Epilog

Ich habe oben (gegen das Ende des zweiten Abschnitts) gesagt, dass die Emanzipation der Juden vorzüglich jetzt und für Deutschland dringend notwendig sei) und versprochen, dass ich den Grund davon später anzeigen würde. Dieses Versprechen will ich jetzt lösen.

Wenn wir in einer ruhigen Zeit lebten, wenn die Regierungen sicher ständen, wenn die Völker ihren friedlichen Geschäften ungestört nachgingen, und wenn alle, die arbeiten wollen, auch Arbeit und durch die Arbeit hinlängliches Brot fänden: so möchte man die Emanzipation der Juden allenfalls noch auf unbestimmte Zeit verschieben. Ein paar Jahre früher oder später — könnte man da sagen — was macht das aus im Leben der Völker von Geschlecht zu Geschlecht?


Allein die Dinge stehen jetzt bekanntlich anders. Wir leben in einer sehr und tief bewegten Zeit, trotz dem, dass neulich ein nach Paradoxen haschender Schriftsteller, um seine tiefe Weisheit zu beweisen, behauptete, die Bewegung sei nur oberflächlich und darum unbedeutend. Die Regierungen (worunter ich nicht bloß die Regenten selbst, sondern auch deren Ministerien verstehe) sind so wenig fest und sicher gestellt, dass keine mit voller Zuversicht sagen kann, ob sie das Ende jener Bewegung überdauern und in einen ruhigem Gang der Dinge zurückkehren werde. Und das kommt eben daher, dass die Völker, wenigstens die gebildetem, europäischen, nicht mehr bloß ihren friedlichen Geschäften nachgehen, sondern auch an den öffentlichen Angelegenheiten lebhaftem Anteil nehmen, ja sogar durch, von ihnen selbst erwählte, Stellvertreter mitregieren wollen! Überdies aber gibt es jetzt teils wegen Zunahme der Bevölkerung, teils wegen andrer Ursachen eine Menge von Menschen, die entweder nicht arbeiten wollen oder nicht Arbeit und Verdienst genug finden, und daher einen Hang zu Unruhen und Gewalttätigkeiten haben, weil sie unverständiger Weise glauben, dadurch ihren Zustand zu verbessern, während er doch nur immer schlechter werden muss. *)

*) So ist es jetzt in Lyon schlimmer als vor den letzten Unruhen. Viele Arbeiter sind daher ausgewandert, und die Stadt hat nun zwei Millionen Franken mehr Schulden als vorher.

Diese Lage der Sachen ist nun aber leider gerade für Deutschland am bedrohlichsten, weil es im Westen einen Nachbar hat, der von jeher sehr beweglich gewesen, bei dem daher die eben aufgezählten Umstände im höherem Grade stattfinden. Zugleich hat dieser Nachbar eine ganz besondere Zuneigung zu Deutschlands Grund und Boden, so dass er das Gelüste nach einem sehr bedeutenden, schönen und fruchtbaren Teile desselben, den er schon einmal obwohl nur auf kurze Zeit besessen, gar nicht unterdrücken kann. Trotz dem aber sind viele Deutsche so gutmütig — oder wie soll ich sonst sagen? — dass sie, wenn sie irgendwo der Schuh drückt, gleich nach jenem Nachbar hinschauen, meinend, er werde ihnen Hilfe bringen, da er doch in seiner eignen Not sich nicht helfen kann und daher auch die Italiener und die Polen (die so fest auf ihn bauten, dass sie sogar zwei große Mächte zum Kampfe gegen sich herausforderten) in ihrer Not sitzen ließ. Dessen ungeachtet sind jene Deutschen nicht gewitzigt worden, sondern sie schauen noch immer sehnsüchtig nach Frankreich hin und nehmen es ordentlich übel, wenn man ihnen sagt: „Was schaut ihr denn dorthin, als sollten euch gebratene Vögel in den Mund fliegen? Vögel könnten wohl von dorther kommen, aber nicht gebratene, sondern bratende. Denn sie haben noch nicht vergessen, wie gut es ihnen in Deutschland geschmeckt hat, als sie da unter der Anführung eines großen Raubvogels in Hütten und Palästen sich eine Zeit lang eingenistet hatten.“

