Die Grundlage hansischer Größe

Es wird vielleicht verwundert jemand fragen, ob denn bei dem Versuche, die Grundlage hansischer Größe klar zu legen, die unleugbare wirtschaftliche Tüchtigkeit der hansischen Männer so gar keine Erwähnung verdiene. Es ist sicher, dass ohne diese Voraussetzung von der Hanse nicht viel Rühmliches zu melden sein dürfte. Aber es ist ein Irrtum, wenn man Fleiß und Geschicklichkeit, Betriebsamkeit und Unternehmungslust, Sparsamkeit und Einfachheit, Kunstsinn und Erfindungsgeist und was sonst alles eine Bevölkerung durch natürliche Anlage zu wirtschaftlicher Tätigkeit befähigt, den Deutschen mehr zuschreiben wollte als ihren stammverwandten Nachbarn oder gar den städtischen mehr als den ländlichen Deutschen. Im wesentlichen sind in dieser Hinsicht die germanischen Nationen Europas ziemlich gleich ausgestattet; und die Bahnbrecher hansischen Verkehrs sind, so weit wir erkennen können, weniger Bewohner der kaum vorhandenen Städte als des flachen Landes gewesen. Was aber geschichtliche Entwicklung jenen natürlichen Anlagen hinzuzufügen pflegt: Geschäftskunde, überlieferte Technik, Kapitalkraft, das besaßen dann allerdings die Hansen durch längere Zeit mehr als ihre Konkurrenten, aber das war doch auch in der Hauptsache ein Produkt der dargelegten günstigen politischen Stellung. Mit dieser sind dann auch jene Vorzüge bis auf einen geringem Rest zu Grunde gegangen, die natürlichen Anlagen aber haben sich durch den schweren Drang der zwei Jahrhunderte vom dreißigjährigen bis zum Befreiungskriege ungeschwächt erhalten, ja sind vielleicht durch die Schule der Not noch gekräftigt worden. Aber sie werden uns den Nutzen nicht bringen können, den wir von ihnen erwarten dürfen, ja sie werden bei der Neigung und Befähigung unserer Landsleute, in fremdem Volkstum aufzugehen, bei der Leichtigkeit der Verpflanzung, wie sie unsere Zeit kennt, im Dienste Fremder sich gegen unser eigenes Volk wenden, wenn ihnen die Stütze fehlt, an der sie dereinst zur Größe emporstiegen, politische Macht des heimischen Staates. Wir besitzen dieselbe zur Zeit in einer Fülle wie nie zuvor, aufgebaut auf einer breiteren, festeren Grundlage als jene, welche einst die wirtschaftliche Größe der Hansen schuf. Aber Gefahren drohen ihr doch, vor allem aus dem eigenen so vielseitig begabten, so rastlos tätigen, so peinlich selbständigen Volksgeiste heraus. Man möchte allen, die am politischen Leben unseres Volkes beteiligt sind, ein videant consules zurufen. Gelingt es uns, politisch eine anerkannte Macht zu bleiben, den Grad innerer Geschlossenheit zu behaupten, der dazu unbedingt notwendig ist, so ist uns auch im wirtschaftlichen Leben der Völker eine würdige Stellung gesichert. Hier liegt der Kernpunkt der Frage. Auch die Geschichte der Hanse lehrt wie die aller andern merkantilen Staatenbildungen, dass wirtschaftliche Größe nur zu erringen und zu behaupten ist durch politische Macht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hanse und ihre Handelspolitik