Einleitung
Der Kampf der Hansestädte mit König Waldemar Atterdag von Dänemark führt uns in eine Periode der deutschen Geschichte, die man als eine Zeit des Niederganges zu bezeichnen pflegt. Reichlich hundert Jahre waren verflossen, seitdem der letzte große Staufer, Friedrich II., vergeblich versucht hatte, dem Gedanken des römischen Kaisertums, des imperium mundi, greifbare Gestalt zu verleihen. Er unterlag der fester begründeten Macht päpstlicher Weltherrschaftsansprüche, dem berechtigten Widerstande der aufstrebenden italienischen Kommunen. Sein Haus hatte sich zum Träger eines welthistorischen Gedankens gemacht, dessen vollständige Durchführung ohne die Verletzung zahlloser berechtigter Interessen nicht möglich war; es musste dem Gange der Geschichte zum Opfer fallen.
Aber mit Recht trauerte das deutsche Volk um den Untergang des hochstrebenden und hochbegabten Geschlechts, knüpfte in Sagen und Liedern seine Hoffnungen an die stolzen und kühnen Männer, die mit mehr Tapferkeit und Mut als Glück und Geschick an seiner Spitze nach der Weltherrschaft gestrebt hatten. Denn mit dem Glanze, den die römische Kaiserkrone auf dem Haupt kraftvoller deutscher Könige unserem Volke verlieh, schwand auch das Ansehen dahin, das die Deutschen vor allen andern Völkern des Erdteils genossen hatten. Waren sie bisher die ersten gewesen in Europa, so galten sie jetzt nicht mehr als Franzosen und Engländer, Spanier und Italiener und bald noch weniger. Die Franzosen verstanden es, länger als ein halbes Jahrhundert das Papsttum unter ihren Einfluss zu bringen und die Früchte einzuernten, die der Sieg desselben über das Kaisertum und über Deutschland zeitigen musste. In der alten Rivalität der beiden Nachbarvölker brachte besonders die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts entschieden eine Wendung zu Gunsten unserer westlichen Nachbarn.
Allerdings widmeten sich die Nachfolger der Staufer mehr den heimischen Angelegenheiten, verzichteten auf die Träume einer Weltherrschaft. Aber keineswegs gelang ihnen, was jene über ihrer auswärtigen Politik vorabsäumt hatten, die Beschränkung der immer mächtiger aufstrebenden Territorialgewalten. Anstatt diese in ihrer Entwicklung zu hemmen, betraten sie mit ihnen die gleiche Bahn, liefen ihnen auf dieser, gerade vermöge ihrer königlichen Stellung, den Rang ab. Ihre Beschäftigung mit deutschen Angelegenheiten wurde zu einem rücksichtslosen Streben nach Vergrößerung der eigenen Hausmacht. Immer mehr erstarb das Gefühl der deutschen Nationalität und ihrer Einheit, das dereinst in dem gemeinsamen Kampf für Glanz und Hoheit der Kaiserkrone einen festen Anhaltspunkt gefunden hatte; nur in einzelnen territorialen Gebilden, die in ihrer ganzen Stellung und Geschichte auf das Reich hingewiesen waren, erhielt es sich noch rege, so besonders in den Städten. Wie kläglich erscheint uns der Kampf Ludwigs des Bayern mit den Päpsten, verglichen mit dem gewaltigen Ringen der Staufer gegen Rom! Nicht mehr macht das deutsche Reich unter Führung des universalen Kaisertums, die erste Macht der Christenheit, den römischen Bischöfen die Weltherrschaft streitig — ein Landesfürst sucht sein Recht zu wahren gegenüber den Anpassungen der Curie.
