Der Stralsunder Frieden

Zwei Dinge waren es, auf welche den vereinigten Städten im Grunde alles ankam, woraus ihre Friedensvorschriften, mögen sie noch so hochpolitischer Natur erscheinen, sich wie mit logischer Konsequenz entwickelten: einmal Herstellung und dauernde rechtliche Sicherstellung eines möglichst vorteilhaften Handelsverhältnisses und sodann Vergütung für den erlittenen Schaden. Nicht als ob man dies Räsonnement mit einem urkundlichen Ausdruck aus dem Munde oder der Feder der Städte belegen könnte; ein Rezess des ersten Stralsunder Friedenstages lag überhaupt nicht vor, und die übrigen einschlägigen Protokolle, wie denn dies eigentümliche hansische Geschäftsmaterial so selten und dann meist nur andeutungsweise über die Motive der verzeichneten Beschlüsse Aufschluss gibt, schweigen über Gründe und Zwecke des Friedens vollständig. Aber jenes Urteil gründet sich auf den Gesamtcharakter der hansischen Politik und bestätigt sich durch den nachherigen Verlauf der Geschichte.

Da galt es nun vor allem einen Freibrief für den Handels- und Fischereibetrieb zu erlangen. — Unzweifelhaft ward er von den Städten selbst konzipiert, wobei sie nicht nötig hatten, erst lange über einzelne Positionen nachzudenken. Schon zuvor, beim Abschluss der Allianz mit dem Mecklenburger hatten die wendischen für sich und ihre Helfer ausdrücklich in Denkbriefen sich wenigstens schonische Handelsfreiheiten zusichern lassen für den damals als feststehend geltenden Fall, dass sein Haus in den dauernden Besitz dieser Landschaft gelangen würde. Bei dem gewaltigen Land und Machtzuwachs, den er, im Trüben fischend, sich von dem nahenden Kriege versprach, mochte ihm dies merkantile Opfer umso weniger lästigfallen, als er der Beihilfe der Städter zur kriegerischen Durchführung seiner hochfliegenden politischen Pläne gar nicht entraten konnte. Mit einem hypothekarischen Anweis auf die beiden verpfändeten Schlösser hatten er und seine anwesenden Söhne auch die Besieglung seines Sohnes, des Königs von Schweden und präsumtiven schonenschen Landesherrn zugesagt Die Freiheitsbriefe des Herzogs liegen nicht vor, und es ist daher nicht mit Gewissheit zu sagen, ob sie mit dem umfassenden Privileg seines königlichen Sohnes völlig übereinstimmen; eine übrigens auch wenig belangreiche Frage. — In raschen Nacheinander waren mit Ausnahme Helsingborgs die übrigen Küstenschlösser am Sunde, vor allem dem Ansturme der städtischen Kriegsmacht erlegen. Was Wunder, dass der neue, freilich so zu sagen nur halbe Landesherr — denn von einer wirklichen Etablierung schwedischer Administration kann keine Rede sein — sich in hohem Masse den Wünschen der mächtigen Bundesgenossen zugänglich erwies? Auch band ihn das Versprechen seines ihn gänzlich beherrschenden Vaters mindestens zur Genehmigung der von ihm eingegangenen Verpflichtungen, die indes selbst im Fall der Identität der allgemeinen Freibriefe das Maß der jetzt zugestandenen Vergünstigungen nicht erreichten. Mit der verschwenderischen Freigebigkeit eines in seinem Gewinn noch nicht gesicherten, noch hilfsbedürftigen Spielers gegen den, dessen unentbehrlicher Unterstützung er sich versieht, streute der König am 25. Juli 1368 in dem eroberten Schloss Falzterbo Freiheiten und Schenkungen über die frohgemuten Städter aus. Die ersteren bezogen sich räumlich auf alle während der zwei jährigen Verbindungszeit etwa eroberten Landesteile von Dänemark und Schonen, ihrer Adresse nach aber auf eine so große Reihe von Hansestädten, wie sie in ihrer seitherigen dänischen Privilegiengeschichte noch nicht dagewesen war. Recht deutlich zeigt sich darin, wie die kriegführenden Städte der Konföderation zugleich die Interessen des größeren hansischen Vereines vertraten. Wie immer eröffnen den Reigen die wendischen Städte, mit den zubehörenden pommerschen; dann folgen die preußischen, die livländischen und demnächst mit einer ungebräuchlichen Rangordnung die westphälischen, denen die meist dem lübischen Drittel beigezählten sächsischen Kommunen, so auch Hamburg und Kiel angeschlossen sind, um endlich einigen süderseeischen den Schluss der Reihe zu überlassen. Andere hervorragende Städte der Niederlande, z. B. Kampen, hielten es für ratsamer, sich in besonderen Originalen im Wesentlichen gleichlautende Privilegien ausstellen zu lassen, während jener allgemeine Freibrief, wie so oft hansische Aktenstücke, der Trese des Vororts und nur in Transsumpten den beteiligten Bundesstädten übergeben wurde. Namentlich waren die Holländer bei der Hand, die günstige Situation auszubeuten. Hatten bisher nur das reiche Kampen und Stavoren, auch Harderwik und Hindelopen Vittenplätze auf der kleinen schonenschen Landzunge, so wurden jetzt Amsterdam und Briel mit gleicher Gnade bedacht und damit neue Sammelpunkte für den dortigen Handelsbetrieb der näher verbundenen niederländischen Städte geschaffen. Kampen ließ sich seine Vitte bestätigen und erhielt einige Monate später den besonderen Verdiensten eines seiner Ratsmänner zu Dank eine räumliche Erweiterung derselben, während Stavoren eben um diese Zeit eine Bestätigung seiner Vitte zu Skanör erwirbt. Ich weiß nun, nicht zu sagen, ob diese neuen Lagerplätze neben ihrer urkundlichen Existenz auch eine wirkliche gefunden haben; der Mangel an dahingehender Nachricht und das schon erwähnte Schicksal des preußischen Vittenbriefes lassen es mehr bezweifeln, als es bei der auch nur wahrscheinlichen Einrichtung der neuen elborger Vitte i. J. 1369, deren Verleihungsurkunde jedenfalls Oktober 1368 schon gegeben war und vermutlich in die Zeit jener verwandten Ausfertigungen gehört, annehmbar erscheint. Dies sicherer zu wissen, würde für die Beurteilung der merkantilen Seite des Stralsunder Friedens von nicht geringem Interesse sein.