Nun kann man nie wissen, wozu und wie weit Not oder böse Lust die Menschen treiben werde. Gesetzt also, dass in demselben Nachbarlande ein paar Augen sich natürlich oder gewaltsam schlössen, oder dass auch nur Menschen von entgegengesetzter Denkart und Gesinnung notgedrungen in den Rat des Königs berufen würden: so kommt auch gewiss ein französisches Heer nach Deutschland gezogen, um (wie es in hochtrabenden Phrasen, womit jenes Volk so freigebig ist, heißen wird) in Deutschlands Gauen das Panier der Freiheit aufzupflanzen. Und das Heer wird auch Zulauf und Unterstützung finden von allen denen, welche mit ihrem Schicksale unzufrieden sind und daher von einem neuen Umschwunge der Dinge stets ein besseres Schicksal hoffen, wenn auch Millionen ihrer Landsleute darüber zu Grunde gehen sollten.

Zu diesen Unzufriedenen werden aber notwendig die deutschen Juden der größeren Zahl nach gehören, wenn man sie nicht vorher emanzipiert und ihnen dadurch ihr Geburtsland in ein teures und liebes Vaterland verwandelt. Sie werden es dann eben so machen, wie die polnischen Juden, die man auch nicht emanzipieren, sondern nur stark besteuern wollte, und die daher lieber die Russen, von denen sie doch wenigstens Geld erhielten, als die Polen unterstützten, die von ihnen Geld forderten. *) Und zwar werden es die deutschen Juden um so mehr tun, weil sie schon höher als die polnischen gebildet sind und schon lange nach Freiheit seufzen, mithin, wenn ihnen auch die Franzosen nicht Geld geben, sondern nur dieselbe Freiheit versprechen, welche die französischen Juden schon haben, um dieses höheren Gutes willen auch den Franzosen mit um so wärmeren Herzen entgegenkommen werden. Das ist so natürlich, dass es gar nicht ausbleiben kann, und dass viele von denen, welche zu deutschen Christen erzogen worden, dasselbe tun würden, wenn man sie zu deutschen Juden erzogen hätte. Denn wie kann der Mensch Anhänglichkeit haben an sein Geburtsland, wenn es ihm kein Vaterland ist, und Liebe zu seinen Landsleuten, wenn sie ihn nicht einmal als Bürger begrüßen wollen?

*) Hin und wieder verfuhr man deshalb auch sehr grausam gegen die polnischen Juden. So ließ ein Offizier vom Korps des Generals Gielgud, das sich überhaupt, wie sein Anführer selbst, nicht gut benommen, mehre Juden auf der Stelle hängen, weil sie gegen das Verbot, sich nicht eine Viertelmeile von ihrem Wohnorte zu entfernen, wegen Mangels an Nahrungsmitteln weiter gegangen waren, um Brot zu betteln, da man ihnen alles genommen hatte. Der sehr glaubwürdige Korrespondent, der mir dies berichtet, setzt hinzu: „Diese „Schändlichkeit kann ich verbürgen; der Mörder wagte meine Schwelle zu betreten, rühmte sich der Missetat in meinem eignen Hause, in Gegenwart meiner Familie, meines Musiklehrers“ etc. Der Berichterstatter setzt hinzu, es seien auf diese Art 46 (schreibe sechs und vierzig) Juden umgekommen, und Einige der Unglücklichen seien sogar genötigt worden, selbst an ihre Glaubensgenossen Hand zu legen! Sind denn aber jene 46 Juden insgesamt russische Spione gewesen? Oder braucht man, wenn von Juden und vom Hängen die Rede ist, den Schuldigen vom Unschuldigen nicht zu unterscheiden?