In voller Klarheit tritt dieser nicht auf das Reich, nein auf das Territorium sich beschränkende Standpunkt der deutschen Könige hervor in Karl IV. Was dieser begabte, einsichtsvolle und durchaus nicht energielose Herrscher im Laufe seiner dreißigjährigen Regierung für das deutsche Reich getan hat, verschwindet, verglichen mit seiner Tätigkeit in den böhmischen Erblanden. Die Dinge im Reiche gehen ihren Gang; nur selten greift der Kaiser ein und dann meistens nur, um seinen eigenen Vorteil zu verfolgen, nicht selten die Reichsgewalt missbrauchend, um sein landesherrliches, sein territoriales Interesse zu fördern. Kein Wunder, dass sich immer mehr ein System der Territorialpolitik in Deutschland entwickelt, wie es die andern großen Länder Europas, Italien Ausgenommen, nie gekannt haben. Es bilden sich innerhalb des Reichs einzeln oder in Gruppen politische Gewalten, die wenig Interessen kennen über ihre beschränkten Grenzen hinaus. Innerhalb dieser verleugnen sie allerdings nicht die alte deutsche Kraft; aber die kriegerische Tüchtigkeit des Volks, der furor Teutonicus, so oft der Schrecken der Fremden, wird jetzt dem Lande zur entsetzlichen Plage. Von den Alpen bis zum Meere wiederhallt es vom Waffenklange; in erbitterten Fehden kämpfen die kleinen territorialen Gebilde mit einander um ihre Existenz und greifen dadurch unendlich hemmend und hindernd in unsere Entwicklung ein. Nur in einem Teile unseres Vaterlandes wendet sich die in der Selbständigkeit erstarkte Kraft der partikularen Bildungen einem würdigeren Ziele zu: es ist der Nordosten.
Schon zu den Zeiten, da noch die Staufer die Kräfte des Reiches für ihre großartigen Pläne in Anspruch nahmen, entwickelten partikulare Kräfte hier eine weitgehende Initiative. Während Friedrich Barbarossa den Widerstand der italienischen Kommunen zu brechen und feindliche Päpste zu beugen suchte, gewannen Heinrich der Löwe und Albrecht der Bär weite slawische Gebiete deutscher Herrschaft und deutscher Kultur. In den Tagen, da Friedrich II. in fruchtlosem Ringen sich abmühte, der Kaisergewalt in Italien unbedingte Anerkennung zu verschaffen, pflanzten deutsche Ritter im fernen Nordosten das Samenkorn, aus dem sich der mächtige Baum entwickeln sollte, in dessen Schatten die deutschen Völker jetzt sicher wohnen. Und dieser Geist erlosch nicht, als die Römerzüge ein Ende nahmen. Als das Reich den umwohnenden Völkern gegenüber seine Bedeutung immer mehr verlor, da sorgten besonders im Norden und Osten die frisch emporblühenden Territorialgewalten dafür, dass die Nachbarn auch ferner Achtung behielten vor deutscher Tatkraft und deutscher Macht. Hier zeigte es sich, dass das deutsche Leben noch in kräftigen Pulsschlägen sich rege, während Kaiser Ludwig, nicht ohne Schuld des Reiches, im Kampfe mit päpstlich-französischen Intrigen eine traurige Rolle spielte, sein Nachfolger Karl IV. die blutumworbenen Rechte des Reichs in Italien in friedlichen Übereinkünften als verloren anerkannte und im Westen der Abbröckelungsprozess begann, der in jahrhundertelangem Verlaufe die französische Macht bis unmittelbar an die Ufer des deutschen Rheines führen sollte. Denn eben in jenen Tagen sehen wir im Norden unseres Vaterlandes Dänemark fast zwei Jahrzehnte in der Hand der holsteinischen Grafen, Schweden ein Vierteljahrhundert beherrscht von einem Mecklenburger, den gefürchteten Dänenkönig Waldemar von deutschen Städten aus seinem Lande vertrieben und die Thronfolge in dem nordischen Inselreiche von ihrer Zustimmung abhängig gemacht, während gleichzeitig der deutsche Orden in unablässigem Kampfe mit den heidnischen Litauern und den „ungläubigen, abgesonderten" Russen in einem weiten Gebiete der Ostseeküste, von der Weichsel bis zum finnischen Meerbusen, deutsche Kultur und Sitte verbreitet und befestigt.
