Die deutsche Kriminalstatistik und Strafliste

Ein flüchtiger Blick auf die deutsche Kriminalstatistik*) lehrt uns, dass im allgemeinen die christliche Kriminalität größer als die jüdische ist. Es wurden nämlich von 1882—1889 überhaupt wegen Verbrechen und Vergehen verurteilt 2.699.799 Christen und 27.453 Juden. Setzen wir diese Zahlen in Beziehung zu der strafmündigen Zivilbevölkerung christlichen und jüdischen Bekenntnisses, so sehen wir, dass auf 100.000 über 12 Jahr alte Christen: 8.404,2; dagegen auf dieselbe Zahl über 12 Jahr alter Juden 6.965,5 Verurteilte kommen. Die Kriminalität der Christen zu der der Juden verhält sich also wie 1:0,83; oder die christliche Bevölkerung zeigt eine 1,205 Mal größere Kriminalität als die jüdische Bevölkerung.

Man muss schon die Kühnheit eines Fritsche**) haben, um aus dieser Tatsache die Behauptung zu ziehen, „dass die Beteiligung der Juden an den Verbrechen eine im Verhältnis viel größere ist, als die der Deutschen.“ In der Tat, aus diesen allgemeinen Angaben der Kriminalstatistik lässt sich ein Strick für die Juden nicht drehen, so ist man denn auch gezwungen, die statistischen Daten so lange zu drehen und zu gruppieren, bis das gewünschte Resultat herauskommt. Das ist zwar keine wissenschaftliche Methode, es ist nicht einmal sehr anständig, aber es verfehlt doch seine Wirksamkeit nicht, denn der ehrsame Philister, der schon vor der Druckerschwärze eine unbegrenzte Hochachtung hat, beugt sich überzeugt und zerknirscht vor jeder statistischen Zahlenangabe.


Auch Herr Giese prostituiert in seiner zitierten Arbeit in der geschilderten Weise die Statistik. Von den verschiedenen Deliktsgruppen eignen sich am besten die Delikte gegen das Vermögen dazu, um die außerordentlich hohe Kriminalität der Juden nachzuweisen; aber auch nicht alle, denn wenn man die Gesamtzahl aller Eigentums-Delikte betrachtet, so sieht man, dass hier die Christen eine 1,449 Mal größere Kriminalität aufweisen als die Juden.***) Bringt man die Verurteilungen wegen Diebstahls und Sachbeschädigung in Abzug, so stehen sich 435.082 verurteilte Christen und 7.578 verurteilte Juden gegenüber, ans 100.000 Strafmündige derselben Kategorie 1.354,4 Christen und 1.922,7 Juden, so dass diesmal die Juden eine 1,42 Mal so große Kriminalität zeigen als die Christen. Von dieser Tatsache werden wir ausgehen müssen, wenn wir die Behauptungen der Antisemiten über die größere Kriminalität der Juden in das rechte Licht stellen wollen. — Schon bei dieser Tatsache ist der Antisemitenkatechismus gezwungen, sich für Mörder, Räuber und Einbrecher besonders zu erwärmen, haben diese doch nur solche Verbrechen begangen, „die in gewissem Maße Mut und Tatkraft beanspruchen“, damit man nicht etwa versuche, die jüdischen Verbrechen einfach gegen die christlich-germanischen aufzurechnen. Unseres Erachtens freilich zeugt es von wenig gutem Geschmack, einen Einbrecher dem Wucherer gegenüber einen liebenswürdigen Menschen zu nennen; aber dieses Auseinanderzerren gleichartiger Delikte, nur um den Juden eins zu versetzen, ist nicht bloß geschmacklos, es zeugt vielmehr — wenn man es wie Herr Fritsche macht — von einer solchen Skrupellosigkeit in der Wahl der Mittel zum Zwecke der Verhetzung, dass dies allein zur Illustrierung der antisemitischen Kampfesweise genügt.

