Handelsbeziehungen und Handelspolitik
Diese kurzen Erörterungen werden die oben ausgesprochene Ansicht rechtfertigen, dass England bei den Versuchen zur Regelung seiner Handelsbeziehungen mit dem Norden und Osten Europas mit einiger Geduld und Vorsicht zu Werke gehen musste. Dies um so mehr, als es an der Stelle des hansischen Gebietes, wo seine Kaufleute sich einen sicheren Zugang zu den Reichtümern des Ostens erschlossen zu haben glaubten, im Ordenslande Preußen, aus einen gefährlichen und zähen Widerstand stieß. Seine Gegner waren die preußischen Städte, vor allem Danzig. Das letzte Ziel der inneren Handelspolitik Danzigs war die Durchführung eines strengen Fremdenrechts und der Ausschluss jeglicher nichtstädtischer, sowohl einheimischer wie fremdländischer, Autorität in Sachen des Handels aus der Stadt und ihrer Wirtschaft. Die Stadt beanspruchte, was übrigens durchaus in dem Zuge und Charakter der damaligen Anschauungen von städtischer Wirtschaftspolitik lag, den fremden Kaufleuten ausnahmslos den Geschäftsverkehr untereinander zu verbieten und nur den mit den Einheimischen zu erlauben, die Dauer des Aufenthaltes und die Art des Handelsbetriebes der Fremden nach Belieben zu regeln und eine Niederlassung fremder Kaufleute in ihren Mauern nicht zu dulden.
Unter mannigfachen Streitigkeiten und mit wechselndem Erfolge bemühten die Engländer sich, ihre Stellung zu behaupten und eine Milderung der Schärfe jener Grundlage für sich zu erlangen. Es gelang ihnen, einem Vertrage, der im Jahr 1437 mit einem Danziger Gesandten in England vereinbart wurde, eine Fassung zu geben, aus der sie einen Anspruch herleiten zu können vermeinten auf Befreiung in Preußen von den ihnen lästigen Zöllen und von allen ihre Handelsfreiheit beschränkenden Verordnungen und Satzungen. Diesem Vertrage versagte indessen der Hochmeister des Ordens die formelle Genehmigung. Danzig verharrte auf dem Wege strenger Durchführung seines Fremdenrechts.
Der Beginn des letzten Ringens zwischen Frankreich und England um die festländischen Besitzungen Englands war der Augenblick, in welchem die Engländer selbst durch eine Gewalttat ihre Lage auch in Burgund und im Gebiete der Hanse verschlechterten.
Im Herbst des Jahres 1448 erschien eine englische Gesandtschaft in den Hansestädten, um die Angelegenheiten des englischen Handels im Norden zu regeln. Sie verhandelte in Lübeck mit den Gesandten der Hansestädte und des Hochmeisters von Preußen. Vor allen Dingen sollten die Preußen zur Anerkennung des Vertrages von 1437 bewogen werden. Aber da zeigten sich die größten Schwierigkeiten. Die Preußen verweigerten die Anerkennung. Die Bevorzugung nur einer fremden Nation hätte das System ihres städtischen Fremdenrechts durchbrochen und den andern Fremden ein Anrecht gewährt und eine Handhabe geboten, es völlig zu zertrümmern. Die Engländer verkündeten daher den Preußen, dass deren Kaufleute nun auch in England von den hansischen Vorrechten ausgeschlossen sein sollten. Aber hier traten die anderen Hansestädte vor mit der Erklärung, dass sie sich keine gesonderte Behandlung der Kaufleute einzelner hansischer Territorien in England gefallen lassen würden. So erreichten die Engländer in Lübeck ihr Ziel nicht, vielleicht hatten sie die Hoffnung nicht aufgegeben, durch direkte Verhandlungen in Preußen mit dem Hochmeister ein besseres Ergebnis zu erzielen, als plötzlich die Lage sich änderte.
Ein Gewaltstreich der englischen Regierung hatte auch den hansischen Handel im Kanal getroffen. Der Wiederausbruch des Krieges mit Frankreich war damals unvermeidlich. Die Engländer selbst hatten ihn wieder begonnen, weniger zwar aus militärischen Gründen, als in der Absicht, durch unverhofften Überfall wenigstens gute Beute zu machen. Wie auf dem Kontinent mit der reichen Stadt Fougères in der Bretagne, so im Kanal gegen die neutrale Schifffahrt. Die Habgier einiger leitender Personen am englischen Hofe erklärt zum Teil diese Zügellosigkeit der englischen Politik. Ein englischer Pirat erhielt den verdeckten Befehl, die Seeräuber vom Meere wegzufegen. Er verstand seinen Auftrag. Er sollte die Seeherrschaft im Kanal behaupten und die neutrale Schifffahrt niederschlagen. Im Mai 1449 griff er eine stattliche Handelsflotte an, die aus dem größten Salzexporthafen Europas, der Baie d. i. der Bucht von Bourgneuf nördlich von der Mündung der Loire, hauptsächlich mit Salz beladen, nach der Nordsee fuhr. Sie wurde gekapert, ein Teil der gewaltigen Beute im königlichen Palast zu Westminster aufgestapelt. Die ganze Flotte zählte an 110 Segel, von denen die meisten in den Niederlanden, außerdem 10 in Lübeck, 14 in Danzig, andere in Rostock und Kampen beheimatet waren. Dieser Schlag gegen die hansische Schifffahrt war nicht der letzte; auch andere hansische Fahrzeuge sahen sich in der Nordsee angegriffen und verfolgt von den Engländern.
Die Hanse war damals aus manchen Gründen nicht in der Lage, wegen dieser Angriffe sogleich eine Fehde mit England zu beginnen. Natürlich griff man auf dem Kontinent sofort zu Repressalien gegen die Engländer, welche übrigens den burgundischen Niederländern und den Kamperern die Schiffe zurückgegeben und nur deren Ladung behalten hatten. Philipp von Burgund erzwang später auch für diese eine Entschädigung. Von den Hansestädten vermochte nur Danzig, wo der englische Handel am stärksten war, sich hinreichenden Schadenersatz zu verschaffen. Lübeck und die anderen geschädigten Hansestädte, wiewohl sie gegen die Engländer einschritten, fanden augenscheinlich nicht genügend wertvolle Objekte, um ihren Schaden zu decken.
So war die Lage eigentümlich verwickelt. In England selbst gingen die dort verweilenden hansischen Kaufleute frei ihren Geschäften nach, nur dass man jetzt ihre Privilegien wenig beobachtete. Die hansische Schifffahrt dagegen wurde von den Engländern wegen des französischen Krieges feindselig behandelt. Verhandlungen erschienen jetzt den Engländern erst recht aussichtslos. Die Ersatzforderungen Lübecks und der anderen Hansestädte komplizierten die beiderseitigen Beziehungen. Dabei war auf seilen der Hanse der Wunsch unverkennbar, dieser Streitigkeiten wegen es nicht zum äußersten kommen zu lassen. Trotz aller Gefahren, welche der Schifffahrt drohten, ließ man in der Hanse die Schifffahrt und die Zufuhr nach England frei. Lübeck und seine Mitstädte hofften demnach, durch das friedliche Mittel der Verhandlung schließlich Schadenersatz zu erlangen.
Dass diese Rechnung fehlschlug, lag vornehmlich an zwei Umständen: an der Unzuverlässigkeit der englischen Politik und an der Uneinigkeit der Hansestädte. Die Engländer gingen zwar ein auf den Gedanken einer netten Zusammenkunft zur Beratung über den Schadenersatz und die Wiederherstellung des regelmäßigen Handelsverkehrs. In Wirklichkeit wollten sie aber der Erörterung des Schadenersatzes aus dem Wege gehen und nur die Wiederaufnahme des Handels erreichen. Sie wünschten die Fortsetzung des Handelsverkehrs mit der Hanse um so mehr, als, wie erwähnt wurde, Philipp von Burgund wegen der Feindseligkeiten Englands gegen die niederländische Schifffahrt zu Vergeltungsmaßregeln gegriffen hatte, zu weiterem Einschreiten gegen den englischen Handel bereit war und Kriegsschiffe in die See schickte. In England setzte man also die hansischen Privilegien wieder in Kraft, außer für die Danziger und die Lübecker. Die Absicht der Engländer war sodann, durch ein Sonderabkommen mit Preußen ihren Handel nach der Ostsee wieder in Gang zu bringen. Das war nur möglich, indem Lübeck übergangen wurde und dessen Ersatzansprüche unberücksichtigt blieben.
Dabei kam den Engländern der bei den meisten Hansestädten vorhandene Wunsch nach Fortdauer des Handelsverkehrs mit England zu statten. Wir besitzen bislang kein ausreichendes Zeugnis oder statistische Quellen, auf Grund derer die Beteiligung der einzelnen Hansestädte an dem Handel mit England um die Mitte des 15. Jahrhunderts bestimmter oder zahlenmäßig veranschaulicht werden könnte. Doch scheint soviel sicher, dass unter den niederrheinischen Städten Köln und Nimwegen weitaus am stärksten im englischen Handel vertreten waren; dass sodann die großen westfälischen Städte Dortmund, Münster und Soest noch immer einen ansehnlichen Anteil an diesem Handel besaßen; dass Hamburg und Lübeck einen starten Verkehr mit England unterhielten; dass Danzig in einem seht bedeutenden Austausch mit England stand, an welchem auch andere Preußen und nichtpreußische Hansen teilnahmen, während Danzig wiederum für die englischen Kaufleute der wichtigste Verkehrsplatz des ganzen Hansegebietes geworden war; dass endlich nicht allein aus anderen hansischen Seestädten Kaufleute und Schiffer nach England fuhren, sondern auch außer den westfälischen noch andere Binnenstädte wie die sächsischen, an ihrer Spitze Braunschweig und Magdeburg, Interesse zeigten an der Pflege des direkten Handels ihrer Kaufleute mit dem Inselreiche. Trotz der feindseligen Behandlung der hansischen Schifffahrt durch die Engländer waren zahlreiche Hansestädte nicht willens, die Schadenersatzfrage zum Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit England zu machen. Denn der Nutzen des augenblicklichen Verkehrs mit England schien den bisher erlittenen Schaden weit zu überwiegen. Während des französischen Krieges und der handelspolitischen Spannung Englands mit Burgund musste die Zufuhr aus hansischen Häfen nach England doppelten Gewinn abwerfen. Sodann fürchtete man für die Sicherheit der in England befindlichen hansischen Kaufleute und Güter, wenn es zu einem Bruch mit England käme.
Alles dies übersah auch Lübeck nicht. Aber es hielt daran fest, dass der Friedensbruch Englands eine Sühne finden müsse, bevor ein regelmäßiger Verkehr der Engländer nach hansischen Häfen wieder zugelassen werden könne. Wenn den Engländern die Beraubung der großen Flotte nachgesehen wurde und die Frage des Schadenersatzes ungeregelt blieb, entschwand auch die Aussicht auf eine für die Hanse vorteilhafte Ordnung der übrigen englisch-hansischen Verkehrsbeziehungen. Auch diesmal verschmolzen bei Lübeck die eigenen mit den gemeinhansischen Interessen.
Angesichts der fortdauernden Feindschaft der Engländer gegen die hansische Schifffahrt behielt die lübische Politik eine Weile die Oberhand. Als die Preußen versuchten, einseitig den regelmäßigen Verkehr mit England wiederherzustellen, wurden die englischen Gesandten, welche diesen Verkehr unter Umgehung Lübecks regeln sollten, auf ihrer Reise nach Preußen aufgegriffen und als Gefangene nach Lübeck gebracht. In England wuchs inzwischen die innere Verwirrung. Die Erbitterung über den schmachvollen Verlauf des französischen Krieges und über die Stockung des Handels, die man auch dem gewalttätigen Zugreifen der Regierung gegen die Neutralen zuschrieb, schaffte sich Luft in dem Aufstande der Kenter. Eine von fünfundzwanzig Hansestädten beschickte Versammlung, welche im Herbst 1450 in Lübeck tagte, stellte sich in der Hauptsache auf den Standpunkt Lübecks. Nach ihren Beschlüssen sollte bei ferneren Verhandlungen mit England in erster Linie die Schadenersatzfrage geregelt und die hansischen Kaufleute in England ohne Ausnahme wieder in den vollen Genuss ihrer Privilegien gesetzt werden, wofür acht englische Städte Bürgschaft übernehmen müssten. Man beschloss auch, die Zufuhr nach England einzustellen und die hansischen Waren in England unvermerkt aus dem Laude schaffen zu lassen.
Diese feste Haltung der von Lübeck geleiteten Hanse verfehlte ihre Wirkung nicht. Die hansischen Kaufleute in England, welche wegen der Gefangennahme der englischen Gesandten in Arrest genommen waren, erhielten im Herbst ihre Freiheit wieder und auch die bedingte Erlaubnis zur Ausfuhr ihrer Güter. Die englische Regierung betonte jetzt ihre Friedensliebe sogar unter Hinweis aus die alte Blutsverwandtschaft und nahm sofort den Vorschlag zu weiteren Verhandlungen an.
Dennoch erreichte die Hanse nichts, und das lag, wie schon gesagt, nicht zum wenigsten an der Uneinigkeit der Hansestädte. Von den englischen Gesandten entfloh der wichtigste, Thomas Kent, unter Bruch seines Treugelöbnisses aus Lübeck. Er durchschaute die Lage und hatte seinen unfreiwilligen Aufenthalt an der Trave benutzt zur Beobachtung der verschiedenen Strömungen innerhalb der Hanse und zur Erkenntnis der Tatsache, dass Lübeck der gefährlichste Feind Englands sei, weil es die Politik der Einheit und des festen Zusammenschlusses alter hansischen Städtegruppen vertrat. Er glaubte rechnen zu können auf die Rivalität der Städte und Städtegruppen untereinander, und darin täuschte er sich nicht.
England deckte sich den Rücken, indem es seinen Frieden mit Burgund verlängerte und Schadenersatz an Burgund bezahlte für die Wegnahme der großen Flotte. Als dann in Utrecht im Jahre 1451 die Verhandlungen mit der Hansestädten begannen, wurde es bei der schwächlichen Haltung der auf Lübeck eifersüchtigen Hansestädte den Engländern leicht, den Plan zu durchkreuzen, welchen Lübeck für die Beratungen ausgestellt hatte. Unter den englischen Gesandten erschien, zur Entrüstung der Lübecker, auch jener wortbrüchige Kent. Statt in die Erörterung des Programms der Hansestädte einzutreten, forderte er zu allererst die Freilassung der übrigen englischen Gesandten samt ihrer Habe und Begleitung durch Lübeck. Lübeck wies die Anmutung zurück. Die anderen Hansestädte, besonders die Preußen und die Kölner, nur darauf bedacht, den Frieden mit England um jeden Preis zu erhalten und ihren eigenen Handel nicht in Gefahr oder zum Stillstand zu bringen, waren schwach genug, in demselben Sinne aus die Lübecker einzureden, anstatt durch eine einmütige Haltung die Engländer zur Beratung des hansischen Programms zu zwingen. So erlitten Lübeck und die Hanse zugleich eine Niederlage. Die Engländer erreichten ihren Hauptzweck: das beiderseitige Versprechen eines friedlichen Handelsverkehrs. Damit war die für England lästige Schadenersatzfrage in den Hintergrund gedrängt, die Zufuhr aus vielen Hansestädten nach England gesichert und die Einheit der hansischen Politik gesprengt.
Lübeck, welches allein eine seiner leitenden Stellung in der Hanse entsprechende würdige Haltung behauptet hatte, griff zu dem äußersten Mittel. Es versuchte, dem englischen Handel gewaltsam den Zugang zur Ostsee zu sperren. Es sandte dem König Heinrich den Fehdebrief, verbot im nächsten Frühjahr die Durchfuhr englischer Waren durch Lübeck, wodurch für diese der Landweg von Hamburg nach Lübeck verschlossen wurde, und schickte im Mai Kriegsschiffe in die See, um die Engländer und englische Güter abzufangen. Gleichzeitig ließ König Christian von Dänemark, offenbar nach Verabredung mit Lübeck, englische Waren im Öresund aufgreifen. Es stellte sich aber bald heraus, dass unter den obwaltenden Umständen diese Gewaltmittel mehr Schaden brachten als Nutzen stifteten. Die Zugriffe der Kriegsschiffe trafen mehr die befreundeten Neutralen und Nachbarn als die Engländer. Die Vermischung englischer und hansischer oder befreundeter nicht-hansischer Güter, der Verkehr der Hansestädte mit England ließen sich nicht verhindern. Im Gegenteil geriet der lübische Handel allerorten in Gefahr, durch Repressalien erst recht geschädigt zu werden. Lübeck zog seine Kaperer zurück. Auch diese Aktion war gescheitert.
Wider den Willen fasst der ganzen Hanse konnte Lübeck allein gegen England nichts durchsetzen. Es gelang ihm nur, mit Hilfe seines allgemein anerkannten Gewohnheitsrechtes auf die oberste Leitung der hansischen Geschäfte und besonders auf die Einberufung der großen Städteversammlungen, eine Verständigung der Hanse mit England unter Ausschluss seiner selbst zu verhindern. Aber es sah ein, dass nichts übrig blieb, als dem Drängen der Hansestädte nach friedlichem Verkehr mit England völlig nachzugeben und auf seine Schadenersatzansprüche vorläufig in Geduld zu verzichten. England kam den Friedenswünschen der Hansestädte entgegen durch Erteilung von Geleitsbriefen für die hansischen Schiffer und Kaufleute. Auch England musste sich bescheiden, die Durchsetzung seiner alten Ansprüche in Preußen der Zukunft zu überlassen.
Im Juli 1454 hob Lübeck auch das Verbot der Durchfuhr englischer Waren auf. Damit hatte es tatsächlich den Frieden mit England wiederhergestellt. Im Herbst des nächsten Jahres erklärte sch auch England bereit zur Bewilligung eines achtjährigen Friedens mit der Hanse, und im März 1456 erfolgte die öffentliche Verkündigung desselben in England. Alle Feindseligkeiten gegen die Hansen und die Lübecker wurden verboten. Auch die Lübecker nahmen die Schifffahrt durch den Kanal wieder auf. Für eine Reihe von Jahren schien der Friede gesichert. Die alten Streitfragen über die Privilegien und den Schadenersatz ruhten. Die Regelung der dauernden Rechtsgrundlagen des beiderseitigen Verkehrs blieb der Zukunft vorbehalten. Da erfolgte wenige Jahre nach dem Friedensschluss ein neuer Schlag Englands gegen den Handel Lübecks.
Das Interesse Lübecks an dem Streit mit England war erlahmt und abgelenkt worden durch Ereignisse im Ostseegebiet. Seit dem Herbst 1453 bestand Gewissheit über den Ausbruch des Krieges zwischen dem preußischen Orden, Polen und den preußischen Ständen. Lübeck, frühzeitig unterrichtet über die Zustände in Preußen und über die Absichten der missvergnügten Untertanen des Ordens, stand seit Eröffnung des Krieges im Februar 1454, der von nun an dreizehn Jahre lang den Boden Preußens verwüstete und auch den Handelsverkehr in der Ostsee von Jahr zu Jahr mit wachsender Heftigkeit beunruhigte und schädigte, mit seinen Neigungen auf der Seite des um seine Freiheit ringenden Danzig. Auch in dem Zwist mit England hatte Lübeck wiederholt den Einfluss des mit Lübeck rivalisierenden Hochmeisters auf die Hanse verspürt. Jetzt war der Hochmeister unschädlich. In der Hanse herrschten wieder ausschließlich die städtischen Interessen. Lübeck wollte unter diesen Umständen nicht durch Feindseligkeiten gegen die Engländer dem Danziger Handel Hindernisse bereiten. Aber der Krieg, die Störung des Ostseeverkehrs und das Treiben der Danziger Kaperer hielten nun die Ostseestädte, wie alle Ostseemächte, fortdauernd in Atem.
Mit den französischen Küstenprovinzen verlor England auch die Seeherrschaft. Die Kämpfe zu Lande, welche unglücklich für die Engländer verliefen, setzten sich fort auf der See. Eine neue französische Seemacht erstand, besonders in den Häfen der Normandie: französische und bretagnische Piraten störten im Kanal und in der Nordsee die Schifffahrt und beunruhigten die englischen Küsten. Im Jahre 1457 überfiel eine französische Flotte die englische Hafenstadt Sandwich und plünderte sie. Engländer und Niederländer klagten gegenseitig über Beraubungen ihrer Schiffe. Der hansische Seeverkehr nach Brügge musste von den Städten durch Kriegsschiffe gedeckt werden. Auch die Niederländer legten zum Schutze ihres Handels und ihrer Heringsflotte Kriegsschiffe in die See.