Sieht man ab von der durch Jahrhunderte sich hinziehenden Arbeit des deutschen Ordens, deren wichtigster Teil mehr in das 13. als in das 14. Jahrhundert fällt, so ist unter den drei erwähnten Episoden der deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts das Auftreten der Städte bei weitem die historisch wichtigste und merkwürdigste. In keinem dieser drei Fälle ist die deutsche Herrschaft über fremde Gebiete von langer Dauer gewesen. Auf schmaler Machtgrundlage erbaut, zum Teil nur getragen von einzelnen Persönlichkeiten musste sie dahinsinken, sobald die räumlich und an Bevölkerung weit überlegenen nordischen Länder zum lebhaften Bewusstsein ihrer Lage kamen. Lange ließ sich die Herrschaft eines deutschen Territoriums über ein nordisches Königreich nicht aufrecht erhalten. So sind denn die Unternehmungen der Holsteiner und Mecklenburger in Dänemark und Schweden vorübergegangen, ohne einen tieferen Eindruck daheim oder in dem fremden Lande zurückgelassen zu haben und ohne auf den Ruhm historischer Tragweite großen Anspruch machen zu können. Anders mit den Städten. Ihr siegreicher Kampf gegen Dänemark hat recht eigentlich jenem Städtebunde das Leben gegeben, in dessen Namen sich der Ruhm kaufmännischen Unternehmungsgeistes und maritimer Wehrkraft in unserer deutschen Geschichte verkörpert hat, der Hanse. Der Kampf der Städte gegen Dänemark machte die unter diesen bestehende Einigung zu einer politischen Macht, die durch zwei Jahrhunderte die Interessen der Deutschen zur See vertrat und stark genug war, sich in allen Fragen, die die nordeuropäischen Meere und ihren Verkehr betrafen, Gehör zu verschaffen, die für die weiten Gebiete des skandinavischen und finnischen Nordens Träger einer Kultureinwirkung wurde, deren Spuren noch die Gegenwart bewahrt.
Den Zeitgenossen ist die historische Bedeutung dieses Ereignisses nur teilweise klar geworden, sonst würden sie besser Sorge getragen haben, getreue Berichte des Hergangs der Nachwelt zu überliefern. Man kann das im Interesse unserer geschichtlichen Erkenntnis beklagen, aber sich doch nicht allzusehr darüber wundern. Denn war der historische Sinn im Mittelalter überhaupt nicht allzu groß, so ist er speziell in den norddeutschen Städten erst ziemlich spät erwacht. Erst mit dem Ende des 14. und dem Anfange des 15. Jahrhunderts zeigt sich hier eine lebhaftere Tätigkeit auf dem Gebiete der Geschichtsschreibung. Dazu kommt, dass die vorzüglichste und in ihren Grundlagen älteste norddeutsche Städtechronik, die des Franziskaner Lesemeisters Detmar zu Lübeck, gerade für die fragliche Zeit eine große Lücke zeigt. Als Detmar im Auftrage des Rats anfing, die Stadtchronik fortzusetzen und zu bearbeiten, war an derselben, wie er sagt, 36 Jahre lang, „seit dem großen Tode", der im Jahre 1350 Norddeutschland heimsuchte, nicht geschrieben worden. Und nur mangelhaft hat er vermocht, diese Lücke zu ergänzen, so mangelhaft, dass die großen Kämpfe der Städte mit König Waldemar von Dänemark in wenigen Zeilen abgetan werden. Was ihm nicht möglich war oder nicht nötig erschien, haben seine Nachfolger auf dem Gebiete der städtischen Geschichtsschreibung weder vermocht noch auch nur versucht. Korner, Albert Krantz, Reimar Kock, der Hamburger Tratziger, die preußischen Chronisten, sie alle sind entweder eben so dürftig oder noch dürftiger als Detmar oder ergänzen seine Nachrichten durch Zusätze, die sich bei näherer Betrachtung als wertlos erweisen.
Und einem ähnlichen Mangel begegnen wir, wenn wir unsern Blick nach dem Norden wenden. Man sollte denken, in einem so bewegten Jahrhundert, wie es das 14. für die skandinavischen Länder gewesen ist, müsste die Geschichtsschreibung recht angeregt worden sein. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall gewesen. In Schweden beginnt sie, abgesehen von einigen sehr dürftigen Erzeugnissen, überhaupt erst ziemlich tief im 15. Jahrhundert, in Dänemark liefert sie uns nach lebhafter Tätigkeit in den beiden vorhergehenden Jahrhunderten nur eine einzige Chronik von Bedeutung aus dem 14.