Jener Freibrief König Albrechts mochte das Ideal für die wirtschaftliche Stellung der Hansestädte in dem Nachbarlande enthalten, die verständig genug waren, dies nicht in ganz maßlosen, zu steter Opposition anreizenden Exemtionen zu erblicken. Jetzt, bei dem Friedensschluss mit dem Reichsrat beliebten sie ihn formell und inhaltlich zur Grundlage zu nehmen, und damit trat er aus seiner ephemeren und lokal beschränkten Bedeutung in eine bleibende und allgemeine über. Hier und da ergaben sich einige redaktionelle Änderungen aus dem vorsichtigen Streben nach größerer Präzision; die Verschiedenheit der Eingangs- und Schlusspartie in beiden Urkunden, welcher letzterer noch die Bemerkung über die nunmehrige Beilegung aller Streitigkeiten vorgesetzt wurde, verstanden sich von selbst. Indes auch einige wenige materielle Abänderungen, hier eine Vermehrung, an andrer Stelle auch wohl eine Verkürzung bedeutend, ergibt ein gemachter Vergleich. Endlich bleibe nicht unbeachtet, dass die damals besonders privilegierten süderseeischen Städte sämtlich in die Urkunde aufgenommen werden, und die Rangfolge der Städte und ihrer Gruppen der herkömmlichen konform ist. — Für die sachliche Beurteilung des Privilegs scheint mir unerlässlich, auf frühere zurückzugehen*); einmal gewinnt man dadurch ein reicheres Verständnis der Einzelheiten und was das Wichtigste, erst aus dieser Gegenstellung ersieht man den Fortschritt und die auf diese Dinge gewandte Energie der städtischen Diplomatie. Nicht nur von Interesse, sondern auch von Nutzen, aber zu weitführend würde es gewesen sein, die dänische Privilegiengeschichte der Hansen, die uns für die eigene Art damaligen Handels eine reiche Quelle bietet, für das Nachstehende in noch umfassenderer Weise heran zuziehen: wie am Anfang des 13. Jahrhunderts und schon früher einzelne und weitentlegene Städte des nördlichen Deutschland, auch in kleineren Gruppen bisweilen sich einend, ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit in dem Inselreiche einen rechtlichen Untergrund schaffen, durch rüstige Fortentwicklung das kulturlich noch wenig vorgeschrittene Land in immer tiefere wirtschaftliche Abhängigkeit stellen und mit geschickter Benutzung dieses und so viel anderer Umstände immer neue Garantien dafür gewinnen; wie dann am Ausgang des Jahrhunderts, der jenen ersten mächtigen und zukunftsreichen Zusammenschluss des wendischen Städteverbandes sah, dieser auch in seinen merkantilen Bestrebungen in Dänemark auftritt; wie dann die hier in Kampf tretenden politischen Rivalitäten von dieser oder jener Seite den in ihrer Vereinigung gestörten einzelnen Städten neue große Befugnisse eintragen. Es folgte die Abtretung Schonens an Schweden, und bald danach gerieten die Städte als Bündner des Dänenkönigs in Fehde mit König Magnus, die jedoch schon 1343 nach mehr als einjähriger Dauer für sie ihr friedliches Ende erreichte und nun von einer Reihe ihnen erwiesener Vergünstigungen desselben gefolgt wurde, freilich um nach etwa 10 Jahren in einer heftigen Spannung wiederaufzuleben.