Aber wir sind keine Philosemiten, die mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe die Fehler der Juden verhüllen wollen, wir wollen vielmehr nur kritisch untersuchen, ob ein Einfluss der jüdischen Rasse auf die Kriminalität zu konstatieren ist. Zu diesem Zwecke ist der Leser, wenn er uns folgen will, wohl oder übel gezwungen sich zunächst“ durch folgende Liste von Vergehen und Verbrechen durchzuarbeiten, bei welchen die Juden eine höhere Kriminalität aufweisen als die Christen. Um den Einwand der Voreingenommenheit von vornherein abzuschneiden zählen wir sämtliche Delikte in derselben Weise auf, wie dies auch Herr W. Giese tut. Wir zitieren zu diesem Zwecke zunächst die auf 100.000 der strafmündigen Bevölkerungsklasse entfallende Zahl bestrafter Christen auf, dann die ebenfalls auf 100.000 strafmündige Juden verurteilten jüdischen Verbrecher und geben schließlich mit Q bezeichnet die Zahl, welche angibt, um wie viel Mal größer die jüdische Kriminalität als die christliche ist. In dieser Strafliste finden wir nun:

4g Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften über Beschäftigung von Arbeiterinnen bzw. jugendlichen Arbeitern. Crim.: 4,9; 43,4 Q =8,86.
4h Zuwiderhandlungen in Bezug aus Konzessionspflicht etc., sowie gegen behördliche Anordnungen betreffs Sicherheitsvorrichtungen bei gewerblichen Einrichtungen. Crim.: 96,1; 196,9 0 = 2,05.
4i Andere Vergehen gegen die Gewerbeordnung (hauptsächlich Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über Löhnung der Arbeiter und Nötigung usw. zur Arbeitseinstellung und Arbeitsentlassung). Crim.: 3,8; 9,1 Q == 2,39.
4l Vergehen gegen bas Sozialistengesetz. Crim. 3,7; 5,1Q = 1,38.
4m Verbrechen und Vergehen gegen verschiedene, die öffentliche Ordnung betreffende besondere Reichsgesetze (betr. Schifffahrt, Inhaberpapiere und Reichskassenscheine, Impfwesen, Krankenversicherung, Presse, Sprengstoffe). Crim.: 10,4; 13,7 Q. = l,32.
5a Münzverbrechen. Crim.: 3,5; 3,8 Q = 1,09.
5b Münzvergehen. Crim.: 1,9; 5,6 Q = 2,95.
7 falsche Anschuldigung. Crim.: 12,6; 26,4 Q = 2,10.
8 Vergehen, die sich auf die Religion beziehen. Crim.: 6,5; 15,0 Q = 2,31.
10f Kuppelei. Crim.: 41,6 ; 50,7 Q = 1,22.
10g Ärgernis durch unzüchtige Handlungen, Verbreitung unzüchtiger Schriften. Crim.: 34,6; 45,4 Q — 1,31.
11 Beleidigung: Crim.: 1006,5 ; 1488,8 Q = 1,48.
12 Zweikampf. Crim.: 2,7 ; 14,7 Q = 5,44.
14f Fahrlässige Körperverletzung. Crim.: 43,7 ; 44,1 Q = 1,01.
15b widerrechtliche Freiheitsentziehung. Criminal.: 4,3; 5,3 Q = 1,23.
17b Erpressung. Crim.: 11,3 ; 28,2 O = 2,50.
18c Gewerbs- und gewohnheitsmäßige Hehlerei. Crim.: 4,6; 23,3 Q = 5,07.
18d Hehlerei im wiederholten Rückfalle. Crim.: 1,0; 2,5 Q = 2,50.
19a Betrug. Crim.: 304,0 : 673,1 Q = 2,21.
19c Untreue und Pflichtwidrigkeit des Vorstandes u. s. w. einer Aktiengesellschaft etc., sowie Vergehen gegen das Bankgesetz etc. Crim.: 10,6 ; 14,7 Q = 1,39.
19d Verfälschung von Nahrungs- und Genussmitteln etc. Crim.: 11,5; 22,5 Q = l,96.
20a Urkundenfälschung. grün.: 74,0; 132,2 Q = 1,79.
20b Unterdrückung von Urkunden. Crim.: 1,6; 3,3 Q = 2,06.
21a Betrüglicher Bankerott. Crim.: 3,3; 36,5 Q = 11,1.
21b Einfacher Bankerott. Crim.: 9,6 ; 200,4 Q — 20,9.
21c Andere Vergehen und Verbrechen aus ein Konkursverfahren. Crim.: 2,2 ; 12,4 Q = 5,64.
22a Vergehen in Bezug auf Glücksspiele und Lotterien. Crim.: 19,9 ; 54,8 Q = 2,75
22e Verletzung fremder Geheimnisse. Crim.: 2,9; 10,4 Q = 3,59.
22f Wucher. Crim.: 1,1; 20,8 O = 18,9.
22g Andere Fälle strafbaren Eigennutzes. Crim.: 3,7; 5,1 Q = 1,38.
22h Vergehen in Bezug auf das geistige Eigentum. Crim.: 2,0; 19,0 Q = 9,50.
24e Wissentliche Verletzung von Absperrungsmaßregeln bei Viehseuchen, insbesondere von Einfuhrverboten zur Abwehr von Rinderpest etc. Crim.: 18,3; 39,8 Q = 2,17.
24g Herstellung und Feilhalten gesundheitsschädlicher Nahrungs-, Genuss- und Gebrauchsgegenstände. Crim.: 11,5; 45,9 Q = 3,99.
25a Bestechung (aktive). Crim.: 13,2; 37,3 Q = 2,83. Einem statistisch ungeschulten Menschen kann es in der Tat recht schwül werden, wenn ihm diese Liste von jüdischen Schandtaten vorgelegt wird. Aber eben auf ein solches Leserpublikum ist die ganze Brochüre zugeschnitten. —