Es ist die bis zum Jahre 1363 reichende, sogenannte Fortsetzung der Seeländischen Chronik, der wir unsere Kenntnis über den Feind der Städte, König Waldemar Atterdag, und seine Regierung wesentlich mit verdanken.
So ist der Geschichtsschreiber für die Darstellung dieser Episode in erster Linie auf das urkundliche Material angewiesen. Für die nordischen Reiche fließt dasselbe aus dieser Zeit nicht nur recht dürftig, sondern ist auch zum großen Teil nur in recht mangelhafter Form zugänglich, für die deutschen Städte dagegen seit der Publikation der Hanserezesse nicht nur in größerer Fülle als bisher, sondern auch in vortrefflicher Übersicht und Bearbeitung. Aber eine nur auf urkundliche Quellen gestützte Darstellung wird immer manche Mängel aufzuweisen haben. Die Anfertigung der Urkunden geschah zu andern Zwecken, als um der Nachwelt eine Kenntnis des Hergangs geschichtlicher Ereignisse zu übermitteln. Werden sie daher unbeeinflusst sein von der Parteien Liebe und Hass, so werden sie doch auch andererseits immer außerordentlich lückenhaft bleiben, sich nur sehr willkürlich an den Gang der Tatsachen anschließen und ihn nur unvollkommen erkennen lassen. Was sie an Zuverlässigkeit voraushaben, das fehlt ihnen an Zusammenhang und an Stetigkeit der Überlieferung. Vor allen Dingen aber werden sie den Personen, ihrem Einfluss, ihren Taten weit weniger gerecht als den Akten von Staats- oder privatrechtlicher Bedeutung. Leicht läuft daher die Darstellung Gefahr, des belebenden, veranschaulichenden Momentes, der plastischen Gestaltung zu entbehren, wenn sie sich allzusehr auf urkundliches Material stützen muss. Diese Gefahr liegt in dem vorliegenden Falle um so näher, als unsere norddeutschen Städtechroniken fast allzu sehr den Charakter der Nüchternheit und Sachlichkeit tragen. Und entschädigt auch, wie der beste lebende Kenner dieser Chroniken trefflich sagt, „für die fehlende Buntheit und Mannigfaltigkeit der Farben das Körnige, Markige und Sinnreiche unserer Erzähler, entrollt ein Wort, ein Ausdruck auch oft vor dem Auge des mit der Zeit Vertrauten ein ganzes Bild", so werden wir doch für unseren Gegenstand wenig Gelegenheit haben, diese herrlichen Vorzüge durch Beispiele zu illustrieren.
Aber mit Recht trauerte das deutsche Volk um den Untergang des hochstrebenden und hochbegabten Geschlechts, knüpfte in Sagen und Liedern seine Hoffnungen an die stolzen und kühnen Männer, die mit mehr Tapferkeit und Mut als Glück und Geschick an seiner Spitze nach der Weltherrschaft gestrebt hatten. Denn mit dem Glanze, den die römische Kaiserkrone auf dem Haupt kraftvoller deutscher Könige unserem Volke verlieh, schwand auch das Ansehen dahin, das die Deutschen vor allen andern Völkern des Erdteils genossen hatten. Waren sie bisher die ersten gewesen in Europa, so galten sie jetzt nicht mehr als Franzosen und Engländer, Spanier und Italiener und bald noch weniger. Die Franzosen verstanden es, länger als ein halbes Jahrhundert das Papsttum unter ihren Einfluss zu bringen und die Früchte einzuernten, die der Sieg desselben über das Kaisertum und über Deutschland zeitigen musste. In der alten Rivalität der beiden Nachbarvölker brachte besonders die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts entschieden eine Wendung zu Gunsten unserer westlichen Nachbarn.