Im Jahre 1455 wurde in England Graf Richard von Warwick zum Befehlshaber in Calais und auf der See ernannt. Auch dieser verstand seine Aufgabe nicht anders, als angesichts des Erscheinens fremder Kriegsschiffe in der Nachbarschaft (Englands die englischen Ansprüche aus die maritime Vorherrschaft zu erweisen durch Vernichtung der neutralen Schifffahrt. Im Mai 1458 griff er bei Calais eine spanische Flotte an, die mit dem Verlust von sechs Schiffen entkam. Besser gelang ihm ein zweiter Streich. Eine lübische Flotte von 18 Schiffen hatte im Frühjahr Salz und Wein wiederum in der Bai von Bourgneuf geladen. Auf der Rückkehr durch den Kanal wurde sie im Juli bei Winchelsea von Warwick angehalten und nach nutzlosem Widerstände überwältigt. Die ganze Flotte samt der Ladung wurde als gute Prise behandelt, die Mannschaft sogleich oder nach einiger Zeit entlassen. Um den Schein zu wahren, setzte die englische Regierung eine Untersuchungskommission ein. Allein schon der Umstand, dass zu ihren Mitgliedern jener uns bekannte Kent gehörte, verrät, dass an dem Gewaltstreich auch der Wunsch nach Rache an dem früheren Gegner Anteil hatte. Die Regierung und Warwick ließen ein halbes Jahr verstreichen, bevor sie Lübecks Beschwerde einer Antwort würdigten. Die Gewalttätigkeit wurde verhüllt unter der Behauptung, dass die Lübecker die Angreifer gewesen. Aber der einzige englische Chronist, der das Ereignis erwähnt, gibt als den Grund der Wegnahme der Schiffe ihre Weigerung an, auf Befehl Warwicks im Namen des Königs von England die Flagge zu streichen.
Gegenüber diesem neuen Friedensbruch Englands befand sich Lübeck in einer noch ungünstigeren Lage als nach dem ersten. Die anderen Hansestädte hatten vorgezogen, den Streit Lübecks mit England als eine Partikularangelegenheit Lübecks zu behandeln, weil es für jeden bequemer schien, sich um den Schaden der Genossin nicht zu kümmern und so den eigenen Vorteil nicht aufs Spiel zu setzen. Es kam hinzu, dass der preußisch-polnische Krieg immer weitere Kreise in Mitleidenschaft zog. Die Danziger Kaperer, im Jahre 1458 mindestens zweiundzwanzig Schiffe, vergriffen sich an Freund und Feind, drangen bis in die neutralen Gebiete und Häfen und riefen durch ihr gewalttätiges Treiben zahllose Beschwerden und steigende Erbitterung hervor. Christian von Dänemark, nachdem er seinen Rivalen aus Schweden verdrängt, hatte zwar nach seinem Einzüge in Stockholm die schwedischen Privilegien der Hanse bestätigt. Aber in Putzig an der Danziger Bucht saß sein vertriebener Gegner Karl Knutson unter dem Schutze Danzigs und Polens und wartete auf eine günstige Gelegenheit zur Rückkehr nach Schweden. Wer konnte sagen, ob sie nicht schon bald erscheinen würde? Die Unruhe und die Spannung in den Ostseeländern nahmen alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Schweden und Preußen waren die Länder, auf deren Schicksal während dieser Jahre in Lübeck politische Wetten abgeschlossen wurden. Mit den Niederlanden bestand Friede; die Handelssperre gegen Flandern war erst vor kurzem aufgehoben worden; das hansische Kontor hatte wieder in Brügge Residenz genommen. So vermochte Lübeck gegen den neuen Streich Englands nichts auszurichten. Es verkündete den Wiederbeginn seiner Fehde mit England und ließ durch bewaffnete Schiffe die See nach Engländern absuchen. Ein praktischer Erfolg wurde damit nicht erzielt.
Somit war die frühere Lage wiederhergestellt: Lübeck allein und gesondert von allen Hansestädten in offener Fehde mit England, dabei, obwohl abermals schwer verletzt, ohne Hoffnung auf Schadenersatz. Nur an einer Stelle war eine Veränderung eingetreten. Danzig, von allen Seiten bedrängt, sah sich auf Lübecks Freundschaft angewiesen. Doch war es nicht in der Lage, sich an der englischen Angelegenheit tatkräftig zu beteiligen. Übrigens gestatteten ihm seine neuerdings von Polen erworbenen Privilegien, den englischen Handelsverkehr in Danzig nach Gutdünken zu behandeln. Es war entschlossen, die alten Wünsche der Engländer nach völliger Handelsfreiheit und dauernder Niederlassung in Danzig niemals zu erfüllen. Dagegen schienen den rheinischen Hansestädten die Umstände günstig, ihren Einfluss in England auf Kosten der östlichen Städte zu verstärken.
Zwei Thronwechsel, welche im Jahre 1461 stattfanden, sind wie für die allgemeine Geschichte so auch für die der Hanse von großer Bedeutung gewesen. In Frankreich ging die Regierung an Ludwig XI. über. Ein ebenso energischer wie verschlagener Politiker, hat er in Frankreich den Grund gelegt zu der festbegründeten Staatseinheit, deren Vorzüge unter seinen Nachfolgern sich glänzend bewährten. Während seines Aufenthaltes in den Niederlanden, in den letzten Jahren vor seiner Thronbesteigung, lernte er dort ein reich entfaltetes Handelsleben kennen und verwertete später seine Erfahrungen und Beobachtungen zum Nutzen des eigenen Volkes. Auch dem Handel der Hansestädte nach Frankreich blieb er während seiner zweiunddreißigjährigen Regierungszeit, ungeachtet einiger Zwistigkeiten, im allgemeinen freundlich gesinnt. Jetzt trat auch für die Hanse der Vorteil der politischen Trennung der französischen Küstenländer von dem britischen Inselreich deutlicher zutage. Der englische Handel verlor sein Übergewicht im Zwischenverkehr zwischen beiden Ländern. Hier konnte der hansische Handel Raum gewinnen. Wenige Jahre nach seinem Regierungsantritt verlieh Ludwig XI. den Hansestädten Schutz und Sicherheit für ihren Verkehr mit Frankreich. In allen größeren Hafenplätzen an der Westküste Frankreichs wurde der Schutzbrief verkündigt.
In England bestieg Eduard IV., der Erbe der Ansprüche des Hauses York, den Thron. Er stützte sich anfänglich auf den Süden Englands und vorzüglich auf London. Nachdem in der Schlacht bei Towton die Entscheidung für ihn und gegen die mit den Schotten verbündeten Lancaster, Heinrich VI. und dessen Gemahlin Margarete von Anjou, gefallen, gab der rasche Umschwung dem englischen Kaufmannsstande neue Hoffnung auf große Erfolge gegen die Konkurrenz der Hanse. In England hatte man Grund, der Hanse nach allem, was vorgefallen, mit geringer Achtung zu begegnen. Man nahm daher die alten Ansprüche wieder aus, besonders die für den Handel in Preußen. London verdrängte die hansischen Kaufleute aus dem Besitze des Teiles des Londoner Bischofstores, dessen Instandhaltung und Bewachung Pflicht und Recht der Hansen war. Die Hauptstadt und das Parlament vereinigten sich in der Forderung, dass die Privilegien der Hanse nur unter der Bedingung der Gegenseitigkeit aller Rechte, auch für den Verkehr der Engländer in den Hansestädten, erneuert werden dürften. Man hoffte sogar, die Hansen aus dem Zwischenhandel Englands mit den Niederlanden und mit der Baie zu verdrängen.
Eduard selbst war vorsichtiger. Sein Thron stand keineswegs auf festen Füßen; er hat zehn Jahre gebraucht, um seine Herrschaft für den Rest seiner Regierung zu sichern. Für ihn war die hansische Angelegenheit vorzugsweise eine politische Machtfrage. Es kam ihm auf die politischen Vorteile an, welche ihm die Hansestädte, gegen Bestätigung ihrer englischen Privilegien, auf dem Kontinent durch Bündnisse und Freundschaften mit Fürsten und Städten verschaffen könnten.
Da zeigte sich aber, dass auch England nicht weiterkam gegen den Widerstand Lübecks. Denn von allen Hansestädten besaß Lübeck die größte politische Macht und den meisten Einfluss in und außer der Hanse. Man darf sogar sagen: nur unter Lübecks Leitung war die Hanse eine politische Macht, ohne Lübeck bedeutete sie wenig. Gerade Lübeck aber verweigerte vorläufig seine Teilnahme an Verhandlungen mit England. Der Krieg in der Ostsee und in Preußen tobte ohne aufhören weiter. So kam es zu keiner dauernden Sicherheit für beide Teile. Nur immer uns mehr oder weniger kurze Fristen verlängerte man in England den dort anwesenden Hansen den Gebrauch ihrer Privilegien.
Mit unermüdlichem Eifer war namentlich Köln bestrebt, sowohl bei England wie bei den Hansestädten, das Band des Verkehrs zwischen beiden nicht zerreißen zu lassen. Wie seit alter Zeit bestand auch damals ein recht lebhafter Verkehr der Kölner Kaufleute nach England. Da nun der Einfluss der östlichen Städte, besonders Lübecks und Danzigs, in England zurücktrat, begann der der Kölner in der hansischen Niederlassung, im Stalhof zu London, zu steigen. Die Kölner erinnerten sich wieder der seit zweihundert Jahren verlorenen vorörtlichen Stellung ihrer Stadt im englischen Handel. Eine Aussicht schien sich aufzutun, der Überlegenheit und Oberleitung, die Lübeck in der Hanse besaß und übte, jetzt ein Ende zu machen. Eine Gesandtschaft, welche Köln und Nimwegen nach England schickten, erreichte dort im Jahre 1463 eine Verlängerung der hansischen Privilegien auf dritthalb Jahre. Die Rührigkeit Kölns brachte zuwege, dass endlich im Herbst 1465 eine Zusammenkunft englischer und hansischer Gesandten in Hamburg stattfinden konnte.
Auf ihr traten aber die Gegensätze der Parteien wieder aufs schärfste hervor. Es stellte sich heraus, dass diese Meinungsverschiedenheiten unausgleichbar waren. Die Engländer kamen nur mit dem Verlangen nach einem Frieden oder einem Waffenstillstand, wollten aber von Genugtuung für die Beraubung der beiden Flotten nichts hören. Lübeck dagegen samt den anderen von England geschädigten Städten Bremen, Wismar und Rostock wiesen, durch die ungesühnten Friedensbrüche Englands belehrt, den Gedanken an Frieden oder Stillstand zurück und beharrten in dem Gewoge der Meinungen fest auf vorheriger Leistung oder Regelung des Schadenersatzes. Von vornherein hatte Lübeck ausgesprochen, dass es nicht der Urheber dieser Zusammenkunft, sondern nach wie vor Englands Feind sei. Also führten die Beratungen in Hamburg in der Hauptsache zu keinem Ergebnis.
Die entschiedene Haltung Lübecks und seiner in gleicher Lage befindlichen Genossinnen ließ in England die Hoffnung auf einen gütlichen Ausgleich mit den bisher versuchten Mitteln immer tiefer sinken. Man verlor sichtlich die Lust zu weiteren Verhandlungen. Die Lage war für England um so unbequemer, als seit dem Jahre 1464 England in scharfem Handelskriege stand mit den burgundischen Niederlanden. Die englischen Kaufleute in den Niederlanden mussten nach dem Bistum Utrecht übersiedeln, um dort ihre Waren, vor allem die englischen Tücher, abzusetzen. Sie Hanse dagegen hatte ihre Handelsbeziehungen im Westen von neuem gesichert; längs der ganzen atlantischen Küste von Flandern bis zur Straße von Gibraltar schützten neue Verträge und Übereinkommen mit Frankreich, Bretagne, Castilien und Portugal den hansischen Handel.
Auf die Dauer konnte freilich auch Lübeck die Stellung nicht behaupten, die es gewählt hatte. Die hansischen Privilegien in England waren doch immerfort, wiewohl nur ans kurze Zeitspannen, verlängert worden. Angesichts des Streites mit Burgund stellte selbst das englische Parlament ihre Gültigkeit nicht in Abrede. Dass König Eduard einen zuverlässigen Frieden mit der Hanse wünschte, kann kaum bezweifelt werden. Den Handel mit England hielten die meisten Hansestädte aufrecht, wie auch die Engländer in Preußen und sonst im Gebiete der Hanse verkehrten. Nicht allein Köln und die niederrheinischen Hansestädte, deren Verhalten in den Angelegenheiten des Brügger Kontors der Hanse bei den anderen Städten gerechtes Misstrauen erweckte, sondern auch Hamburg und die Preußen bestürmten Lübeck, durch seine dauernd schroffe Ablehnung nicht die Erhaltung der hansischen Freiheiten in England aufs Spiel zu setzen. Was Lübeck zum Einlenken bewog, war eine doppelte Erwägung. Der Friede von Thorn, der im Herbst des wahres 1466 dem langen, verheerenden Kriege in Preußen ein Ende machte, befreite Lübeck und die Ostseestädte von der am nächsten liegenden Sorge um die Wohlfahrt des Ostseehandels. Das politische Interesse richtete sich wieder überwiegend nach dem Westen. Dort stand ein Thronwechsel in Aussicht, der auch den Handel der Hanse in ernste Verwicklungen hineinziehen konnte. Der Charakter und die Kämpfe des Sohnes und Nachfolgers des alten und von langer, fruchtbarer Regierung ermüdeten Herzogs Philipp von Burgund, des Grafen Karl von Charolais, mit Ludwig von Frankreich und den rebellischen Städten Dinant und Lüttich ließen ein unruhevolles Regiment für die Niederlande und deren Nachbarn erwarten. Hier erschien die Zukunft der Hanse um so weniger sicher, als der vorhin angedeutete Streit Kölns und seiner niederrheinischen Nachbarstädte mit dem Brügger Kontor den Riss zwischen Köln und Lübeck, der in der englischen Frage drohte, vollends herbeiführen und immer mehr erweitern konnte.
Daher entschloss sich Lübeck, seine Ersatzansprüche an England vorläufig zurückzustellen, um die innere Einheit der Hanse wiederherzustellen. Im August 1467 erklärten Lübeck und seine Gefährtinnen in der englischen Sache, mit Ausnahme Bremens, ihre Bereitwilligkeit zum Abschluss eines mehrjährigen Waffenstillstandes mit England. In der Zwischenzeit sollte die Schadenersatzfrage beraten werden. Den Engländern war früher, wie erwähnt wurde, der Stillstand erwünscht gewesen, indessen hatte Eduard an die kurzbefristete Verlängerung der hansischen Privilegien die Bedingung geknüpft, dass die zukünftigen Verhandlungen in England stattfinden sollten. Darauf wollte Lübeck um keinen Preis eingehen. Es forderte als Ort der Beratungen einen Platz auf deutschem Boden. Das verweigerte aber wieder Eduard.
Der ausschlaggebende Grund für dieses Verhalten des Königs war nichts anderes als eine rasche und völlige Abwandlung der Beziehungen Englands zu Burgund. Nach des alten Herzogs Tode, im Juni 1467, erschienen alsbald die Anzeichen des politischen Wechsels. Nachdem schon früher die Vermählung des Thronfolgers Karl mit einer Schwester Eduards in Aussicht genommen, wurde jetzt mit der Heirat auch die Herstellung einer politischen Verbindung der beiden Staaten aufs eifrigste gefördert. In den Niederlanden hob man die Sperrmaßregeln gegen den englischen Handel auf. Im nächsten Winter gelangten die neuen Handels- und Freundschaftsverträge zwischen beiden Ländern zum Abschluss. Eine enge Allianz verband jetzt England und Burgund, nahe Verwandtschaft die beiden Herrscher und die Dynastien Burgund und York. England bedurfte der Hanse nicht mehr. Friede oder Stillstand mit der Hanse erschienen jetzt nicht mehr als dringend erstrebenswerte Ziele der englischen Politik. Was diese Wandlung für die praktische Politik Englands bedeutete, lässt sich nach der vorhergehenden Darstellung vermuten. In demselben Monat, in welchem die Hochzeit Karls des Kühnen mit der englischen Prinzessin unter prächtigen Festlichkeiten in Brügge gefeiert wurde, traf ein neuer Gewaltstreich Englands, seit weniger als zwanzig Jahren der dritte, die Hanse und ihren Handel in England.
II.
Der Reiz, welchen die Geschichte der Hanse auf den ausübt, der zu näherer Beschäftigung mit ihr Gelegenheit findet, beruht nicht zum wenigsten in der großen Mannigfaltigkeit ihrer kommerziellen und politischen Beziehungen zum Auslande. Diese beständig sich kreuzenden, einander hemmenden oder fördernden Verbindungen der Hanse mit den auswärtigen Nationen unterlagen naturgemäß einem starken Wechsel. Infolge der weiten und vielfachen Verzweigung der hansischen Beziehungen konnten leicht Überraschungen eintreten und scheinbar isolierte Zufälle an entlegener Stelle eine starke Wirkung ausüben. Eine seltsame Verknüpfung der Folgen von räumlich weit getrennten Begebenheiten führte diesmal die Katastrophe herbei.
Nach dem Frieden von Thorn begann der Ostseehandel aufzuatmen. Gemäß den Bestimmungen des Friedens sollten beide Teile ihre Kaperschiffe zurückziehen. Aber nach so langem Kriege fielen das völlige Aufgeben der gewinnbringenden Kaperei und die Rückkehr der Seekriegsleute zu dem ruhigen Schiffergewerbe zunächst nicht leicht. Mancherlei Beschwerden veranlagte das Treiben der Kaperer des Ordens, die nach dem Frieden ihre Räubereien eine Weile fortsetzten. Auch Danzig hatte Mühe, seine im Kriege trefflich bewähren Seeleute von Unternehmungen abzuhalten. Christian von Dänemark bot ihnen dazu Gelegenheit. Er wünschte Schiffe und Söldner für seinen Kriegszug gegen Schweden. Danzig hütete sich zwar, durch Gewährung dieses Gesuchs sich dem Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen, und verbot seinen Bürgern öffentlich die Teilnahme an den nordischen Streitigkeiten. Tatsächlich aber hat es nicht verhindert oder nicht verhindern können, dass im Sommer 1467 Danziger Schiffskapitäne, gefürchtete Namen aus dem vergangenen Seekriege, und Söldner in dänische Dienste traten. Sie wurden samt den Dänen vor Stockholm geschlagen, blieben aber im Dienste Christians, der ihre Anwesenheit in Dänemark zu benutzen verstand.
Dem Unfrieden zwischen Dänemark und England, der auch den Absichten der zum Frieden mit England drängenden Hansestädte hinderlich gewesen, sollten Verträge vom Herbst 1465 und Frühjahr 1466 ein Ziel setzen. Darin war den Engländern das oft wiederholte Verbot des Besuches der Landschaften des nördlichen Norwegens und besonders auch Islands ohne Erlaubnis der dänischen Krone von neuem eingeschärft worden. Häufig genug hatten früher die englischen Schiffer das Verbot übertreten, weil der Verkehr mit Island Gewinn brachte. Auch den neuen Vertrag beachteten sie nicht. Im Herbst des Jahres 1467 erschienen englische Schiffer von Lynn und Bristol in Island, hausten dort wie in Feindesland, erschlugen den königlichen Vogt, dessen Leichnam sie ins Meer warfen, plünderten sein Haus und die königliche Kasse, äscherten Häuser ein und raubten, was sie finden konnten. Christian ergriff Repressalien. Als Anfang Juni 1468 sechs englische Schiffe aus London, Lynn und Boston, später noch ein Schiff aus Newcastle mit Ladung von Hull und York, auf der Fahrt nach Preußen im Öresund erschienen, ließ er sie bei Helsingör beschlagnahmen.