Ehe wir auf die Würdigung der einzelnen Punkte eingehen, wollen wir ein objektives Urteil darüber anführen, wie wenig sich im Allgemeinen die kriminalstatistischen Daten, welche sich auf die Verbrechen der verschiedenen religiösen Bekenntnisse beziehen, zur Charakterisierung des „verbrecherischen Hanges“ bei Juden und Christen, bei Katholiken und Protestanten vermerken lassen. Herr Dr. jur. Klein, kgl. preußischer Gerichts-Assessor, kommissarischer Hilfsarbeiter im kaiserlichen Statistischen Amt, der den diesbezüglichen Teil der Kriminalstatistik für 1890 bearbeitet hat, führt nämlich 1. c. pag. II. 19 aus:

,, ... Die Juden stehen ... ungünstig und übertreffen die Christen in der Kriminalität bei den Deliktsarten: Beleidigung, Erpressung, Betrug und Urkundenfälschung."

„Alle diese Ergebnisse jedoch auch nur zu einem größeren Teile auf die Religion der Verurteilten zurückzuführen, erscheint nicht angängig. Die in der vorliegenden Statistik berücksichtigten Religionen und Konfessionen unterscheiden sich in den Grundlehren der Moral, soweit wenigstens europäische Kulturstaaten und insbesondere das deutsche Reich in Frage kommen, nicht so weit, dass man es unternehmen könnte, die Unterschiede in der Kriminalität aus solche Bekenntnisse zurückzuführen. Will man daher überhaupt in der Religion und Konfession einen Einfluss auf die Kriminalität ihrer Bekenner suchen, so muss man sich doch vergegenwärtigen, dass daneben andere, so mächtige Faktoren wirken, dass diejenigen der Religion dagegen verschwinden, und man statistische Vergleiche in dieser Beziehung nur dann mit einiger Sicherheit anstellen dürfte, wenn man Personen desselben Geschlechtes, desselben Alters, desselben Berufes, derselben Provinz nach ihrem Bekenntnis neben einander stellte, d. h. also die anderen Faktoren der Kriminalität eliminierte; und dann wäre noch zu erwägen, dass die innere Religiosität und Konfessionstreue — denn diese wäre es doch, welche je nach ihrer Verschiedenheit in verschiedenem Maße vor Verbrechen und Vergehen bewahren sollten — sich auch nicht beurteilen lassen aus den Nachweisungen dieser Statistik, welche nur in äußerer Weise erkennen lassen, ob ein Verurteilter sich zur christlichen oder jüdischen Religion, oder zur evangelischen oder katholischen Konfession hinzugerechnet habe. Die oben mitgeteilten Erscheinungen können daher in ihrer Allgemeinheit nicht die Kriminalitätsverschiedenheiten der nachgewiesenen Religionen und Konfessionen zum genauen Ausdruck bringen, frühere Untersuchungen, welche für kleinere Bezirke mit möglichst gleichmäßiger Verteilung der Bevölkerung auf die Konfessionen u. s. w. angestellt wurden, haben ergeben (vergl. Stat. d. Deutsch. K. N. F. Bd. 30. S. II 28 fg.), dass in überwiegend katholischen Gegenden unterschiedlich eine hohe und eine geringe Kriminalität vorkommt, also die Konfession in ihrem Einfluss durch die Landes- (Volks-) Natur (Temperament) überwogen wird. So wird die höhere Kriminalität der Katholiken durch ihre Verbreitung im Osten erklärt, wo überhaupt eine hohe Kriminalität herrscht, ebenso die Mehrbelastung bei Körperverletzung. Die hohe und den christlichen Kriminalitätsanteil überwiegende Kriminalität der Juden bei Beleidigung, Erpressung, Betrug und Urkundenfälschung stimmt überein mit einer hohen Beteiligung an diesen Deliktsarten der im Handel und Verkehr Berufstätigen, zu denen die Juden ein hohes Kontingent stellen.“

Für jeden Einsichtigen würden diese Ausführungen vollauf genügen, dass sie darum für einen Antisemiten nicht genügen, lässt sich also a priori vermuten. Wir müssen deshalb notgedrungen auf die einzelnen Delikte, in welchen die Juden prävalieren, des näheren eingehen.

In dieser ganzen langen Reihe finden sich zunächst eine große Anzahl von Delikten, die nur ein Laie in der statistischen Wissenschaft gegen die Juden ausbeuten kann. Bei einzelnen Vergehen sind nämlich in Folge der geringen Zahl überhaupt Bestrafter die Kriminalitätsziffern so klein, dass hier der unkontrollierbare Zufall eine sehr große Rolle spielen kann. Ein Beispiel wird das sofort klar machen:

*) Wir berücksichtigen nur die Kriminalstatistik von 1882—1889, obwohl bereits der Band für 1890 vorliegt, weil wir Resultate erhalten wollen, die mit den Angaben Gieses, der nur bis 1889 geht, unmittelbar vergleichbar sind.

**) Fritsche, Antisemitenkatechismus.

***) Wegen Verbrechen und Vergehen gegen das Eigentum wurden von 1882—1889 verurteilt:
Christen 1.271.634
Juden 10.813
auf 10 000 der strafmündigen Zivilbevölkerung gleicher Kategorie:
Christen 3958,5
Juden 2743,5.
l*) Hoch- und Landesverrat usw. Crim.: 0,4; 0,5 Q = 1,25.
4d Verlegung der Wehrpflicht; Crim.: 320,2; 764,5 0 = 2,39.
4 f Andere Vergehen wider Abschnitt VII, sowie Vergehen gegen § 49a des St.-G.-B. (hauptsächlich öffentliche Gewalttätigkeiten, Anmaßung eines öffentlichen Amtes, unbefugte Beseitigung öffentlicher Siegel, Aufforderung oder Entbieten zu einem Verbrechen, Teilnahme an verbotenen Verbindungen) Crim.: 13,7; 14,7 Q = l,07.

*) Nummern des abgekürzten Verzeichnisses der Kriminalstatistik.