Ich kann es daher auch dem jüdischen Schriftsteller Börne nicht so sehr übel nehmen, wenn er in seinen „Briefen aus Paris“ so erbittert von Deutschland und so entzückt von Frankreich spricht, wiewohl er sich in diesem Lande eben so wie in jenem für den gescheitesten Menschen hält und zugleich so ehrlich ist zu gestehen, die Franzosen hätten so etwas von Verrücktheit an sich; weshalb man auch selbst unter ihnen leicht verrückt werden könnte. Dies hat er nun allerdings in seinen Briefen bewiesen. Aber lehrreich sind diese Briefe doch. Denn die Erbitterung gegen Deutschland, die sich darin ausspricht, hat gewiss keinen andern Grund, als ein tief verletztes Nationalgefühl — verletzt durch die Schmach und Last, unter welcher sein Volk als unwürdig des Bürgertums in Deutschland noch immer seufzet. Daher bricht sein Ingrimm gerade da, wo er von diesem Gegenstande spricht, am stärksten hervor. Ja er meint sogar, man müsse die Herzen der Unterdrücker seines Volkes entweder „rühren“ oder, wenn sie sich nicht rühren ließen, „durchbohren.“ Eben so meint er in seiner Wut gegen das „verfluchte“ Deutschland, das er gern in einem Stückchen deutscher Erde symbolisch verschlingen und vernichten möchte, weil einige deutsche Gelehrte (z. B. der Philosoph Fries, der Theologe Paulus, der Historiker Voigt u. A.) den Juden nicht sehr geneigt sind, es sei keine Hoffnung, dass Deutschland (versteht sich, mit Inbegriff der deutschen Juden) frei werde, „ehe man seine besten lebenden Philosophen, Theologen und Historiker aufknüpft.“ *) Es versteht sich daher von selbst, dass dieser hypergeniale und ultraliberale Hr. Börne im Gefolge der Franzosen gleich nach dem verfluchten Deutschlande zurückkehren würde, um seine Glaubensgenossen in seinem Sinne zu bearbeiten und überhaupt die einfältigen und trägen Deutschen nach seiner Manier (z. B. durch Wertreibung aller deutschen Fürsten mit missfälligen Nasen oder durch Verbrennung der Göttinger und andrer öffentlichen Bibliotheken) zu beglücken.

*) Wiewohl ich weder ein Philosoph, noch ein Theologe, noch ein Historiker, sondern nur ein Staatsmann bin: so bitte ich doch Hrn. Börne, diese Gelehrten zu verschonen, besonders aber die Philosophen, von welchen einst ein großer König, der selbst auch ein Philosoph war, in einem Brief an einen andern Philosophen (Wolf) sagte, sie waren „les précepteurs de l’univers et les maîtres des princes“ Manche werden zwar dagegen sagen, das gehe nur auf Philosophen, die, wie der Philosoph von Sanssouci eine gefüllte Schatzkammer vor sich und ein großes Heer hinter sich haben, nicht aber auf solche pauvres diables, die weder die Eine noch das Andre haben. Allein der König spricht ganz allgemein und zugleich so verbindlich, indem er sich für die Zueignung einer philosophischen Schrift schönstens bedankt, dass man wohl sieht, er dachte wirklich so erhaben von der Philosophie, dass er sie gern als Königin der Wissenschaften neben sich auf den Thron setzte. Heutzutage denkt man freilich anders darüber. Aber zum Teile mögen wohl auch die Herren Philosophen selbst daran Schuld sein, wenn es mir mein Freund, der künftige Herausgeber dieser Schrift, nicht übel nehmen will. A. d. V. (Ich bitte recht sehr; Sie brauchen sich gar nicht zu genieren. Habe ich doch schon ganz andre Dinge hören müssen, ohne dass sie meinen Gleichmut im Geringsten gestört hätten. A. d. H. Z)

Also Emanzipation der Juden, und sobald als möglich! Denn kommt erst die Zeit der Gefahr, so ist es zu spät. Was man früher als freiwilliges, aus Liebe zur Gerechtigkeit und Billigkeit hervorgegangenes, Geschenk mit freudigem Danke angenommen hätte: das wird man später als eine durch die Not abgedrungene Konzession sehr gleichgültig empfangen. Wir haben ja schon in andrer Beziehung den casum in terminis gehabt. Also noch einmal, sobald als möglich!

Zwar sehe ich voraus, dass diejenigen, welche auf Frankreich hoffen und daher wünschen, dass die Franzosen bei einem dereinstigen Einfall in Deutschland recht viel Anhang und Unterstützung von allen Seiten, mithin auch von Seiten der deutschen Juden, finden möchten — ich sehe mit Bestimmtheit voraus, dass diese Treulosen trotz ihrer sonst mit großer Selbstgefälligkeit herausgestrichenen Liberalität und Humanität sagen werden: „Unsre Juden sind noch nicht so reif zur Emanzipation, wie die französischen und die holländischen; auch würde man dadurch dem Christentum, das in Deutschland ausschließlich herrschen muss, zu nahe treten.“ Denn die Religion hat sich leider von jeher zur Beschönigung des Unrechts und zur Erreichung böser Absichten missbrauchen lassen müssen. Ich glaube jedoch, dass die deutschen Regierungen viel zu klug sind, um sich durch so perfide Insinuationen täuschen und von der Vollbringung dessen, was recht und gut und heilsam ist, was daher ebensowohl von der wahren Religion als von einer gesunden Politik gefordert wird, abhalten zu lassen. Auch ist die angebliche Unreife der deutschen Juden gar nicht so groß, wie man sie macht. Sie wird sich daher gar bald in Reife verwandeln, wenn man nur die oben angezeigten Mittel braucht. Wollte man dagegen schlechterdings darauf bestehen, dass alle Unreife vom Bürgertum ausgeschlossen werden müssten: so würde ja dasselbe Schicksal gar viele Christen treffen. Denn finden sich unter uns Christen nicht ebenfalls noch genug rohe, folglich unreife Menschen, selbst in höheren Regionen? Und doch schließt man sie deshalb nicht vom Bürgertum ab, sondern man sucht vielmehr das Rohe zur Bildung zu erheben und eben dadurch reif zu machen.

Wenn aber die deutschen Juden emanzipiert werden: so vergesse man auch nicht eine zweite Klasse von Landsleuten, die der Emanzipation eben so bedürftig sind — ich meine die deutschen Leibeignen. Denn leider gibt es deren noch unter uns! Es wäre aber umso ungerechter und unbilliget, sie nicht zugleich mit zu emanzipieren, da sie unsre Mitchristen sind. Warum sollten sie also nicht auch unsre Mitbürger werden? *) — Gewiss, die Geschichte könnte, unsrer Zeit und unsrem Volke keine schönere Lobrede halten, als wenn es hieße: „Im zweiten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts wurden in Deutschland die Spuren alter Barbarei dermaßen vertilgt, dass man dort keine Heloten mehr sähe, weder christliche noch jüdische.“

*) Die Verfassungsurkunde des Königreichs Sachsen sagt §. 33. ausdrücklich: „Die Mitglieder der im Königreiche aufgenommenen christlichen Kirchengesellschaften genießen gleiche bürgerliche und politische Rechte.“ Folglich können solche Mitglieder nach der neuen Verfassung unmöglich noch als Leibeigne betrachtet und behandelt werden, wenn nicht diese Verfassung in einer ihrer wesentlichsten Grundbestimmungen verletzt werden soll.

Oder sollte man wirklich im zweiten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland nicht ausführen können, was man schon im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts in Dänemark ausgeführt hat? Diesen Ruhm hat sonach freilich die dänische Regierung den Regierungen derjenigen Länder, in welchen noch Leibeigenschaft stattfindet, vorweggenommen. Allein es ist nicht minder rühmlich, einem guten Beispiel zu folgen, als es zu geben. Und noch höheren Ruhm würden diese Regierungen erlangen, wenn sie nächst den Leibeignen auch die Juden emanzipierten. Denn diese sind in Dänemark noch nicht emanzipiert. Also fia!