Allerdings widmeten sich die Nachfolger der Staufer mehr den heimischen Angelegenheiten, verzichteten auf die Träume einer Weltherrschaft. Aber keineswegs gelang ihnen, was jene über ihrer auswärtigen Politik vorabsäumt hatten, die Beschränkung der immer mächtiger aufstrebenden Territorialgewalten. Anstatt diese in ihrer Entwicklung zu hemmen, betraten sie mit ihnen die gleiche Bahn, liefen ihnen auf dieser, gerade vermöge ihrer königlichen Stellung, den Rang ab. Ihre Beschäftigung mit deutschen Angelegenheiten wurde zu einem rücksichtslosen Streben nach Vergrößerung der eigenen Hausmacht. Immer mehr erstarb das Gefühl der deutschen Nationalität und ihrer Einheit, das dereinst in dem gemeinsamen Kampf für Glanz und Hoheit der Kaiserkrone einen festen Anhaltspunkt gefunden hatte; nur in einzelnen territorialen Gebilden, die in ihrer ganzen Stellung und Geschichte auf das Reich hingewiesen waren, erhielt es sich noch rege, so besonders in den Städten. Wie kläglich erscheint uns der Kampf Ludwigs des Bayern mit den Päpsten, verglichen mit dem gewaltigen Ringen der Staufer gegen Rom! Nicht mehr macht das deutsche Reich unter Führung des universalen Kaisertums, die erste Macht der Christenheit, den römischen Bischöfen die Weltherrschaft streitig — ein Landesfürst sucht sein Recht zu wahren gegenüber den Anpassungen der Curie.
In voller Klarheit tritt dieser nicht auf das Reich, nein auf das Territorium sich beschränkende Standpunkt der deutschen Könige hervor in Karl IV. Was dieser begabte, einsichtsvolle und durchaus nicht energielose Herrscher im Laufe seiner dreißigjährigen Regierung für das deutsche Reich getan hat, verschwindet, verglichen mit seiner Tätigkeit in den böhmischen Erblanden. Die Dinge im Reiche gehen ihren Gang; nur selten greift der Kaiser ein und dann meistens nur, um seinen eigenen Vorteil zu verfolgen, nicht selten die Reichsgewalt missbrauchend, um sein landesherrliches, sein territoriales Interesse zu fördern. Kein Wunder, dass sich immer mehr ein System der Territorialpolitik in Deutschland entwickelt, wie es die andern großen Länder Europas, Italien Ausgenommen, nie gekannt haben. Es bilden sich innerhalb des Reichs einzeln oder in Gruppen politische Gewalten, die wenig Interessen kennen über ihre beschränkten Grenzen hinaus. Innerhalb dieser verleugnen sie allerdings nicht die alte deutsche Kraft; aber die kriegerische Tüchtigkeit des Volks, der furor Teutonicus, so oft der Schrecken der Fremden, wird jetzt dem Lande zur entsetzlichen Plage. Von den Alpen bis zum Meere wiederhallt es vom Waffenklange; in erbitterten Fehden kämpfen die kleinen territorialen Gebilde mit einander um ihre Existenz und greifen dadurch unendlich hemmend und hindernd in unsere Entwicklung ein. Nur in einem Teile unseres Vaterlandes wendet sich die in der Selbständigkeit erstarkte Kraft der partikularen Bildungen einem würdigeren Ziele zu: es ist der Nordosten.
Schon zu den Zeiten, da noch die Staufer die Kräfte des Reiches für ihre großartigen Pläne in Anspruch nahmen, entwickelten partikulare Kräfte hier eine weitgehende Initiative. Während Friedrich Barbarossa den Widerstand der italienischen Kommunen zu brechen und feindliche Päpste zu beugen suchte, gewannen Heinrich der Löwe und Albrecht der Bär weite slawische Gebiete deutscher Herrschaft und deutscher Kultur. In den Tagen, da Friedrich II. in fruchtlosem Ringen sich abmühte, der Kaisergewalt in Italien unbedingte Anerkennung zu verschaffen, pflanzten deutsche Ritter im fernen Nordosten das Samenkorn, aus dem sich der mächtige Baum entwickeln sollte, in dessen Schatten die deutschen Völker jetzt sicher wohnen. Und dieser Geist erlosch nicht, als die Römerzüge ein Ende nahmen. Als das Reich den umwohnenden Völkern gegenüber seine Bedeutung immer mehr verlor, da sorgten besonders im Norden und Osten die frisch emporblühenden Territorialgewalten dafür, dass die Nachbarn auch ferner Achtung behielten vor deutscher Tatkraft und deutscher Macht. Hier zeigte es sich, dass das deutsche Leben noch in kräftigen Pulsschlägen sich rege, während Kaiser Ludwig, nicht ohne Schuld des Reiches, im Kampfe mit päpstlich-französischen Intrigen eine traurige Rolle spielte, sein Nachfolger Karl IV. die blutumworbenen Rechte des Reichs in Italien in friedlichen Übereinkünften als verloren anerkannte und im Westen der Abbröckelungsprozess begann, der in jahrhundertelangem Verlaufe die französische Macht bis unmittelbar an die Ufer des deutschen Rheines führen sollte. Denn eben in jenen Tagen sehen wir im Norden unseres Vaterlandes Dänemark fast zwei Jahrzehnte in der Hand der holsteinischen Grafen, Schweden ein Vierteljahrhundert beherrscht von einem Mecklenburger, den gefürchteten Dänenkönig Waldemar von deutschen Städten aus seinem Lande vertrieben und die Thronfolge in dem nordischen Inselreiche von ihrer Zustimmung abhängig gemacht, während gleichzeitig der deutsche Orden in unablässigem Kampfe mit den heidnischen Litauern und den „ungläubigen, abgesonderten" Russen in einem weiten Gebiete der Ostseeküste, von der Weichsel bis zum finnischen Meerbusen, deutsche Kultur und Sitte verbreitet und befestigt.
