Beendigung des Kampfes

Wenn der mehr als tausendjährige, durch Religionshass erregte und durch Eifersucht genährte, für beide Teile aber entehrende und unheilvolle Kampf zwischen Christen und Juden so beendigt werden soll, dass er nicht über kurz oder lang von neuem ausbreche: so gehört dazu eine wahrhafte unvollständige Emanzipation der Juden in christlichen Staaten. Darunter verstehe ich nämlich eine solche, welche zugleich alles beseitigt, was beide Teile von einander entfernen, und alles befördert, was beide Teile einander annähern, sie gleichsam homogen machen kann. Hierzu scheinen mir nun folgende Mittel oder Maßregeln als unumgänglich notwendig:

1. Unbedingte Gestattung der Ehen zwischen Christen und Juden. Denn nichts verschmilzt getrennte Parteien oder Völkerschaften mehr, nichts söhnt sie gründlicher mit einander aus, als die eheliche Verbindung, das erste und natürlichste Band der Menschengesellschaft. Hätten Gallier und Franken, Britten und Sachsen sich nicht mit einander geschlechtlich verbunden: so würden sie noch heute kein homogenes Ganze, kein Volk bilden. Nun hat man zwar die Ehen zwischen Christen und Juden nicht unbedingt verboten, aber doch meist nur unter sehr erschwerenden Bedingungen gestattet, die zum Teil sogar ungerecht und unsittlich, im höheren Sinne des Worts, auf jeden Fall aber unpolitisch waren, weil sie eben die innigere Annäherung der getrennten Parteien verhinderten. Eine solche Bedingung war, dass der Jude, der eine Christin, und die Jüdin, die einen Christen heiraten wollte, sich erst taufen lassen musste. Ein offenbarer Eingriff in die Gewissensfreiheit, der nur zur Heuchelei führt und auf immoralischer Proselytenmacherei beruht. Denn man rechnete darauf, dass, wenn auch der jüdische Teil sich nicht aus Überzeugung von der Wahrheit des Christentums taufen ließe, er doch aus Liebe zum andern Geschlechte oder gar aus Rücksicht auf dessen Vermögen, Rang oder andre Verhältnisse, ein Glied der christlichen Kirche werden würde. Sind denn aber das edle und würdige Motive zu einem Religions- oder Konfessions-Wechsel? Und wie, wenn jemand den nicht aus Überzeugung getanen Schritt bereut? wenn er sich Vorwürfe darüber macht? wenn sein Gewissen dadurch geängstigt wird? Muss das nicht den Frieden seiner Seele und also auch sein eheliches, häusliches, vielleicht selbst sein ganzes zeitliches Glück zerstören, wenn man auch nicht an das ewige Heil denken wollte? Ich kenne eine Jüdin, die sich aus Liebe zu einem christlichen Manne taufen ließ, während der Taufhandlung aber, ungeachtet der würdige Geistliche dieselbe sehr abkürzte und manches für Juden besonders Anstößige davon entfernte, in eine solche Gewissensangst geriet, dass sie fast in Ohnmacht sank. Auch ist mir erzählt worden, dass ein andrer jüdischer Proselyt, der aus demselben Grunde übergetreten war, deshalb auf seinem Totenbett von der fürchterlichsten Gewissensangst gequält wurde. Ist es wohl christlich, ein Menschenherz auf eine geistige Folter dieser Art zu spannen? Also weg mit einer solchen Bedingung! — Aber auch noch eine andre Bedingung ist unstatthaft. Man hat nämlich zwar in einigen Ländern die Ehe zwischen Christen und Juden, ohne dass sich diese taufen lassen, gestattet, aber nur unter der Bedingung, dass alle aus so gemischtes Ehen hervorgehende Kinder getauft würden. Das ist aber eben so ungerecht, als wenn man von katholischer Seite fordert, dass die aus ehelichen Verbindungen zwischen Katholiken und Protestanten entspringenden Kinder zu Katholiken erzogen werden sollen. Hier muss völlige Rechtsgleichheit stattfinden. Die Söhne folgen daher dem Vater, die Töchter der Mutter in Ansehung der Religion. Man fürchte doch nicht, dass dies die Eintracht stören werde! Im Gegenteil, es befördert sie. Wenn Gatten verschiedener Religion in der Ehe leben, wenn sie sich gegenseitig achten und lieben, und wenn sie eben dadurch ihren Kindern ein gutes Beispiel geben: so werden auch die mit einander aufwachsenden Kinder sich als Geschwister achten und lieben lernen, ungeachtet der Religionsverschiedenheit. Die allgemeine Duldsamkeit und Verträglichkeit zwischen verschiedenen Religionsparteien, also auch zwischen Christen und Juden, wird dadurch mächtig gefördert, und zugleich jenen geheimen und schändlichen proselytenmacherischen Umtrieben vorgebeugt, welche so oft den häuslichen Frieden stören.

2. Unbedingte Gestattung des Dienens christlicher Personen in jüdischen Familien. Dass Christen Juden in Dienst nehmen sollten, ist nicht so leicht zu erwarten, daher auch nirgend verboten. Wohl aber ist hin und wieder den Juden verboten, Christen in Dienst zu nehmen! Vermutlich wollte man dadurch verhüten, dass nicht die christliche Dienerschaft durch die jüdische Herrschaft zum Judentume verführt würde. Allein obwohl die Proselytenmacherei sonst auch bei den Juden stattfand — weshalb Jesus in einem bekannten Spruche sein Wehe über die Proselytenmacher seiner Zeit ausruft und sie Kinder der Hölle nennt — so hat sich doch dieser proselytenmacherische Eifer jetzt bei den Juden ganz verloren. Sie sind froh, wenn nur die christlichen oder vielmehr (wegen des oben anführten Spruchs) unchristlichen Proselytenmacher sie in Ruhe lassen. Warum sollte man ihnen also nicht erlauben, Christen als dienende Personen in ihre Familien aufzunehmen? Man sollte vielmehr es gern sehen, weil auch dies die Annäherung beider Teile befördern kann. Und in der jetzigen Zeit, wo es so viel arbeits- und brotlose Menschen unter uns gibt, sollte man ja wohl doppelt froh sein, wenn arme Christen in jüdischen Familien Arbeit und Brod finden und dadurch vielleicht von manchem Verbrechen abgehalten werden.


3. Gemeinsamer Unterricht christlicher und jüdischer Kinder. Jugendliche Gemüter bindet nichts mehr, als gemeinsamer Unterricht. Durch ihn werden oft Freundschaften auf Leben und Tod geschlossen. Da nun die Juden an vielen Orten entweder gar keine oder nur sehr schlechte öffentliche Unterrichtsanstalten haben: so ist es recht und billig und auch förderlich für die beiderseitige Eintracht, dass den Kindern der Juden die höheren sowohl als niederen Lehranstalten der Christen offen stehen, jedoch nur zur freien Benutzung. Also ums Himmels willen kein Zwang in dieser Hinsicht! Folglich darf auch den Kindern der Juden, wenn sie unsre Schulen besuchen, nicht zugemutet werden, dass sie am christlichen Religionsunterrichte teilnehmen. Wollen es die Eltern, desto besser! Wo nicht, so mögen sie ihre Kinder in der Religion selbst unterrichten oder von jüdischen Lehrern unterrichten lassen. Daher wäre es auch gut, wenn man da, wo es viele Judenkinder gibt, für dieselben an den öffentlichen Lehranstalten einen besonderen Lehrer ihres Glaubens anstellte. Und wenn der oben erwähnte Kurfürst von der Pfalz im 17. Jahrhunderte keinen Anstoß daran nahm, einen Juden als Professor der Philosophie auf seiner Landes-Universität anzustellen: so sehe ich nicht, ein, warum man im 19. Jahrhunderte Anstoß daran nehmen sollte, einen gelehrten Rabbiner als Professor der jüdischen Theologie auf unsern Universitäten anzustellen oder überhaupt jüdische Gelehrte, wenn sie sonst dazu geeignet sind und das Vorgeschriebene leisten, als akademische Dozenten zuzulassen. — Wären auf den christlichen Lehranstalten Benefizien (Stipendien, Freitische etc.) für die Lernenden gestiftet: so, würden die Juden auch daran teilnehmen, vorausgesetzt, dass jene Benefizien von den Stiftern nicht ausdrücklich für, ihre christlichen Glaubensgenossen bestimmt wären. Es müsste aber auch den Luden freistehen, für ihre Glaubensgenossen dergleichen zu stiften. Indessen gestehe ich offen, dass ich solche Ausschließlichkeit nicht liebe, weil sie Engherzigkeit verrät. Könnte ich daher eine solche Stiftung machen: so würde ich ausdrücklich verordnen, dass Christen und Juden daran teilnehmen sollten. Denn das ist ganz dem Geiste des Christentums gemäß; wie die bekannte Erzählung vom barmherzigen Samariter beweist, der nicht erst fragte, wes Glaubens der Hilfsbedürftige sei. Eine Wohltätigkeit, die erst danach fragt, ist also gewiss keine christliche.

4. Unbeschränkte Erlaubnis des Zusammenwohnens von Christen und Juden. Das Absperren der Juden in sogenannte Judenviertel oder Judengassen muss als ein Überbleibsel aus dem rohen und unduldsamen Mittelalter ganz aufhören, wo es noch stattfindet. Man sagt zwar, es geschehe wegen des Schmutzes der Juden. Wenn man aber alle schmutzige Leute von den reinlichen absperren wollte: wie viel Christen müssten da nicht gleichfalls abgesperrt werden! Lasse man doch jeden wohnen, wo er will! Das gemischte Untereinanderwohnen kann selbst dazu beitragen, dass die Schmutzigen sich ihres Schmutzes schämen lernen und reinlicher werden; wie es denn auch die Annäherung zwischen getrennten Religionsparteien befördert. Folglich ist auch aus diesem Grunde das Zusammenwohnen von Christen und Juden auf keine Weise zu beschränken.

6. Unbeschränkte Erlaubnis, für die Juden, jedes Lebensgeschäft zu betreiben, zu welchem sie fähig und geschickt sind. Dies ist ein Hauptpunkt, wie der erste. Ja sie bedingen sich gegenseitig. Denn wenn den Juden unbedingt gestattet sein soll, Christen zu ehelichen: so muss ihnen auch jedes Lebensgeschäft und jeder damit verknüpfte Erwerb zum Lebensunterhalte gestattet sein, weil sonst die Christen, die mit Juden verehelicht wären, offenbar an ihrem bisherigen Rechte verkürzt würden, wenn sie nun nicht, mehr jedes Lebensgeschäft, zu welchem sie, fähig und geschickt wären, wie bisher betreiben dürften. Allein dieser Punkt ist auch in andrer Beziehung sehr wichtig. Es ist im ersten Abschnitte dieser Schrift gezeigt worden, dass die Beschränkung der Juden auf den Handel, wie sie bisher in den meisten christlichen Staaten stattfand, allerdings dem Charakter der Juden geschadet hat. Folglich ist es schon in moralischer Hinsicht notwendig, dass diese Beschränkung aufhöre. Eben so aber auch in politischer. Nie wird der Staat auf die Juden in der Mehrzahl — denn, wie schon bemerkt, ehrenvolle Ausnahmen gibt es überall — als auf treue, ihm ganz, selbst auf Leben und Tod, ergebene Söhne des Vaterlandes (also auf Staatsbürger im vollen Sinne des Wortes, die nicht bloß alle Bürger-Rechte ansprechen, sondern auch alle Bürger-Pflichten erfüllen und gern erfüllen) rechnen können: so lange der Staat selbst die Juden auf das kosmopolitische Geschäft des Waren- oder Geldhandels beschränkt. Der Staat muss also den Juden auch erlauben, Ackerbau zu treiben, Handwerke jeder Art auszuüben, Künste und Wissenschaften zu erlernen, um sie nicht bloß theoretisch für den Unterricht, sondern auch praktisch für das Leben in jeder Beziehung zu benutzen. Daraus folgt von selbst, dass die Juden auch zum Staats- und Kriegsdienste zuzulassen sind. Die Sabbatfeier ist kein Hindernis. Denn die Juden sind darin nicht mehr so streng und werden es immer weniger werden, wenn sie erst emanzipiert sind. Es ist sogar zu hoffen, dass sie sich hierin nach der Mehrzahl ihrer Mitbürger richten und daher jene Feier auf den Sonntag verlegen werden, indem sie Verstand genug haben, um einzusehen, dass es ganz einerlei ist, ob man Gott Sonnabends oder Sonntags verehrt, da man ihn eigentlich alle Tage durch fromme Gesinnung und durch Fleiß in guten Werken verehren soll. Freilich werden anfangs dies nur Wenige tun und diese von den Übrigen vielleicht als Sabbatschänder verschrien werden. Allein das schadet nichts. Nach und nach werden schon Mehrere dem Beispiele folgen. Denn gute Beispiele reizen ebenso wohl als böse zur Nachfolge. — So glaube ich denn nun ferner, dass in repräsentativen Staaten die Juden auch an der Volksvertretung teilnehmen müssen, wenn sie sonst nach dem Wahlgesetze dazu geeignet sind. Anfangs werden sie allerdings wegen der überwiegenden Mehrzahl der Christen nicht viel Stimmen erhalten. Allein das wird sich nach und nach schon ändern. Die Christen werden sich dann nicht mehr scheuen, einem durch Vermögen, Einsicht und Rechtschaffenheit ausgezeichneten Juden ihre Stimme zu geben. Übrigens versteht es sich von selbst, dass, wenn das Wahlgesetz die Ansässigkeit zur Bedingung der Wahlfähigkeit gemacht hat, den Juden gestattet sein müsse, diese Bedingung durch Ankauf von Häusern und andern Grundstücken zu erfüllen. Man könnte sie ja sonst überhaupt nicht als Emanzipierte betrachten? und dem Ackerbau würden sie sich auch nicht mit Eifer ergeben, wenn sie denselben nur als Diener, und Pächter, nicht als Herren und Eigentümer treiben sollten. Dass sie mit solchen Immobilien handeln würden, ist ein wunderlicher Einwurf. Es tun ja das auch Christen. Wie man aus tausend Ankündigungen in öffentlichen Blättern sieht. Warum sollte es also dem Juden zum Verbrechen gemacht werden, wenn er einmal ein Haus oder ein andres Grundstück höher verkauft, als er es gekauft hat? Solche Einwürfe sind nur Erzeugnisse des Neides oder gar des Hasses *).

*) Da dieser Neid und Hass vorzüglich dadurch genährt worden, dass manche jüdische Handelshäuser zu einem ungeheuren Vermögen gelangten, ob es gleich auch christliche Häuser dieser Art in älteren und neueren Zeiten genug gegeben hat: so würde jenem Übelstande, wofern es überhaupt einer ist, eben dadurch vorgebeugt werden, dass man teils die ehelichen Verbindungen zwischen Christen und Juden unbedingt erlaubte, wie oben (Nr. I.) gefordert worden, teils die Juden von den ausschließlichen und allzu emsigen Handelsbetriebe auf die Art abzöge, wie so eben (Nr. 5.) gezeigt worden. Übrigens hat man das Letztere schon früher eingesehen und zum Teile versucht, aber nicht ernstlich und umfassend genug; weshalb der Versuch nicht gelang. So heißt es in der Schrift: Moses Mendelssohn — von J. Heinemann (Leipzig, 1831. 8. S. 18. und 19.): „Man versuchte auch, aber oft ohne Erfolg, junge Juden in den Werkstätten der Handwerker unterzubringen, um sie dem Handel zu entziehen, während die Zünfte alles anwendeten, um sie daraus zu entfernen. Und doch konnte unmöglich diese Nation aus ihrem verächtlichen Zustande treten, wenn man ihr nicht die Freiheit gewährte, nicht mehr auf den nämlichen Kreis der Beschäftigungen beschränkt zu sein.“ — Warum hat man dies aber von Seiten der Christen bisher so wenig beherzigt?

6. Völlige Freiheit des Gottesdienstes für Juden wie für Christen. Dies versteht sich nach dem bisherigen eigentlich auch von selbst. Man hat aber den Juden in dieser Beziehung die seltsamsten Beschränkungen aufgelegt. Bald durften sie keines Synagogen bauen, bald wollte man sie nötigen, bei der alten Form ihres Gottesdienstes zu beharren. Was haben wir Christen für Recht dazu? Und kann es uns nicht völlig einerlei sein, ob die Juden so oder anders ihren Gott verehren, ob sie hebräische Psalmen oder deutsche Lieder (vielleicht gar aus unseren Gesangsbüchern) singen, ob sie dogmatische oder moralische, supernaturalistische oder rationalistische Vorträge anhören? — Dass dem Staate auch in Bezug auf den jüdischen Gottesdienst das polizeiliche Oberaufsichtsrecht zukommt, ist gewiss. Aber eben so gewiss ist es, dass sich dasselbe nicht so weit erstrecken kann, um den Juden vorzuschreiben, was sie glauben oder wie sie Gott verehren sollen. Entstehen darüber unter den Juden Streitigkeiten oder Spaltungen: so hat der Staat eben so wie bei den religiösen Streitigkeiten oder Spaltungen der Christen nicht eher einzuschreiten, als bis sie in Tätlichkeiten, Beleidigungen oder Rechtsverletzungen übergehen. Jede anderweite Einmischung der Staatsgewalt ist vom Übel.

7. Aufhebung der christlichen Missionsvereine zur Bekehrung der Juden. Was würde man wohl sagen oder tun, wenn es den Juden einfiele, jüdische Missionsvereine zur Bekehrung der Christen zu stiften? Gewiss man würde sie nicht dulden, augenblicklich auf deren Auflösung dringen; und mit Recht. Denn solche Proselytenmacherei kann der Staat vernünftiger Weise nicht zugeben, weil sie den bürgerlichen Frieden stört. Man verstehe mich aber hier nicht falsch! Die Ausbreitung des Christentums durch freie Verkündigung des Evangeliums, wie es einst die Apostel machten, ist eine herrliche und verdienstliche Sache. Man sende also in Gottes Namen Prediger des Evangeliums nach Asien, Afrika, Amerika und Australien! Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn nur diese Missionare nicht statt des Evangeliums ihre beschränkte kirchliche Dogmatik predigen, und wenn sie nur dabei keine hierarchischen Zwecke verfolgen, also die Neubekehrten nicht tyrannisch behandeln; wie es leider oft geschehen ist, besonders von manchen katholischen, zum Teil aber auch protestantischen (vornehmlich britischen) Missionaren *). Was sollen denn aber Missionen zur Bekehrung der Juden fruchten? Die Juden leben ja mitten unter uns, können unsre Religionsschriften, sowohl populäre als gelehrte, jeden Augenblick lesen, sobald sie nur wollen, können auch unsre Tempel besuchen und die Vorträge unsrer Prediger anhören; was auch manche wirklich tun, wie es schon Spinoza tat. Hier haben sie also alle mögliche Gelegenheit, das Christentum kennen zu lernen, mithin auch dasselbe anzunehmen, wenn sie durch freie Überzeugung (den einzig richtigen Weg, zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen) den Vorzug des Christentums vor dem Judentume anerkannt haben. **)

*) Den Nachrichten, welche Otto von Kotzebue in der Beschreibung seiner Reise um die Welt darüber gegeben, hat zwar neuerlich der britische Missionar, William Ellis, widersprochen und jenen Berichterstatter sogar einen deliberate caluminator genannt. Da er aber selbst dabei beteiligt ist, so ist sein Widerspruch noch keine Widerlegung. Eine Untersuchung der Sache an Ort und Stelle, von unparteiischen Männern angestellt, würde allein sichern Aufschluss geben können. Dass jedoch die Missionare in entfernten Weltgegenden mit den Neubekehrten nicht immer sanft umgehen, ist schon eine alte Klage.

**) Wie unsinnig war es doch, dass man in Rom sonst (ob es noch heute geschieht, weiß ich nicht) die Juden zu gewissen Zeiten in die christlichen Kirchen trieb, um sie zu nötigen, eine mönchische Kontrovers-Predigt gegen das Judentum anzuhören. Die Juden stopften sich aber gewöhnlich die Ohren mit Wachs oder Baumwolle zu, um den mönchischen Unsinn nicht zu hören.

Darum fruchten jene Missionen gar nichts. Sie können wohl allenfalls diesen oder jenen Juden durch Überredung oder andere Mittel, die noch schlechter sind, gewinnen. Aber das Volk im Ganzen bleibt, was es ist. Und selbst die Verständigeren und Besseren tragen Bedenken, einen Schritt zu tun, der ihnen das Ansehen geben könnte, als suchten sie dadurch nur äußeren Vorteil zu gewinnen. So machte es Spinoza, der zwar mit dem Judentum zerfallen war und daher auch die Synagoge nicht mehr besuchte, aber doch nicht zum Christentum übertreten wollte, ungeachtet ihm ein Jugendfreund, der katholisch geworden war, deshalb sehr zusetzte. Eben so verhielten sich in dieser Hinsicht Moses Mendelssohn, den Lavater auf eine nicht minder zudringliche Weise aufforderte, seinem Glauben zu entsagen und das Christentum anzunehmen, Lazarus Bendavid, Salomen Maimon, David Friedländer und andre durch Kenntnis und Charakter ausgezeichnete Juden. Und welcher Unbefangene mag sie deshalb tadeln? Jener Judenbekehrungseifer ist ja, wie alle Proselytenmacherei, bloß aus dem römisch-katholischen Grundsatze entsprungen: Extra ecclesiam nulla salus — einem Grundsatze, der schon darum falsch ist, weil er der unendlichen Gnade und Barmherzigkeit Gottes mit liebloser Härte kleinliche Schranken setzt. Weg also mit solcher Proselytenmacherei, mag sie gegen andersgläubige Christen oder gegen Juden geübt werden! Weit besser und notwendiger als solches Proselytenmachen ist das Emanzipieren der Juden, um sie dadurch vorerst auf eine höhere Stufe der Zivilisation und der Bildung überhaupt zu erheben. Dann werden sie sich auch in religiöser Hinsicht den Christen nähern und nach und nach (wenn das Christentum selbst auch manches ihm von menschlicher Willkür Aufgedrungene abgelegt hat) vielleicht ganz mit den christlichen Völkern verschmelzen. Die Emanzipation ist und bleibt aber die conditio sine qua non davon. Also muss diese allen sogenannten Bekehrungsversuchen schlechterdings vorausgehen. Denn dadurch lernen die Juden das Christentum auch praktisch von seiner liebenswürdigen Seite kennen. Bisher aber musste es ihnen mehr als Religion des Hasses denn als Religion der Liebe erscheinen. Wie hatten sie also demselben ihr Herz eröffnen können! *)

Mit großer Freude bemerke ich so eben, dass auch ein christlicher Prediger in Ansehung der letzten beiden Punkte (Nr. 6. und 7.) ganz meiner Meinung ist. Man vergleiche einen Aufsatz in der Allg. Kirchenzeitung (Nr. 200. des J. 1831) vom Pfarrer Schultze in Gültzow bei Lauenburg, unter dem Titel: „Meine Unterredung mit dem sel. O. Gurlitt in Hamburg über den dortigen neuen israelitischen Tempel und die sich zu ihm haltende Judengemeine.“ Dieser Aussatz schließt mit den merkwürdigen Worten: „Was können aber hieraus die Judenbekehrer wohl mehr lernen, als dass sie sich ihre Mühe ersparen können und dass das Judentum sich selbst reformieren muss und selbst reformieren wird?“ — wenn man ihm nämlich volle Freiheit lässt und daher auch die Bekenner desselben vor allen Dingen emanzipiert.

Ich bin nun überzeugt, dass nur, wenn man diese sieben Mittel oder Maßregeln anwendet, der Kampf, welcher Christen und Juden so lange gequält hat, beendigt werden kann, dass also dies keine böse, sondern eine gute Sieben ist. Sie müssen aber alle zusammen, nicht etwa vereinzelt, und auch baldigst angewandt wenden, wenn nicht aus jenem Kampfe noch großes Unheil entspringen soll. Und das ist es, was ich noch zum Schlusse dieser Schrift zu erweisen habe.