*) Cfr. für das Folgende bes. Sartorius, Urkdl. Gesch. d. Ursprungs d. d. Hanse Bd. I Abschnitt IV über den Verkehr mit Dänemark; und die Einleitung Lappenbergs.

Es sind uns die von dem König gegen die Städte und von diesen gegen ihn produzierten Klagestücke überliefert, die einen lebendigen Eindruck von dem auseinandergehenden Interesse des schonischen Landesherrn und der zu ihrem Betrieb freiheitsbedürftigen Schonenfahrer erwecken. In den Zusammenhang dieser Verhandlungen werden auch die wesentlich gleichlautenden Entwürfe eines lübeckischen und rostockischen Freibriefes v. J. 1352 gehören, die sich inhaltlich vielfach an die hansischen Klagen anschließen und ohne Zweifel von den betr. Städten selbst konzipiert wurden. *) Diese Akten geben eine erwünschte Handhabe, um sich von dem bisherigen Recht der Städte auf Schonen und seinen Beeinträchtigungen durch die Schweden einen ungefähren Begriff zu machen. Dass jene Privilegienentwürfe aber die königliche Sanktion erhalten, ist in hohem Masse unwahrscheinlich, neben andern Gründen wegen der immer er neuerten kurzlebigen Stillstandsverträge, besonders mit Lübeck, in denen sich deutlich genug der Fortbestand der eingetretenen Friktion ausprägt. Erst der kühne, vieldrohende Angriff Waldemars auf Gothland sollte die beiden Widersacher dieselbe vergessen lassen. Allein selbst wenn eine ausdrückliche urkundliche Milderung oder Abstellung der städtischen Beschwerdepunkte nicht erfolgt sein sollte, so ist doch an sich wahrscheinlich und durch jenes gleichviel ob nur provisorische Friedensverhältnis so gut als er wiesen, dass sich der in seinem schonischen Besitz durch den dänischen Nachbar stets gefährdete Schwedenkönig in praxi einigermaßen rücksichtsvoll gegen die hansischen Schonenfahrer verhielt. Das Jahr 1360 brachte dann mit der dänischen Rückeroberung der südlichen schonischen Halbinsel den Städten das Bedürfnis einer Genehmigung ihrer dortigen Freiheit durch den neuen Oberherrn.

*) Ebd. Nr. 178; vergl. die Vorbemerkungen Koppmanns p. 103, 104, 105 (1363 Juni 24. begehrten die Städte die Genehmigung eines von ihnen selbst ausgearbeiteten Entwurfs für ihre Freiheiten: s. H. R. I Nr. 296 § 19).