Sieht man ab von der durch Jahrhunderte sich hinziehenden Arbeit des deutschen Ordens, deren wichtigster Teil mehr in das 13. als in das 14. Jahrhundert fällt, so ist unter den drei erwähnten Episoden der deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts das Auftreten der Städte bei weitem die historisch wichtigste und merkwürdigste. In keinem dieser drei Fälle ist die deutsche Herrschaft über fremde Gebiete von langer Dauer gewesen. Auf schmaler Machtgrundlage erbaut, zum Teil nur getragen von einzelnen Persönlichkeiten musste sie dahinsinken, sobald die räumlich und an Bevölkerung weit überlegenen nordischen Länder zum lebhaften Bewusstsein ihrer Lage kamen. Lange ließ sich die Herrschaft eines deutschen Territoriums über ein nordisches Königreich nicht aufrecht erhalten. So sind denn die Unternehmungen der Holsteiner und Mecklenburger in Dänemark und Schweden vorübergegangen, ohne einen tieferen Eindruck daheim oder in dem fremden Lande zurückgelassen zu haben und ohne auf den Ruhm historischer Tragweite großen Anspruch machen zu können. Anders mit den Städten. Ihr siegreicher Kampf gegen Dänemark hat recht eigentlich jenem Städtebunde das Leben gegeben, in dessen Namen sich der Ruhm kaufmännischen Unternehmungsgeistes und maritimer Wehrkraft in unserer deutschen Geschichte verkörpert hat, der Hanse. Der Kampf der Städte gegen Dänemark machte die unter diesen bestehende Einigung zu einer politischen Macht, die durch zwei Jahrhunderte die Interessen der Deutschen zur See vertrat und stark genug war, sich in allen Fragen, die die nordeuropäischen Meere und ihren Verkehr betrafen, Gehör zu verschaffen, die für die weiten Gebiete des skandinavischen und finnischen Nordens Träger einer Kultureinwirkung wurde, deren Spuren noch die Gegenwart bewahrt.
Den Zeitgenossen ist die historische Bedeutung dieses Ereignisses nur teilweise klar geworden, sonst würden sie besser Sorge getragen haben, getreue Berichte des Hergangs der Nachwelt zu überliefern. Man kann das im Interesse unserer geschichtlichen Erkenntnis beklagen, aber sich doch nicht allzusehr darüber wundern. Denn war der historische Sinn im Mittelalter überhaupt nicht allzu groß, so ist er speziell in den norddeutschen Städten erst ziemlich spät erwacht. Erst mit dem Ende des 14. und dem Anfange des 15. Jahrhunderts zeigt sich hier eine lebhaftere Tätigkeit auf dem Gebiete der Geschichtsschreibung. Dazu kommt, dass die vorzüglichste und in ihren Grundlagen älteste norddeutsche Städtechronik, die des Franziskaner Lesemeisters Detmar zu Lübeck, gerade für die fragliche Zeit eine große Lücke zeigt. Als Detmar im Auftrage des Rats anfing, die Stadtchronik fortzusetzen und zu bearbeiten, war an derselben, wie er sagt, 36 Jahre lang, „seit dem großen Tode", der im Jahre 1350 Norddeutschland heimsuchte, nicht geschrieben worden. Und nur mangelhaft hat er vermocht, diese Lücke zu ergänzen, so mangelhaft, dass die großen Kämpfe der Städte mit König Waldemar von Dänemark in wenigen Zeilen abgetan werden. Was ihm nicht möglich war oder nicht nötig erschien, haben seine Nachfolger auf dem Gebiete der städtischen Geschichtsschreibung weder vermocht noch auch nur versucht. Korner, Albert Krantz, Reimar Kock, der Hamburger Tratziger, die preußischen Chronisten, sie alle sind entweder eben so dürftig oder noch dürftiger als Detmar oder ergänzen seine Nachrichten durch Zusätze, die sich bei näherer Betrachtung als wertlos erweisen.
Und einem ähnlichen Mangel begegnen wir, wenn wir unsern Blick nach dem Norden wenden. Man sollte denken, in einem so bewegten Jahrhundert, wie es das 14. für die skandinavischen Länder gewesen ist, müsste die Geschichtsschreibung recht angeregt worden sein. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall gewesen. In Schweden beginnt sie, abgesehen von einigen sehr dürftigen Erzeugnissen, überhaupt erst ziemlich tief im 15. Jahrhundert, in Dänemark liefert sie uns nach lebhafter Tätigkeit in den beiden vorhergehenden Jahrhunderten nur eine einzige Chronik von Bedeutung aus dem 14.
Es ist die bis zum Jahre 1363 reichende, sogenannte Fortsetzung der Seeländischen Chronik, der wir unsere Kenntnis über den Feind der Städte, König Waldemar Atterdag, und seine Regierung wesentlich mit verdanken.
So ist der Geschichtsschreiber für die Darstellung dieser Episode in erster Linie auf das urkundliche Material angewiesen. Für die nordischen Reiche fließt dasselbe aus dieser Zeit nicht nur recht dürftig, sondern ist auch zum großen Teil nur in recht mangelhafter Form zugänglich, für die deutschen Städte dagegen seit der Publikation der Hanserezesse nicht nur in größerer Fülle als bisher, sondern auch in vortrefflicher Übersicht und Bearbeitung. Aber eine nur auf urkundliche Quellen gestützte Darstellung wird immer manche Mängel aufzuweisen haben. Die Anfertigung der Urkunden geschah zu andern Zwecken, als um der Nachwelt eine Kenntnis des Hergangs geschichtlicher Ereignisse zu übermitteln. Werden sie daher unbeeinflusst sein von der Parteien Liebe und Hass, so werden sie doch auch andererseits immer außerordentlich lückenhaft bleiben, sich nur sehr willkürlich an den Gang der Tatsachen anschließen und ihn nur unvollkommen erkennen lassen. Was sie an Zuverlässigkeit voraushaben, das fehlt ihnen an Zusammenhang und an Stetigkeit der Überlieferung. Vor allen Dingen aber werden sie den Personen, ihrem Einfluss, ihren Taten weit weniger gerecht als den Akten von Staats- oder privatrechtlicher Bedeutung. Leicht läuft daher die Darstellung Gefahr, des belebenden, veranschaulichenden Momentes, der plastischen Gestaltung zu entbehren, wenn sie sich allzusehr auf urkundliches Material stützen muss. Diese Gefahr liegt in dem vorliegenden Falle um so näher, als unsere norddeutschen Städtechroniken fast allzu sehr den Charakter der Nüchternheit und Sachlichkeit tragen. Und entschädigt auch, wie der beste lebende Kenner dieser Chroniken trefflich sagt, „für die fehlende Buntheit und Mannigfaltigkeit der Farben das Körnige, Markige und Sinnreiche unserer Erzähler, entrollt ein Wort, ein Ausdruck auch oft vor dem Auge des mit der Zeit Vertrauten ein ganzes Bild", so werden wir doch für unseren Gegenstand wenig Gelegenheit haben, diese herrlichen Vorzüge durch Beispiele zu illustrieren.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark.