Jüdische Internationale; der christliche Staat; Toast auf Jerusalem; Lessing; Schluss

Es war und ist nicht meine Absicht, Herrn Marr Schritt um Schritt zu bekämpfen. Das wäre eine ebenso lästige als unfruchtbare Arbeit. Herr Marr wirft nämlich, um seine Leser gefangen zu nehmen, mit Massen von judenfeindlichen Phrasen und Schlagwörtern um sich, kommt ohne inneren Zusammenhang vom Hundertsten aufs Tausendste, sagt sehr häufig dasselbe, indem er die Wiederholung dadurch vertuscht, dass er es in neuen Zusammenhang bringt, kurz er kennt ganz genau die Redemethode des Agitators. Es ist, wer wüsste das nicht, leichter, Leidenschaften zu erwecken, als zum Verstande zu sprechen, um Vorurteile zu widerlegen.

Letzteres war meine Aufgabe. Darum wollte ich Herrn Marr nicht schrittweise folgen; ich griff vielmehr seine Hauptgedanken auf, brachte sie in eine passend scheinende Ordnung, beleuchtete sie eingehend und denke, dem Leser ein übersichtliches Bild von dem, was Herr Marr behauptet, geliefert und seine Behauptung schlagend widerlegt zu haben. Herr Marr wird sich mir gegenüber weder über Spitzfindigkeit noch über Mangel an Offenheit beklagen können.


Mit Abschnitt II–Xglaube ich den Hauptteil meiner Aufgabe gelöst zu haben. Der Leser erlasse mir gütigst die übliche Rekapitulation; ich muss mich einschränken und habe in Folgen dem noch einige sehr wichtige Punkte zu besprechen, die ich bei meinem oben besprochenen Gang musste bei Seite liegen lassen.

Herrn Marr ist viel daran gelegen, die Meinung zu verbreiten, es herrsche unter den Juden nicht bloß Deutschlands, sondern der ganzen Welt ein gewisses geheimes Einverständnis, sie bildeten so eine Art geheimen Orden, dessen Zweck es ist, dem von Herrn Marr entdeckten Realismes semiticus marricus die Welt zu unterwerfen. In der seit einigen Dezennien in Paris bestehenden Alliance israelite universell sieht er diesen Geheimbund verkörpert.

Was zunächst diese Korperation betrifft, so hat sie sich die allen Regierungen wohlbekannte Aufgabe gestellt, sich der Juden anzunehmen, da wo sie als solche leiden. Sie hat diese Aufgabe hauptsächlich in Staaten, wo Despotismus herrscht, und in deren Angelegenheiten sich die europäischen Mächte ohnehin zuweilen einmischen, wie im Orient, dadurch zu lösen gesucht, dass sie die abendländischen Regierungen, insbesondere Frankreich, auf vorhandene Gefahren für die Juden hinwies und um diplomatische Intervention bat. Nur wer an den Judenschlächtereien Vergnügen findet, wie sie 1840 in Damaskus vorkamen, in Marokko und Rumänien jährlich vorkommen, nur der kann an der A. i. u. Anstoß nehmen; außerdem stellt sich dieser Verein auch die Aufgabe, im Orient Volksschulen für Juden zu gründen, jüdische Knaben Gewerbe erlernen zu lassen, er vollzieht also eine Kulturmission im Orient. Nur Russen freunde, wie Herr Marr, die den Orient versumpfen lassen möchten, um ihrem Musterstaat um so bälder die Weltherrschaft in die Hände zu spielen, können diesen humanitären Verein begeifern.

Andere Tatsachen für eine derartige Verbindung der Juden unter sich hat Herr Marr nicht vorgebracht, vielmehr das Material geliefert, seine Behauptung glänzend zu widerlegen.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die von Herrn Marr konstatierte Tatsache, dass die Juden im Reichstage mit Ausnahme des Centrums in allen Parteien verteilt sind, gegen seine in Rede stehende Behauptung protestiere. Er wird doch Niemandem glauben machen wollen, dass der jüdische Kommerzienrat Hirsch und der jüdische Sozialdemokrat Kayser als Abgeordnete gleiche Ziele erstreben oder auch, dass letzterer um Juden und Judentum sich kümmere. Aber Herr Marr geht noch weiter. Er führt wiederholt das französische Triumvirat von 1870/71 , Gambetta, Simon, Cremieux und den englischen Premier Lord Beaconsfield auf; dass von all diesen nur Cremieux noch Jude ist, macht für Herrn Marr nichts „es liegt Ja im Blute“ , das lässt sich nicht abwaschen. Aber gehen wir weiter: Sehen Sie heute den tiefgreifenden, die Existenz der Republik in Frage stellenden Prinzipienstreit in Frankreich zwischen Gambetta und Simon – Ersterer gegen , Letzterer für die Jesuiten – wo ist da das einheitliche Streben unter den Semiten? Dann noch eines. Sie behaupten, Gambetta, Simon, Cremieux in Frankreich, Lord Beaconsfield in England seien Feinde des Deutschen Reichs, während sie in allem Ernste konstatieren, die deutschen Juden seien die „besten Bürger“, „die treuesten Reichsfreunde.“ Nochmals frage ich: Wo ist da das einheitliche politische Streben unter den Juden?

Aber diese Ihre Beispiele beweisen etwas ganz anderes. Erstens, dass die Juden überhaupt die Interessen der Länder vertreten und fördern, denen sie angehören, und als solche sich ihnen nützlich machen. Zweitens dass andere Völker diejenigen mit staatlichen Ämtern betrauen, die ihnen die tüchtigsten scheinen, ohne sich um deren „semitische“ Abstammung zu bekümmern. Darum rufe ich Herrn Marr die Worte Raymonds ins Gedächtnis: Dass der Premier von Großbritannien und der Kammerpräsident der französischen Republik jüdischen Ursprungs sind, werden Sie wohl nicht im Ernste als Symptome einer Verjudung jener Staaten hin – stellen wollen.

Zum Schlusse dieses Gegenstands ist noch eins hervorzuheben. Herr Marr kennt die inneren jüdischen Zustände, war er ja zweimal mit Jüdinnen verheiratet und einige meinen: hinc illae lacrymae – auch weiß er, was ich erst durch ihn, er wahrscheinlich an einem Zeitungsschalter erfahren, dass 15 spezifisch jüdische (d. h. spezifisch jüdisch religiöse Interessen vertretende) Zeitschriften erscheinen, aus denen er sattsam den Unterschied zwischen Reform und Orthodoxie kennen zu lernen vermag, und er hat ihn kennen gelernt, denn, wie wir später sehen werden, unterscheidet er sie scharf oder wirft sie zusammen, wie es ihm passt; er muss als Publizist auch wissen, dass vor einigen Jahren das Gemeindeaustrittsgesetz für Juden erlassen worden ist, welches die Spaltung der Juden in zwei Lager möglich macht – sage mir nun einer, wie ein gemeinsames Hinarbeiten der Juden nach einem Ziele bei dieser inneren Spaltung möglich ist – auch nur in Deutschland.

Herr Marr wird nicht verlegen. Er wird antworten: Wenn die Juden auch in religiöse Parteien zerfallen, so können sie dennoch in Vertretung „ihres realistischen Strebens“ einig sein und nach einem Plane handeln. Bravo, echt marrisch! Aber der Leser möge aufmerken: Wie ein roter Faden zieht sich durch seine Broschüre der Gedanke, „die Juden verfolgen einen einheitlichen Plan, um die Welt ihrem Realismus zu unterwerfen;“ auch betont er dutzendmale das „generelle realistische Streben“ der Juden. Auf Seite 26 seiner zweiten Broschüre erzählt er aber: der generelle Realismus hatte die Juden angetrieben, die Emanzipation zu erstreben, die vormärzlichen jüdischen „Finanzbar one“ nahmen an diesem Streben aber wenig Anteil, denn: In Geldsachen kennt der Jude auch unter Seinesgleichen keinen Idealismus.“ Eine merkwürdige Rasse diese „Marr'schen Juden.“ Sie sind generell realistisch gegen alle Welt außer ihnen, und individuell realistisch einer gegen den andern. Sie handeln generell nach einem einheitlichen Plane und jeder unterlässt individuell die Förderung dieses Planes, wo es nicht in seinem eigenen Interesse liegt. Ein merkwürdiges Volk wahrlich, das solche sich gegenseitig aufhebende Widersprüche in sich vereinigt. Doch merkwürdiger ist die Taschenspielerkunst des Herrn Marr, merkwürdiger seine Souveränität gegen die Wahrheit, gegen sein vor einer Stunde niedergeschriebenes Wort. Doch er ist „einer der befähigtesten Publizisten“. Glaubt wohl Herr Marr selber an den „generellen Realismus der Juden“? Damit verlass ich diesen Gegenstand.

Der konfessionslose Herr Marr ist zwar schon in seiner ersten Broschüre manchmal aus seiner konfessionslosen Rolle gefallen; allein das genügte Herrn Dr. Messner, dem Redakteur der „Neuen evangelischen Kirchenzeitung“ nicht; er glaubte Herrn Marr dafür tadeln zu müssen. Charakterfest, wie Herr Marr ist, sagte er allerdings nicht alsbald „pater peccavi“. Er hofft, es wird bald kommen, dass auch Freigeister in der Kirche Platz haben. Allein ganz abweisen will er den Herrn Dr. Messner doch nicht, er will einstweilen neben Herr Dr. Messner auf neutralem Boden gegen die Juden kämpfen. Dabei appelliert der konfessionslose Herr Marr an den christlichen Staat und behauptet: Ein materielles Interesse, dass das Christentum zu Boden geworfen werde, hat nur Israel. Man sieht, wenn es wahr ist, was man behauptet, dass Herr Marr selbst jüdischer Abkunft ist, so wird sicher aus dem ehemaligen Radikalen und heutigen Konfessionslosen noch – ein Stahl. Was nun den christlichen Staat betrifft – d. h. einen Staat, in welchem nur gläubige Christen das Bürgerrecht besitzen – so hatte dieser seine Zeit; da gab es Waldenser Austreibungen, Huss- und andere Ketzerverbrennungen.

„Mönchlein, Mönchlein du gehst einen schweren Gang.“

Wir Juden führen nicht so schlecht dabei; wir kämen allerdings um die Emanzipation, aber nach dem kanonischen Rechte kann man den Juden als solchen nichts anhaben; aber was gäb es dennoch da zu verbrennen! Doch die Sache ist zu ernst, um zu scherzen. Denken wir uns den christlichen Staat, wie sich ihn Stahl, Leo und ihre Gesinnungsgenossen vorstellten. Schon vor etwa 120 Jahren schrieb Mendelssohn: „Zählt die Männer alle, die Eure Lehrstühle und Eure Kanzeln besteigen, und so manchen Satz, den sie bei Übernehmung ihres Amts beschworen, in Zweifel ziehen, die wahrhaftig großen Männer alle, die Amt und Würde bekleiden und jene Artikel, die sie beschworen, nicht so unbedingt annehmen, als sie ihnen vorgelegt worden, zählt sie und sagt alsdann noch, man könne meiner unterdrückten Nation keine bürgerliche Freiheit einräumen. (Ges. Schr. IlI., 392.) Ist das heute anders; freilich, man hat die Eidesformel geändert und schon gibt es manche die ehrlich erklären, sie können nicht schwören: „So wahr mir Gott helfe,“ und manche, manche . . . . Wollen Sie, Herr Marr, Ihren christlichen Staat herstellen und dabei ehrlich zu Werke gehen, so legen Sie eine Matrikel an und verzeichnen darin alle Germanen, die nicht Christen sind, wenn Sie das können, und schließen auch diese aus, diese erst recht noch vor den Juden; denn:

Ihre Behauptung, dass nur Israel ein materielles Interesse habe, dass das Christentum zu Boden geworfen werde, ist ebenso boshaft als unwahr.

Wenn Sie sagen, die Juden haben ein materielles Interesse, dass Deutschland zu Boden geworfen werde, so hat das nach Ihrem Gedankengang wenigstens einen Sinn. Welchen Sinn soll es aber haben, dass Sie hier für Germanentum Christentum hereineskamotieren? Wenn die Juden nur von Ausbeutungssucht getrieben werden, was mag ihnen für ein Unterschied sein, ob sie Fetischanbeter, Muhamedaner oder Christen ausbeuten. Das kann Ihnen, Herr Marr, nur die Bosheit diktiert haben; denn für so dumm halte ich Sie nicht, um anzunehmen, Sie kennen die Tragweite des Unterschiedes nicht. Durch diese Redewendung stellen Sie sich neben den gemeinsten Hetzredakteur; denn für unsere Zeit lautet dieser Satz gar nicht anders, als jener von Ihnen verurteilte, welcher so viel Blutvergießen hervorgerufen. Sie verhöhnen nicht bloß zynisch die Ideale Ihrer Jugend; auch das, was Sie vor zwei Monaten geschrieben, stempeln Sie heute zur Lüge, ohne zu erröten.

Ihre Behauptung ist aber auch unwahr, durch aus unwahr. Die Juden negieren allerdings einen Teil der christlichen Dogmen; begehen sie damit etwas Schlimmeres als etwa Strauss und Renan, deren Schriften am Schaufenster jedes Buchladens liegen und von Hunderttausenden gelesen und – geglaubt werden. Müssten die Juden durch ihr Festhalten an der historischen Unterlage des Christentums, durch den gemeinschaftlichen Glauben an einen Welt–Schöpfer und Lenker, an die Unsterblichkeit der Seele dem gläubigen Christen nicht mehr bedeuten, als die Millionen jener Namenchristen, die auch das leugnen!

Aber ich kann einen Schritt weiter gehen. In so fern das Christentum der Menschheit einen Teil des Judentums, wenn auch mit nicht jüdischen Zusätzen, übermittelt hat, erkennt das Judentum in demselben, wie auch im Islam, eine hochwichtige Phase in der Entwickelung der Gottes- und Sittlichkeitsideen, einen bedeutenden Fortschritt im Heilsplane des Schöpfers. Ich kann mir es nicht versagen, die Worte eines
Mannes über dieses Thema hierher zu setzen, eines Mannes, den Herr Marr als seinen Landsmann sicherlich dem Rufe nach kennt und auch anerkennt. Herr Rabbiner S. R. Hirsch schreibt (Neunzehn Briefe über Judentum von Ben-Usiel, S. 42): Das Judentum hat am Vorabend seiner Wanderung einen Sprössling abgesetzt, der ihm sich halb entfremden musste, um an die in Vielgötterei, Gewalttätigkeit, Unsittlichkeit und Menschenentwürdigung versunkene Welt mindestens von dem All einen und von Brüderschaft aller Menschen und von Erhabenheit des Menschen über dem Tiere Botschaft zu bringen und Lossagung von Genuss- und Besitzvergötterung zu lehren – großer Schritt zur Förderung des Ziel es aller Geschichte.*) Das ist keine Negation, das ist eine positive Würdigung des Christentums in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung.

Nochmals sage ich, diese Behauptung Herrn Marrs ist eben so boshaft als unwahr; es mag sein, dass er sich durch sie bei Herrn Dr. Messner in Gunst gesetzt; in den Augen jedes Ehrenmannes, der nicht Fanatiker ist, hat dieses Kunststück ihn tief erniedrigt.

Ganz ähnlich verhält es sich mit Folgendem. Herr Marr spricht es deutlich aus, dass er hauptsächlich die Reformer als seine Gegner betrachte und rühmt die Orthodoxen. Das ist aber nur so gesagt. Er weiß, die Juden sprechen am Passahabend: „Das nächste Jahr in Jerusalem!“ Daraus will er herleiten, dass sie nicht in den deutschen Staat hereintaugen. Nun weiß Herr Marr sicher, dass wohl nur wenige Reformer diesen Satz aussprechen und von diesen Wenigen gewiss keiner mit dem Glauben an seinen Sinn. Wie kann er nun den Reformern diesen Satz vorwerfen! Meint er aber die Orthodoxen, nun er hat ja gesagt, die Juden seien die „besten Bürger“, die „treuesten Reichsfreunde“. Wie kann er diesen Satz den Orthodoxen vorwerfen. Sollten sie schlechtere Bürger sein, wie kann der patriotische Marr ihnen so warme Anerkennung zollen, wie er getan.

Doch gehe ich auf die Sache ein; das Judentum hat nichts zu verheimlichen; ich gestehe Herrn Marr zu, dass auch ich diesen Satz mit voller Kenntnis seines Inhaltes spreche, und mit mir Hunderttausende. Man gestatte mir eine Andeutung seines Inhalts.

*) Dieser Gedanke zieht sich durch die ganze jüdische Literatur und lässt sich schon im Talmud nachweisen. Deutlich finde ich ihn ausgesprochen bei Jeh. Helevi (st. 1145) im Kusari IV, 23; bei Maimonides (st. 1204) am Schlusse seines großen Ritualcodex (Amst. v. J. 1701/2); bei Nachmani (st. 1270) in einer von Jellineck edierten Predigt S. 5; sehr beredt bei J. Emden (st. 1776) in der Einl. zu dem von ihm edierten Buche Juchasim.

Das Judentum ist nicht, wie Herr Marr, pessimistisch; ihm ist die Welt die absolut beste. Aber es kann in einer Gesellschaft, in welcher Millionen auf den Augenblick lauern, der es ihnen möglich macht, ihre Mitmenschen mit Hab und Gut zu verschlingen, es kann in einer Gesellschaft, die ihre besten Jugendkräfte mit Millionen von Mord- und Zerstörungswerkzeugen bereit halten muss, um nicht jeden Augenblick vom Nachbar mit Krieg überzogen zu werden, nicht die erlöste Menschheit erkennen. Vorwärts liegt ihm das goldene Zeitalter. Es erhofft eine Zeit, wo der Wolf beim Lamm wohnt, wo kein Volk gegen das andere das Schwert erhebt und man die Kriegskunst nicht mehr erlernt, wo jeder sicher wohnt unter seinem Weinstock und Feigenbaum, wo kein Kulturkampf mehr ist, weil ein Bethaus sein wird für alle Völker.

Wenn nun Israel hofft, dass in jener Zeit die Menschheit ihm gestatten wird, in Frieden und Ehren heimzukehren in das Land, wo dieser erhabenste Gedanke geboren wurde, in Frieden und Ehren, ohne, wie Herr Marr meint, durch russische (sic) oder französische Diplomaten- oder Waffenkünste töricht wird Herr Marr diesen Gedanken nicht nennen, da er ihn ja heute schon verwirklichen will; staatsgefährlich ist er auch nicht. Ein anderes wär's, wenn wir auf Wien oder Berlin, Rom oder Konstantinopel unsere Augen richteten – aber Jerusalem, wie es heute ist – das ist weder staatsgefährlich noch realistisch, zumal wir nie konspiriert haben, um den Gedanken – einen Menschheitsgedanken – zu verwirklichen. Lasst uns auf Jerusalem, Herrn Marr auf die Alliance von Russland und Frankreich toastieren; Herr Reymond, kein Judenfreund, bezeugt: „Wir kennen in der Weltgeschichte kein durch Verjudung in Verfall geratenes Volk.“

Zum Abschiede, Herr Marr, noch ein Wort über ihre Nathan-Hypothese. Sie meinen, Lessing konnte sich kein anderes Ideal eines Juden denken, als einen Geldjuden, einen Rothschild Saladins. Ich werde Ihnen durch Lessing selbst beweisen, dass Ihre Behauptung unrichtig ist. Schon 1747, also vor dem „Nathan“ schrieb Lessing sein Erstlingsdrama: „Die Juden“. Dort ist der Held kein „Geldjude“. Durch dieses Drama hat Lessing aber einen andern Gedanken ausgesprochen: „dass er sich weder einen gebildeten noch einen ungebildeten Deutschen denken kann, ohne Hass und Vorurteil gegen die Juden.

Ein Jude hat auf der Reise einen Baron aus Mörderhänden errettet, er will unerkannt bleiben und weist jede Belohnung zurück. Als ihm der Gerettete die Hand seiner Tochter anbietet, stottert er: – ich bin Jude – da hat des Barons Freundschaft und Dankbarkeit ihr Ende erreicht und Lessing lässt den Juden sprechen; „Zu aller Vergeltung bitte ich nichts, als dass Sie künftig von meinem Volke etwas gelinder und weniger allgemein urteilen. Ich habe mich vor Ihnen verborgen, nicht weil ich mich meiner Religion schäme, nein, ich sah aber, dass Sie Neigung zu mir und Abneigung gegen meine Nation hatten.“ Des Juden Diener, der durch seinen jüdischen Herrn aus Not und Elend gezogen worden, meint, die ganze Christenheit sei in ihm beleidigt, dass er einem Juden, nicht der Jude ihm gedient habe. Lessing lässt ihm durch den Helden seines Dramas antworten: „Ich kann Euch nicht zu muten, dass Ihr besser als der andere Pöbel denken sollt.“ Dies zum Abschied.