Capitel


So viel über den Zweck, oder vielmehr über den Mangel an Zweck! Nun zu den einzelnen handelnden Personen und deren Charactern! Eine eben so unbestrittene Regel bey einem guten Schauspiele, als die vorige, ist die: daß alle auftretenden Personen an die Handlung geknüpft seyn sollen, daß sie zum Ganzen nicht nur mitwürken, sondern zu dieser Würkung nothwendig, unentbehrlich seyn müssen. Alles übrige nennt man Flick-Rollen, die von der Armuth des Dichters zeugen. Leider! ist nun freylich in diesem Stücke überhaupt gar keine eigentliche Handlung; aber angenommen, daß man das bischen Thätigkeit, worinn die Personen gesetzt werden, also nennen mögte; so könnte füglich das Ganze seine Endschaft erreichen, ohne den Herrn Musaffery, ohne den Visitator, ohne den Bootsknecht, ohne die beyden Notarien, wenigstens ohne Einen derselben, ohne den kleinen Knaben, allenfalls ohne die alberne Mistriß Smith, ja! ohne den alten Herrn Smith, der auf seinem Stuhle herausgefahren wird, um zu hören und zu sehn und, wenn ihn der Dichter wieder fort haben will, geschimpft oder gestoßen wird, da er dann anfängt zu fluchen oder zu klagen und sich wieder fortrollen läßt.


Verzeichnet sind fast alle Charactere. Gurlis liebenswürdige Naivetät hat ein Kunstrichter so meisterhaft geschildert gefunden und Andre haben es ihm nachgelallt. – Lassen Sie uns doch, ohne uns um diese Authorität zu bekümmern, untersuchen, was für ein Werk der Schöpfung diese Gurli ist! Eine alberne Gans zu malen, die von den Dingen dieser Welt nichts weiß, gern einen Mann haben will, lacht, wenn ihr etwas ungewöhnliches aufstößt, weint, wenn sie an etwas Unangenehmes denkt, sich zu freundlichen Gesichtern hingezogen fühlt und unfreundliche Menschen nicht leiden mag – ist es Kunst, so ein Geschöpf zu malen? Allein dies Bild könnte interessant werden, wenn man das rohe Kind der Schöpfung in Lagen versetzt sähe, wo es, aus innerer Güte der menschlichen Natur, eben so groß und edel handelte, wie die fein cultivirte Liddy; aber nichts von dem! Doch, was noch mehr ist, dieser ganze Character ist ein Hirngespinnst. Denken Sie Sich, wenn Sie können, ein mannbares und noch obendrein manntolles Mädchen, das, unter Wilden erzogen, wo keine falsche Delicatesse den Schleyer über gewisse natürliche Dinge wirft, noch nicht wissen soll, was ein Männchen und was ein Weibchen ist, und daß Mann und Frau zum Heyrathen nöthig sind! Ein Mädchen, das lange genug in England gewesen ist, um Schreiben gelernt zu haben und, indem es zwey Notarien, die beyden Brüder Smith, Miß Liddy und den alten Musaffery, theils nach der Reyhe, theils auf einmal heyrathen will, zeigt, daß es noch nicht weiß, daß, so wenig in Großbrittanien, wie vielleicht in irgend einem Lande des Erdbodens, Vielmännerey erlaubt ist! Eine schöne Naivetät!

Fazir ist ein Wilder aus Bengalen und winselt und empfindelt, wie ein Siegwart. Kaberdars Charakter ist gar nicht ausgemalt; Musaffery eben so wenig.

Von dem alten Smith erfährt man nur so viel, daß er ein gutherziger, schwacher, unbedeutender Sterblicher ist.

Robert, Liddy und Jack sind die einzigen Personen, die Physiognomie haben.

Samuel und der Visitator haben Originalität, aber sie sind so offenbar von teutscher Schöpfung, daß wohl schwerlich in ganz Großbrittanien zwey solcher Charactere werden gefunden werden.

Wenn sich ein teutsches Fräulein mit allen albernen Prätensionen des Adelstolzes an einen englischen Kaufmann verheyrathete, so würde diese Thorheit doch gewiß in dem ersten Jahre ihres Aufenthalts in Großbrittanien schon von ihr weichen; Nichts kann ihr dort Nahrung geben; Man wird sie nicht einmal verstehn. Die ganze Art der Zusammenlebung, die öffentliche persönliche Achtung, deren ein Kaufmann daselbst in viel größerm Maaße, wie ein kleiner teutscher Edelmann, genießt; das alles wird ihr die Grillen von ihren Ahnen bald vertreiben. – Wie unnatürlich also, daß Mistriß Smith nach zwanzig bis dreißig Jahren noch den Versuch wagt, diese Narrheit geltend zu machen! 2)

Die Notarien-Scene ist äußerst comisch; aber sie ist ein hors d’oeuvre und gehört nicht dem Herrn von Kotzebue, sondern dem alten Vater Moliere.

Wer Schauspiele schreibt, soll doch auch die Sitten des Landes studieren, in welches er seine Scenen versetzt; auch das vergißt der Herr von Kotzebue in der Eil, mit welcher er schreibt. Herr Smith heißt Sir John, folglich ist er Baronet, denn kein Andrer führt in England vor seinem Taufnamen den Titel Sir. Er selbst aber sagt, er sey von bürgerlicher Abkunft. Aber sey er Baronet; so kann, bey seinen Lebzeiten, es doch sein Sohn nicht auch seyn; allein auch Dieser nennt sich selbst Sir Samuel Smith.

In England wird niemand zehntausend Pfund lieber in baarem Gelde als in Banco-Noten haben wollen, wie Herr Samuel.

In England wird gar kein Knaster verkauft und doch will Herr Smith Knaster rauchen.

Mysore ist nie von einem Nabob regiert worden.

Dies alles soll nur beweisen, wie wenig dieser Schriftsteller an seinen Werken feilt; und hiervon zeugen noch andre Stellen. Der alte Smith klagt, die Frau habe ihm nicht einmal eine Kanne Porter geben wollen und doch verschenkt er nachher ein ganzes Faß voll starken Biers an den Bootsknecht.

Im ersten Auftritte theilt Herr Smith vier Segen aus; Im neunten Auftritte des zweyten Aufzuges abermals zwey; Im dreyzehnten bittet Liddy um ein dito und erhält ihn von der Mutter; Im sechsten Auftritte des dritten Aufzugs segnet Kaberdar; Im vierzehnten segnet wiederum Herr Smith und im funfzehnten nochmals der Nabob Kaberdar. – Das sind viel christliche und heidnische Segen!“

Der alte Officier war in so gutem Zuge, seine dramaturgischen Kenntnisse auszukramen, daß er vermuthlich noch in einer Stunde nicht würde aufgehört haben, wenn nicht Einer aus der Gesellschaft, dem diese Abhandlung vielleicht eben so viel Langeweile verursachte als meinen Lesern, die Bemerkung gemacht hätte, daß es wohl Zeit seyn würde, sich zur Mascarade auszurüsten. Man nahm also Abschied von ihm, gieng hinauf in des Licentiaten Zimmer, wo die bestellten Ball-Kleider in Bereitschaft lagen, steckte sich in dies abgeschmackte Costum, zur großen Freude der beyden jungen Spottvögel, und gieng dann in diesem Aufzuge mit einander zu Fuße den Bohlweg hinauf, dem Opernhause zu.

Der Officier stand in der Thür des Gast-Zimmers, als sie die Treppe herunter kamen. „Aber, wie mögen Sie“, sprach er, „Ihre Zeit mit einer so elenden Unterhaltung verderben? Was für Vergnügen kann ein verständiger Mann daran finden, sich in einem Gewühle von Menschen herumzutreiben, die, ausstaffirt, wie die Narren im Tollhause, sich zwecklos durch einander herumtreiben und drängen; wo eigentlich getanzt werden sollte, und doch niemand, der gern ohne blaue Flecke und Beulen nach Hause gehn will, tanzen mag; wo man verkleidet hingeht, ohne sich seinen Bekannten unkenntlich zu machen, indeß die Unbekannten sich, auch ohne Maske, fremd bleiben würden?“

Vermuthlich würde der alte Critiker eine eben so lange Abhandlung über die Mascaraden, als über die Schauspiele, zu Tage gefördert haben, wenn nicht unsre Freunde die Unterredung kurz abgebrochen und ihren Weg fortgesetzt hätten. Sie schlichen sich daher vor ihm vorbey und giengen.




2) Kürzlich hat der Herr von Kotzebue, der mit Recht so oft die Thorheiten des Adels lächerlich zu machen sucht, auf einmal eine Vertheydigung des Erb-Adels in die wienerische Zeitschrift einrücken lassen. Vermuthlich ist der ganze Aufsatz Ironie. Wie sollte auch ein Mann von seinen Talenten sich auf einmal so tief gesunken fühlen, daß er sich im Ernst zum Mitarbeiter eines solchen Schufts, wie Aloisius Hoffmann ist, machen wollte?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig