Dreizehntes Kapitel. Wie schwer es hält, nach einem großen Unglücksfall wieder zur Ruhe zu gelangen. — Eine Freundin von mir will mich verheiraten. — Ich will und kann mich nicht dazu entschließen.

Aufenthalt bei meinem Vater. — Meine Stiefmutter. — Ich verlasse beide. — Mich wandelt der Gedanke an, Trappist zu werden. — Aufenthalt im Kloster de la Trappe. — Geschichte eines Trappisten. — Aufenthalt in der Normandie; ich führe ein Jägerleben. — Herr von Nocé. — Er ahnt die Revolution. — Seine und meine Ansichten darüber. — Des Kaisers Joseph II. Aufenthalt in Frankreich. — Seine Schilderung. — Urteile über ihn. — Die Königin. — Ihre Verbindung mit ihrem Bruder. — Prüfung der Nachrichten und Verleumdungen über ihr öffentliches und geheimes Leben. — Rechtfertigung. — Aufschlüsse. — Wahrheit. — Ihr Verhältnis zum König; zum Herzog von Coigny; zum Grafen von Fersen. — Ich schreibe ein Lustspiel. — Es wird angenommen. — Frau von Angevillers. — Ihr Gatte liebt die vornehmen Schriftsteller nicht. — Die Literatur kurz vor der Revolution. — Ihr Verfall. — Marmontels Urteil darüber. — Vorschlag zu einer literarischen Polizei. — Vorfall auf dem Opernballe. — Folgen. — Mein Zusammentreffen mit dem Liebhaber meiner Schönen. — Mein Versprechen, sein Glück nicht zu stören. — Weibliche Rache. — Ich will in die diplomatische Laufbahn eintreten. — Ich werde ihrer bald überdrüssig. — Was wäre in derselben aus mir geworden? — Betrachtungen über den Ehrgeiz und das Glück. — Nachteile des Verstandes. — Nachteile einer gefälligen Gestalt.

On se désintéresse à la fin de soi-même;
On cesse de s’aimer si quelqu’un ne nous aime,
Et d’insipides jours, l’un sur l’autre entassés,
S’écoulent lentement, et sont vite effacés.*)


*)Diese vier Verse sind, wie ich glaube, von der Frau von Stael und würden hinreichen, ihr einen Ruf zu machen, wenn sie auch weiter nichts geschrieben hätte. Sie drücken den Augenblick lebendig aus, wo ein Liebhaber sie verlassen hat. Verf.

Wie schwer ist es, ans Leben und die Täuschungen, die es liebenswert machen, wieder anzuknüpfen, wenn uns trübselige Begebnisse davon losgerissen haben, deren Erinnerung uns bei jedem Schritte verfolgt! Was sind die Freuden, die es uns bietet? Lockungen, denen wir mißtrauen. Das Glück scheint nur Schlingen legen zu können; unsere Hoffnungen, unsere Gedanken selbst haben ihre Flügel verloren, wir bleiben auf der Stelle stehen, wo das Unglück uns erreicht hat. Dem verwundeten Vogel gleich, der aufzufliegen versucht, aber bald ohnmächtig und blutend auf den Boden zurücksinkt, strebt unsre Phantasie, sich zu neuen Luftbildern emporzuschwingen, fällt aber sogleich wieder mutlos zurück, weil das Gefühl der Freude ihr fremd geworden ist, und Schwermut jeden Nerv lähmt. Die einzige Hand, welche Leiden zu lindern vermag, die Zeit, träufelt allmählich den Balsam des Trostes in das wunde Herz – für gewisse Gemüter ein Heilmittel, für andere ein Palliativ. Mir hat sie die Geduld zugeteilt, das zu ertragen, was sie nicht zu heilen vermag.

Eine Frau, die mir nie mehr war als eine Verwandte, eine Frau, die in mein Herz blickte, sich über meine Traurigkeit betrübte, und mich zerstreuen wollte, gab sich Mühe, mich zu verheiraten. Sie fand zwei Partien für mich, beide tadellos. Meine Wahl mochte ausfallen, wie sie wollte, so konnte ich dabei nicht verlieren; in beiden Fällen zog ich ein gutes Los. Ich entschied mich für das junge Mädchen, das mir die angenehmste Unterhaltung und das reinste Glück zu versprechen schien. Ich warb ohne Zudringlichkeit, meine Bewerbung schien angenehm, alles glaubte, ich sei meiner Sache gewiß – aber als nur noch das Jawort zu erhalten und der Lohn meiner Beharrlichkeit einzuernten war, entsagte ihm – ich weiß selbst nicht, welches von beiden – mein Kopf oder mein Herz.

Um diese Zeit hatte mein Vater ein hübsches Landgut im Tale von Montmorency gekauft und sich in der Nähe seines Freundes, des Comthur von Champignolles, niedergelassen. Ich nahm meine Wohnung bei ihm; er empfing mich mit väterlicher Zärtlichkeit und hatte Mitleid mit meinem Schmerz, dessen Größe und Dauer ihm aber nicht einleuchteten. Seine gütige Behandlung ist mir noch jetzt gegenwärtig, und macht mir sein Andenken teuer. Was aber die sogenannten Täuschungen und die Stimme des Bluts betrifft, so muß ich gestehen, daß ich jene nie gefühlt, diese nie vernommen habe. In meinen Augen ist der Umstand, daß mir jemand das Leben gab, nur ein schwacher Grund, eine schwache Verpflichtung, ihn zu lieben, wenn er keine andern Ansprüche auf dieses Gefühl hat, als das bloße Ungefähr, wenn seine Rechte sich nicht auf Handlungen gründen, die sein Wille bestimmt.

Meine Stiefmutter, hierin den meisten Frauen gleich, nahm an meiner Schwermut, weil sie ihren Grund in der Liebe hatte, innigen Anteil. Eine solche Stimmung ist für das schöne Geschlecht gefährlich, und führt es schnell dahin, den zu lieben, den es anfangs nur bedauerte. Ich selbst war gegen die Teilnahme, die sie mir bewies, nicht unempfindlich; doch beim ersten lebhaften Gefühl, das ich in mir gewahrte, beschloß ich, mich zu entfernen. Ich tat es, ohne Aufsehen zu machen, und nach einem Aufenthalt von einigen Monaten vertauschte ich ihn mit der Normandie und mit der Jagd, die mich ermüden, zerstreuen und meiner vergessen machen sollte. Auf der Reise dahin ergriff mich eine plötzliche Eingebung. Ich wollte Trappist werden und mich in dieser Menschenwüste lebendig begraben. Ich lenkte vom Wege ab. So wie ich dem Kloster nahte, malte sich meine Phantasie eine Wildnis, eine Todesstille und das finstere Gefolge der Melancholie; ich fand aber in der Wirklichkeit weder jene friedliche Abgeschiedenheit noch jene rauhe und öde Gegend, die ich in Büchern erträumt hatte. Ich fühlte meinen Eifer erkalten. In den Gärten, wo ich die unglücklichen Brüder unter dem Joche schwerer Arbeit sich krümmen sah, konnte ich mich nicht enthalten, den Stifter des Ordens anzureden. „Unglücklicher Schatten,“ sprach ich, „abwechselnd Sünder und Heiliger, abwechselnd fühlend und Barbar, Rancé, dein Orden hat nichts von jenem feierlichen überirdischen Reize, den meine Jugend ihm lieh!! Auf den nichtssagenden bleichen Stirnen deiner Jünger lese ich nichts, in ihren Augen finde ich nicht die Funken der Liebe, des büßenden Ehrgeizes; auf ihren Wangen nicht die Verheerungen der brennenden Leidenschaften der Welt. Ueberall um mich ist das Schweigen des Lebens, aber nicht die Ruhe des Todes. – Auch du, auch du hast mich betrogen!“ –

Man erwies sich im Kloster gegen die Fremden sehr gefällig. Für mich bestimmte man das Zimmer, welches der Herzog von Penthièvre bewohnt hatte. Die Erinnerung an seine Tugenden söhnte mich nicht mit der magern Kost aus, die ihm gereicht worden war und die auch ich erhielt. Ich hätte mich an Brot und Wasser gewöhnen können, aber nicht an die nicht eßbare Speise, die man mir vorsetzte. Dabei war die geistige Kost nicht schmackhafter. Ich fand eine zahlreiche aber schlecht gewählte Büchersammlung. So schwand schon am dritten Tage meiner Probezeit meine Neigung dahin; mich interessierte schon nichts mehr, als die Erzählung eines Mönches, des einzigen, der, wenn ich es sagen darf, romantische Züge im Gesicht trug und eine Stirn, auf der die tiefen Leiden eingegraben waren, aus welchen Liebe zur Einsamkeit und zum abgestorbenen Leben, Haß und Abscheu gegen die Welt entspringen. Er war mir zur Dienstleistung beigegeben worden, und ich mußte wiederholentlich in ihn dringen, ehe es mir gelang, meine Neugier befriedigt zu sehen.

Er selbst mag reden.

„Mein Name ist Barbazan, mein Geburtsort Toulouse. Ich wäre der Gegenstand eines berühmten Rechtshandels geworden, wenn ich mich ihm nicht entzogen, und die Anzahl der Unglücklichen vermehrt hätte, welche hier büßen. Ich habe gedient. Mein Vater zeichnete sich als Advokat durch einen rechtlichen, aber harten Charakter aus. Seine unbeugsame Strenge als Richter war in sein häusliches Leben übergegangen und erregte meinen Widerwillen gegen den Stand, für den er mich bestimmt hatte. Durch den Einfluß eines Verwandten erhielt ich eine Leutnantsstelle und verließ meine Vaterstadt. Nach einigen Jahren kehrte ich zurück. Nun fesselten mich die Reize der Tochter eines Parlamentsrates, eines Freundes unserer Familie, aber in ungleich besseren Vermögensverhältnissen. Mein Vater war der erste, der mir zu verstehen gab und sogar deutlich erklärte, er werde meine Bewerbung höchst ungern sehen. Er setzte hinzu: je mehr die Tochter seines Freundes zu den ersten Partien der Stadt gehöre, desto weniger müsse man sich einer abschlägigen Antwort und dem Verdacht eigennütziger Liebe aussetzen. Die junge Person erhielt von ihren Eltern ähnliche Vorschriften, und zuletzt wurde uns förmlich verboten, uns zu sehen. Um dieser Maßregel gehörigen Nachdruck zu geben, brachen auch die Väter verabredetermaßen ihren Umgang ab. Doch die Liebe saugt aus Hindernissen Leben und Nahrung, sie spottet der Schranken, sie machte uns erfinderisch. Wir kamen nachts zusammen. Der Himmel schien unser Vertrauter und Begünstigter zu sein; er deckte seinen Schleier über unsere Liebe, über ihre Folgen. Aber ach! endlich entzog er uns seinen Schutz.

Das Verbrechen, das er mich, obschon nicht vorsätzlich, begehen ließ, macht mich zum Ungeheuer in meinen Augen. Ich habe meinen Vater umgebracht. In einer stockfinsteren Nacht komme ich nach Hause, steige eine Geheimtreppe hinauf, fühle mich von einer kräftigen Hand ergriffen. ... Der Zuruf: „Bube!“ hätte mich an die Stimme erinnern sollen, die ihn ausstieß. Ich verkenne sie. Ich war bewaffnet; ein Pistolenschuß streckt den Verwegenen zu meinen Füßen, der es wagt, mich anzufallen und mich die Treppe herabstürzen will. Der Verwegene war – ich hab’ es schon gesagt – war mein Vater. Der Knall weckt das Haus, man eilt mit Licht herbei, ich sehe den Schein von weitem, ergreife die Flucht, werfe mich auf ein Pferd, eile aus Frankreich. Mein unglücklicher Vater hatte alles erfahren und sich ohne Vorwissen seines Freundes in den Stand gesetzt, mich zu überführen, mich zu bestrafen. Seine strenge Rechtlichkeit erlaubte ihm nicht, meiner Leidenschaft nachzusehen und meinen Betrug zu verzeihen. Er hatte schon einen Verhaftsbefehl ausgewirkt und würde mir nur zwischen Westindien und einem finstern Kerker die Wahl gelassen haben. Seine wohlüberlegte Absicht ging offenbar dahin aus, mir Glück und Freiheit zu rauben, als ich, unwissend und schuldlos, sein Mörder ward. Die näheren Umstände habe ich erst später erfahren.

Ich irrte einige Jahre in Spanien umher und vernahm, daß die von mir Verführte Leben und Reue in einem Kloster vergraben hatte. Ich hielt es für Pflicht und mich für stark genug, ihrem Beispiele zu folgen und fand es edler, in meinem Vaterlande die Kutte und das härene Hemd zu tragen, als im Auslande ehrlos mein Brot vor den Türen zu betteln. Seit mehr als zwanzig Jahren suche ich mich mit mir auszusöhnen, ohne mich über mein Verbrechen zu trösten, ohne mich an mein Grab gewöhnen zu können. Der Pfad, der hier aus dem Leben führt, ist mit Dornen bedeckt; man büßt zu schwer für die Schuld, geboren zu sein. Anstatt unmerklich in das Grab zu sinken, muß man es sozusagen erklimmen; und jeden Schritt, der zur schroffen Felsenspitze führt, von der man endlich herabgestürzt wird, mit Schmerzen erkaufen.“

Seine Erzählung, mit dem Akzent des südlichen Frankreichs vorgetragen, der Aufmerksamkeit gebietet, war einfach und kurz. ... Nachdem er sie beendet, legte er sich, mit sichtbarer Freude, das Joch des Schweigens wieder auf. Hätten seine Augen Tränen gehabt, sie würden geflossen sein; ich vergoß sie statt seiner, und noch am selben Abend verließ ich diesen Ort, eine finstere Zuflucht der Verzweiflung, aber nicht das stille Asyl für weichgeschaffene Seelen, die sich der sanften Schwermut hingeben und der Gottheit sich nähern wollen.

Ein Edelmann in der Nähe hatte ein schönes vollständiges Jagdzeug. Seine Nachbarn teilten mit ihm Kosten und Vergnügen. Man empfing mich, als hätte ich von jeher zu ihnen gehört und behandelte mich wie einen, den man lieb hat. Ich blieb den größten Teil der Jagdzeit da. Am Tage ging’s im Galopp durch die Wälder, abends wurde gezecht – was weder von gutem Tone, noch ehrbar und erbaulich ist. Wir gingen trunken zu Bett und fanden den tiefen eisernen Schlaf, dessen wir benötigt waren. In diesem Aufenthalt, bei dieser Lebensart fing ich an, die Vergangenheit zu vergessen und mich wieder gesund zu fühlen, denn die Gesundheit findet man nur in Wäldern, in kräftigen Zerstreuungen, fern vom Sybaritenleben der großen Städte, fern von den Blendwerken und Träumen, die den Menschen verweichlichen.

Welch trauriges Geschenk ist das Leben, wenn unser größtes Glück darin besteht, unsere Gedanken vom Leben abzuziehen!

Unter jenen Söhnen einer wilden, lärmenden und tobenden Freude lernte ich einen Greis kennen und unterscheiden, der die ganze Kraft des jüngeren Alters, über das er weit hinaus war, beibehalten hatte und sich den Vergnügungen und Leibesübungen der Jugend ungestraft hingeben konnte. Zu jenen rechne ich auch die Liebe, denn diese, oder was ihre Stelle vertritt und an sie erinnern soll, gehörte mit in den Kreis dieser lustigen Brüder. Der Greis war ein gewisser Herr von Nocé, Großneffe des bekannten Lieblings des Herzogs-Regenten. Vor fünfzig Jahren war er bei den Mousquetaires eingetreten, hatte mit Leuten einer höheren Klasse D’un certain monde. Bekanntschaft gemacht und einen Ton beibehalten, den man nicht in Wäldern, mitten unter Hirschen und wilden Schweinen, findet. Ich habe es nicht vergessen, daß dieser Mann die Revolution voraussah und vorher verkündigte. „Herr Graf,“ sprach er, „schlagen Sie die Annalen unserer Geschichte auf und Sie werden finden, daß wir ein Tragödienvolk sind, eine Nation, die sie nicht bloß auf den Brettern, sondern auf eignem Grund und Boden spielt. Vor langer Zeit waren wir Zuschauer. Diese Zeit ist vorüber. Die Tragödien der Fronde, der Religionskriege, selbst der Pariser Bluthochzeit bleichen und schwinden gegen das, was Sie erwartet und ich, Gottlob! nicht erleben werde. Jenseits des Grabes, wenn man sich dort wiederfindet, werden Sie mir davon erzählen. Die Königin wird verabscheut, der König ist schwach, die Minister sind unfähig, bestochen; die Finanzen, dieser ewige Vorwand zu allen Revolutionen, sind erschöpft; das Heer hat zwar den alten ererbten Ruhm, aber die großen Generale sind tot und haben keine Zöglinge gebildet und zurückgelassen. Was hat Frankreich noch für Vorzüge? Etwa, daß unsere Theater die ersten in Europa sind? Oder unsere kleinen Dichter? Oder unsere leichtfüßigen Tänzerinnen? Unsere – Mädchen würden die gefährlichsten Sirenen von der Welt sein, wenn sie von unseren Frauen, von denen sie so manches lernen können, nicht übertroffen würden. Unsere Haarkräusler, unsere Köche, unsere ... sind aus der Art geschlagene Kinder ihrer Väter vom Jahrhundert Ludwigs des Vierzehnten. Mit dergleichen Elementen läßt sich einem Staate, wie Frankreich, keine lange Lebensdauer versprechen. Frankreich geht unter, Herr Graf, ... und zwar noch zu Ihrer Zeit. Frankreich ist ein altes Schwert, das man wieder im Feuer glühen, im Blute härten muß, damit es eine neue Schneide erhalte.“ – „Ich glaub’ Ihnen,“ erwiderte ich, „aber ich werd’ es nicht erleben; dieses traurige Vermächtnis ist für Ihre und meine Nachkommen bestimmt.“

Ich war im Irrtum, er im Rechte. Ich war der Tor, er der Weise.


Ich hätte die Reise Josephs II. und seinen Besuch an unserm Hofe (1777) früher erwähnen sollen. Wenn ich es bis jetzt aufgespart habe, so ist es deshalb geschehen, weil zur Zeit meiner Rückkehr nach Paris (1784) dieses Ereignis aufs neue in Erinnerung gebracht, anfing tiefen Eindruck zu machen und tiefere revolutionäre Wurzeln zu schlagen. Es hieß allgemein, der Kaiser habe mit Hilfe seiner Schwester ungeheure Summen aus Frankreich gezogen. Dieses absichtlich verbreitete Gerücht diente dazu, die Königin bei den Parisern und bei der Nation verhaßt zu machen. Ich werde hier behandeln, was in diesen Gegenstand einschlägt. Wenn ich aber der chronologischen Genauigkeit nicht treu bleibe, so geschieht es, weil ich sie nicht im Kopfe habe. Es würde mir ein leichtes sein, nachzuschlagen und zu ordnen; aber ich gestehe, daß solcherlei Arbeit für mich etwas Widriges und Abstoßendes hat, und daß, wenn ich die Tatsachen treu wiedergebe, ich hoffen darf, man werde mir die Anführung der Jahre, Tage und Stunden erlassen.

Ueber Joseph II.

In diesem Jahre (1777) sah Frankreich den Kaiser Joseph II. unter dem Namen eines Grafen von Falkenstein. Er kam nach Frankreich, entzückt, eine geliebte Schwester zu besuchen; er verließ es unzufrieden, weil er diese Schwester weniger liebte, seitdem er sie als Königin gesehen. Er schien zweierlei vergessen zu haben; erstlich, daß sie Königin geworden, zweitens, daß sie Königin von Frankreich war. Er hatte keinen Begriff von diesem Hofe; mit seinem königlichen Schwager war er unzufrieden.

Was ihm aber auf dieser Reise zur Ehre angerechnet werden muß, ist, daß er, mit dem Scharfsinn der Eifersucht auf den ersten Blick übersah, was Frankreich sei und was es leisten könne. Die Mittel und Hilfsquellen des Staates, die blühende Lage der Provinzen, die Anzahl der Städte, der Festungen, der Arsenale, der Schiffswerften, der Häfen usw. setzten ihn in Erstaunen, und der Glanz der Hauptstadt blendete seine Augen und Sinne.

In Paris machte er es wie in Wien. Er buhlte um den Beifall des Volkes; die Gelehrten staunten über seine Kenntnisse; den Philosophen mißfiel er, weil er ihnen zeigte, daß es nicht schwer sei, ein Philosoph zu sein; den Parisern gab er ein großes Beispiel von Einfachheit, um ihnen zu zeigen, er bedürfe nicht des Glanzes, um sich gegen ihren Leichtsinn und ihren Wankelmut zu verwahren.

In Luciennes besuchte er die Gräfin Du Barry, Ludwigs XV. Favoritin, die einzige Frau in Frankreich, die das Blutgerüst mit Furcht bestieg, als in der Revolution Blut, Mord und Guillotine an der Tagesordnung waren. Sie hatte früher die Frechheit gehabt, sich öffentlich für die Feindin der Dauphine zu erklären, ja, selbst als Königin sie zu beleidigen. Joseph gab sich das Ansehen, es vergessen zu haben, Marie Antoinette wußte es ihm keinen Dank. Er ging noch weiter und machte der abgelebten Schönen bei diesem Besuche ein fades Kompliment, denn als – absichtlich oder nicht – ihr ein Strumpfband entfiel, hob er es auf, und als sie sich in Entschuldigungen erschöpfte, sagte er: „Es sei nicht unter der Würde eines Kaisers, Grazien zu bedienen.“ Als Karl V. den Pinsel Titians von der Erde aufhob, geschah es aus Liebe zur Kunst. Als Eduard von England das Strumpfband der Gräfin von Salisbury mit den Worten aufhob: Honny soit qui mal y pense und den Orden stiftete, geschah es aus leidenschaftlicher Liebe. Joseph hingegen ergriff die erste beste Gelegenheit, eine – Plattheit zu sagen, denn eine unzeitige Süßigkeit ist nichts mehr und nichts weniger als das, was wir in Frankreich eine Sottisse nennen.

In Lyon zeigte sich der Kaiser nicht so galant und ließ sich von übler Laune dergestalt hinreißen, daß er zu einer Gruppe vornehmer Damen, die sich auf seinen Weg gestellt hatten, um ihn zu sehen, sagte: „Hier bin ich, Mesdames; betrachten Sie mich; so viel aber muß ich Ihnen sagen: ich bin kein Adonis und kein Herkules!“*) Wären diese Worte aus einem anderen Munde, als dem eines Kaisers, gekommen, so würde man sie wohl geradezu brutal nennen.

Joseph benahm sich bei einer andern Gelegenheit besser. Ein Mann, der sich ein Ansehen geben wollte, ging vor ihm her, um Platz zu machen: „Habe ich Sie, mein Herr, zu meinem Zeremonienmeister gemacht?“

Ueberhaupt hat er in Lyon kein Glück gemacht; es war auch nicht anders möglich; denn da von allem was er sah, ihm nichts gefiel, da er über alles lachte oder sich ärgerte, machte er sich durch beides bei den Einwohnern lächerlich.

Er merkte es, und sein erstes war, abzureisen, um zu zeigen, wie sehr er es bereue, gekommen zu sein.

Vor dem Könige befliß er sich der demütigsten Hofmannsstellung, bei den Hofleuten eines höflichen Umgangs, wie mit seinesgleichen.

Im Herzen brachte er Neid, Haß und den bestimmtesten Vorsatz nach Wien zurück, uns so viel zu schaden, als ihm möglich sein würde. Er besaß Charakter genug, Wort zu halten; nur fehlte es ihm an Genie dazu.

Hätte er noch beim Ausbruch der Revolution gelebt, so würde sie anfangs in ihm einen Anhänger gefunden haben. So sehr ihn die Richtung seines Ehrgeizes und das Interesse seiner Politik aufgefordert hätten, sich ihr zu widersetzen, so würde das wahrscheinlich nur geschehen sein, als es zu spät war. Wenigstens hätte der Tod der Königin, seiner Schwester, unserer Geschichte kein neues Brandmal aufgedrückt; Joseph würde infolge seiner philosophischen Verbindungen Einfluß genug gehabt und Mittel genug gefunden haben, dieses erhabene Schlachtopfer dem Mordstahl zu entreißen. Wäre ihm aber wider Vermuten der Versuch mißlungen, sie zu retten, hätte mann ihm die Auslieferung ihrer geheiligten Person verweigert, wäre sie dem gräßlichen Lose, das ihr die Kannibalen bereiteten, nicht entgangen; – so bin ich überzeugt, Joseph würde den letzten Mann seines Heeres, ja vielleicht aus Stolz sein eigenes Leben als Monarch geopfert haben, um seine Rache als Bruder zu sättigen.

Alles mußte in den Schicksalen dieses Kaisers außergewöhnlich und bizarr sein. Mit Ausnahme des Feldmarschalls von Lascy hatte er keinen Freund, so sehr ihm daran gelegen war, das Aeußere seiner Würde abzulegen und mehr Mensch als Kaiser zu sein. Er war der Gemahlin seines Neffen aufs zärtlichste zugetan gewesen und als Hauptstifter einer Ehe anzusehen, die wider den Wunsch seines Bruders, des nachherigen Kaisers Leopold, geschlossen ward, der mit seinem Sohne andere Absichten, wenigstens nicht diese, hatte. Allein einem Bruder, welcher Throne hinterließ und sich selbst vermählen konnte, mußte Genüge geleistet werden. Die liebenswürdige Fürstin**) fand einen frühzeitigen Tod im Schoße eines unerwarteten Glücks. Das glänzende Kinderspiel zerbrach in ihrer Hand. Sie starb allgemein bedauert.

*) Wie fein und zart ist dagegen, was einst Ninon Lenclos zum Prinzen von Condé sagte: „Monseigneur, wenn das bekannte Sprichwort (homo pilosus usw.) nicht lügt, so müssen Sie ein Herkules sein.“ Uebers.

**) Elisabeth, Prinzessin von Württemberg, Schwester der Kaiserin Mutter (Maria) von Rußland. Uebers.

Um seinen Gefühlen für sie die Krone aufzusetzen – vielleicht auch, um nichts zu tun wie ein anderer – starb Joseph zwei Tage nach ihr und hinterließ seinen Nachfolgern ein glänzendes aber verwickeltes Erbe. Sie haben es mit nicht gewöhnlicher Kunst wiederhergestellt und – durch Niederlagen befestigt, Niederlagen sind dem Hause Oesterreich ersprießlicher gewesen als Siege, die den Neid erregt und bewaffnet haben würden; durch sie hat (unglaublich und doch wahr!) der Ruhm der tapferen österreichischen Truppen, die sich in den letzten Zeiten der Anführung eines Helden (Des Erzherzogs Carl) erfreuten, nichts verloren.

So endigte Joseph II., der zu viel oder zu wenig gelebt hat. Er hat Zeit genug, Pläne zu entwerfen, aber nicht Zeit genug, sie auszuführen; vielleicht würden sich, wenn er länger gelebt hätte, einige schwache Teile derselben durch ihre Anreihung an andere, durch ihre Verbindung unter sich verstärkt und zu einem kräftigen Ganzen gestaltet haben.

Joseph II. wird die Geschichte in Verlegenheit setzen. Ich habe Männer von Geist gekannt, die zu seiner näheren Umgebung gehörten. Bei allem ihren Scharfsinn, bei aller ihrer Unparteilichkeit würden sie Mühe haben, zu bestimmen, ob sich mehr für oder gegen ihn sagen lasse.

Von allem Gesagten ist das Resultat: Joseph erregte mehr Verwunderung als Bewunderung; er war mehr Sonderling als Phänomen, mehr anziehend als auf die Dauer liebenswürdig, mehr glänzend als tief, mehr außerordentlich als groß. Als Genie war er mehr unternehmend als weit umfassend, mehr schnell umfassend als richtig auffassend, und um mit wenigen Worten viel zu sagen: er besaß tausend Eigenschaften, deren die Monarchen nicht bedürfen, und die bei ihnen als Ueberfluß, als Luxusartikel anzusehen sind; es mangelte ihm aber fast an allen, die für den Fürsten zum absolut Notwendigen, zum Wesen des Herrschers gehören.

Er glich den Kometen, welche den fernen Himmel erleuchten, aber der Erde zu nahe kommend sie in Brand setzen.

Ich komme auf Josephs II. Schwester, auf die Königin, zurück. Was ihre Verhältnisse mit ihrem Bruder betrifft, so muß ich zwar die Volksgerüchte und Verleumdungen verwerfen, welche über diesen Punkt verbreitet worden sind; gleichwohl zwingt mich die historische Unparteilichkeit, zu erklären, daß ich Grund habe, überzeugt zu sein, daß diese Fürstin, sei’s als Geschenk oder als Darlehn, an den Kaiser Geldsummen hat gelangen lassen, welche anzunehmen weit tadelhafter war, als sie anzubieten.*) Diese Summen waren aber bei weitem nicht so hoch, als die Bosheit und Parteigeist angegeben hat. Wie kann man von der Lügenstimme, die den Ruf öffentlicher und Privatmänner brandmarkt, von dem Schlangenstachel, der sich in Galle und Herzblut taucht, billige und gemäßigte Aussprüche erwarten, wenn von den Herrschern der Völker die Rede ist?

*) Wenn ich die Gründe meiner Ueberzeugung nicht angebe und auseinandersetze, so geschieht es, weil ich den Namen einer erhabenen Person hier nicht kompromittieren darf. Verf. (Die Beschuldigung, daß die Königin ihrem Bruder große Summen übermacht habe, ist durchaus widerlegt, seitdem man weiß, welche Beweggründe sie dazu bewogen haben, und daß die Geldsendungen auf Befehl des Königs geschehen, um geheime Verbindlichkeiten zwischen ihm und dem Kaiser zu erfüllen. S.

Ich verweile noch bei der Königin, weil ich hier die beste Gelegenheit finde – und sie benutzen will – die mannigfachen unsinnigen Verleumdungen, die man von allen Seiten auf ihr teures Haupt gehäuft hat, mit einem Male zu widerlegen. Es würde ihrem Andenken und der Wahrheit schlecht damit gedient sein, wenn man alles durchweg leugnen wollte. Ich werde ihren Schwächen eine Stelle einräumen; aber, nachdem die Lüge von der Wirklichkeit geschieden worden, wird sich’s zeigen, daß sie nur gebrechlich gewesen, wie das Weib und der Mensch überhaupt, daß sie es nur in einem Grade gewesen, welchen das unempfindlichste Herz bemitleiden muß, und daß sie weit unglücklicher gewesen ist, als alle weiblichen Gebilde der ausgelassensten Romanphantasie. Es ist zweckmäßig und gut, ihre Fehler, ihre Verirrungen aufzudecken um sie zugleich gegen die ungeheuren Anschuldigungen in Schutz zu nehmen, mit denen man ihr Leben angeschwärzt hat, und um ihr Andenken bei der Nachwelt von dem Schmutze (Fange) zu reinigen, womit sie in Vorzimmerträtschereien, in Schmähschriften und Libellen beschmutzt worden ist.

*) Frailty thy name is woman! (Gebrechlichkeit, dein Name ist Weib!) Hamlet.

Aus Achtung und Ehrerbietung für ihr Geschlecht, für ihre Drangsale, für ihren Ruf, für ihren Nachruhm und – noch einmal sei es gesagt! – für den Triumph der Wahrheit lasse ich mich ohne Bedenken und Anstand in die Beleuchtung desjenigen Teils ihrer Lebensgeschichte ein, der die zarteste Behandlung des Biographen erfordert, in die Untersuchung der Liebschaften, die ihr zugeschrieben werden, der vielfältigen, immer durch neue ersetzten Liebschaften, die man mit dem Namen und Charakter der Libertinage belegt und ihr angedichtet hat, in die Aufzählung und in die Schilderung der Begünstigten, welchen ihre zuvorkommende Hand, ohne zu ermüden, das Tuch zugeworfen haben soll, wenn man den Elenden und Niederträchtigen Glauben beimessen will, die in ihren Dachstuben Nachrichten gesammelt, und in Schriften, die ihnen der Hunger abpreßte, sich zum Widerhall der Lüge, zu Söldnern der Rachsucht haben gebrauchen lassen.

Es ist so schwer, selbst im genauen und vertrauten gesellschaftlichen Umgang, mit Sicherheit zu entscheiden, ob eine Frau den Liebhaber, den man ihr im Publikum gibt, begünstigt hat oder nicht. Ist sie fein, ist er weder ein Holzkopf noch ein Ausplauderer, haben sie vollends ein gleiches Interesse sich zu verbergen, so ist es, selbst für das geübte Auge des Beobachters, nur zu leicht, fehlzutreffen.

Der Mann – auch wenn es ihm ganz an Grundsätzen fehlt – läßt es sich selten zuschulden kommen, Geheimnisse zärtlichster Art zuerst auszuplaudern, fast immer sind die Frauen, die von ihm Verschwiegenheit verlangen, die ersten, die das Geheimnis einer guten Freundin mitteilen, die es um so weniger verschweigt, da sie zu schweigen versprochen hat. Nur, weil der Mann weiß, daß es auf diese Weise an den Tag kommt, bedient er sich bisweilen dieses Vorwandes als Grund, sich seines Glückes zu rühmen und deckt, bald aus Eigenliebe und Eitelkeit, selten aus überfließendem Gefühl, den Schleier einer zärtlichen Verbindung auf, womit die Bosheit oft noch dann ihr Spiel treibt, wenn die beteiligten Hauptpersonen sich schon längst getrennt haben. Bei dem allen habe ich in der Welt tausend Beispiele von Irrtümern, Mißgriffen und falschen Urteilen in den Berichten über Liebesabenteuer erlebt. Ich habe gesehen, wie man dem einen eine Geliebte gegeben, die er nie gehabt, wie man einem andern eine Geliebte streitig gemacht, die er – bis zur Sättigung – besessen. Ich habe mehr als eine Frau gekannt, die einen oder gar zwei Liebhaber dem Publikum verheimlicht hat (Volé), so daß dieses erst nach sechs Monaten hinter die Geschichte gekommen und mit doppelter Strenge darüber hergefallen ist. Ja, ich habe oft, sehr oft, zwei Personen gesehen, welche, von gleichem Interesse getrieben, die Sache geheim zu halten, das Vergnügen der Liebe durch das Vergnügen der Verschwiegenheit verdoppelten. Es gibt für diese Art von Verbindungen Schleier, wie es deren fast für alles auf Erden gibt. Fast niemand wird zu Grabe getragen, der nicht die Kenntnis irgendeiner Handlung mit sich nimmt, die nie ans Licht kommen wird. Ich weiß sehr wohl, daß man gerade das Gegenteil als Grundsatz aufzustellen pflegt, aber ich bin ebensosehr überzeugt, daß mein hier zugrunde gelegter Satz neben jenem bestehen kann, und daß der große Haufe gewöhnlicher Liebenden eine Menge Mittel und Auswege hat, der forschenden und auflauernden Neugierde zu entgehen.

Und wie ist es vollends, wenn man Liebschaften beleuchten will, die fern von uns liegen und in einen Zeitraum gehören, in den das geübteste Auge Mühe hat, einzudringen? Wie ist es, wenn man eine Meinung feststellen will, die sich nur mit Hilfe Ungewisser, schwacher, entfernter Lichtstrahlen bestimmen läßt? Eine Meinung, wobei man so manche Gefahr läuft, sich zu irren? Wie ist es vollends, wenn die Liebschaft in den höchsten Rang hinüberspielt? Wenn der Mann Ehre, Leib und Leben aufs Spiel setzt? Wird er nicht alles tun, um sich sicher zu stellen? sich vor Entdeckung zu schützen? Wird sie, Frau, welche ihren Liebeshandel – und ihren Geliebten – an den Rand des Abgrundes führt, nicht mit der möglichsten Behutsamkeit zu Werke gehen? Werden sich beide nicht vor Unbedachtsamkeit hüten? Werden sie eine einzige Vorsicht unangewendet lassen? sich durch das kleinste Eingeständnis bloßstellen? – Und wenn sie auch eines oder einer Vertrauten bedürfen, wer von diesen wird als Verräter auftreten und sagen: „Ich habe sie überrascht!“ Wo ist der Zeuge, der sie sah und gegen sie aussagt? Ist jemand als Helfer in das gefährliche Vertrauen gezogen worden, so sind tausend gegen eins zu wetten, daß er schweigen wird, um der schweren Last der Verantwortung nicht zu unterliegen. Argus selbst mit seinen hundert Augen würde Mühe haben, auf frischer Tat die Frau zu überraschen, die, gegen den einzigen Liebhaber dreist, vor der ganzen übrigen Welt auf ihrer Hut ist, die nur in der weiblichen Klugheit, in der ängstlichsten Wachsamkeit, in der Scheu, die sie in ihre geheime Vergnügungen legt, Beruhigung und Sicherheit findet. Argus selbst würde seine hundert Augen vergebens anstrengen,, wenn er den Liebhaber in ihren Armen entdecken wollte, der im Schoße des für die zittert, die er liebt, auch wenn er Kraft und Mut genug besäße, mitten in der bedenklichsten Lage nicht für sich selbst zu zittern.

Wo sind sie, die Halbbeweise voreiliger Anschuldigungen, anmaßender Strafurteile? Wo sind sie, die Gründe zu schmähenden Voraussetzungen? Wo sind sie, die Fäden des verworrenen Labyrinths? Welche Hand hat sie angefaßt, hat sie entwirrt? Diejenigen, welche zunächst Erklärungen hätten geben können, fesselte die ehrerbietige Gewohnheit des Schweigens, sie folgten hier zugleich der Pflicht und ihrer Neigung. Zurückhaltend und stumm, schon über das, was ihnen etwa materiell bekannt war, hüteten sie sich vollends, sich in bloßen Vermutungen zu ergehen. Wer also hat zuerst den Ton der Lästerungen und Verleumdungen angegeben? Wer hat darin eingestimmt? Wer? – Untergeordnete Angestellte bei Hofe, Intriganten, elende Papiersudler, weibliche Klatschmäuler, Kammerfrauen von Kammerfrauen, Caféhausredner, welche besser wußten, was in Peking als was in Versailles und Trianon vorging. Und auf diesem Grund, auf das Wort und Gewicht so erbärmlicher Aussagen hin hat man der ersten Frau in Europa eine Schandsäule errichtet und sie zur Rivalin der ausschweifendsten Kaiserinnen im alten Rom gemacht?

Unglückliche Monarchin, du bist ungerecht gegen mich gewesen – gegen mich, der sich darüber nicht wundern sollte, weil er es selbst bisweilen gegen andere gewesen – ungerecht gegen mich, der in deinem glänzenden Kreis nur ein kleiner unbedeutender Punkt war. Zu seiner Zeit werde ich zeigen, wie und warum du gegen mich ungerecht gewesen. Jetzt aber soll meine Empfindlichkeit der Gerechtigkeitsliebe nicht in den Weg treten, mein Urteil soll nicht die Farbe des Vorurteils und der Empfindlichkeit annehmen; ich will deinen Schatten mit den Waffen der Wahrheit retten und rächen, die Wahrheit soll hier das Wort führen, denn ich bin mir der ganzen Wahrheit bewußt. Sollte es aber Leute geben, welche sich stellen, als glaubten sie, diese Wahrheit klinge wie Anklage, so wird das enttäuschte Europa finden, daß eben sie es ist, welche dich freispricht.*)

*) Mit den abgeschmackten Märchen, die man mir hat aufbinden wollen, die man mir von diesem unglücklichen Schlachtopfer der Menschen und des Verhängnisses erzählt hat, könnte ich ein ganzes Kapitel anfüllen. Und wer hat sie mir erzählt? Die vornehmsten Personen in den Ländern, durch die ich gekommen bin. Verf.

Als die junge Königin (damals Dauphine) in Frankreich und Versailles ankam, sah sie sich einem Hofzwange unterworfen, auf den sie keineswegs vorbereitet war. Zu ihrer Rechten stand das Wort Représentation, zu ihrer Linken das Wort Etiquette. Nirgends in ganz Europa, nicht einmal an dem förmlich-ernsten Hofe ihrer erhabenen Mutter, der Kaiserin Maria Theresia, gab es eine so große Lebensleere, eine so schwere Bürde des höchsten Ranges, so viel Einförmigkeit in der Repräsentation, so viel Zwangssitte von Seiten der Höflinge, als in Versailles. Ich bemerke hier im Vorbeigehen, und es mag wohl eine der Ursachen der Revolution gewesen sein – welche aber sicherlich von der Revolution nicht wird beseitigt werden – daß in keinem Lande und an keinem Hofe zwischen Mensch und Mensch ein so großer Abstand war, und daß an keinem Hofe die höchste Würde von einem so erhabenen Standpunkt herabschaute wie in Frankreich.

Schönheit und Grazie haben kein Interesse, sich hinter Stolz zu verbergen; freundlicher Umgang hat seinen Wert. Es hielt schwer, einer jungen, liebenswürdigen Fürstin die Ueberzeugung zu geben, daß es besser sei, gehuldigt als geliebt zu werden, und daß es angenehmer sei, sich zu langweilen als zu gefallen. Sie, der Abgott einer großen Nation, sobald sie in ihrer Mitte erschien, wie konnte sie es ahnen, daß so viel Liebe sich in so viel Haß umwandeln würde, und daß es eine unerläßliche Sünde sei, auf einem Throne – zu lachen, und sich mit der Freundschaft, mit den Vergnügungen und der Vertraulichkeit des Privatlebens zu umgeben? Hierin lag ihr erster Fehler, das war der erste Federstrich zu ihrem langen, blutigen Prozeß, der erste Laut ihrer Anklageakte. Ihr Erscheinen auf der Terrasse von Versailles, wo die schönen Abende und die schöne Musik sie in die Gruppen der Lustwandler lockte – gab einen neuen Vorwand zur Verleumdung und Bosheit. Es ist wahr, sie zeigte sich ohne das Gefolge, das sich jedem Schritte einer Königin von Frankreich anschließen soll, aber nie war sie ganz ohne Begleitung, nie ohne solche Zeugen, die für den Anstand hinreichten, und deren Gesellschaft man ihr nicht zum Vorwurf machen konnte, wollte man nicht für lächerlich gelten. In diesen nächtlichen Lustwandlungen suchte und fand man die Waffen, womit man sie tödlich verwundete. Die Maskenbälle in der Oper, im Schauspielhause, die Vertraulichkeit zwischen ihr und der Prinzessin von Lamballe, ihre lange freundschaftliche Verbindung mit der Herzogin von Polignac öffneten der anklagenden und strafenden Meinung ein neues, unermeßliches Feld. Ihr Widerwille gegen Hofzwang und gegen die genaue Befolgung der ihrem Range auferlegten strengen Etikette galten für Vernachlässigung, für Nichtachtung, für Verachtung der königlichen Pflichten. Es hat sich wohl niemand besser darauf verstanden als sie, die Person einer Königin mit Würde und Anstand durchzuführen, sobald sie es wollte; und doch sah man in der ungezwungenen Freiheit ihres Benehmens – Sittenlosigkeit, in ihrer Abneigung gegen gewisse Personen – Leidenschaftlichkeit und eine Folge verlorener Gunst, in ihrer Güte und Herablassung – Leidenschaft und weibliche Schwächen.

Mit tausend achtungswerten Eigenschaften verband der König wenige von denen, die Liebe erwecken, und noch weniger solche, die mit dem Geschmack, dem Geiste und Wesen des schönen Geschlechts im Einklange stehen. Die Königin war ihm wirklich (Essentiellement) aufrichtig zugetan (sie hat es im Unglück bewiesen), allein sie erfüllte ihre Pflichten mehr aus Pflicht als aus Gefühl. Letzteres entwickelte sich erst in den Tagen der Widerwärtigkeit, wurde aber auch desto lebhafter und zärtlicher, gedieh zu einer Huldigung, die sie der Tugend brachte, und ihr nicht gebracht haben würde, wäre ihr eigenes Herz der Tugend bar gewesen.

Was umlagert nicht alles die Schönheit auf dem Throne, umspinnt sie, bemeistert sich ihrer, ohne daß sie es gewahr wird! Die Langeweile, die so viel über gewisse Gemüter vermag – der Jugendlenz, der so vielen Stürmen und Kämpfen mit Sinnen und Leidenschaften ausgesetzt ist – die Geschäftsleere der Großen, die, von der Repräsentation ermüdet, das Bedürfnis fühlen, eine einfachere Empfindung als Ruhepunkt aufzusuchen – die Rauchwolke von Anbetung, von der eine Frau umgeben ist, die sich doppelt Königin fühlt, einmal durch ihren Rang, und zweitens durch ihre Reize – der Schwarm von Hofleuten aus allen Altern, die unter der Maske der Ehrerbietung Wallungen zarterer Art verbergen – lauter heimliche Feinde der Schönheit auf dem Throne!

Die Frauen sind die besten Beurteiler der Wirkung, die ihre Reize hervorbringen. So wußte es die Königin – besonders zweimal ganz bestimmt – daß sie eine Leidenschaft erregt hatte, deren Ausdruck von den beiden, die sie im Herzen trugen, nur durch die ganze Kraft ihrer Vernunft, nur durch die Betrachtung der Verhältnisse, nur durch das Gefühl der Gefahr unterdrückt wurde. Wie manche andere würde die geheimen Anbeter, die sich von der Macht ihrer Reize hatten hinreißen und überwältigen lassen, besser behandelt haben! Was tat sie? Sie schien die Leidenschaft zu übersehen, sie spottete nicht eines Gefühls, das für Königinnen wie für Hirtinnen eine Huldigung ist; aber bei Hofe, wo beide (Der Vicomte von Noailles und der Herzog von Lauzun) vielbedeutend waren, hielt sie es für Pflicht, sie nur eine kalte Teilnahme merken zu lassen. Hätte sie einen ausgesprochenen Hang zur Galanterie in sich gefühlt, so würde sie an einem Hofe, der an ausgezeichneten jungen Männern so reich war, um die Wahl nicht verlegen gewesen sein. Aber ihre Abneigung, ihre Kälte gegen die jungen Leute war ein Hauptunterscheidungszug in ihrem Charakter. Der Mann, von dem es unmöglich ist, sich’s verbergen zu wollen, daß sie ihn auszeichnete, zählte mindestens fünfundvierzig Jahre, als sie die Augen auf ihn warf. Es war eben kein schöner Mann, kein Mann von großem Verstande. Er besaß aber mehr als das: einen vortrefflichen Anstand, einen feinen, ausgesuchten Ton, eine unvergleichliche Tournüre, einen einfachen, richtigen Sinn, viel Gelassenheit, viel Sitte, ein gerades Herz; er war von der großen Welt unangesteckt, von der Gunst unverdorben. Von allen geliebt, haßte der Herzog von Coigny niemanden.

Dieses Verhältnis war von langer Dauer; es hatte das Verdienst der Treue, ohne den Charakter einer großen Leidenschaft zu haben. Die Königin mußte das Herz des Herzogs einer Dame streitig machen, die später seine Gemahlin ward, aber sie benahm sich mit Sanftmut und Mäßigung, und die Gattin hat sich nie über die Fürstin zu beschweren gehabt. Nie mischte sich Mißgunst und Bosheit in dieses Verhältnis. Die Königin betrug sich mit vieler Behutsamkeit, der Herzog mit Anstand und einfach. Nie hat er die Vorliebe seiner hohen Gönnerin gemißbraucht, nie damit geprahlt, nie Vorteil daraus gezogen. Mit Ausnahme der Pairswürde, die er erhielt, als schon die Verbindung aufgehört hatte, verbesserte sich die Lage des Günstlings auf keine merkliche Weise. Er sagte sich zuerst von einem Verhältnisse los, das ihn zittern machte, dem aber tausend andre mit Vergnügen ihr Leben zum Opfer gebracht haben würden. Der Königin war die Trennung schmerzlich, aber sie gewann es über sich, edelmütig zu verzeihen, und beehrte mit fortdauernder Freundschaft den Mann, der, meiner Meinung nach, das unschätzbare Glück, das ihm in seinem Lebensherbst zuteil wurde, nicht genug zu würdigen verstand. Er mußte besorgen, die Gerüchte und Mutmaßungen des Hofes würden früher oder später zu den Ohren desjenigen gelangen, vor dem es so überaus wichtig war, das Geheimnis zu verbergen. Einmal besonders hielt er sich für verloren... Was tat er, um dem Verdachte zu entgehen? Er stellte sich in eine junge Tänzerin verliebt. Die List gelang. Der König, der wie von ungefähr von der Sache reden hörte, glaubte an die vermeintliche Liebschaft, spottete vor dem Hofe und dem Herzoge selbst darüber, und nun hatte dieser fürs erste allem Verdachte vorgebeugt. Allein Verbrannte scheuen das Feuer. Es ward ihm von diesem Augenblick an unmöglich, unbefangen und liebenswürdig zu sein, der Abgrund gähnte zu seinen Füßen; er zog sich zurück und freute sich, so wohlfeilen Kaufs davongekommen zu sein. Die Königin warf ihm Kleinmut vor, rügte die unnütze Vorsicht mit Strenge, Schalt ihn feige, schmollte, doch, wie gesagt, das zärtliche Verhältnis zwischen beiden schloß mit unwandelbarer wechselseitiger Freundschaft.

Indessen war ihre Eigenliebe gereizt. Statt aber daran zu denken, dem Herzoge einen Nachfolger zu geben, suchte sie ihr Glück in den Mutterfreuden und fand es.

Man verlange nicht von mir, daß ich das ungereimte Namensverzeichnis der Günstlinge der Königin anführe. Man mute mir nicht zu, daß ich Anbeter nenne, die ihr so fern geblieben sind wie der Groß-Mogul. Man bürde mir vor allem die Pflicht nicht auf, die abscheulichste Verleumdung zu widerlegen, welche der Königin eine Verbindung mit ... angedichtet hat. Ebenso grundlos und aberwitzig sind die Gerüchte, welche von einem vertrauten Umgange mit dem Herzog von Dorset sprechen, den die Königin ein gutes, altes Weib zu nennen pflegte; mit Eduard Dillon*), den sie nur einen Augenblick auszuzeichnen schien, dessen Geckenhaftigkeit sie aber schon im zweiten anekelte – mit dem Herzoge von Liancourt, der eine Art von Günstling ohne Bedeutung und Wichtigkeit war – mit dem Prinzen Georg von Hessen-Darmstadt, gegen den die Königin seiner Schwester wegen, und weil er ein Deutscher war, sich artig bewies – mit du Roure, dessen Tod ihr naheging – mit dem Garde-du-Corps-Offizier Lambertye, der auf sehr kurze Zeit bei ihr in Gnaden stand (als sei es einer Königin nicht ebenso erlaubt wie jeder andern Frau, jemanden auszuzeichnen und mit Wohlwollen zu beehren, ohne gleich die giftigen Zungen der Verleumdung in Bewegung zu setzen!) – mit Herrn von Saint-Paër, den sie achtete, weil er einer Frau, die der Königin angenehm war, den Hof machte – mit einem Grafen Romanzow, mit einem Engländer aus der Familie Conway, nachmaligem Lord H ugues Seymour – mit dem Herzog von Guines – und um der Lächerlichkeit dieser Nomenklatur die Krone aufzusetzen, mit dem Grafen von Vaudreuil und dem Herzoge von Polignac, an welche sie nie gedacht hat, nie hat denken wollen und können. Ich könnte die Liste noch verlängern und eine Menge chimärischer Liebhaber anführen, die man ihr – angedichtet; denn der Hof war viel zu klein für die Bosheit, die ihren Ruf beflecken wollte, und für den Unverstand, der alles aufgriff und verbreitete, was ihr nachteilig war. Doch ich habe schon zu viel Namen vor mir vorübergehen lassen; es würde mir unerträglich sein, mich länger mit Luftbildern herumzuschlagen**).

*) Man erzählt: die Königin habe auf einem Ball, nachdem sie viel getanzt, zu ihm gesagt: „Fühlen Sie, Herr von Dillon, wie mir das Herz schlägt;“ und setzt hinzu: der König, der es gehört, habe das Wort genommen: „Nicht doch, Madame, er wird es Ihnen schon aufs Wort glauben.“ Hat die Sache ihre Richtigkeit, so läuft sie auf eine Naivetät der Königin ab. Uebrigens habe ich die Worte nicht gehört und zweifle an der Anekdote.

**) Madame Campan führt obige Namen großenteils an, setzt noch andere hinzu, z. B. Herrn von Besenval, und spricht, wie der Graf von Tilly, die Königin von aller Schuld und allem Argwohn frei. Uebers.

Es würde ebenso armselig wie lächerlich sein, sich einzubilden, daß eine Königin von Frankreich, auch wenn sie eine Messaline, eine Brunhild gewesen wäre, sich ihrem Hange zur Ausschweifung an einem Hofe hätte überlassen können, wo ihr Rang und ihre Stellung sie den hundertäugigen Aufsehern, Spähern, Späherinnen, den unwillkürlichen Blicken ihrer näheren und nächsten Umgebungen aussetzte. Selbst eine Ninon, auf den Thron erhoben, würde ihrer Buhlkunst entsagt, ihr System verändert, ein neues Wesen angenommen haben.

Die nur einmal durch den Herzog von Coigny eingenommene Stelle eines Günstlings – dem die Verleumdung so viele Stellvertreter untergeschoben hat – war offen geblieben, als derjenige, der das ganze Vertrauen der Königin besitzen, der am tiefsten in ihr Herz eindringen sollte – als der Graf von Fersen erschien.

Sein Vater, der in Schweden zur sogenannten französischen Partei gehörte, war nach Frankreich gekommen und hatte daselbst ein Regiment und den General-Leutnants-Rang erhalten. Der Sohn hatte in einer guten Schule den Geschäftsgang gelernt. Er war dem Baron von Breteuil als Gesandtschaftssekretär nach Neapel beigegeben, und dessen besonderer Leitung anvertraut worden. Weiterhin verschaffte ihm die Königin das Regiment Royal-Suédois nebst einem ansehnlichen Gehalt. Der Graf von Fersen war einer der schönsten Männer, die ich gesehen; sein Aeußeres war kalt, aber von der Art von Kälte, die den Frauen nicht zuwider ist, wenn sie sich Hoffnung machen können, sie zu erwärmen. Ich will nicht behaupten, daß er einen ausgezeichneten Verstand gehabt habe, er diente ihm aber dazu, sich in seiner schwierigen Lage mit Fassung, Bedacht und Ueberlegung zu benehmen. Er liebte Musik, die schönen Künste und das Stilleben, fern von Intrige, von der Sucht zu glänzen. Das einzige, was vielleicht zu dem Verdacht führen konnte, daß sein Verhältnis zur Königin ein zärtliches sei, war die Zurückhaltung und Ehrerbietung, die er nie aus den Augen ließ, und die die Absicht zu verraten schienen, als wolle er die Augen des Hofes täuschen.

Aber bei ihm schien nichts, bei ihm war alles kunstlos und einfach. Die Königin schenkte ihm eine unwandelbare Neigung, und diese lange und zärtliche Beständigkeit ist die beste Widerlegung der Schändlichkeiten, die man ihr schuld gegeben hat. Herr von Fersen besaß auch das Zutrauen des Königs, er ward in das Geheimnis der Reise nach Montmedy eingeweiht, und als der unglückliche Plan gescheitert war, entging er nur mit Not der Strafe des Verbrechens gegen die Volksmajestät, zog sich in sein Vaterland zurück, wo er zu wichtigen und vertrauten Angelegenheiten gebraucht wurde. Die Königin hat in der Wahl dieses Günstlings bei einiger Schwäche einen hohen Grad von Klugheit gezeigt; sie konnte nicht besser wählen, nie ist sie durch diese Neigung kompromittiert, nie dadurch auch nur ein Funken des Hasses angefacht worden, der den Ruf und das Leben dieser unglücklichen Fürstin verzehrt hat.

Somit sei es denn genug, zwei Schwächen aufgedeckt zu haben, ohne in den schmutzigen Blättern herumzuwühlen, worin die Verleumdung ihre Bosheit niedergelegt hat. Genug sei es, diese beiden Verirrungen berührt zu haben... . Sie sind wahrscheinlich ... ich halte sie dafür ... beinahe hätte ich gesagt, sie gelten mir für gewiß, aber zugleich erbiete ich mich, auf die Verantwortlichkeit meines Lebens zu behaupten daß es die einzigen Schwachheiten sind, von denen die Königin sich vor dem obersten Richterstuhl zu reinigen haben wird, wenn auf Gebrechlichkeiten dieser Art Strenge und Strafe erfolgt, und wenn die letzten Jahre und der Tod des erhabenen Opfers nicht hinreichen, sie vor ihrem Gotte wie vor der Nachwelt Gnade finden zu lassen.

Es ist mir mühsam und peinlich gewesen, diese Anklageakte aufzusetzen; sie ist vielleicht ein Flecken im Leben der Königin, doch ist sie noch mehr ein Vorwurf für die, welche sich nicht geschämt haben, ihr Andenken zu schmähen, für die, welche mich gezwungen haben, die Wahrheit aus dem Grabe hervorzurufen, um die Verleumdung zu beleuchten, und die Lüge aufzudecken.

Aber selbst die Gerechtigkeit, die ich den beleidigten Manen der Königin widerfahren lasse, tut meinen Grundsätzen und meinem Herzen wehe. Warum mußte ich durch diese Apologie dazu beitragen, die erhabene Angeklagte zu verletzen? Warum mußte ich diejenige verwunden, die ich retten wollte? Ich habe es getan, weil es nicht zu vermeiden war. Eine schwer lastende Pflicht hat es mir zum Gesetz gemacht. Ich habe ein verdienstliches Werk zu tun geglaubt, indem ich aus der leblosen Asche der Königin das Blatt hervorgezogen, das sie zweimal anschuldigt, aber zugleich tausendmal freispricht.

Ich höre Stimmen (denn an solchen fehlt es nie!), welche mich fragen: „Was geht es dich an? Wo ist dein Beruf, dein Auftrag?“. Ich hörte sie, und verschmähe, ihnen zu antworten, denn sie haben mich und meine Absicht nicht verstanden, und würden meinen Gründen ebenso wenig Gehör geben.

Jemand (Der Herzog von Fleury. Verf), dessen Freundschaft mich beehrt, und dem ich keinen Leichtsinn und keine üble Laune zumuten kann, wenn es darauf ankommt, den guten Ruf meines Herzens und meines Verstandes zu gefährden, hat die Bemerkung gemacht:“Wer einer Frau auf dem Throne zwei Günstlinge einräume, sei nicht weit von denen, die ihr zwölf geben.“ – Diese Schlußfolgerung ist mehr scheinbar als gründlich. Da sie sich nicht auf die Frauen überhaupt anwenden läßt, warum auf die Königinnen insbesondere? Warum hier mehr Strenge als dort? Die Wahrheit hat nicht doppelt Maß und Gewicht. Ich bin dieser mathematisch gewiß, deshalb habe ich sie ohne Scheu der Lüge entgegengestellt. Sollten einige mir den Grad des Zutrauens nicht schenken wollen, den ich zu verdienen glaube, sollten andre die Reinheit meiner Absichten in Zweifel ziehen, oder gar anschwärzen, so appelliere ich an den Richter, der mich über alles tröstet, wo er mich über nichts anklagt – an mein Gewissen. Ich bin gerecht gewesen, weil ich gerecht sein mußte, und kümmre mich nicht darum, ob man aus Absicht oder Mißgunst verweigern sollte, es gegen mich zu sein.

Doch ist es Zeit, auf dasjenige zurückzukommen, was mich persönlich betrifft.

Ich gab mir Mühe, die Seelenruhe wieder zu erlangen, deren Mängel das höchste Unglück ist. Ich versuchte es mit den Musen und mit Geisteszerstreuungen. Ich schrieb ein Lustspiel in fünf Akten und in Versen, war streng und gerecht genug, es nachher in einen Akt umzuschmelzen, übergab es dem Verein der Comédie française, der die Artigkeit hatte, es anzunehmen, wahrscheinlich deshalb, weil Mademoiselle Raucourt es vorlas. Ich war nicht mehr in Paris, um der Sache nachhelfen zu können, und weiß bis auf den heutigen Tag nicht, was daraus geworden ist; ich habe seitdem an wichtigere Dinge zu denken gehabt. Als ich daran arbeitete, führte mich, wenn ich nicht irre, der Marquis de Bièvre zur Frau von d’Angevilliers, mit der ich wegen ihres Rufs Bekanntschaft zu machen gewünscht hatte. Ich fand ihren Geist noch über ihren Ruf erhaben, und nicht allein ihren Geist, sondern tausend andre liebenswürdige Eigenschaften, die ich ihm vorziehe. Sie sah eine Gesellschaft bei sich, die um so interessanter war, als sie aus verschiedenartigen Teilen bestand; man fand bei ihr eine treffliche Auswahl vom Hofe und von der Stadt, nebst den vorzüglichsten schönen Geistern. Ich las mein Lustspiel vor, es schien zu gefallen; der Beifall war ermunternd, ich verdanke ihm meine entschiedene Neigung für die Literatur, er befestigte meinen schwankenden Beruf und stählte meinen Mut gegen die Widerwärtigkeiten, die sich dieser Bahn entgegenstellen, und gegen so manche Betrachtung, welche damals den Weltmann von derselben abhalten konnten. Herr von d’Angevilliers zum Beispiel, ein sehr achtungswerter Mann, ein großer Freund und Anhänger der Konvenienz, gehörte zu denen, die in diesem Punkte nicht nachsichtig dachten, ihm wollten die Männer von Geburt und Welt nicht sonderlich behagen, welche dem Rufe nachstrebten, der ihnen in der schönen Literatur zuteil werden konnte. Alles auf der Welt läßt sich zwiefältig betrachten, und hat zwei Seiten; man kann alles tadeln und alles verteidigen. So viel ist gewiß, unsre Literatur ist tief gesunken, teils durch die Schuld derer, die sich mit ihr beschäftigt, teils derer, die zu ihrer Herabsetzung beigetragen haben. Seit dreißig Jahren hat man in Europa so viel und so schlecht geschrieben, daß ein gesunder Verstand bald nichts mehr lesen wird, als was mit den Wissenschaften in Verbindung steht oder sich mit nützlichen Entdeckungen beschäftigt. Auch die Geschichte, und was in das Feld derselben einschlägt, wird immer neue Belehrung und neues Interesse darbieten, denn der Horizont der Natur ist unbegrenzt, und die Leidenschaften sind eine unerschöpfliche Quelle für den Beobachter.

Welch einen brennenden Durst, Aufsehen zu machen, muß der Schriftsteller nicht haben, der sich vor den Richterstuhl des Publikums hinstellt, des aus so verschiedenartigen Köpfen und Teilen bestehenden Publikums, und sich dessen Aussprüchen unterwirft? Er denke nur ein wenig nach, was er beginnt. Er schreibt für einige hundert Leser, die er als einzig befugte Richter seines Talents anzusehen hat – wenn er wirklich Talent hat – und muß tausend Leuten das Recht einräumen, über ihn abzusprechen, weil sie die Befugnis zugleich mit dem Buche erkauft und bezahlt zu haben glauben. Und freilich könnte man ihnen im Grunde dieses Recht nicht absprechen, wenn sie es nur nicht selbst durch den schändlichen Mißbrauch verlören, den sie damit treiben! Wie ist es aber möglich, einer übelwollenden Masse zu gefallen, die sich noch vor dem Lesen vorgenommen hat, ein Werk zu verdammen? Kann man schon Richtern nicht gefallen, die sich darauf verstehen, aber ihre Ursachen haben, das Lobenswerte zu tadeln, wie ist es vollends möglich, Leuten zu gefallen, welche sich nicht darauf verstehen, und nur durch mächtige Hebel in Bewegung gesetzt werden wollen, ohne vom Feinen, vom Zarten, von Schattierungen, von Farbenübergängen irgendeinen Begriff zu haben? – Das seltenste Verdienst des Schriftstellers, „Ausdruck und Stil“, entgeht fast allen, die nicht selbst schreiben, oder wenigstens nicht mit Feingefühl, mit geübten Geistesorganen, mit der Empfänglichkeit für diese herrliche Gabe ausgestattet sind? Erscheint heutzutage eine Schrift, wen kümmert es, ob sie von gutem oder schlechtem Geschmack zeugt? Wer merkt es nur? Wer schmeckt es? Solch’ eine Bahn ist in der Tat nicht einladend, und diejenigen, denen ihre Meinungen und ihre Ruhe etwas wert sind, diejenigen, die ihre Eigenliebe nicht gern aufs Spiel setzen, tun klüger daran, sich der Albernheit der einen und der Mißgunst der andern nicht preiszugeben, und von einem Wettlauf abzustehen, an dessen Ziel sich für den Sieger höchstens eine halb verwelkte Palme erringen läßt.

Ungefähr ebenso drückte sich Marmontel aus, als ich die Bekanntschaft des vortrefflichen Mannes machte. „Wäre ich,“ so sagte er, „in Ihrem Stande geboren, oder hätten mich die Umstände, mein Instinkt und die Notwendigkeit nicht zum Schriftsteller berufen und allmählich auf die Bahn geführt, in welcher ich mein Brot und mein Glück gefunden – nie würde ich den literarischen Pfad betreten haben, auf welchem die Mitbewerber und Feinde Feuer – Leser und Publikum Eis sind.“

Diese erste Betrachtung führt mich zu einer zweiten.

Es sollte ein Obergericht eingesetzt werden, das die Pflicht hätte, alle unnützen Bücher zum Scheiterhaufen zu verdammen. Es müßte diejenigen verwerfen, woraus sich nichts lernen ließe, und die den Stempel einer großen, allgemeinen Bedeutung oder des Genius nicht an der Stirn trügen. Wäre der europäische Büchersaal in so enge Grenzen zusammengepreßt, befände man sich in der glücklichen Unmöglichkeit, sie ohne triftige Gründe zu überschreiten, würde unter andern auch diese Schrift unter meiner Feder mit dem Bannspruch belegt und den Flammen zugeteilt – so besitze ich Philanthropie und Liberalität genug, mich über den herrlichen Gewinn zu freuen, welcher der Menschheit daraus erwüchse, ja, ich würde mit Freuden und Frohlocken mit zusehen, wenn ein neuer Omar aufträte und alles, was von Büchern Ueberflüssiges oder Verderbliches wäre, und was der Versittlichung Europas auf die Dauer mehr Schaden bringen wird, als eine neue Ueberschwemmung von Barbaren – mit Feuer und Flammen vertilgte.



Doch ich halte ein, will mir selbst nicht schaden und den größten Teil meiner Leser nicht durch solcherlei Wahrheiten und Betrachtungen abspenstig machen. „Es ist nicht immer gut, die Wahrheit zu sagen,“ ist ein bekanntes Sprichwort, oder es müssen wenigstens kleine, lustige Wahrheiten sein. Eine solche will ich also hier zum besten geben und eine wirkliche Anekdote erzählen, doch so, daß sie, mit der gehörigen Behutsamkeit vorgetragen, und gehörig verschleiert, niemandem zu nahe treten soll.

Ich war auf den Opernball gegangen. Hier wurde ich von einer weiblichen Maske geneckt und verfolgt, die mit einem leichten Geschwätz (Beaucoup de jargon) so schöne Umrisse und einen so edlen Wuchs verband, daß man auf ihr Gesicht und ihre Reize einen vorteilhaften Schluß ziehen konnte. Da überdies ihre Unterhaltung anziehend und ihr Ton der beste war, so trug ich kein Bedenken, mit ihr die Verabredung zu treffen, daß ich sie beim nächsten Ball auf der Treppe zum Amphitheater erwarten wolle. Sie versprach, sich einzufinden, durch ein verabredetes Zeichen sich mir kennbar zu machen, und bestimmte die Stunde: „Ein Uhr nach Mitternacht.“ Sie hielt Wort. Somit schlenderten wir im Saal umher, und überboten uns in Witz und Zärtlichkeit. Mit jeder Minute stieg meine Neugierde höher, mit jeder Minute ward ich mehr von ihr eingenommen. Ich hatte das erstemal den Ball besucht, um mich von einer unglücklichen Liebe zu zerstreuen, das zweitemal tat ich es, mich zu heilen. Die trübsinnigsten Stimmungen der Seele weichen gewissen Verführungen, und die wirksamste Arznei gegen eine hoffnungslose Leidenschaft – hat man nur die Kraft, den Becher an den Mund zu setzen – ist eine neue Liebe. Ich glaubte zu bemerken, daß ich meiner Unbekannten nicht gleichgültig sei, daß ich Fortschritte machte, so daß ich anfing, an dem Abenteuer Vergnügen zu finden, besonders als die Schöne das Geständnis hören ließ: ich hätte den Weg zu ihrem Herzen gefunden, zu einem Herzen, das bis dahin Bedenken getragen hätte, zu wählen und sich zu verschenken. ... Wie rührend! Wie zärtlich! Wie herzbrechend! Dabei wurde hinzugesetzt: man müsse äußerst behutsam zu Werke gehen, man habe gewisse Rücksichten zu beobachten, man befinde sich in überaus zarten Verhältnissen, man werde von allen Seiten beobachtet, ein einziger Fehltritt sei hinreichend, Ruf und guten Namen, Glück, Ruhe und alles (Son existence) zu kosten.

Das mochte einigermaßen wahr sein, mir aber genügte es nicht, mir machte es Langeweile. Der dritte Ball und die dritte Zusammenkunft erfolgten, und man fuhr fort, alle Vorkehrungen zu treffen, um nicht erkannt zu werden und meiner Flamme neue Hindernisse in den Weg zu legen. Endlich siegte ich. Die Fastnacht sollte meine Beharrlichkeit krönen. Sie kam, diese beglückende Nacht. Wir verlassen den Ball, steigen in einen Mietswagen und gelangen nach vielen Umwegen an die kleine Tür eines unscheinbaren Hauses. Man öffnet, wir treten in ein Zimmer, wo eine einzige Nachtlampe brennt. ... Hier hing es nun von mir ab, so glücklich zu sein, als ich es wünschte, und ich würde gegen das schöne Geschlecht eben nicht galant sein, wollte ich dies Glück heute für keins ausgeben.

Am Tage, der auf diese – Glückseligkeit folgte, trat jemand zu mir ein, den ich nur obenhin kannte. Nach den ersten Begrüßungen eröffnete er mir: er sei von einem Manne abgeschickt, dem nur wenige in Frankreich die größte Ehrerbietung verweigerten, und der mich einlade, mich morgen abend neun Uhr im Eingangshofe des Palais Luxembourg einzufinden. Ich nahm keinen Anstand, zuzusagen, stellte mich ein, und zweifelte nicht länger an der Bestellung, als ich einen Mann auf mich zukommen sah, dessen Züge und Stimme nicht zu verkennen waren.

„Herr Graf (redete er mich an), mein Zutrauen in Ihre Rechtlichkeit und in Ihre Verschwiegenheit hat mir zu diesem Schritt geraten, und mich bewogen, Sie um eine Zusammenkunft zu ersuchen. Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, in welcher Verbindung ich mit Frau von Bal.. stehe; ich bin von allem unterrichtet, was vorgefallen ist, ich weiß auch, daß Sie keine Liebe für die Dame empfinden, ich will sogar glauben, daß, wenn Sie auf dem Maskenball gewußt hätten, wer die war, der Sie, oder vielmehr die Ihnen nachgegangen, Sie aller Wahrscheinlichkeit nach den Verkehr mit ihr nicht angeknüpft haben würden. Bringen Sie mir – ich bitte Sie inständig darum – bringen Sie mir dieses Opfer; es kann von keinem großen Gewicht in Ihren Augen sein, und rechnen Sie auf meine ganze Erkenntlichkeit. Wollen Sie Ihrer Gefälligkeit die Krone aufsetzen, so bleibt diese Unterhaltung ein Geheimnis zwischen uns beiden.“

Nachdem ich die Anschuldigung gehörig abgeleugnet, mich unwissend und unschuldig gestellt, und beteuert hatte: ich würde jenes Glück, das mir aber nicht zuteil geworden, für sehr wünschenswert gehalten haben, – gab ich ihm die Versicherung, ihn nie in dem Besitz dieses Kleinods stören zu wollen, und ihm alle Möglichkeit zu benehmen, mich je wieder in Verdacht zu haben. Und so verließen wir uns als die besten Freunde.

Es lag damals nicht in mir, mich in den Willen anderer zu fügen, einen gelehrigen Charakter anzunehmen, meine Leidenschaften zu zügeln; ich gestehe gern, daß ich es in diesen Eigenschaften noch nicht weit gebracht hatte. Ich war der Mann nicht, der nachgab, wenn er Zeit, Umstände und Folgen berechnete und voraussah. Ich hatte den Mut des Widerstandes. Hier aber kostete es mir gar keine Selbstüberwindung, zu versprechen und zu halten. So sehr war ich von der Dame nicht eingenommen und entzückt, daß ich um nichts und wider nichts einen Mann hätte kränken sollen, dessen Benehmen mir gefiel, dem ich viel schuldig war und der so großen Wert auf ein Opfer legte, das ich vielleicht nicht zu würdigen verstand. Ich wollte es bringen, ... es zu einem verdienstlichen machen – aber man überhob mich dieses Verdienstes.

Das schöne Geschlecht vergibt es dem unsrigen nicht, wenn wir den Gunstbezeigungen schnell und von selbst entsagen, die es allein sich für berechtigt hält, ohne Erbarmen zurückzunehmen. Unter falschen und ungenügenden Vorwänden hatte ich ein paar Zusammenkünfte abgelehnt und schmeichelte mir schon, der weibliche Stolz, würde der weiblichen Ueberlegung zu Hilfe kommen, man würde mich vernachlässigen, so wie ich es täte. Allein, ich sollte bestraft werden. Es erging eine Einladung zum Abendessen, ich nahm sie ohne Anstand an, weil sie mir von keiner Bedeutsamkeit zu sein schien. Ich wollte mir das Ansehen nicht geben, eine lächerliche Bedenklichkeit zu weit zu treiben und einer Person, die so viel Schritte tat, um gut mit mir zu stehen, keinen Schritt entgegen zu tun. Ich gehe also hin, finde zwei spärlich beleuchtete Zimmer, sehe niemanden, und werde in ein Kabinett geführt, in welchem ich drei sitzende Frauen antreffe. Eine von ihnen steht bei meiner Ankunft langsam und gravitätisch auf und schließt die Tür hinter mir ab. Die beiden anderen schieben ein Kanapeekissen weg und ziehen drei mit starken Knoten versehene Servietten hervor. Ohne mir Zeit zur Besinnung zu lassen, fallen die drei Furien über mich her und fangen an, im eigentlichsten Sinne auf mich loszuschlagen. Ich ziehe den Degen, in der Hoffnung, den Pariser Eumeniden Einhalt zu tun und ihnen Furcht einzujagen, umsonst: nichts hält sie zurück. Ich laufe von einem Winkel in den andern, ich springe auf die Stühle, sie verfolgen mich, holen mich ein, lassen nicht ab; hätte ich Orpheus’ Gesang und Spiel gehabt, so würde ich geglaubt haben, die neuen Bacchantinnen hätten mir sein Schicksal zugedacht. Aufs äußerste gereizt, ergreife ich zwei Leuchter, zünde das Kleid der einen, den Rock der andern, zünde die Gardinen an. ... Jetzt folgt kreischendes Geschrei auf die Drohung mich zu ermorden, man reißt die Türe auf, man stürzt hinaus, man ruft um Hilfe; ich benutze den Umstand, entfliehe auf die Straße, derb durchgeprügelt und über den Vorgang wie aus den Wolken gefallen.

So sind die Frauen: boshaft, schwach und bizarr.

Verliebte Abenteuer – mit glücklicherem Ausgang – füllten die Leere meiner Seele nicht aus. Mein brennendes unbeschäftigtes Herz bedurfte eines Hauptgegenstandes, an den es sich anschließen könne. Es ergriff mich eine ehrgeizige Grille (Velléité). Ich hielt es für schön, meinen Kopf mit diplomatischen Begriffen anzufüllen, da der in einen langen Friedensschlummer versunkene Staat meines Armes nicht bedurfte. Die Königin geruhte nochmals die Bereitwilligkeit für mich zu haben, sich für diesen Plan zu verwenden und erwirkte einen Befehl, der mich als Mitglied in den Bureaus des auswärtigen Departements anstellte. Aber kaum waren einige Wochen vorüber, als mich die trockene, reizlose Arbeit anekelte. – Die beständige Unbeständigkeit, dieser Wankelmut, dieses ewige Hin- und Herschwanken meines Gemüts entfernte diejenigen von mir, welche Anteil an meiner Glücksbeförderung nahmen, die Gleichgültigkeit der übrigen schlug mich vollends nieder. Ich war vielleicht dazu berufen (man hat es mir wenigstens gesagt) ein schnelles und ausgezeichnetes Glück zu machen, hätte ich es nur verstanden, die Leidenschaften zu zähmen, die mich irregeführt haben, und die Feuerseele zu bemeistern, die mich verzehrte. Doch was hätte ich nicht zu bereuen gehabt, hätte mich Fortuna erhoben. Nach den Stürmen der Revolution, die allen Ehrgeiz und mit ihm alle Ehrgeizigen wie Spreu zerstreut haben, wäre ich um so unglücklicher geworden und hätte die Trümmer eines Gebäudes doppelt zu beweinen gehabt, das auf den Sand gegründet war, ich hätte die Härte meines Schicksals doppelt gefühlt, wenn ich als Hofmann aus dem Himmel meiner Hoffnungen herabgestürzt wäre; das Andenken an einige schöne Lebenstage, an einige reizende Genüsse meiner Jugend würde sich mir nicht mit den lebhaftesten Farben darstellen, woran sich meine Einbildungskraft noch bis auf den heutigen Tag ergötzt. Die Ehrsucht ist unter allen Leidenschaften die unfruchtbarste für die Empfindung des Glücks; die Freuden, die sie gewährt, sind trübe, verschlossen, finster und mürrisch wie sie selbst; sie befriedigt sich, ohne je sich zu sättigen; ohne Ruhe, wie ohne Hoffnung, hat sie noch weniger Stetigkeit und ist dem Reize fremd, den man im Stillstand findet. Alles ist für sie ein hinderliches Bollwerk, nichts scheint ihr ein Ziel, wo sie ihren Lauf beendigen könne. Den geringsten Glücksanteil, worauf der Mensch, ohne ein Tor zu sein, Anspruch machen kann, findet er nur in der Gleichgültigkeit gegen alles, was die meisten Menschen lockt und versucht, in einer weisen Verachtung aller umgebenden Außendinge, die nicht wesentlich mit den Grundsätzen der ewigen Gerechtigkeit zusammenhängen (insofern es für Wesen, welche von Natur so durchaus ungerecht und so unselig wandelbar und vorübergehend sind, wie der Mensch, – Gerechtigkeit und Ewigkeit gibt). Nur die, welche es verschmähen, der Glücksgöttin zu huldigen und sich in ihre Launen zu fügen, verdienen von ihr aufgesucht zu werden; sie haben nichts zu besorgen, wenn sie kommt, weil sie nichts zu fürchten haben, wenn sie geht. Das einzige Palliativmittel gegen unsere Leiden liegt in einer unscheinbaren Mittelmäßigkeit. Ich berufe mich auf alle, die mit einem richtigen gesunden Verstande noch einige Geistesgaben vom Himmel zum Geschenk erhielten. Wer von ihnen, wenn er seine Lebensbahn zum zweitenmal durchlaufen könnte, würde sich einen größeren geistigen Schatz wünschen, einen Grad von Verstand, der über alles abspricht, den alles anekelt, der sich so wenige zu Freunden macht und so viele Feinde hat? Wer würde nach den äußeren Eigenschaften trachten, wenn er voraus wüßte, worin das eigentliche Geheimnis der glücklichen Existenz liegt; wie schnell dieses Glück verschwindet, wie unendlich weit es irreführt und welche Saat von Trübsalen es im Frühling des Lebens auf das Feld unseres Daseins streut, damit sie aufgehe und uns im Winter unsere Tage zu unserer Qual und zu unserm Verderben die Früchte einsammeln lasse?

Ende des ersten Bandes

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Memoiren des Grafen von Tilly. Erster Band