Die Nachricht von diesem Ereignis rief in England große Erbitterung hervor. Bei der Wegnahme dieser Schiffe hatten mehrere von jenen Danziger Schiffen unter Führung bekannter Kapitäne mitgewirkt. Man behauptete in England, auch Stralsunder, Lübecker und andere Hansen hätten sich beteiligt, hansische Kaufleute, welche in den englischen Schiffen mitfuhren, und auch andere hätten die Ankunft der Engländer dem Könige verraten, die Absicht Christians sei den Hansen vorher bekannt gewesen. Zweifellos fehlte bei den am meisten beschuldigten Hansestädten, Danzig und Stralsund, wie auch ihr früheres, aus einen Ausgleich mit England hinstrebendes Verhalten erweist, jede Absicht zur unmittelbaren oder mittelbaren Schädigung der Engländer, die sie denn auch aufs bestimmteste leugneten. Gerade die Danziger unterhielten damals eifrig und unbesorgt ihren Verkehr mit England. Es half nichts, dass die hansischen Kaufleute in London die Anklagen der Engländer widerlegten oder bei dem Mangel an zuverlässiger Kunde zu widerlegen sich bemühten. Die tatsächliche Teilnahme der Danziger Schiffe, wiewohl sie in dänischem Solde gestanden, ließ sich nicht in Abrede stellen. Der König konnte der Erregung seiner Untertanen nicht widerstehen. Ende Juli wurden die hansischen Kaufleute vor den königlichen Rat geladen, der Prozess wurde eingeleitet, die Kaufleute sodann zur Stellung einer Bürgschaft von 20.000 Pfund Sterl. als Schadenersatz für die Verluste der Engländer gezwungen, aber nichtsdestoweniger in die Londoner Gefängnisse geworfen; nur wenige entkamen in die Kirchenasyle. Die Londoner Behörden schlossen und versiegelten den Stalhof; alles hansische Gut, dessen man habhaft werden konnte, wurde unter Arrest gelegt. Das gleiche Schicksal traf die anderen Hansen in allen englischen Hafenstädten, auch diejenigen, welche vom Festlande und der Ostsee her nach diesen Ereignissen ahnungslos in englische Häfen einliefen. Die endgültige Entscheidung über das Los Aller wurde bis zum Herbst verschoben.
Vielleicht vollzog Eduard den raschen Beschluss nicht leichten Herzens. Denn er bedeutete eine politische Unbesonnenheit. Die Hanse war bereits wieder einig seit dem Wiedereintritt Lübecks in die Reihe der den Frieden mit England suchenden Städte. Jetzt traf die gewaltsame Behandlung der Hanse in England die ganze Hanse, machte ihre Gesamtheit zum Feinde Englands und verschaffte der leitenden Stadt, der größten Gegnerin Englands, ein volles Übergewicht in der Hanse. Der Bruch mit Danzig, das ohnehin nicht gesonnen war, die Ansprüche des englischen Handels anzuerkennen, verschlechterte die Aussichten Englands im Ostseeverkehr. Der Entschluss Eduards verstärkte daher, politisch betrachtet, die Stellung der Hanse gegenüber England. Man versteht ihn erst recht, wenn man erwägt, dass im englischen Staatsrat nicht nur jener Thomas Kent, sondern auch mehrere Große saßen, die an den in Dänemark verlorenen Gütern und Schiffen bedeutenden Anteil hatten, unter ihnen auch Warwick, der Plünderer der Lübecker Salzflotte, der Königsmacher, der mächtigste Untertan im Reiche. Schwerlich der Lärm der geschädigten englischen Kaufleute, vielmehr der Eigennutz der Großen trug auch diesmal den Sieg davon über die ruhige Erwägung der Zweckmäßigkeit ihrer Entscheidung.
Auch die Rechtsfrage stand für England nicht günstig. Die Hansestädte, die einzelnen wie die Gesamtheit, wiesen alle Schuld von sich. Die Hansen in England leugneten jede Beteiligung an der Beschlagnahme der Engländer. Zudem verboten die von Eduard anerkannten Privilegien unzweideutig die Haftbarmachung eines Hansen für die Handlungen eines anderen. Von Rechts wegen konnte man sich höchstens an die Danziger oder die Stralsunder oder an die Kaufleute aus anderen mitbeschuldigten Städten halten. Vor allen Dingen lag offen zutage, dass der eigentliche Urheber und Datei nicht eine oder mehrere Hansestädte, sondern der König von Dänemark war, welchem der Friedensbruch der Engländer in Island hinreichenden Grund zur Vergeltung gegeben hatte.
In England begriff man von vornherein, dass die harte Entscheidung gegen die Hansen die politische Lage der seit in Feindschaft gegen England geeinten Hansestädte nur verbesserte. Man suchte daher ihre Einigkeit zu stören durch die Freilassung der Kölner. Es hatte sich herausgestellt, dass die Zahl der gefangenen Hansen nicht groß war. Die meisten von ihnen, junge Leute und Faktoren, stammten aus den westlichen Hansestädten. Ihre Auftraggeber saßen daheim in Sicherheit. Durch die Entlassung und Bevorzugung der Kölner hoffte man, England einen Teil der hansischen Zufuhren zu sichern. Als Grund der Freilassung der Kölner bezeichnete der englische Kanzler einen alten, ungeschlichteten Streit Kölns mit Christian von Dänemark. Damit aber erkannte er eben diesen als den Haupturheber der zu rächenden Tat an. Bis zum endgültigen Urteilsspruch blieben auch die Güter der Kölner in Arrest.
Der Ausfall des Urteils konnte kaum zweifelhaft sein. Im November verurteilten Eduard und der Staatsrat die Hansen zum Ersatz des Schadens, den die Engländer in Dänemark erlitten hatten; die Gefangenen blieben in Haft; nach zwei Monaten sollten ihre Güter bis zum Betrage jenes Schadens verkauft werden. Die Kölner dagegen wurden samt ihren Waren frei-gelassen. Sie blieben im Stalhof und nahmen den Handel wieder auf. Nur wurde auch von ihnen eine ansehnliche Summe erpresst. Die Stadt London hatte freilich am liebsten gesehen, wenn mit den übrigen Hansen auch die Kölner in Gefangenschaft geblieben und der Handel ihnen gelegt worden wäre. Der Bote, welcher ein von den Kölnern erwirktes Fürschreiben Kaiser Friedrichs für die Hansen von Köln her überbrachte, wurde in den Straßen Londons blutig geschlagen. Zweiunddreißig Wochen haben die Hansen in den Gefängnissen gesessen. Erst im März wurden sie freigelassen, nachdem sie, um loszukommen, ihre Zustimmung gegeben zum Verkauf ihrer auf 5.550 Pfund Sterling taxierten Güter bis zum Betrage von 4.000 Nobeln. Der Rest blieb beschlagnahmt.
Die Hanse selbst war durch den Gewaltstreich überrascht worden. Sie hatte sich beschränkt auf eine Erklärung ihrer Schuldlosigkeit und auf die Bitte um Befreiung ihrer Kaufleute. Weitere Beschlüsse wurden einer Versammlung vorbehalten, welche im Frühjahr 1469 in Lübeck zusammentreten sollte. Aber auch an anderen Stellen des Festlandes regte es sich schon zugunsten der Gefangenen.
Die Ausübung des Repressalienrechts gegen die Hansen in England wegen eines Friedensbruches von seiten Dänemarks erschien den Neutralen als Willkür und Missachtung des internationalen Gewohnheitsrechts. Christian von Dänemark nahm die Schuld auf sich allein. Nicht nur von einzelnen Hansestädten, auch von ihren Landesherren liefen in England Fürschreiben ein, zumeist aus der Nachbarschaft des burgundischen Reiches. Nach der zweiten Verurteilung legten auch Karl von Burgund, die Stadt Brügge und die flandrischen Stände bei Eduard und bei London Fürsprache ein für die Hansen. Selbst der Gouverneur der englischen Kaufleute in den Niederlanden, William Caxton, der wenige Jahre später die Buchdruckerkunst in Köln erlernte und sie als erster in England einführte, schrieb in demselben Sinne an London. So begann der Fall weitere Kreise zu ziehen und eine Wirkung zu üben auf das politische Verhältnis Englands zu den Niederlanden. Eduard nahm daraus Anlass, auf dem Festland eine Denkschrift zu verbreiten, welche die Rechtmäßigkeit seines Urteilsspruches erweisen sollte. Auch schob er, wie erwähnt wurde, die endgültige und vollständige Exekution des Urteils hinaus und begnügte sich mit vorläufigen Gelderpressungen. Sein ganzes Verhalten: das gewaltsame Verfahren, die Absonderung der Kölner und dann wieder die zögernde Ausführung des Urteils, erklärt sich aus der wachsenden Unsicherheit seines Königtums. Er hatte gewiss auch in der hansischen Sache Rücksicht zu nehmen in England auf die ihm feindliche Partei der Lancaster, auf die unter den Yorkisten, welche es mit Frankreich hielten, und auf seine eigenen Parteigänger, endlich jenseits des Kanals auf die burgundische Allianz. Dieses Bündnis diente vorläufig keineswegs zur Befestigung seines Thrones. Es zog ihn hinein in die Strömung der burgundischen Politik, und im Geiste dieser Verbindung war es, dass er in England, um die Nation zu gewinnen, wieder das Banner des nationalen Krieges gegen Frankreich aufrollte. Aber der mächtigste Magnat im Reiche, Warwick, war Anhänger der Allianz mit Frankreich und, wie es heißt, mit Karl dem Kühnen persönlich verfeindet. Karl hätte gern die Vermittlung und Schlichtung des Streites mit der Hanse in seine Hand genommen. Denn dieser Zwist welcher zu einer englisch-hansischen Fehde auswachsen mochte, war ihm deshalb unbequem, weil er die Stellung Eduards, seines Verbündeten, noch mehr verschlechtern und den Handelsverkehr in der Nordsee und im Kanal stören konnte.
In der Tat unternahm Karl im Frühsommer 1469 den Versuch zu einer Vermittlung. Im Mai nämlich hatten die Hansestädte in Lübeck getagt. Unter Lübecks kluger Leitung erschienen die in ansehnlicher Zahl versammelten Städteboten, Vertreter von dreiundzwanzig Städten von Königsberg bis Nimwegen, diesmal im wesentlichen einmütig und entschlossen. Der Unterschied der inneren Lage gegen früher war schlagend. Nicht allein lebten sofort mit den neuen auch die alten, für England so unbequemen Ersatzansprüche wieder auf, sondern jetzt waren es nicht mehr Lübeck oder dessen Nachbarstädte allein, welche sie stellten, sondern fast die ganze Hanse. Drei Mittel fasste man sofort ins Auge: Krieg gegen England, Verbot der englischen Tücher im Hansegebiet, Abschneidung der Zufuhr nach England. Die Hanse trat von vornherein auf den Standpunkt, dass der englische Urteilsspruch ungerecht, unrechtmäßig und daher nichtig sei. Sodann verfügte sie den Abbruch des Handelsverkehrs mit England. Die inzwischen befreiten Hansen in England sollten sofort die Insel räumen, kein Hanse nach dem 24. Juni England besuchen. Ferner nahm man ein Verbot der Einfuhr englischer Waren, vor allem des Tuches, des Hauptartikels der englischen Ausfuhr, in Aussicht. Sowohl in den Hansestädten, großen und kleinen, wie überhaupt in allen Territorien Norddeutschlands, von Polen bis zu den Niederlanden, gedachte man die englischen Tücher vom Verkehr auszuschließen. Endlich erklärte man sich bereit zur Annahme der Vermittlung Karls des Kühnen.
Dieser und Eduard selbst hatten der Hanse ihren Wunsch nach Verhandlungen über einen Ausgleich, die unter den Auspizien des Herzogs in Brügge gepflogen werden sollten, zu erkennen gegeben. Die Hanse ging darauf ein, offenbar allein mit Rücksicht auf den mächtigen Herzog, aber sie begnügte sich, in der Voraussicht der Nutzlosigkeit dieser Verhandlungen, mit der Bevollmächtigung der Vorsteher ihres Brügger Kontors und band diese ihre Vertreter durch eng umschriebene Verhaltungsmaßregeln. Als Gegenleistung für die Hinausschiebung des offenen Bruches mit England forderte sie zum mindesten die Rückgabe des in England noch unter Arrest liegenden Gutes und rückte für den Fall weiterer Friedensverhandlungen die heikle Frage des alten und neuen Schadensfalles in den Vordergrund.
Der Misserfolg der Vermittlung war also vorauszusehen. Jene Denkschrift der Engländer ließen die hansischen Vertreter in Brügge mit viel Schärfe und Gelehrsamkeit widerlegen. Sie machten kein Hehl daraus, dass es ihnen schwer würde, durch Verhandlungen von zweifelhaftem Erfolge die gute Gelegenheit zum Kriege gegen England zu versäumen. Indessen kamen sie den Friedenswünschen des Herzogs weit entgegen. Sie knüpften ihre Zustimmung zu weiteren Verhandlungen mit England an die Bedingung, dass bis dahin das beschlagnahmte hansische Gut unveräußert im Arrest bleibe, die in der Gefangenschaft zugestandenen Gelöbnisse der Kaufleute nicht ausgeführt und die Exekution des englischen Repressalienverfahrens aufgeschoben werden sollten. Auch davon wollten die englischen Gesandten nichts wissen. Sie befanden sich freilich in übler Lage. Der Bestand der Herrschaft ihres Königs erschien ihnen unfraglich ebenso unsicher wie dem Herzog Sari. Denn gerade in diesen Wochen der Brügger Beratungen vollzog Warwick den entscheidenden Streich gegen Eduards Herrschaft, indem er seine Tochter dem Bruder des Königs, dem Herzog von Clarence, vermählte, worauf in England der Aufruhr gegen Eduard losbrach.
Für die Hanse war das letzte Wort gesprochen. Nachdem der „Weg des Rechtes“ verschlossen, blieb nur der „Weg der Tat“ offen. Die Hanse hatte dem Herzoge von Burgund ihre Geneigtheit zum Frieden bewiesen. Karl billigte keineswegs das Verfahren Eduards gegen die Hansen in England. Er war der Hanse dankbar, dass sie seine Vermittlung angenommen, und damit einverstanden, dass sie jetzt zum völligen Abbruch des Handelsverkehrs mit England schritt. Nur der offene Krieg gegen England, der erfahrungsmäßig den neutralen Handel zu stören pflegte, fand seinen Beifall nicht. Seine Haltung bestimmte die Allianz mit Eduard, die das Fundament seiner äußeren Politik war. Sie aber sollte ihm den Rücken decken für die Durchführung seiner Entwürfe auf dem Festlande, für die Ausdehnung seiner Herrschaft und für die Verwirklichung der Königspläne, denen schon sein Vater nachgestrebt hatte. Dazu bedurfte er aber der Sicherheit des Thrones seines englischen Alliierten und für seine Untertanen der Erhaltung des Friedens und des friedlichen Verkehrs auf der See und auch im Gebiete der Hause.
Diese Doppelstellung Burgunds zu England, wo mit dem Bestände der Herrschaft Eduards auch der der englischen Allianz in Frage gestellt war, und zur Hanse, mit welcher es Frieden halten wollte, bot der Hanse die erste Gelegenheit zur Eröffnung der Feindseligkeiten gegen England. Aus burgundischen Häfen liefen im Herbst 1469 die ersten, von Hansen ausgerüsteten Kaperschiffe gegen die Engländer aus. Damit begann der Seekrieg gegen England, der einzige, welcher zwischen der Hanse und dem Inselreiche und überhaupt jemals zwischen Deutschland und England geführt worden ist.
Nicht auf den wenigen Kriegsschiffen, welche die größeren Hansestädte in ihren Häfen zu steter Verfügung bereithielten, beruhte die maritime Kraft der Städte in Kriegsfällen. Diese Schisse, welche die Städte ihre Hauptschiffe nannten, sind auch in den ersten Jahren der englischen Fehde nicht ausgerüstet worden. Vielmehr die Leichtigkeit, zahlreiche Kauffahrer jeder Art und Größe in Kriegsschiffe umzuwandeln, sie in kurzer Frist mit Söldnern zu besetzen und mit Handwaffen, Büchsen, Geschützen, Proviant und aller kriegsmäßigen Ausrüstung zu versehen, konnte den Städten, wenn sie zu gemeinsamen Anstrengungen entschlossen waren, ein Übergewicht auf der See über die Nationen des Nordens verschaffen. Auch jetzt war kein Mangel an Geld und Leuten, am wenigsten in Danzig, wo die im langjährigen Seekriege erprobten Kaper-Kapitäne die Gelegenheit zur Wiederaufnahme ihres kühnen Handwerks, diesmal in der Nordsee gegen England und auch, wie wir sehen werden, gegen Frankreich, gern ergriffen. Auch burgundische Untertanen nahmen Kriegsdienste auf den ersten hansischen Kaperschiffen.
Vom Brügger Kontor und anderen unternehmungslustigen Schiffern und Kaufleuten gingen im Herbst 1469 die ersten Rüstungen aus. Mehrere in der Ostsee berüchtigte Namen verbreiteten jetzt ihren Schrecken unter den Schiffern der Nordsee und des Kanals. Sie führten ihre englische Beute nach Sluis in Flandern, nach Arnemuiden in Seeland; ein großes Schiff aus Newcastle wurde nach Seeland aufgebracht. Anfangs geschah das mit Zustimmung Karls des Kühnen. Aber seit Anfang des Jahres 1470 zog dieser seine Erlaubnis zurück. Sein Bundesverhältnis zu Eduard IV. und die Hoffnungen, welche er auf dessen Königtum setzte und setzen musste, ließen eine dauernd offene Begünstigung der Feinde Englands doch nicht zu. Er verbot seinen Untertanen die Beteiligung an den hansischen Kapereien, die Verproviantierung der hansischen Auslieger; ja, er befahl, diese festzuhalten, wo sie in burgundischen Häfen und Gewässern erschienen. Das hinderte die Fortsetzung der Feindseligkeiten keineswegs. Mehrere hansische Kaper überwinterten im Hamburger Hafen und stachen schon wieder in See, bevor im Januar das Eis der Elbe die Schifffahrt hinderte.
Vom Frühjahr bis in den nächsten Winter hören wir von einzelnen Kämpfen in der See. Begreiflicherweise entziehen sich die Ereignisse eines Seekrieges um so leichter der genaueren Feststellung, als dieser Krieg nicht von größeren Flotten, sondern von den einzelnen oder zu kleinen Gruppen vereinigten Kaperern geführt wurde. Am meisten gefährdeten die Angriffe der Hansen die lebhafte Schifffahrt zwischen den Niederlanden und England. Kölnische Kaufleute verloren im April und später ansehnliches Gut in den Schiffen, welche von den hansischen Ausliegern an der niederländischen Küste erbeutet wurden. Bei einem Zusammenstoß einer größeren englischen Flotte von 11 Schiffen mit zwei von den Kaperern, die aus Danzig stammten, wurden diese überwältigt, während ein englisches Schiff in den Grund gebohrt wurde. Andere Hansen beteiligten sich an der gleich zu erwähnenden burgundischen Expedition nach Frankreich. Im Oktober nahm ein Hamburger Auslieger an der Küste Seelands mehrere mit englischem Gut befrachtete Schiffe, die auf der Fahrt von Bergen op Zoom nach Calais begriffen waren. Sie wurden nach Kampen gebracht, wo man die Ladung löschte und alsdann zum Verkauf auf den nächsten Deventer Markt führte. Ein Schiff mit schottischem Gut schleppten die Auslieger in westfriesische Häfen. Die Zahl der hansischen Kaperer mag über ein Dutzend betragen haben. Sie vermehrten sich schnell durch Elemente, welchen die Kriegskünste willkommenen Anlass boten zur scheinbar legitimen Ausübung der Seeräuberei. Besonders die stets zum Seeraub bereiten Friesen regten sich, griffen vor der Elbe Handelsfahrzeuge an und ließen die Städte Maßregeln zum Schutze ihrer eigenen Schifffahrt nach dem Westen in Aussicht nehmen. Ein Auslieger, der sich für einen hansischen Kaperer von Oldenburg ausgab, fing im Hafen von Sluis zwei mit Wein und anderem Gut beladene Karavellen, die von Bordeaux kamen, und führte sie nach Hamburg. hier gab man ihm freilich nur Geleit für das feindliche Gut; die Hansestädte schritten ein und versprachen die Befriedigung der geschädigten Eigentümer. Die Zahl der Auslieger wuchs unaufhörlich, denn sie bemannten die erbeuteten Schiffe mit eigenem Schiffsvolk und konnten so in verstärkter Zahl in der See auftreten. Sie fielen Engländer, Franzosen, Bretagner und Niederländer ohne Unterschied an; das Kaperwesen artete in Seeraub aus. Die Beschwerden, welche in Burgund verlauteten und zum Herzoge drangen, wurden dem Kontor in Brügge immer lästiger.
Die Verwirrung, die in diesem blinden Zugreifen der hansischen Kaper zutage trat, war indessen nichts anderes als eine Begleiterscheinung des politischen Wirrwars, der noch immer in dem weiteren Gebiete der Küstenländer des Kanals herrschte.
Das Scheitern der Verhandlungen mit den Engländern in Brügge hatte die Fehde, wie erwähnt, unvermeidlich gemacht. Das in England unter Arrest liegende Gut gab man verloren. Die hansischen Kaufleute konnten froh sein, wenn sie ihre Person aus England in Sicherheit brachten; nur die Kölner waren von dem Missgeschick aller verschont geblieben. Die Hansestädte ließen zunächst ihren Kaperschiffen durchaus freie Hand. Am eifrigsten rief Danzig nach energischer Kriegführung der Städte selbst gegen England und Frankreich. Des Seekrieges kaum entwöhnt, hatte es mehr und geübtere Seemannschaften zur Verfügung als die anderen Städte; es konnte sie nicht nützlicher beschäftigen als in dieser Fehde. Zudem war es wegen eines großen Schiffes aus La Rochelle, das vor Jahren fast wrack in den Danziger Hafen eingelaufenen und dort verblieben war, in einen Streit geraten mit dessen französischen Eigentümern, denen schließlich Ludwig XI. Repressalien gegen Danzig und die Hanse ertaubte. Danzigs Verhalten in der Sache dieser großen Karavelle erschien nicht einwandfrei, und wenn es jetzt zum Kriege mit Frankreich drängte, geschah es aus diesem besonderen Grunde. Aber richtig war, dass im Hinblick auf die Beziehungen Frankreichs zu England Freund und Feind kaum unterschieden werden konnten; im Grunde war es, nach Danzigs Worten, ein Werk mit beiden. Schon im ersten Winter sind daher hansische Kaperer wie gegen England so auch gegen die Franzosen ausgelaufen.
Auf ihrer Versammlung im Mai und Juni 1470 trat den Hansestädten das vorläufig entscheidungslose Ringen der Westmächte um das Übergewicht in England und um den Bestand der englisch-burgundischen Allianz greifbar vor die Augen. Das Austreten der hansischen Kaper bedeutete ein neues Gewicht in der Waagschale der Politik zugunsten der Hanse. Eduards Herrschaft war vollends erschüttert; England hatte vorübergehend zwei Könige in Gefangenschaft gesehen; Warwick beabsichtigte, Eduards Bruder Clarence auf den Thron zu erheben. Das Haupt der Lancaster, die vertriebene, unter Frankreichs Schutz lebende Königin Margareta, warb mit ihrem Sohne bei den Hansestädten um kriegerischen Beistand gegen Eduard. Ludwig XI. und auf dessen Befehl der Admiral von Frankreich beeilten sich ebenfalls, der Hanse mit dem Frieden ein Bündnis und sicheren Handelsverkehr in Frankreich anzubieten und den hansischen Kriegsschiffen für ihre Unternehmungen gegen die Engländer die Häfen der Normandie zu öffnen. Selbst Schottland suchte die Freundschaft der Hanse. Endlich erschien Karl der Kühne im Auftrage Eduards wieder mit einem Angebot zur Vermittlung des englisch-hansischen Streites: Neue Verhandlungen sollten stattfinden, inzwischen der Krieg eingestellt werden.
Erst eine neue Städteversammlung nahm im September Stellung zu diesen Anträgen. Der Besuch dieser Tagfahrt entsprach der Bedeutung der zur Entscheidung gestellten Fragen. Fünfzig Städte, darunter fast alle größeren aus allen Territorien, waren vertreten, die meisten von ihnen durch Gesandte, andere durch Vollmachten. Ihre Beschlüsse verrieten das Vorwalten der wohlberechneten und beharrlichen Politik Lübecks, die jetzt verdiente Anerkennung fand. Ihre Richtung lässt sich kurz dahin zusammenfassen; gegenüber England Fortsetzung des Kaper- und Handelskrieges, gegenüber Karl dem Kühnen, auf welchen alles ankam, williges Entgegenkommen unter Festhalten an den wesentlichen Forderungen der Hanse. Jegliche Zufuhr aus England wurde verboten, ebenso jede Einfuhr englischer Waren nach Martini in die Hansestädte. An alle großen Landesherren in Livland, Preußen, Polen, Dänemark, Bremen-Münster, Utrecht, Geldern, Kleve, Lüttich ergingen Aufforderungen zum Ausschluss der englischen Waren aus dem Verkehr. Auch die niederländischen Handelsstädte, deren Wettbewerb der Krieg hätte fördern können, wurden gewarnt vor der Einfuhr englischer Güter in das Gebiet der Hanse. Dem Herzog Karl, der sich in seinen Plänen und Unternehmungen durch die hansischen Kaperer gehindert fand, versprach man den Aufschub der Ausrüstung der städtischen Hauptkriegsschiffe bis zum Frühjahr, ohne übrigens die in Aktion befindlichen Kaperschiffe zurückzurufen. Man erklärte sich grundsätzlich bereit zur Wiederaufnahme der Verhandlungen mit England und zur Annahme der Vermittlung Karls. Aber mehr als den bloßen Grundsatz gestand man nicht zu: die wirkliche Aufnahme der Unterhandlungen wurde geknüpft an die Bedingung einer vorhergehenden Erklärung Karls, dass er der Hanse Schadenersatz, Genugtuung für das über die Hansen ergangene Urteil und Wiedereinsetzung in ihre Privilegien verschaffen werde. Der Herzog sollte demnach von vornherein eine Garantie übernehmen für einen der Hanse günstigen Ausgang der Friedensberatungen.
Die sichere und einmütige Haltung der Städte bekundete sich endlich in ihrem Verfahren gegen das abtrünnige Köln. Seit dem Beginn des Missgeschicks der Hansen in England erfreuten die Kölner sich, wie gesagt, einer parteiischen Bevorzugung durch die englische Regierung. Sie blieben frei und im Besitze des Stalhofes. Um ihre gefangenen Landsleute kümmerten sie sich wenig und blieben auch in England, als die Hansestädte ihre Angehörigen von dort abriefen. Von Köln erhielten sie Verhaftungsbefehle. Köln glaubte die Zeit gekommen, sich und seinen Handel dem oft lästigen Zwang der hansischen Gesamtheit und dem in der Hanse vorherrschenden Einfluss Lübecks entziehen zu können. Es wies seine Kaufleute in England an, sich völlig auf eigene Füße zu stellen, jede organisatorische Verbindung mit den übrigen Hansen abzubrechen, eine eigene Genossenschaft zu bilden, für sich allein Privilegien zu erwerben, kurz, in jeder Hinsicht sich abzusondern von der hansischen Gemeinschaft. Es glaubte, zu dem alten Zustande in den Tagen der Plantagenets zurückkehren zu können, als es noch der Vorort war für die in England verkehrenden Deutschen, und bemerkte nicht, dass die gelten sich auch darin geändert hatten, dass es seihst als Landstadt hei der Entscheidung des Streites mit dem Inselreiche nicht das in die Waagschale werfen konnte, worüber die Seestädte verfügten: eine Seemacht. Es hat um die Wiederherstellung seiner alten, von den normannischen Königen verliehenen Freiheiten und vergaß, dass gerade die vielbeneideten Vorrechte der Deutschen in England erst längere Zeit nach dem Aufgehen der Kölner in die gemeinhansische Korporation der Deutschen im Stalhofe und eben durch diese erworben waren. Es rechnete aus den Geist der Zwietracht unter den Hansestädten, welcher bisher in dem Verhältnis der Hanse zu England obgewaltet und jeden Erfolg vereitelt hatte, und übersah, dass die Einheit, soeben hergestellt, gerade durch sein eigenes Verhallen befestigt werden musste. Es verließ sich sogar — und das war sein größtes und einer gewissen Ironie nicht entbehrendes Missgeschick — aus Karl den Kühnen.
Kölns Befehlen gemäß richteten die Kölner sich in England ein. Die Gebote der Hansestädte beachteten sie nicht; keine andere Autorität galt ihnen als die ihrer Heimatstadt; ihnen allein wurden die Privilegien wieder bestätigt. Die Erbitterung über dieses gehässige und bundesbrüchige Verhalten der Kölner, über einzelne verräterische Handlungen gegen bedrängte Landsleute in England, die man ihnen vorwarf, wuchs allerorten in den Hansestädten. Noch ein anderes kam hinzu. Der Streit mit dem hansischen Kontor in Brügge, in welchem Köln ebenfalls die Idee der Vorherrschaft partikularer und einzelstädtischer Interessen in den auswärtigen Niederlassungen der Hanse verfocht, die meisten Hansestädte dagegen für die Erhaltung und Stärkung der Autorität des Kontors über die widerspenstigen Kölner eintraten, war im März 1470 vom Conseil Karls des Kühnen zu Kölns Gunsten entschieden worden. Köln vermied den Besuch der hansischen Tagfahrten seit mehreren Jahren, lehnte aber die Verbindlichkeit aller Beschlüsse der Städte für sich ab. Die Lübecker Tagfahrt zog jetzt nur die Folgerungen aus dem Verhalten Kölns, indem sie es vom Februar 1471 ab aus der Hanse ausschloss. Bis Genugtuung geleistet, sollten die Kölner mit ihren Gütern in allen Hansestädten und deren Gebieten zu Land und Wasser sowie in den vier großen Niederlassungen zu Brügge, London, Bergen und Nowgorod vorn Verkehr und aus jeglicher Handelsgemeinschaft ausgeschlossen sein. Ein letzter Versuch zur Versöhnung mit Köln, welchen im Auftrage der Tagfahrt einige westliche Städte unternahmen, blieb, wie zu erwarten, ohne Erfolg.
Nun war die Bahn für die Hause nach allen Seiten frei. Eine einigermaßen günstige Wendung im Kampfe der Westmächte musste den Sieg bringen. Warwicks Pläne scheiterten in England; er entfloh nach Frankreich, versöhnte sich dort mit den Lancasters und rüstete für eine Expedition nach England. Um sie zu verhindern, seinen Bundesgenossen Eduard zu schützen und Vergeltung zu üben für die Beraubung niederländischer Schiffe durch Warwick, ließ Karl der Kühne eine große Flotte, in welche auch hansische Kaperer eingereiht waren, vor den Häfen der Normandie kreuzen. Ein Sturm jagte die Flotte auseinander. Warwick bewerkstelligte im September seine Überfahrt; Eduard ergriff die Flucht nach dem Festlande. Scharf verfolgt von hansischen Kaperern, brachte er sich und seine geringe Begleitung mit genauer Not an der Küste der Insel Texel in Sicherheit. Ein halbes Jahr lang triumphierte Lancaster; Heinrich VI. wurde aus dem Gefängnis hervorgeholt; als der wahre Herrscher in England schaltete Warwick; Ludwig XI, begann wieder den Krieg gegen Burgund.
Während dieser Monate des tiefsten Standes der burgundisch-englischen Allianz bewährte sich die Natur Eduards. In Friedenszeiten sorglos und genusssüchtig, als Politiker das schroffe Gegenteil des stets misstrauischen und tief verschlagenen Ludwig XI., war Eduard ausgestattet mit um so glänzenderen kriegerischen Fähigkeiten. Unterstützt von seinem Verbündeten, rüstete er während des Winters in den befreundeten Niederlanden eine Flotte. Karl schlug der Hanse eine Vereinigung seiner und der hansischen Kriegsschiffe vor, um gegen Lancaster und Frankreich die See zu halten. Die hansischen Kaperer waren inzwischen nicht müßig. Sie erbeuteten mehrere Schiffe aus Caen und Dieppe und fingen in einem von ihnen den Mayor von London. Ludwig XI. hatte die Gelegenheit wahrgenommen, um in England eine Schaustellung französischer Industrieerzeugnisse und kostbarer Waren zu veranstalten. Ein Teil derselben fiel der Habgier Warwicks zum Opfer, der Rest bei der Rückreise nach Frankreich in die Hände der Hansen. Engländer von Warwicks Partei wurden von den Hansen im Kanal aufgegriffen und dem König Eduard in den Niederlanden ausgeliefert. So gingen denn viele hansische Auslieger bereitwillig aus die Werbung Eduards ein. Die Flotte, welche ihn Anfang März an die englische Küste hinüberführte, bestand zum großen, wenn nicht zum größten Teil aus hansischen Schiffen.
Es war der glückliche Anfang eines kurzen, entscheidenden Siegeszuges. Die Schlachten bei Barnet und Tewkesbury im April und Mai bereiteten der kurzen letzten Episode der Lancasterherrschaft samt der Rebellion Warwicks ein blutiges Ende. Auf dem Grunde dieser Siege und des völligen Ruins seiner Feinde gewann endlich das Regiment König Eduards einen dauernd sicheren Bestand.
Aber eine unmittelbare Wirkung auf die Verständigung zwischen der Hanse und England hat auch dieser jähe Schicksalswechsel nicht ausgeübt. Trotz des offenkundigen Zerwürfnisses zwischen Köln und seinen Mithansestädten verharrte England bei der Bevorzugung der Kölner. Wie der letzte, unglückliche Lancaster bestätigte auch der siegreiche Eduard den Kölnern auf kurze Frist ihre Freiheiten. Auf dem Kontinent traten die Sperrmaßregeln und die Verhansung Kölns in Kraft. Manchmal umgangen, von den Kölnern nicht beachtet, von dem Argwohn einzelner Hansestädte in Bezug auf strenge Beobachtung in Zweifel gezogen, brachten gleichwohl diese Verkehrsverbote in weiten Gebieten die beabsichtigte Wirkung hervor. Große Teile Westdeutschlands, vor allem auch die Ostseegebiete verschlossen sich den englischen Waren. Dazu ging der Kaperkrieg in der Nordsee ohne Unterlass weiter. Danzig drängte wieder zu kräftiger Teilnahme der Städte an dem Seekriege, zur Ausrüstung größerer Flotten gegen die Engländer. Hamburg und Lübeck ließen zwar den hansischen Kaperern freie Bewegung, zögerten aber nach wie vor mit der Rüstung städtischer Schiffe, zum Teil wegen der Söldnerwerbungen, welche Christian von Dänemark in ihren Städten veranstalten ließ für seinen Feldzug nach Schweden, der im Herbst am Brunkeberge bei Stockholm gänzlich missglückte, zum Teil, weil sich die Notwendigkeit herausstellte, die Handelsschifffahrt zwischen Flandern und Hamburg durch bewaffnete Begleitschiffe zu schützen. Schließlich ging Danzig allein vor. Es sandte im Herbst 1471 zwei Kriegsschiffe, darunter das große, neu instandgesetzte französische Schiff, um dessentwillen es in jenen Streit mit Ludwig XI. geraten war, in die Nordsee nach den Niederlanden. Doch die Erfolge waren mäßig.
Zwar kam es bei der allgemeinen politischen Lage für die Hanse weniger an auf große kriegerische Erfolge zur See als überhaupt auf die Fortsetzung des Krieges, der den englischen Handel im Norden und Osten der Insel stören sollte, wie ihn der französische im Süden unterband. Aber für die Durchführung eines Seekrieges gegen England in größerem Umfange fehlten überhaupt die unerlässlichen militärisch-politischen Voraussetzungen. Die hansischen Kriegsschiffe besaßen für ihre Unternehmungen gegen England keine geeignete Operationsbasis. Ein englischer Handel nach dem Nordosten, nach dem Sund oder in der östlichen Nordsee, bestand nicht mehr. Man musste ihn also aufsuchen an den englischen Küsten, ferner da, wo der Verkehr am stärksten war, zwischen den Niederlanden und England und überhaupt im Kanal. Aber sowohl für planmäßig vorbereitete wie für improvisierte Unternehmungen in diesen Gegenden waren die Mündungen der Weser und Elbe, die als Ausgangspunkte und Zufluchtshäfen dienen konnten, zumal bei dem wenig durchgebildeten Stande der Segelkunde zu weit abgelegen, vor allem für die Kriegsschiffe der Ostseestädte; ebenso wenig boten die gefährlichen friesischen Küsten gute Sicherheitshäfen. Nur die Häfen der burgundischen Küsten-Provinzen besaßen die Vorzüge, welche als Vorbedingung gelten konnten für aussichtsvolle Seekriegsunternehmungen gegen die Engländer. Über diese fast allein in Betracht kommenden Häfen verfügte aber unumschränkt Karl der Kühne. Vorübergehend, Mitte des Jahres 1471, hat dieser seine Häfen wieder den Danziger Kriegsschiffen geöffnet, die ja auch gegen seine französischen Feinde Krieg führen wollten. Im Winter schritt er bereits von neuem ein mit öffentlichen Befehlen, welche den Söldnerdienst auf hansischen Schiffen, die Verproviantierung derselben und den Ankauf von Prisengut untersagten. So haben manche Übelstände, vornehmlich der Mangel an sicheren Stützpunkten, Schwierigkeiten der Verpflegung und daher Unbotmäßigkeit des Schiffsvolkes, dazu beigetragen, die Leistungen der hansischen Kriegsschiffe zu beeinträchtigen.
Erst im Jahre 1472 kam wieder neues Leben in die kriegerischen Aktionen auf der See. Auch die Franzosen und die Engländer erschienen jetzt mit großen Flotten auf dem Hauptschauplatz, dem Fahrwasser vor den Niederlanden. Längst wurde die Schifffahrt zwischen den niederländischen und den englischen Häfen durch bewaffnete Söldnerschiffe gedeckt.
Schon im Winter sandte Hamburg einige Kriegsschiffe aus, und im Februar beschlossen Lübeck und Hamburg die Ausrüstung weiterer städtischer Schiffe. Lübeck stellte vier Schiffe, darunter den „Mariendrachen“ und den „Georgsdrachen“, Hamburg mindestens ebenso viele, darunter die „Große Marie“ und den „Fliegenden Geist“. Für die Geschichte der berühmten Schiffersage ist von Interesse, dass, — wie es scheint, von den hansischen Seeleuten selbst, und zwar von den Hamburgern, — mit dem Namen des Geisterschiffes auch der des sagenhaften Seeräubers Störtebeker in Verbindung gesetzt wurde. Auch Bremen brachte ein Kriegsschiff in die See. In Hamburg und Lübeck beteiligte sich die Bürgerschaft eifrig an der Rüstung: der Rat und die beitragleistenden Bürger verabredeten Halbpart an der Beute eines jeden Schiffes.
Über Rüstungen anderer Hansestädte verlautet nichts. Mancherlei Nachrichten liegen vor über einzelne Scharmützel und Fahrten der Auslieger, über Erfolge und Missgeschick. Die Danziger, verstärkt durch einige erbeutete bretagnische Schiffe, unternahmen in den ersten Monaten des Jahres einen Zug längs den Küsten Englands und der Bretagne, konnten aber nur ein französisches Schiff aufgreifen. Im März kämpften englische und hansische Schiffe an der flandrischen Küste; ein Osterling wurde übersegelt. Mehrere Auslieger fielen in französische Gefangenschaft. Die Bremer vergriffen sich in burgundischen Gewässer an Schiffen aus Portugal und Bergen op Zoom, erlitten Schiffbruch, wurden in Holland und Seeland an Land getrieben, dort gefangen und als Seeräuber hingerichtet.
Ebenso wenig war das Glück den Lübeckern hold. Während die große Danziger Karavelle zur Ausbesserung im Brügger Hafen lag, erschien Mitte Juni im Kanal eine starke französische Flotte von 18 Schiffen unter dem Befehl des kühnen Vizeadmirals Wilhelm von Casanova, dessen Beiname Coulon oder Columb früher zur Annahme der Identität seines Trägers mit keinem Geringeren als Christoph Columbus verleitet hat. Die Lübecker und andere Hansen, 6 Schiffe stark, kämpften mit ihnen und wichen vor der Übermacht zurück in die Wielinge, zwischen Walcheren und Seeflandern. Coulon, auf 29 Schiffe verstärkt, beherrschte die See und sperrte den Kanal. Sogleich beeilte sich Eduard, ihm eine schleunigst ausgerüstete Flotte von über 20 Schiffen entgegenzuwerfen, vor welcher die Franzosen sich nach der Normandie zurückzogen. Die Engländer aber unter Lord Howard, von den Seeländern über die Schwäche und ungeschützte Lage der Lübecker bei Vlissingen unterrichtet, überfielen mit Hilfe der Seeländer im Juli die lübischen Schiffe und nahmen sie sämtlich weg. Besseren Erfolg hatten die Hamburger. Sie erbeuteten fünf bretagnische Schiffe, dazu andere aus England, Irland und Spanien, und blieben bis in den Winter in der See. Im Spätsommer deckten die Danziger die Fahrt einer reichbeladenen hansischen Handelsflotte von Flandern nach der Elbe.
Inzwischen ließen sich schon die politischen Wirkungen des Krieges wahrnehmen. In dem Kampf der Mächte triumphierte und behauptete sich als die feste Achse der westeuropäischen Politik die burgundisch-englische Allianz. Die Lancastersche Episode diente Eduard zur Warnung und band ihn noch enger an Karl den Kühnen. Denn auch diesem kam ein großes Verdienst um die Wiederherstellung Eduards zu. Eduard hatte Ursache zur Dankbarkeit, Vorsicht und Festigkeit: dankbar zu sein durch Festhalten an der Allianz und durch Unterstützung der Unternehmungen Karls; vorsichtig, um seinen Thron nicht noch einmal ins Wanken zu bringen; fest, um nicht, wie früher, durch Berücksichtigung persönlicher und partikularer Interessen seiner Untertanen die in so weitem Umfang zurückgewonnene Autorität wieder zu zersplittern. Diese Wendung kam schließlich doch der Hanse zustatten. Denn zweifellos lag wie die Initiative in der Allianz so auch die endliche Entscheidung des hansisch-englischen Konfliktes bei Karl. Dieser missbilligte, wie wir sahen, das Vorgehen Eduards gegen die Hanse in England, wiewohl es ihm aus der früheren unfreien Situation Eduards verständlich sein mochte. Solche Hinderungs- und Milderungsgründe fielen jetzt weg. Nun versetzte der Krieg der Hansestädte gegen England den Herzog in einen inneren Widerstreit. Auch mit der Hanse wollte er Frieden. Seine Untertanen von Holland und Seeland, welche den hansisch-englischen Konflikt gern benutzt hätten, um dem Handel ihrer Feinde, der wendischen Hansestädte, nach Flandern einen Schlag zu versetzen, zwang er mit unbeugsamer Strenge, Frieden zu halten. Im Süden durch Frankreich bedroht, dabei begierig, seine Eroberungsabsichten gegen Geldern und am Oberrhein durchzuführen, wünschte er, wie uns bekannt, sein Reich im Rücken durch England gedeckt und seine Untertanen in ungehinderter, friedlicher Ausübung ihres Verkehrs nach dem Osten.
Die Unklarheit, welche in der Tatsache der englisch-hansischen Fehde und der hansisch-burgundischen Freundschaft bei Fortbestand der englisch-burgundischen Allianz lag, konnte nur beseitigt werden durch Beendigung des englisch-hansischen Streites. Die Entfernung dieser Schwierigkeit bedeutete aber für die Alliierten, der Hanse entgegenkommen und ihrem Standpunkt sich nähern.
Karl erneuerte bei den Hansestädten im Spätherbst 1471 seinen alten Vermittlungsvorschlag, erhielt aber in der Hauptsache die gleiche Antwort wie früher. Da begann denn England einzulenken, sicherlich nicht ohne Mahnung Karls. Hansische Schiffe hatten Eduard die letzte, siegreiche Invasion ermöglicht; der den burgundisch-englischen Zwischenverkehr störende Seekrieg zog sich in die Länge und verringerte die Aussichten auf Verwirklichung der alten Wünsche Englands im Ostseehandel. Ganz England, außer London, verlangte bereits nach Frieden mit der Hanse, denn die englische Tuchindustrie verlor durch die hansische Handelssperre ihr größtes Absatzgebiet, englische Gesandte knüpften insgeheim schon im Mai 1472 mit den Vorstehern des hansischen Kontors in Brügge die ersten Friedensverhandlungen an und verständigten auch Lübeck von der neuen Lage, nämlich dass König, Edelleute und Kaufleute in England zur Wiederherstellung des Friedens zwischen den Deutschen und den Engländern bereit seien. Lübeck verstand und benutzte die Gunst der Zeit. Den Hansestädten erklärte es seine Bereitwilligkeit zum Frieden, wodurch die Einheit der Hanse erhalten und Lübeck die politische Leitung gesichert wurde; den Engländern verriet es weder Eile noch Freude; indem es den Beginn der Verhandlungen ins nächste Jahr hinausschob, ließ es den Kriegszustand mit England fortbestehen und die Hanse Zeit gewinnen zur inneren Verständigung und Vorbereitung. Die Städte Danzig und Lübeck als solche haben sich im letzten Kriegsjahre nicht mehr an der Fehde beteiligt. Nur Hamburg setzte mit seinen Kriegsschiffen die Fehde fort und erbeutete noch einige Kauffahrer aus England und Spanien, mährend die große Danziger Karavelle unter der selbständigen Führung des Paul Beneke im April 1473 an der englischen Küste sich einer von den Niederlanden nach London segelnden Galeide bemächtigte, welche unter der überaus kostbaren, größtenteils Florentiner Kaufleuten gehörigen Ladung zwei Gemälde barg, von denen das „Jüngste Gericht“ Hans Memlings noch heute die Marienkirche in der Heimatstadt des Siegers ziert. Seit dem 25. .Juni 1473 trat an die Stelle des Krieges ein Waffenstillstand, welcher alsdann unmittelbar in den endgültigen Frieden überging. Wie nach allen Kaperkriegen mochten auch diesmal einige, zumal in dänische Dienste getretene Freibeuter das Raubhandwerk nicht so bald aufgeben. Das hinderte aber weder den Frieden noch die Wiederaufnahme des Handelsverkehrs.
Wenn man nach den Gründen fragt, aus welchen der lange Streit der Hanse mit England in dem Frieden von Utrecht einen für die Hanse überaus günstigen Ausgang nahm, so ergibt sich die Erklärung für das Verhalten Englands vor allem aus dem uns bekannten Charakter der englisch-burgundischen Allianz. Eduard war fest entschlossen, den alten Zwist mit der Hanse endlich und dauernd aus der Welt zu schaffen. Er beteuerte diesen Vorsatz in unzweideutiger Form. Der Lübecker Rat befand sich genau auf der rechten Fährte, wenn er sagte, dass die Hanse jetzt oder nie, von diesem Könige, aber von keinem seiner Nachfolger erreichen könne, was sie brauche, Es handelte sich für Eduard nicht mehr allein um Gewährung weitgehender Zugeständnisse an die Hanse, sondern darum, dass dieselben in eine für England ehrenvolle Form gekleidet wurden. Denn es gab in der Menge der gegenseitigen Ansprüche und Forderungen einige Punkte, bei welchen die Ehre Englands gestreift wurde. Wie Eduard befürwortete auch Karl den Frieden. Kurz vor dem Beginn der Hauptverhandlung über den Frieden trat Karl mit der Unterwerfung Gelderns die Reihe von Unternehmungen an, die ihn, wie er hoffte, zum Herrn über den ganzen Westen des Deutschen Reichs machen sollten. England war dabei die Aufgabe zugedacht, ihm den gefährlichen französischen Nachbarn im Zaum zu halten, und über die dem Frieden zurückgegebene Nordsee sollten den Niederlanden die Zufuhren aus dem Osten gesichert bleiben.
Die burgundisch-englische Interessengemeinschaft verlieh den Friedensverhandlungen ihren eigenen Charakter und verbürgte der Hanse den Erfolg. Sie kam auch darin zum Ausdruck, dass Eduard an die Spitze seiner zur offiziellen Vorbereitung der Hauptverhandlung nach Flandern geschickten Gesandten einen der höchsten burgundischen Staatsbeamten stellte, den in feinem und Karls Vertrauen flehenden Statthalter von Holland und Seeland, den Herrn von Gruthus. Später mussten die Engländer und die Burgunder — denn gleichzeitig wurde auch über den Stapel in Brügge und über den Waffenstillstand der wendischen Hansestädte mit Holland und Seeland verhandelt — formell getrennt mit den Hansen konferieren, der Statthalter an der Spitze der Burgunder; tatsächlich blieben sie in engem Einvernehmen. Darum brachte auch der Abschluss eines zehnjährigen Waffenstillstandes zwischen Frankreich und der Hanse im August 1473 einen größeren Eindruck hervor, als seiner wahren Bedeutung entsprach; er bestärkte nur die Alliierten in ihrem Verlangen, mit der Hanse zum Abschluss zu kommen. Sie waren einig, den Krieg nicht wieder aufleben zu lassen. Im Juli und September 1473 fanden in Utrecht unter großer Beteiligung die Hauptberatungen statt, bei welchen die Hansestädte durch Gesandte von Lübeck, Hamburg, Danzig, Dortmund, Münster, Kampen, Deventer und Bremen, sowie durch Abgeordnete ihrer Kontore in Brügge, London und Bergen vertreten waren. Im Februar des nächsten Jahres ist ebendort der endgültige Friede abgeschlossen worden, der in den nächsten Monaten von England und der Hanse ratifiziert wurde.
Nur die wichtigsten und für die augenblickliche und dauernde Bedeutung des Friedenswerkes charakteristischen Erörterungen, Beschlüsse und Bestimmungen mögen hier in Kürze bezeichnet werden. Für die Engländer konnte die Frage eigenen Schadenersatzes nicht ernstlich in Betracht kommen; um so mehr hielten sie fest an einer Gewährleistung ihrer alten Ansprüche auf freien Handelsverkehr in Preußen. Die Hanse ihrerseits wich nicht von ihren früheren Forderungen: Ersatz für alten und neuen Schaden, Widerruf des Urteils gegen die Hansen in England nebst Satisfaktion, endlich als neue, unerlässliche Friedensbedingung: Bestrafung Kölns für seinen Abfall von der Hanse. Der Sache nach sind die Forderungen der Hanse im wesentlichen durchgesetzt worden, indem man die Notwendigkeit des Nachgebens unter gefälligen Formulierungen zu verhüllen und der Vergessenheit zu übergeben sich bemühte. Die alten Privilegien wurden der Hanse in vollem Umfange erneuert und bestätigt. Als Rekompensation aller Verluste, welche die Hanse bisher durch England erlitten, bewilligte Eduard für die nächsten Jahre den Hansen einen Erlass der unter dem Namen der Custume bestehenden Zölle im Gesamtbetrage von 10.000 Pfund Sterling. Den formellen Widerruf des Urteils erlangte die Hanse nicht. Aber nicht nur dass die fernere Rechtswirkung des Urteils aufgehoben wurde, wie denn überhaupt alle aus den gegenseitigen Beschädigungen erwachsenen alten und neuen Ansprüche und Prozesse der beiderseitigen Untertanen niedergeschlagen wurden: als Ersatz und Genugtuung für das ihr zugefügte Unrecht und die ihren Kaufleuten in England widerfahrene Schmach, als Sühne für die Feindseligkeiten der englischen Kaufleute und besonders der Hauptstadt, wurden der Hanse die Stalhöfe in London, Boston und Lynn zu dauerndem Eigentum überwiesen. Es mag nicht unerwähnt bleiben, dass diese und die gleich zu erwähnenden Zugeständnisse zum Teil erreicht wurden durch stufenweise Herabminderung der von der Hanse ursprünglich geforderten Summe von 25.000 Pfund auf jene 10.000. Den Engländern gelang es, in dem Vertrage dem Wortlaut nach ihren alten Anspruch auf Handelsfreiheit in Preußen aufrecht zuhalten. Da indessen Danzig den Frieden nur annahm unter der Bedingung, dass die Engländer nicht größere Rechte in Preußen als andere fremde nichtpreußische Kaufleute genössen, also dem gleichmäßig strengen Fremdenrechte unterworfen sein sollten, blieb der Erfolg der Engländer auf dem Papier.
Wenn man absieht von anderen, minder wichtigen Angelegenheiten, welche der Friede regelte, wie das Verfahren der Zollbeamten, Schiffbruch, öffentliche Wage, Verzapf von Rheinwein u. a., blieb als letzter Prüfstein der entschlossenen Friedfertigkeit Englands die Abrechnung mit Köln. Schon wahrend der Verhandlungen in Utrecht erkannte Köln den Zusammenbruch seiner Sonderpolitik und die schmachvolle Niederlage, die es sich selbst bereitet. Sein Versuch, nur seinen eigenen Vorteil zu erreichen und sein Glück zu machen bei Burgund und England, scheiterte an der Unzulänglichkeit der Politik der „heiligen“ Stadt, welche in den hansischen Angelegenheiten sich von den Ratschlägen und dem Eifer einiger begabter, aber kleinlich-befangener Persönlichkeiten hatte bestimmen und hinreißen lassen. Wenn Karl von Burgund die Stadt in ihrem erbitterten Streite mit dem Brügger Kontor obsiegen ließ, hoffte er wohl schon damals auf Erwiderung dieser Gefälligkeit bei der Ausführung seiner politischen Pläne. Mit der Schutzherrschaft über das Erzstift Köln wollte er auch dessen freie Hauptstadt in den Bereich seiner Herrschaft ziehen. Seit dem Jahre 1473 war daran kein Zweifel. Der Gegensatz Kölns zu Burgund bestand in voller Schärfe, als der Kaiser nach dem Abbruch der mit Karl in Trier gepflogenen Verhandlungen sich nach Köln begab. Karl hatte bei den Utrechter Beratungen keinen Grund mehr, das ganze Gewicht seines Ansehens bei den auf Köln erzürnten Hansen zugunsten der Kölner einzusetzen. Und darum musste auch Eduard nachgeben. Es hieße ehrlichen Beteuerungen unnötigerweise misstrauen, wenn man die peinliche Empfindlichkeit Eduards und der Englands in dieser kölnischen Sache verkennen und geringschätzig beurteilen wollte. Aber die Not erzwang die Entscheidung. Die Hansen forderten den Ausschluss der Kölner von den Privilegien und vom Stalhofe. Sie verlangten kurz, Eduard möge wählen zwischen ihnen und den Kölnern, den „Zerstörern“ der Hanse. Sie erklärten, dass Köln, wie es ja der galt war, bereits aus der Hanse ausgeschlossen sei; nicht eher als bis es sich mit der Hanse ausgesöhnt, dürfe es mit der Hanse in England irgendwelche Gemeinschaft haben.
Man fand den Ausweg, in den Hauptvertrag, ohne Nennung des Namens der Kölner, die Bestimmung aufzunehmen, dass eine von der hansischen Tagfahrt oder freiwillig aus der Hause gestoßene oder geschiedene Stadt auf Anzeige bei England dort ohne weiteres bis zur vollzogenen Aussöhnung mit der Hanse als unprivilegiert und unfähig zur Erwerbung gleicher oder größerer Privilegien betrachtet werden sollte. In einem Nebenvertrag wurde diese Norm ausdrücklich auf Köln spezialisiert. Weder die Fürsprache des Kaisers noch die Ermahnungen des von ihm zum Schiedsrichter bestellten Erzbischofs von Trier noch die inständigen Bitten Kölns vermochten eine Änderung zu bewirten. In der Mitte des Jahres 1474 mussten die Kölner den Stalhof in London verlassen, in welchen die anderen Hansen ihren Einzug hielten. Feuer und Wasser könne man nicht an einen Ort zusammenbringen, schrieb Eduard dem Kaiser. In denselben Wochen, als die Kölner die seit Jahrhunderten von ihnen bewohnte Gildhalle räumten, in welcher sie einst sogar die Herren gewesen, ließ Karl von Burgund als Vorspiel des offenen Krieges gegen Köln in allen Provinzen seines Reiches die Güter der Kölner beschlagnahmen. Wenn gerade die beiden Länder, mit welchen die Kölner mehr als mit anderen seit alters die lebhaftesten und gewinnreichsten Handelsbeziehungen unterhielten, gleichzeitig das gewohnte Freundschaftsverhältnis abbrachen, lässt sich ermessen, dass die moralische und materielle Niederlage der großen Rheinstadt nicht vollständiger sein konnte. Köln hat sich, nachdem es mit mächtiger Anstrengung und mit Hilfe des Reiches den Angriff des Burgunders glücklich abgewehrt, mit den Hansestädten ausgesöhnt auf der Tagfahrt zu Bremen im Spätsommer 1476. Aber die Folgen des Zwistes mit der Hanse, des Krieges mit Burgund und der peinvollen Behandlung in England hat es während der ganzen Dauer seiner Zugehörigkeit zur Hanse und seiner reichsstädtischen Selbständigkeit nicht verwunden.
Obgleich der große Erfolg, welchen die Hanse im Frieden von Utrecht errang, zum nicht geringen Teil sich erklärt durch die von der politischen Gesamtlage bestimmte und einen gründlichen Ausgleich mit der Hanse fordernde Haltung der burgundisch-englischen Allianz, wäre doch nichts ungerechter, als den Anteil der Hanse an diesem Siege gering zu veranschlagen. Trotz einzelner innerer Zwiespältigkeiten hatte die Hanse im Kriege mit England im wesentlichen ihre Einigkeit bewahrt, die Seefehde gegen England durchgeführt, bis dieses den ersten Schritt zur Versöhnung tat, den König Eduard persönlich zu Dank verpflichtet, durch geschickte Behandlung des reizbaren und herrischen Burgunderherzogs einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Anliegen in England erworben und endlich die Gunst der Lage rechtzeitig und allseitig auszunutzen verstanden. Der Friede von Utrecht war ein Triumph der lübischen Politik und der unter Lübecks Führung geeinten Hanse. Von den Verträgen der Hanse mit England hat keiner, soweit die fortschreitende Entwicklung der Völker die Dauerhaftigkeit von Verträgen zulässt, in wichtigen Fragen eine so feste Grundlage für die Hanse und ihre Stellung in England geschaffen wie dieser Friede, dessen sichtbarste Errungenschaft, die Erwerbung des Eigentums an den Stalhöfen in London, Boston und Lynn, die Hanse selbst überdauert hat.
Unter mannigfachen Streitigkeiten und mit wechselndem Erfolge bemühten die Engländer sich, ihre Stellung zu behaupten und eine Milderung der Schärfe jener Grundlage für sich zu erlangen. Es gelang ihnen, einem Vertrage, der im Jahr 1437 mit einem Danziger Gesandten in England vereinbart wurde, eine Fassung zu geben, aus der sie einen Anspruch herleiten zu können vermeinten auf Befreiung in Preußen von den ihnen lästigen Zöllen und von allen ihre Handelsfreiheit beschränkenden Verordnungen und Satzungen. Diesem Vertrage versagte indessen der Hochmeister des Ordens die formelle Genehmigung. Danzig verharrte auf dem Wege strenger Durchführung seines Fremdenrechts.
Der Beginn des letzten Ringens zwischen Frankreich und England um die festländischen Besitzungen Englands war der Augenblick, in welchem die Engländer selbst durch eine Gewalttat ihre Lage auch in Burgund und im Gebiete der Hanse verschlechterten.
Im Herbst des Jahres 1448 erschien eine englische Gesandtschaft in den Hansestädten, um die Angelegenheiten des englischen Handels im Norden zu regeln. Sie verhandelte in Lübeck mit den Gesandten der Hansestädte und des Hochmeisters von Preußen. Vor allen Dingen sollten die Preußen zur Anerkennung des Vertrages von 1437 bewogen werden. Aber da zeigten sich die größten Schwierigkeiten. Die Preußen verweigerten die Anerkennung. Die Bevorzugung nur einer fremden Nation hätte das System ihres städtischen Fremdenrechts durchbrochen und den andern Fremden ein Anrecht gewährt und eine Handhabe geboten, es völlig zu zertrümmern. Die Engländer verkündeten daher den Preußen, dass deren Kaufleute nun auch in England von den hansischen Vorrechten ausgeschlossen sein sollten. Aber hier traten die anderen Hansestädte vor mit der Erklärung, dass sie sich keine gesonderte Behandlung der Kaufleute einzelner hansischer Territorien in England gefallen lassen würden. So erreichten die Engländer in Lübeck ihr Ziel nicht, vielleicht hatten sie die Hoffnung nicht aufgegeben, durch direkte Verhandlungen in Preußen mit dem Hochmeister ein besseres Ergebnis zu erzielen, als plötzlich die Lage sich änderte.
Ein Gewaltstreich der englischen Regierung hatte auch den hansischen Handel im Kanal getroffen. Der Wiederausbruch des Krieges mit Frankreich war damals unvermeidlich. Die Engländer selbst hatten ihn wieder begonnen, weniger zwar aus militärischen Gründen, als in der Absicht, durch unverhofften Überfall wenigstens gute Beute zu machen. Wie auf dem Kontinent mit der reichen Stadt Fougères in der Bretagne, so im Kanal gegen die neutrale Schifffahrt. Die Habgier einiger leitender Personen am englischen Hofe erklärt zum Teil diese Zügellosigkeit der englischen Politik. Ein englischer Pirat erhielt den verdeckten Befehl, die Seeräuber vom Meere wegzufegen. Er verstand seinen Auftrag. Er sollte die Seeherrschaft im Kanal behaupten und die neutrale Schifffahrt niederschlagen. Im Mai 1449 griff er eine stattliche Handelsflotte an, die aus dem größten Salzexporthafen Europas, der Baie d. i. der Bucht von Bourgneuf nördlich von der Mündung der Loire, hauptsächlich mit Salz beladen, nach der Nordsee fuhr. Sie wurde gekapert, ein Teil der gewaltigen Beute im königlichen Palast zu Westminster aufgestapelt. Die ganze Flotte zählte an 110 Segel, von denen die meisten in den Niederlanden, außerdem 10 in Lübeck, 14 in Danzig, andere in Rostock und Kampen beheimatet waren. Dieser Schlag gegen die hansische Schifffahrt war nicht der letzte; auch andere hansische Fahrzeuge sahen sich in der Nordsee angegriffen und verfolgt von den Engländern.
Die Hanse war damals aus manchen Gründen nicht in der Lage, wegen dieser Angriffe sogleich eine Fehde mit England zu beginnen. Natürlich griff man auf dem Kontinent sofort zu Repressalien gegen die Engländer, welche übrigens den burgundischen Niederländern und den Kamperern die Schiffe zurückgegeben und nur deren Ladung behalten hatten. Philipp von Burgund erzwang später auch für diese eine Entschädigung. Von den Hansestädten vermochte nur Danzig, wo der englische Handel am stärksten war, sich hinreichenden Schadenersatz zu verschaffen. Lübeck und die anderen geschädigten Hansestädte, wiewohl sie gegen die Engländer einschritten, fanden augenscheinlich nicht genügend wertvolle Objekte, um ihren Schaden zu decken.
So war die Lage eigentümlich verwickelt. In England selbst gingen die dort verweilenden hansischen Kaufleute frei ihren Geschäften nach, nur dass man jetzt ihre Privilegien wenig beobachtete. Die hansische Schifffahrt dagegen wurde von den Engländern wegen des französischen Krieges feindselig behandelt. Verhandlungen erschienen jetzt den Engländern erst recht aussichtslos. Die Ersatzforderungen Lübecks und der anderen Hansestädte komplizierten die beiderseitigen Beziehungen. Dabei war auf seilen der Hanse der Wunsch unverkennbar, dieser Streitigkeiten wegen es nicht zum äußersten kommen zu lassen. Trotz aller Gefahren, welche der Schifffahrt drohten, ließ man in der Hanse die Schifffahrt und die Zufuhr nach England frei. Lübeck und seine Mitstädte hofften demnach, durch das friedliche Mittel der Verhandlung schließlich Schadenersatz zu erlangen.
Dass diese Rechnung fehlschlug, lag vornehmlich an zwei Umständen: an der Unzuverlässigkeit der englischen Politik und an der Uneinigkeit der Hansestädte. Die Engländer gingen zwar ein auf den Gedanken einer netten Zusammenkunft zur Beratung über den Schadenersatz und die Wiederherstellung des regelmäßigen Handelsverkehrs. In Wirklichkeit wollten sie aber der Erörterung des Schadenersatzes aus dem Wege gehen und nur die Wiederaufnahme des Handels erreichen. Sie wünschten die Fortsetzung des Handelsverkehrs mit der Hanse um so mehr, als, wie erwähnt wurde, Philipp von Burgund wegen der Feindseligkeiten Englands gegen die niederländische Schifffahrt zu Vergeltungsmaßregeln gegriffen hatte, zu weiterem Einschreiten gegen den englischen Handel bereit war und Kriegsschiffe in die See schickte. In England setzte man also die hansischen Privilegien wieder in Kraft, außer für die Danziger und die Lübecker. Die Absicht der Engländer war sodann, durch ein Sonderabkommen mit Preußen ihren Handel nach der Ostsee wieder in Gang zu bringen. Das war nur möglich, indem Lübeck übergangen wurde und dessen Ersatzansprüche unberücksichtigt blieben.
Dabei kam den Engländern der bei den meisten Hansestädten vorhandene Wunsch nach Fortdauer des Handelsverkehrs mit England zu statten. Wir besitzen bislang kein ausreichendes Zeugnis oder statistische Quellen, auf Grund derer die Beteiligung der einzelnen Hansestädte an dem Handel mit England um die Mitte des 15. Jahrhunderts bestimmter oder zahlenmäßig veranschaulicht werden könnte. Doch scheint soviel sicher, dass unter den niederrheinischen Städten Köln und Nimwegen weitaus am stärksten im englischen Handel vertreten waren; dass sodann die großen westfälischen Städte Dortmund, Münster und Soest noch immer einen ansehnlichen Anteil an diesem Handel besaßen; dass Hamburg und Lübeck einen starten Verkehr mit England unterhielten; dass Danzig in einem seht bedeutenden Austausch mit England stand, an welchem auch andere Preußen und nichtpreußische Hansen teilnahmen, während Danzig wiederum für die englischen Kaufleute der wichtigste Verkehrsplatz des ganzen Hansegebietes geworden war; dass endlich nicht allein aus anderen hansischen Seestädten Kaufleute und Schiffer nach England fuhren, sondern auch außer den westfälischen noch andere Binnenstädte wie die sächsischen, an ihrer Spitze Braunschweig und Magdeburg, Interesse zeigten an der Pflege des direkten Handels ihrer Kaufleute mit dem Inselreiche. Trotz der feindseligen Behandlung der hansischen Schifffahrt durch die Engländer waren zahlreiche Hansestädte nicht willens, die Schadenersatzfrage zum Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit England zu machen. Denn der Nutzen des augenblicklichen Verkehrs mit England schien den bisher erlittenen Schaden weit zu überwiegen. Während des französischen Krieges und der handelspolitischen Spannung Englands mit Burgund musste die Zufuhr aus hansischen Häfen nach England doppelten Gewinn abwerfen. Sodann fürchtete man für die Sicherheit der in England befindlichen hansischen Kaufleute und Güter, wenn es zu einem Bruch mit England käme.
Alles dies übersah auch Lübeck nicht. Aber es hielt daran fest, dass der Friedensbruch Englands eine Sühne finden müsse, bevor ein regelmäßiger Verkehr der Engländer nach hansischen Häfen wieder zugelassen werden könne. Wenn den Engländern die Beraubung der großen Flotte nachgesehen wurde und die Frage des Schadenersatzes ungeregelt blieb, entschwand auch die Aussicht auf eine für die Hanse vorteilhafte Ordnung der übrigen englisch-hansischen Verkehrsbeziehungen. Auch diesmal verschmolzen bei Lübeck die eigenen mit den gemeinhansischen Interessen.
Angesichts der fortdauernden Feindschaft der Engländer gegen die hansische Schifffahrt behielt die lübische Politik eine Weile die Oberhand. Als die Preußen versuchten, einseitig den regelmäßigen Verkehr mit England wiederherzustellen, wurden die englischen Gesandten, welche diesen Verkehr unter Umgehung Lübecks regeln sollten, auf ihrer Reise nach Preußen aufgegriffen und als Gefangene nach Lübeck gebracht. In England wuchs inzwischen die innere Verwirrung. Die Erbitterung über den schmachvollen Verlauf des französischen Krieges und über die Stockung des Handels, die man auch dem gewalttätigen Zugreifen der Regierung gegen die Neutralen zuschrieb, schaffte sich Luft in dem Aufstande der Kenter. Eine von fünfundzwanzig Hansestädten beschickte Versammlung, welche im Herbst 1450 in Lübeck tagte, stellte sich in der Hauptsache auf den Standpunkt Lübecks. Nach ihren Beschlüssen sollte bei ferneren Verhandlungen mit England in erster Linie die Schadenersatzfrage geregelt und die hansischen Kaufleute in England ohne Ausnahme wieder in den vollen Genuss ihrer Privilegien gesetzt werden, wofür acht englische Städte Bürgschaft übernehmen müssten. Man beschloss auch, die Zufuhr nach England einzustellen und die hansischen Waren in England unvermerkt aus dem Laude schaffen zu lassen.
Diese feste Haltung der von Lübeck geleiteten Hanse verfehlte ihre Wirkung nicht. Die hansischen Kaufleute in England, welche wegen der Gefangennahme der englischen Gesandten in Arrest genommen waren, erhielten im Herbst ihre Freiheit wieder und auch die bedingte Erlaubnis zur Ausfuhr ihrer Güter. Die englische Regierung betonte jetzt ihre Friedensliebe sogar unter Hinweis aus die alte Blutsverwandtschaft und nahm sofort den Vorschlag zu weiteren Verhandlungen an.
Dennoch erreichte die Hanse nichts, und das lag, wie schon gesagt, nicht zum wenigsten an der Uneinigkeit der Hansestädte. Von den englischen Gesandten entfloh der wichtigste, Thomas Kent, unter Bruch seines Treugelöbnisses aus Lübeck. Er durchschaute die Lage und hatte seinen unfreiwilligen Aufenthalt an der Trave benutzt zur Beobachtung der verschiedenen Strömungen innerhalb der Hanse und zur Erkenntnis der Tatsache, dass Lübeck der gefährlichste Feind Englands sei, weil es die Politik der Einheit und des festen Zusammenschlusses alter hansischen Städtegruppen vertrat. Er glaubte rechnen zu können auf die Rivalität der Städte und Städtegruppen untereinander, und darin täuschte er sich nicht.
England deckte sich den Rücken, indem es seinen Frieden mit Burgund verlängerte und Schadenersatz an Burgund bezahlte für die Wegnahme der großen Flotte. Als dann in Utrecht im Jahre 1451 die Verhandlungen mit der Hansestädten begannen, wurde es bei der schwächlichen Haltung der auf Lübeck eifersüchtigen Hansestädte den Engländern leicht, den Plan zu durchkreuzen, welchen Lübeck für die Beratungen ausgestellt hatte. Unter den englischen Gesandten erschien, zur Entrüstung der Lübecker, auch jener wortbrüchige Kent. Statt in die Erörterung des Programms der Hansestädte einzutreten, forderte er zu allererst die Freilassung der übrigen englischen Gesandten samt ihrer Habe und Begleitung durch Lübeck. Lübeck wies die Anmutung zurück. Die anderen Hansestädte, besonders die Preußen und die Kölner, nur darauf bedacht, den Frieden mit England um jeden Preis zu erhalten und ihren eigenen Handel nicht in Gefahr oder zum Stillstand zu bringen, waren schwach genug, in demselben Sinne aus die Lübecker einzureden, anstatt durch eine einmütige Haltung die Engländer zur Beratung des hansischen Programms zu zwingen. So erlitten Lübeck und die Hanse zugleich eine Niederlage. Die Engländer erreichten ihren Hauptzweck: das beiderseitige Versprechen eines friedlichen Handelsverkehrs. Damit war die für England lästige Schadenersatzfrage in den Hintergrund gedrängt, die Zufuhr aus vielen Hansestädten nach England gesichert und die Einheit der hansischen Politik gesprengt.
Lübeck, welches allein eine seiner leitenden Stellung in der Hanse entsprechende würdige Haltung behauptet hatte, griff zu dem äußersten Mittel. Es versuchte, dem englischen Handel gewaltsam den Zugang zur Ostsee zu sperren. Es sandte dem König Heinrich den Fehdebrief, verbot im nächsten Frühjahr die Durchfuhr englischer Waren durch Lübeck, wodurch für diese der Landweg von Hamburg nach Lübeck verschlossen wurde, und schickte im Mai Kriegsschiffe in die See, um die Engländer und englische Güter abzufangen. Gleichzeitig ließ König Christian von Dänemark, offenbar nach Verabredung mit Lübeck, englische Waren im Öresund aufgreifen. Es stellte sich aber bald heraus, dass unter den obwaltenden Umständen diese Gewaltmittel mehr Schaden brachten als Nutzen stifteten. Die Zugriffe der Kriegsschiffe trafen mehr die befreundeten Neutralen und Nachbarn als die Engländer. Die Vermischung englischer und hansischer oder befreundeter nicht-hansischer Güter, der Verkehr der Hansestädte mit England ließen sich nicht verhindern. Im Gegenteil geriet der lübische Handel allerorten in Gefahr, durch Repressalien erst recht geschädigt zu werden. Lübeck zog seine Kaperer zurück. Auch diese Aktion war gescheitert.
Wider den Willen fasst der ganzen Hanse konnte Lübeck allein gegen England nichts durchsetzen. Es gelang ihm nur, mit Hilfe seines allgemein anerkannten Gewohnheitsrechtes auf die oberste Leitung der hansischen Geschäfte und besonders auf die Einberufung der großen Städteversammlungen, eine Verständigung der Hanse mit England unter Ausschluss seiner selbst zu verhindern. Aber es sah ein, dass nichts übrig blieb, als dem Drängen der Hansestädte nach friedlichem Verkehr mit England völlig nachzugeben und auf seine Schadenersatzansprüche vorläufig in Geduld zu verzichten. England kam den Friedenswünschen der Hansestädte entgegen durch Erteilung von Geleitsbriefen für die hansischen Schiffer und Kaufleute. Auch England musste sich bescheiden, die Durchsetzung seiner alten Ansprüche in Preußen der Zukunft zu überlassen.
Im Juli 1454 hob Lübeck auch das Verbot der Durchfuhr englischer Waren auf. Damit hatte es tatsächlich den Frieden mit England wiederhergestellt. Im Herbst des nächsten Jahres erklärte sch auch England bereit zur Bewilligung eines achtjährigen Friedens mit der Hanse, und im März 1456 erfolgte die öffentliche Verkündigung desselben in England. Alle Feindseligkeiten gegen die Hansen und die Lübecker wurden verboten. Auch die Lübecker nahmen die Schifffahrt durch den Kanal wieder auf. Für eine Reihe von Jahren schien der Friede gesichert. Die alten Streitfragen über die Privilegien und den Schadenersatz ruhten. Die Regelung der dauernden Rechtsgrundlagen des beiderseitigen Verkehrs blieb der Zukunft vorbehalten. Da erfolgte wenige Jahre nach dem Friedensschluss ein neuer Schlag Englands gegen den Handel Lübecks.
Das Interesse Lübecks an dem Streit mit England war erlahmt und abgelenkt worden durch Ereignisse im Ostseegebiet. Seit dem Herbst 1453 bestand Gewissheit über den Ausbruch des Krieges zwischen dem preußischen Orden, Polen und den preußischen Ständen. Lübeck, frühzeitig unterrichtet über die Zustände in Preußen und über die Absichten der missvergnügten Untertanen des Ordens, stand seit Eröffnung des Krieges im Februar 1454, der von nun an dreizehn Jahre lang den Boden Preußens verwüstete und auch den Handelsverkehr in der Ostsee von Jahr zu Jahr mit wachsender Heftigkeit beunruhigte und schädigte, mit seinen Neigungen auf der Seite des um seine Freiheit ringenden Danzig. Auch in dem Zwist mit England hatte Lübeck wiederholt den Einfluss des mit Lübeck rivalisierenden Hochmeisters auf die Hanse verspürt. Jetzt war der Hochmeister unschädlich. In der Hanse herrschten wieder ausschließlich die städtischen Interessen. Lübeck wollte unter diesen Umständen nicht durch Feindseligkeiten gegen die Engländer dem Danziger Handel Hindernisse bereiten. Aber der Krieg, die Störung des Ostseeverkehrs und das Treiben der Danziger Kaperer hielten nun die Ostseestädte, wie alle Ostseemächte, fortdauernd in Atem.
Mit den französischen Küstenprovinzen verlor England auch die Seeherrschaft. Die Kämpfe zu Lande, welche unglücklich für die Engländer verliefen, setzten sich fort auf der See. Eine neue französische Seemacht erstand, besonders in den Häfen der Normandie: französische und bretagnische Piraten störten im Kanal und in der Nordsee die Schifffahrt und beunruhigten die englischen Küsten. Im Jahre 1457 überfiel eine französische Flotte die englische Hafenstadt Sandwich und plünderte sie. Engländer und Niederländer klagten gegenseitig über Beraubungen ihrer Schiffe. Der hansische Seeverkehr nach Brügge musste von den Städten durch Kriegsschiffe gedeckt werden. Auch die Niederländer legten zum Schutze ihres Handels und ihrer Heringsflotte Kriegsschiffe in die See.
Im Jahre 1455 wurde in England Graf Richard von Warwick zum Befehlshaber in Calais und auf der See ernannt. Auch dieser verstand seine Aufgabe nicht anders, als angesichts des Erscheinens fremder Kriegsschiffe in der Nachbarschaft (Englands die englischen Ansprüche aus die maritime Vorherrschaft zu erweisen durch Vernichtung der neutralen Schifffahrt. Im Mai 1458 griff er bei Calais eine spanische Flotte an, die mit dem Verlust von sechs Schiffen entkam. Besser gelang ihm ein zweiter Streich. Eine lübische Flotte von 18 Schiffen hatte im Frühjahr Salz und Wein wiederum in der Bai von Bourgneuf geladen. Auf der Rückkehr durch den Kanal wurde sie im Juli bei Winchelsea von Warwick angehalten und nach nutzlosem Widerstände überwältigt. Die ganze Flotte samt der Ladung wurde als gute Prise behandelt, die Mannschaft sogleich oder nach einiger Zeit entlassen. Um den Schein zu wahren, setzte die englische Regierung eine Untersuchungskommission ein. Allein schon der Umstand, dass zu ihren Mitgliedern jener uns bekannte Kent gehörte, verrät, dass an dem Gewaltstreich auch der Wunsch nach Rache an dem früheren Gegner Anteil hatte. Die Regierung und Warwick ließen ein halbes Jahr verstreichen, bevor sie Lübecks Beschwerde einer Antwort würdigten. Die Gewalttätigkeit wurde verhüllt unter der Behauptung, dass die Lübecker die Angreifer gewesen. Aber der einzige englische Chronist, der das Ereignis erwähnt, gibt als den Grund der Wegnahme der Schiffe ihre Weigerung an, auf Befehl Warwicks im Namen des Königs von England die Flagge zu streichen.
Gegenüber diesem neuen Friedensbruch Englands befand sich Lübeck in einer noch ungünstigeren Lage als nach dem ersten. Die anderen Hansestädte hatten vorgezogen, den Streit Lübecks mit England als eine Partikularangelegenheit Lübecks zu behandeln, weil es für jeden bequemer schien, sich um den Schaden der Genossin nicht zu kümmern und so den eigenen Vorteil nicht aufs Spiel zu setzen. Es kam hinzu, dass der preußisch-polnische Krieg immer weitere Kreise in Mitleidenschaft zog. Die Danziger Kaperer, im Jahre 1458 mindestens zweiundzwanzig Schiffe, vergriffen sich an Freund und Feind, drangen bis in die neutralen Gebiete und Häfen und riefen durch ihr gewalttätiges Treiben zahllose Beschwerden und steigende Erbitterung hervor. Christian von Dänemark, nachdem er seinen Rivalen aus Schweden verdrängt, hatte zwar nach seinem Einzüge in Stockholm die schwedischen Privilegien der Hanse bestätigt. Aber in Putzig an der Danziger Bucht saß sein vertriebener Gegner Karl Knutson unter dem Schutze Danzigs und Polens und wartete auf eine günstige Gelegenheit zur Rückkehr nach Schweden. Wer konnte sagen, ob sie nicht schon bald erscheinen würde? Die Unruhe und die Spannung in den Ostseeländern nahmen alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Schweden und Preußen waren die Länder, auf deren Schicksal während dieser Jahre in Lübeck politische Wetten abgeschlossen wurden. Mit den Niederlanden bestand Friede; die Handelssperre gegen Flandern war erst vor kurzem aufgehoben worden; das hansische Kontor hatte wieder in Brügge Residenz genommen. So vermochte Lübeck gegen den neuen Streich Englands nichts auszurichten. Es verkündete den Wiederbeginn seiner Fehde mit England und ließ durch bewaffnete Schiffe die See nach Engländern absuchen. Ein praktischer Erfolg wurde damit nicht erzielt.
Somit war die frühere Lage wiederhergestellt: Lübeck allein und gesondert von allen Hansestädten in offener Fehde mit England, dabei, obwohl abermals schwer verletzt, ohne Hoffnung auf Schadenersatz. Nur an einer Stelle war eine Veränderung eingetreten. Danzig, von allen Seiten bedrängt, sah sich auf Lübecks Freundschaft angewiesen. Doch war es nicht in der Lage, sich an der englischen Angelegenheit tatkräftig zu beteiligen. Übrigens gestatteten ihm seine neuerdings von Polen erworbenen Privilegien, den englischen Handelsverkehr in Danzig nach Gutdünken zu behandeln. Es war entschlossen, die alten Wünsche der Engländer nach völliger Handelsfreiheit und dauernder Niederlassung in Danzig niemals zu erfüllen. Dagegen schienen den rheinischen Hansestädten die Umstände günstig, ihren Einfluss in England auf Kosten der östlichen Städte zu verstärken.
Zwei Thronwechsel, welche im Jahre 1461 stattfanden, sind wie für die allgemeine Geschichte so auch für die der Hanse von großer Bedeutung gewesen. In Frankreich ging die Regierung an Ludwig XI. über. Ein ebenso energischer wie verschlagener Politiker, hat er in Frankreich den Grund gelegt zu der festbegründeten Staatseinheit, deren Vorzüge unter seinen Nachfolgern sich glänzend bewährten. Während seines Aufenthaltes in den Niederlanden, in den letzten Jahren vor seiner Thronbesteigung, lernte er dort ein reich entfaltetes Handelsleben kennen und verwertete später seine Erfahrungen und Beobachtungen zum Nutzen des eigenen Volkes. Auch dem Handel der Hansestädte nach Frankreich blieb er während seiner zweiunddreißigjährigen Regierungszeit, ungeachtet einiger Zwistigkeiten, im allgemeinen freundlich gesinnt. Jetzt trat auch für die Hanse der Vorteil der politischen Trennung der französischen Küstenländer von dem britischen Inselreich deutlicher zutage. Der englische Handel verlor sein Übergewicht im Zwischenverkehr zwischen beiden Ländern. Hier konnte der hansische Handel Raum gewinnen. Wenige Jahre nach seinem Regierungsantritt verlieh Ludwig XI. den Hansestädten Schutz und Sicherheit für ihren Verkehr mit Frankreich. In allen größeren Hafenplätzen an der Westküste Frankreichs wurde der Schutzbrief verkündigt.
In England bestieg Eduard IV., der Erbe der Ansprüche des Hauses York, den Thron. Er stützte sich anfänglich auf den Süden Englands und vorzüglich auf London. Nachdem in der Schlacht bei Towton die Entscheidung für ihn und gegen die mit den Schotten verbündeten Lancaster, Heinrich VI. und dessen Gemahlin Margarete von Anjou, gefallen, gab der rasche Umschwung dem englischen Kaufmannsstande neue Hoffnung auf große Erfolge gegen die Konkurrenz der Hanse. In England hatte man Grund, der Hanse nach allem, was vorgefallen, mit geringer Achtung zu begegnen. Man nahm daher die alten Ansprüche wieder aus, besonders die für den Handel in Preußen. London verdrängte die hansischen Kaufleute aus dem Besitze des Teiles des Londoner Bischofstores, dessen Instandhaltung und Bewachung Pflicht und Recht der Hansen war. Die Hauptstadt und das Parlament vereinigten sich in der Forderung, dass die Privilegien der Hanse nur unter der Bedingung der Gegenseitigkeit aller Rechte, auch für den Verkehr der Engländer in den Hansestädten, erneuert werden dürften. Man hoffte sogar, die Hansen aus dem Zwischenhandel Englands mit den Niederlanden und mit der Baie zu verdrängen.
Eduard selbst war vorsichtiger. Sein Thron stand keineswegs auf festen Füßen; er hat zehn Jahre gebraucht, um seine Herrschaft für den Rest seiner Regierung zu sichern. Für ihn war die hansische Angelegenheit vorzugsweise eine politische Machtfrage. Es kam ihm auf die politischen Vorteile an, welche ihm die Hansestädte, gegen Bestätigung ihrer englischen Privilegien, auf dem Kontinent durch Bündnisse und Freundschaften mit Fürsten und Städten verschaffen könnten.
Da zeigte sich aber, dass auch England nicht weiterkam gegen den Widerstand Lübecks. Denn von allen Hansestädten besaß Lübeck die größte politische Macht und den meisten Einfluss in und außer der Hanse. Man darf sogar sagen: nur unter Lübecks Leitung war die Hanse eine politische Macht, ohne Lübeck bedeutete sie wenig. Gerade Lübeck aber verweigerte vorläufig seine Teilnahme an Verhandlungen mit England. Der Krieg in der Ostsee und in Preußen tobte ohne aufhören weiter. So kam es zu keiner dauernden Sicherheit für beide Teile. Nur immer uns mehr oder weniger kurze Fristen verlängerte man in England den dort anwesenden Hansen den Gebrauch ihrer Privilegien.
Mit unermüdlichem Eifer war namentlich Köln bestrebt, sowohl bei England wie bei den Hansestädten, das Band des Verkehrs zwischen beiden nicht zerreißen zu lassen. Wie seit alter Zeit bestand auch damals ein recht lebhafter Verkehr der Kölner Kaufleute nach England. Da nun der Einfluss der östlichen Städte, besonders Lübecks und Danzigs, in England zurücktrat, begann der der Kölner in der hansischen Niederlassung, im Stalhof zu London, zu steigen. Die Kölner erinnerten sich wieder der seit zweihundert Jahren verlorenen vorörtlichen Stellung ihrer Stadt im englischen Handel. Eine Aussicht schien sich aufzutun, der Überlegenheit und Oberleitung, die Lübeck in der Hanse besaß und übte, jetzt ein Ende zu machen. Eine Gesandtschaft, welche Köln und Nimwegen nach England schickten, erreichte dort im Jahre 1463 eine Verlängerung der hansischen Privilegien auf dritthalb Jahre. Die Rührigkeit Kölns brachte zuwege, dass endlich im Herbst 1465 eine Zusammenkunft englischer und hansischer Gesandten in Hamburg stattfinden konnte.
Auf ihr traten aber die Gegensätze der Parteien wieder aufs schärfste hervor. Es stellte sich heraus, dass diese Meinungsverschiedenheiten unausgleichbar waren. Die Engländer kamen nur mit dem Verlangen nach einem Frieden oder einem Waffenstillstand, wollten aber von Genugtuung für die Beraubung der beiden Flotten nichts hören. Lübeck dagegen samt den anderen von England geschädigten Städten Bremen, Wismar und Rostock wiesen, durch die ungesühnten Friedensbrüche Englands belehrt, den Gedanken an Frieden oder Stillstand zurück und beharrten in dem Gewoge der Meinungen fest auf vorheriger Leistung oder Regelung des Schadenersatzes. Von vornherein hatte Lübeck ausgesprochen, dass es nicht der Urheber dieser Zusammenkunft, sondern nach wie vor Englands Feind sei. Also führten die Beratungen in Hamburg in der Hauptsache zu keinem Ergebnis.
Die entschiedene Haltung Lübecks und seiner in gleicher Lage befindlichen Genossinnen ließ in England die Hoffnung auf einen gütlichen Ausgleich mit den bisher versuchten Mitteln immer tiefer sinken. Man verlor sichtlich die Lust zu weiteren Verhandlungen. Die Lage war für England um so unbequemer, als seit dem Jahre 1464 England in scharfem Handelskriege stand mit den burgundischen Niederlanden. Die englischen Kaufleute in den Niederlanden mussten nach dem Bistum Utrecht übersiedeln, um dort ihre Waren, vor allem die englischen Tücher, abzusetzen. Sie Hanse dagegen hatte ihre Handelsbeziehungen im Westen von neuem gesichert; längs der ganzen atlantischen Küste von Flandern bis zur Straße von Gibraltar schützten neue Verträge und Übereinkommen mit Frankreich, Bretagne, Castilien und Portugal den hansischen Handel.
Auf die Dauer konnte freilich auch Lübeck die Stellung nicht behaupten, die es gewählt hatte. Die hansischen Privilegien in England waren doch immerfort, wiewohl nur ans kurze Zeitspannen, verlängert worden. Angesichts des Streites mit Burgund stellte selbst das englische Parlament ihre Gültigkeit nicht in Abrede. Dass König Eduard einen zuverlässigen Frieden mit der Hanse wünschte, kann kaum bezweifelt werden. Den Handel mit England hielten die meisten Hansestädte aufrecht, wie auch die Engländer in Preußen und sonst im Gebiete der Hanse verkehrten. Nicht allein Köln und die niederrheinischen Hansestädte, deren Verhalten in den Angelegenheiten des Brügger Kontors der Hanse bei den anderen Städten gerechtes Misstrauen erweckte, sondern auch Hamburg und die Preußen bestürmten Lübeck, durch seine dauernd schroffe Ablehnung nicht die Erhaltung der hansischen Freiheiten in England aufs Spiel zu setzen. Was Lübeck zum Einlenken bewog, war eine doppelte Erwägung. Der Friede von Thorn, der im Herbst des wahres 1466 dem langen, verheerenden Kriege in Preußen ein Ende machte, befreite Lübeck und die Ostseestädte von der am nächsten liegenden Sorge um die Wohlfahrt des Ostseehandels. Das politische Interesse richtete sich wieder überwiegend nach dem Westen. Dort stand ein Thronwechsel in Aussicht, der auch den Handel der Hanse in ernste Verwicklungen hineinziehen konnte. Der Charakter und die Kämpfe des Sohnes und Nachfolgers des alten und von langer, fruchtbarer Regierung ermüdeten Herzogs Philipp von Burgund, des Grafen Karl von Charolais, mit Ludwig von Frankreich und den rebellischen Städten Dinant und Lüttich ließen ein unruhevolles Regiment für die Niederlande und deren Nachbarn erwarten. Hier erschien die Zukunft der Hanse um so weniger sicher, als der vorhin angedeutete Streit Kölns und seiner niederrheinischen Nachbarstädte mit dem Brügger Kontor den Riss zwischen Köln und Lübeck, der in der englischen Frage drohte, vollends herbeiführen und immer mehr erweitern konnte.
Daher entschloss sich Lübeck, seine Ersatzansprüche an England vorläufig zurückzustellen, um die innere Einheit der Hanse wiederherzustellen. Im August 1467 erklärten Lübeck und seine Gefährtinnen in der englischen Sache, mit Ausnahme Bremens, ihre Bereitwilligkeit zum Abschluss eines mehrjährigen Waffenstillstandes mit England. In der Zwischenzeit sollte die Schadenersatzfrage beraten werden. Den Engländern war früher, wie erwähnt wurde, der Stillstand erwünscht gewesen, indessen hatte Eduard an die kurzbefristete Verlängerung der hansischen Privilegien die Bedingung geknüpft, dass die zukünftigen Verhandlungen in England stattfinden sollten. Darauf wollte Lübeck um keinen Preis eingehen. Es forderte als Ort der Beratungen einen Platz auf deutschem Boden. Das verweigerte aber wieder Eduard.
Der ausschlaggebende Grund für dieses Verhalten des Königs war nichts anderes als eine rasche und völlige Abwandlung der Beziehungen Englands zu Burgund. Nach des alten Herzogs Tode, im Juni 1467, erschienen alsbald die Anzeichen des politischen Wechsels. Nachdem schon früher die Vermählung des Thronfolgers Karl mit einer Schwester Eduards in Aussicht genommen, wurde jetzt mit der Heirat auch die Herstellung einer politischen Verbindung der beiden Staaten aufs eifrigste gefördert. In den Niederlanden hob man die Sperrmaßregeln gegen den englischen Handel auf. Im nächsten Winter gelangten die neuen Handels- und Freundschaftsverträge zwischen beiden Ländern zum Abschluss. Eine enge Allianz verband jetzt England und Burgund, nahe Verwandtschaft die beiden Herrscher und die Dynastien Burgund und York. England bedurfte der Hanse nicht mehr. Friede oder Stillstand mit der Hanse erschienen jetzt nicht mehr als dringend erstrebenswerte Ziele der englischen Politik. Was diese Wandlung für die praktische Politik Englands bedeutete, lässt sich nach der vorhergehenden Darstellung vermuten. In demselben Monat, in welchem die Hochzeit Karls des Kühnen mit der englischen Prinzessin unter prächtigen Festlichkeiten in Brügge gefeiert wurde, traf ein neuer Gewaltstreich Englands, seit weniger als zwanzig Jahren der dritte, die Hanse und ihren Handel in England.
II.
Der Reiz, welchen die Geschichte der Hanse auf den ausübt, der zu näherer Beschäftigung mit ihr Gelegenheit findet, beruht nicht zum wenigsten in der großen Mannigfaltigkeit ihrer kommerziellen und politischen Beziehungen zum Auslande. Diese beständig sich kreuzenden, einander hemmenden oder fördernden Verbindungen der Hanse mit den auswärtigen Nationen unterlagen naturgemäß einem starken Wechsel. Infolge der weiten und vielfachen Verzweigung der hansischen Beziehungen konnten leicht Überraschungen eintreten und scheinbar isolierte Zufälle an entlegener Stelle eine starke Wirkung ausüben. Eine seltsame Verknüpfung der Folgen von räumlich weit getrennten Begebenheiten führte diesmal die Katastrophe herbei.
Nach dem Frieden von Thorn begann der Ostseehandel aufzuatmen. Gemäß den Bestimmungen des Friedens sollten beide Teile ihre Kaperschiffe zurückziehen. Aber nach so langem Kriege fielen das völlige Aufgeben der gewinnbringenden Kaperei und die Rückkehr der Seekriegsleute zu dem ruhigen Schiffergewerbe zunächst nicht leicht. Mancherlei Beschwerden veranlagte das Treiben der Kaperer des Ordens, die nach dem Frieden ihre Räubereien eine Weile fortsetzten. Auch Danzig hatte Mühe, seine im Kriege trefflich bewähren Seeleute von Unternehmungen abzuhalten. Christian von Dänemark bot ihnen dazu Gelegenheit. Er wünschte Schiffe und Söldner für seinen Kriegszug gegen Schweden. Danzig hütete sich zwar, durch Gewährung dieses Gesuchs sich dem Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen, und verbot seinen Bürgern öffentlich die Teilnahme an den nordischen Streitigkeiten. Tatsächlich aber hat es nicht verhindert oder nicht verhindern können, dass im Sommer 1467 Danziger Schiffskapitäne, gefürchtete Namen aus dem vergangenen Seekriege, und Söldner in dänische Dienste traten. Sie wurden samt den Dänen vor Stockholm geschlagen, blieben aber im Dienste Christians, der ihre Anwesenheit in Dänemark zu benutzen verstand.
Dem Unfrieden zwischen Dänemark und England, der auch den Absichten der zum Frieden mit England drängenden Hansestädte hinderlich gewesen, sollten Verträge vom Herbst 1465 und Frühjahr 1466 ein Ziel setzen. Darin war den Engländern das oft wiederholte Verbot des Besuches der Landschaften des nördlichen Norwegens und besonders auch Islands ohne Erlaubnis der dänischen Krone von neuem eingeschärft worden. Häufig genug hatten früher die englischen Schiffer das Verbot übertreten, weil der Verkehr mit Island Gewinn brachte. Auch den neuen Vertrag beachteten sie nicht. Im Herbst des Jahres 1467 erschienen englische Schiffer von Lynn und Bristol in Island, hausten dort wie in Feindesland, erschlugen den königlichen Vogt, dessen Leichnam sie ins Meer warfen, plünderten sein Haus und die königliche Kasse, äscherten Häuser ein und raubten, was sie finden konnten. Christian ergriff Repressalien. Als Anfang Juni 1468 sechs englische Schiffe aus London, Lynn und Boston, später noch ein Schiff aus Newcastle mit Ladung von Hull und York, auf der Fahrt nach Preußen im Öresund erschienen, ließ er sie bei Helsingör beschlagnahmen.
Die Nachricht von diesem Ereignis rief in England große Erbitterung hervor. Bei der Wegnahme dieser Schiffe hatten mehrere von jenen Danziger Schiffen unter Führung bekannter Kapitäne mitgewirkt. Man behauptete in England, auch Stralsunder, Lübecker und andere Hansen hätten sich beteiligt, hansische Kaufleute, welche in den englischen Schiffen mitfuhren, und auch andere hätten die Ankunft der Engländer dem Könige verraten, die Absicht Christians sei den Hansen vorher bekannt gewesen. Zweifellos fehlte bei den am meisten beschuldigten Hansestädten, Danzig und Stralsund, wie auch ihr früheres, aus einen Ausgleich mit England hinstrebendes Verhalten erweist, jede Absicht zur unmittelbaren oder mittelbaren Schädigung der Engländer, die sie denn auch aufs bestimmteste leugneten. Gerade die Danziger unterhielten damals eifrig und unbesorgt ihren Verkehr mit England. Es half nichts, dass die hansischen Kaufleute in London die Anklagen der Engländer widerlegten oder bei dem Mangel an zuverlässiger Kunde zu widerlegen sich bemühten. Die tatsächliche Teilnahme der Danziger Schiffe, wiewohl sie in dänischem Solde gestanden, ließ sich nicht in Abrede stellen. Der König konnte der Erregung seiner Untertanen nicht widerstehen. Ende Juli wurden die hansischen Kaufleute vor den königlichen Rat geladen, der Prozess wurde eingeleitet, die Kaufleute sodann zur Stellung einer Bürgschaft von 20.000 Pfund Sterl. als Schadenersatz für die Verluste der Engländer gezwungen, aber nichtsdestoweniger in die Londoner Gefängnisse geworfen; nur wenige entkamen in die Kirchenasyle. Die Londoner Behörden schlossen und versiegelten den Stalhof; alles hansische Gut, dessen man habhaft werden konnte, wurde unter Arrest gelegt. Das gleiche Schicksal traf die anderen Hansen in allen englischen Hafenstädten, auch diejenigen, welche vom Festlande und der Ostsee her nach diesen Ereignissen ahnungslos in englische Häfen einliefen. Die endgültige Entscheidung über das Los Aller wurde bis zum Herbst verschoben.
Vielleicht vollzog Eduard den raschen Beschluss nicht leichten Herzens. Denn er bedeutete eine politische Unbesonnenheit. Die Hanse war bereits wieder einig seit dem Wiedereintritt Lübecks in die Reihe der den Frieden mit England suchenden Städte. Jetzt traf die gewaltsame Behandlung der Hanse in England die ganze Hanse, machte ihre Gesamtheit zum Feinde Englands und verschaffte der leitenden Stadt, der größten Gegnerin Englands, ein volles Übergewicht in der Hanse. Der Bruch mit Danzig, das ohnehin nicht gesonnen war, die Ansprüche des englischen Handels anzuerkennen, verschlechterte die Aussichten Englands im Ostseeverkehr. Der Entschluss Eduards verstärkte daher, politisch betrachtet, die Stellung der Hanse gegenüber England. Man versteht ihn erst recht, wenn man erwägt, dass im englischen Staatsrat nicht nur jener Thomas Kent, sondern auch mehrere Große saßen, die an den in Dänemark verlorenen Gütern und Schiffen bedeutenden Anteil hatten, unter ihnen auch Warwick, der Plünderer der Lübecker Salzflotte, der Königsmacher, der mächtigste Untertan im Reiche. Schwerlich der Lärm der geschädigten englischen Kaufleute, vielmehr der Eigennutz der Großen trug auch diesmal den Sieg davon über die ruhige Erwägung der Zweckmäßigkeit ihrer Entscheidung.
Auch die Rechtsfrage stand für England nicht günstig. Die Hansestädte, die einzelnen wie die Gesamtheit, wiesen alle Schuld von sich. Die Hansen in England leugneten jede Beteiligung an der Beschlagnahme der Engländer. Zudem verboten die von Eduard anerkannten Privilegien unzweideutig die Haftbarmachung eines Hansen für die Handlungen eines anderen. Von Rechts wegen konnte man sich höchstens an die Danziger oder die Stralsunder oder an die Kaufleute aus anderen mitbeschuldigten Städten halten. Vor allen Dingen lag offen zutage, dass der eigentliche Urheber und Datei nicht eine oder mehrere Hansestädte, sondern der König von Dänemark war, welchem der Friedensbruch der Engländer in Island hinreichenden Grund zur Vergeltung gegeben hatte.
In England begriff man von vornherein, dass die harte Entscheidung gegen die Hansen die politische Lage der seit in Feindschaft gegen England geeinten Hansestädte nur verbesserte. Man suchte daher ihre Einigkeit zu stören durch die Freilassung der Kölner. Es hatte sich herausgestellt, dass die Zahl der gefangenen Hansen nicht groß war. Die meisten von ihnen, junge Leute und Faktoren, stammten aus den westlichen Hansestädten. Ihre Auftraggeber saßen daheim in Sicherheit. Durch die Entlassung und Bevorzugung der Kölner hoffte man, England einen Teil der hansischen Zufuhren zu sichern. Als Grund der Freilassung der Kölner bezeichnete der englische Kanzler einen alten, ungeschlichteten Streit Kölns mit Christian von Dänemark. Damit aber erkannte er eben diesen als den Haupturheber der zu rächenden Tat an. Bis zum endgültigen Urteilsspruch blieben auch die Güter der Kölner in Arrest.
Der Ausfall des Urteils konnte kaum zweifelhaft sein. Im November verurteilten Eduard und der Staatsrat die Hansen zum Ersatz des Schadens, den die Engländer in Dänemark erlitten hatten; die Gefangenen blieben in Haft; nach zwei Monaten sollten ihre Güter bis zum Betrage jenes Schadens verkauft werden. Die Kölner dagegen wurden samt ihren Waren frei-gelassen. Sie blieben im Stalhof und nahmen den Handel wieder auf. Nur wurde auch von ihnen eine ansehnliche Summe erpresst. Die Stadt London hatte freilich am liebsten gesehen, wenn mit den übrigen Hansen auch die Kölner in Gefangenschaft geblieben und der Handel ihnen gelegt worden wäre. Der Bote, welcher ein von den Kölnern erwirktes Fürschreiben Kaiser Friedrichs für die Hansen von Köln her überbrachte, wurde in den Straßen Londons blutig geschlagen. Zweiunddreißig Wochen haben die Hansen in den Gefängnissen gesessen. Erst im März wurden sie freigelassen, nachdem sie, um loszukommen, ihre Zustimmung gegeben zum Verkauf ihrer auf 5.550 Pfund Sterling taxierten Güter bis zum Betrage von 4.000 Nobeln. Der Rest blieb beschlagnahmt.
Die Hanse selbst war durch den Gewaltstreich überrascht worden. Sie hatte sich beschränkt auf eine Erklärung ihrer Schuldlosigkeit und auf die Bitte um Befreiung ihrer Kaufleute. Weitere Beschlüsse wurden einer Versammlung vorbehalten, welche im Frühjahr 1469 in Lübeck zusammentreten sollte. Aber auch an anderen Stellen des Festlandes regte es sich schon zugunsten der Gefangenen.
Die Ausübung des Repressalienrechts gegen die Hansen in England wegen eines Friedensbruches von seiten Dänemarks erschien den Neutralen als Willkür und Missachtung des internationalen Gewohnheitsrechts. Christian von Dänemark nahm die Schuld auf sich allein. Nicht nur von einzelnen Hansestädten, auch von ihren Landesherren liefen in England Fürschreiben ein, zumeist aus der Nachbarschaft des burgundischen Reiches. Nach der zweiten Verurteilung legten auch Karl von Burgund, die Stadt Brügge und die flandrischen Stände bei Eduard und bei London Fürsprache ein für die Hansen. Selbst der Gouverneur der englischen Kaufleute in den Niederlanden, William Caxton, der wenige Jahre später die Buchdruckerkunst in Köln erlernte und sie als erster in England einführte, schrieb in demselben Sinne an London. So begann der Fall weitere Kreise zu ziehen und eine Wirkung zu üben auf das politische Verhältnis Englands zu den Niederlanden. Eduard nahm daraus Anlass, auf dem Festland eine Denkschrift zu verbreiten, welche die Rechtmäßigkeit seines Urteilsspruches erweisen sollte. Auch schob er, wie erwähnt wurde, die endgültige und vollständige Exekution des Urteils hinaus und begnügte sich mit vorläufigen Gelderpressungen. Sein ganzes Verhalten: das gewaltsame Verfahren, die Absonderung der Kölner und dann wieder die zögernde Ausführung des Urteils, erklärt sich aus der wachsenden Unsicherheit seines Königtums. Er hatte gewiss auch in der hansischen Sache Rücksicht zu nehmen in England auf die ihm feindliche Partei der Lancaster, auf die unter den Yorkisten, welche es mit Frankreich hielten, und auf seine eigenen Parteigänger, endlich jenseits des Kanals auf die burgundische Allianz. Dieses Bündnis diente vorläufig keineswegs zur Befestigung seines Thrones. Es zog ihn hinein in die Strömung der burgundischen Politik, und im Geiste dieser Verbindung war es, dass er in England, um die Nation zu gewinnen, wieder das Banner des nationalen Krieges gegen Frankreich aufrollte. Aber der mächtigste Magnat im Reiche, Warwick, war Anhänger der Allianz mit Frankreich und, wie es heißt, mit Karl dem Kühnen persönlich verfeindet. Karl hätte gern die Vermittlung und Schlichtung des Streites mit der Hanse in seine Hand genommen. Denn dieser Zwist welcher zu einer englisch-hansischen Fehde auswachsen mochte, war ihm deshalb unbequem, weil er die Stellung Eduards, seines Verbündeten, noch mehr verschlechtern und den Handelsverkehr in der Nordsee und im Kanal stören konnte.
In der Tat unternahm Karl im Frühsommer 1469 den Versuch zu einer Vermittlung. Im Mai nämlich hatten die Hansestädte in Lübeck getagt. Unter Lübecks kluger Leitung erschienen die in ansehnlicher Zahl versammelten Städteboten, Vertreter von dreiundzwanzig Städten von Königsberg bis Nimwegen, diesmal im wesentlichen einmütig und entschlossen. Der Unterschied der inneren Lage gegen früher war schlagend. Nicht allein lebten sofort mit den neuen auch die alten, für England so unbequemen Ersatzansprüche wieder auf, sondern jetzt waren es nicht mehr Lübeck oder dessen Nachbarstädte allein, welche sie stellten, sondern fast die ganze Hanse. Drei Mittel fasste man sofort ins Auge: Krieg gegen England, Verbot der englischen Tücher im Hansegebiet, Abschneidung der Zufuhr nach England. Die Hanse trat von vornherein auf den Standpunkt, dass der englische Urteilsspruch ungerecht, unrechtmäßig und daher nichtig sei. Sodann verfügte sie den Abbruch des Handelsverkehrs mit England. Die inzwischen befreiten Hansen in England sollten sofort die Insel räumen, kein Hanse nach dem 24. Juni England besuchen. Ferner nahm man ein Verbot der Einfuhr englischer Waren, vor allem des Tuches, des Hauptartikels der englischen Ausfuhr, in Aussicht. Sowohl in den Hansestädten, großen und kleinen, wie überhaupt in allen Territorien Norddeutschlands, von Polen bis zu den Niederlanden, gedachte man die englischen Tücher vom Verkehr auszuschließen. Endlich erklärte man sich bereit zur Annahme der Vermittlung Karls des Kühnen.
Dieser und Eduard selbst hatten der Hanse ihren Wunsch nach Verhandlungen über einen Ausgleich, die unter den Auspizien des Herzogs in Brügge gepflogen werden sollten, zu erkennen gegeben. Die Hanse ging darauf ein, offenbar allein mit Rücksicht auf den mächtigen Herzog, aber sie begnügte sich, in der Voraussicht der Nutzlosigkeit dieser Verhandlungen, mit der Bevollmächtigung der Vorsteher ihres Brügger Kontors und band diese ihre Vertreter durch eng umschriebene Verhaltungsmaßregeln. Als Gegenleistung für die Hinausschiebung des offenen Bruches mit England forderte sie zum mindesten die Rückgabe des in England noch unter Arrest liegenden Gutes und rückte für den Fall weiterer Friedensverhandlungen die heikle Frage des alten und neuen Schadensfalles in den Vordergrund.
Der Misserfolg der Vermittlung war also vorauszusehen. Jene Denkschrift der Engländer ließen die hansischen Vertreter in Brügge mit viel Schärfe und Gelehrsamkeit widerlegen. Sie machten kein Hehl daraus, dass es ihnen schwer würde, durch Verhandlungen von zweifelhaftem Erfolge die gute Gelegenheit zum Kriege gegen England zu versäumen. Indessen kamen sie den Friedenswünschen des Herzogs weit entgegen. Sie knüpften ihre Zustimmung zu weiteren Verhandlungen mit England an die Bedingung, dass bis dahin das beschlagnahmte hansische Gut unveräußert im Arrest bleibe, die in der Gefangenschaft zugestandenen Gelöbnisse der Kaufleute nicht ausgeführt und die Exekution des englischen Repressalienverfahrens aufgeschoben werden sollten. Auch davon wollten die englischen Gesandten nichts wissen. Sie befanden sich freilich in übler Lage. Der Bestand der Herrschaft ihres Königs erschien ihnen unfraglich ebenso unsicher wie dem Herzog Sari. Denn gerade in diesen Wochen der Brügger Beratungen vollzog Warwick den entscheidenden Streich gegen Eduards Herrschaft, indem er seine Tochter dem Bruder des Königs, dem Herzog von Clarence, vermählte, worauf in England der Aufruhr gegen Eduard losbrach.
Für die Hanse war das letzte Wort gesprochen. Nachdem der „Weg des Rechtes“ verschlossen, blieb nur der „Weg der Tat“ offen. Die Hanse hatte dem Herzoge von Burgund ihre Geneigtheit zum Frieden bewiesen. Karl billigte keineswegs das Verfahren Eduards gegen die Hansen in England. Er war der Hanse dankbar, dass sie seine Vermittlung angenommen, und damit einverstanden, dass sie jetzt zum völligen Abbruch des Handelsverkehrs mit England schritt. Nur der offene Krieg gegen England, der erfahrungsmäßig den neutralen Handel zu stören pflegte, fand seinen Beifall nicht. Seine Haltung bestimmte die Allianz mit Eduard, die das Fundament seiner äußeren Politik war. Sie aber sollte ihm den Rücken decken für die Durchführung seiner Entwürfe auf dem Festlande, für die Ausdehnung seiner Herrschaft und für die Verwirklichung der Königspläne, denen schon sein Vater nachgestrebt hatte. Dazu bedurfte er aber der Sicherheit des Thrones seines englischen Alliierten und für seine Untertanen der Erhaltung des Friedens und des friedlichen Verkehrs auf der See und auch im Gebiete der Hause.
Diese Doppelstellung Burgunds zu England, wo mit dem Bestände der Herrschaft Eduards auch der der englischen Allianz in Frage gestellt war, und zur Hanse, mit welcher es Frieden halten wollte, bot der Hanse die erste Gelegenheit zur Eröffnung der Feindseligkeiten gegen England. Aus burgundischen Häfen liefen im Herbst 1469 die ersten, von Hansen ausgerüsteten Kaperschiffe gegen die Engländer aus. Damit begann der Seekrieg gegen England, der einzige, welcher zwischen der Hanse und dem Inselreiche und überhaupt jemals zwischen Deutschland und England geführt worden ist.
Nicht auf den wenigen Kriegsschiffen, welche die größeren Hansestädte in ihren Häfen zu steter Verfügung bereithielten, beruhte die maritime Kraft der Städte in Kriegsfällen. Diese Schisse, welche die Städte ihre Hauptschiffe nannten, sind auch in den ersten Jahren der englischen Fehde nicht ausgerüstet worden. Vielmehr die Leichtigkeit, zahlreiche Kauffahrer jeder Art und Größe in Kriegsschiffe umzuwandeln, sie in kurzer Frist mit Söldnern zu besetzen und mit Handwaffen, Büchsen, Geschützen, Proviant und aller kriegsmäßigen Ausrüstung zu versehen, konnte den Städten, wenn sie zu gemeinsamen Anstrengungen entschlossen waren, ein Übergewicht auf der See über die Nationen des Nordens verschaffen. Auch jetzt war kein Mangel an Geld und Leuten, am wenigsten in Danzig, wo die im langjährigen Seekriege erprobten Kaper-Kapitäne die Gelegenheit zur Wiederaufnahme ihres kühnen Handwerks, diesmal in der Nordsee gegen England und auch, wie wir sehen werden, gegen Frankreich, gern ergriffen. Auch burgundische Untertanen nahmen Kriegsdienste auf den ersten hansischen Kaperschiffen.
Vom Brügger Kontor und anderen unternehmungslustigen Schiffern und Kaufleuten gingen im Herbst 1469 die ersten Rüstungen aus. Mehrere in der Ostsee berüchtigte Namen verbreiteten jetzt ihren Schrecken unter den Schiffern der Nordsee und des Kanals. Sie führten ihre englische Beute nach Sluis in Flandern, nach Arnemuiden in Seeland; ein großes Schiff aus Newcastle wurde nach Seeland aufgebracht. Anfangs geschah das mit Zustimmung Karls des Kühnen. Aber seit Anfang des Jahres 1470 zog dieser seine Erlaubnis zurück. Sein Bundesverhältnis zu Eduard IV. und die Hoffnungen, welche er auf dessen Königtum setzte und setzen musste, ließen eine dauernd offene Begünstigung der Feinde Englands doch nicht zu. Er verbot seinen Untertanen die Beteiligung an den hansischen Kapereien, die Verproviantierung der hansischen Auslieger; ja, er befahl, diese festzuhalten, wo sie in burgundischen Häfen und Gewässern erschienen. Das hinderte die Fortsetzung der Feindseligkeiten keineswegs. Mehrere hansische Kaper überwinterten im Hamburger Hafen und stachen schon wieder in See, bevor im Januar das Eis der Elbe die Schifffahrt hinderte.
Vom Frühjahr bis in den nächsten Winter hören wir von einzelnen Kämpfen in der See. Begreiflicherweise entziehen sich die Ereignisse eines Seekrieges um so leichter der genaueren Feststellung, als dieser Krieg nicht von größeren Flotten, sondern von den einzelnen oder zu kleinen Gruppen vereinigten Kaperern geführt wurde. Am meisten gefährdeten die Angriffe der Hansen die lebhafte Schifffahrt zwischen den Niederlanden und England. Kölnische Kaufleute verloren im April und später ansehnliches Gut in den Schiffen, welche von den hansischen Ausliegern an der niederländischen Küste erbeutet wurden. Bei einem Zusammenstoß einer größeren englischen Flotte von 11 Schiffen mit zwei von den Kaperern, die aus Danzig stammten, wurden diese überwältigt, während ein englisches Schiff in den Grund gebohrt wurde. Andere Hansen beteiligten sich an der gleich zu erwähnenden burgundischen Expedition nach Frankreich. Im Oktober nahm ein Hamburger Auslieger an der Küste Seelands mehrere mit englischem Gut befrachtete Schiffe, die auf der Fahrt von Bergen op Zoom nach Calais begriffen waren. Sie wurden nach Kampen gebracht, wo man die Ladung löschte und alsdann zum Verkauf auf den nächsten Deventer Markt führte. Ein Schiff mit schottischem Gut schleppten die Auslieger in westfriesische Häfen. Die Zahl der hansischen Kaperer mag über ein Dutzend betragen haben. Sie vermehrten sich schnell durch Elemente, welchen die Kriegskünste willkommenen Anlass boten zur scheinbar legitimen Ausübung der Seeräuberei. Besonders die stets zum Seeraub bereiten Friesen regten sich, griffen vor der Elbe Handelsfahrzeuge an und ließen die Städte Maßregeln zum Schutze ihrer eigenen Schifffahrt nach dem Westen in Aussicht nehmen. Ein Auslieger, der sich für einen hansischen Kaperer von Oldenburg ausgab, fing im Hafen von Sluis zwei mit Wein und anderem Gut beladene Karavellen, die von Bordeaux kamen, und führte sie nach Hamburg. hier gab man ihm freilich nur Geleit für das feindliche Gut; die Hansestädte schritten ein und versprachen die Befriedigung der geschädigten Eigentümer. Die Zahl der Auslieger wuchs unaufhörlich, denn sie bemannten die erbeuteten Schiffe mit eigenem Schiffsvolk und konnten so in verstärkter Zahl in der See auftreten. Sie fielen Engländer, Franzosen, Bretagner und Niederländer ohne Unterschied an; das Kaperwesen artete in Seeraub aus. Die Beschwerden, welche in Burgund verlauteten und zum Herzoge drangen, wurden dem Kontor in Brügge immer lästiger.
Die Verwirrung, die in diesem blinden Zugreifen der hansischen Kaper zutage trat, war indessen nichts anderes als eine Begleiterscheinung des politischen Wirrwars, der noch immer in dem weiteren Gebiete der Küstenländer des Kanals herrschte.
Das Scheitern der Verhandlungen mit den Engländern in Brügge hatte die Fehde, wie erwähnt, unvermeidlich gemacht. Das in England unter Arrest liegende Gut gab man verloren. Die hansischen Kaufleute konnten froh sein, wenn sie ihre Person aus England in Sicherheit brachten; nur die Kölner waren von dem Missgeschick aller verschont geblieben. Die Hansestädte ließen zunächst ihren Kaperschiffen durchaus freie Hand. Am eifrigsten rief Danzig nach energischer Kriegführung der Städte selbst gegen England und Frankreich. Des Seekrieges kaum entwöhnt, hatte es mehr und geübtere Seemannschaften zur Verfügung als die anderen Städte; es konnte sie nicht nützlicher beschäftigen als in dieser Fehde. Zudem war es wegen eines großen Schiffes aus La Rochelle, das vor Jahren fast wrack in den Danziger Hafen eingelaufenen und dort verblieben war, in einen Streit geraten mit dessen französischen Eigentümern, denen schließlich Ludwig XI. Repressalien gegen Danzig und die Hanse ertaubte. Danzigs Verhalten in der Sache dieser großen Karavelle erschien nicht einwandfrei, und wenn es jetzt zum Kriege mit Frankreich drängte, geschah es aus diesem besonderen Grunde. Aber richtig war, dass im Hinblick auf die Beziehungen Frankreichs zu England Freund und Feind kaum unterschieden werden konnten; im Grunde war es, nach Danzigs Worten, ein Werk mit beiden. Schon im ersten Winter sind daher hansische Kaperer wie gegen England so auch gegen die Franzosen ausgelaufen.
Auf ihrer Versammlung im Mai und Juni 1470 trat den Hansestädten das vorläufig entscheidungslose Ringen der Westmächte um das Übergewicht in England und um den Bestand der englisch-burgundischen Allianz greifbar vor die Augen. Das Austreten der hansischen Kaper bedeutete ein neues Gewicht in der Waagschale der Politik zugunsten der Hanse. Eduards Herrschaft war vollends erschüttert; England hatte vorübergehend zwei Könige in Gefangenschaft gesehen; Warwick beabsichtigte, Eduards Bruder Clarence auf den Thron zu erheben. Das Haupt der Lancaster, die vertriebene, unter Frankreichs Schutz lebende Königin Margareta, warb mit ihrem Sohne bei den Hansestädten um kriegerischen Beistand gegen Eduard. Ludwig XI. und auf dessen Befehl der Admiral von Frankreich beeilten sich ebenfalls, der Hanse mit dem Frieden ein Bündnis und sicheren Handelsverkehr in Frankreich anzubieten und den hansischen Kriegsschiffen für ihre Unternehmungen gegen die Engländer die Häfen der Normandie zu öffnen. Selbst Schottland suchte die Freundschaft der Hanse. Endlich erschien Karl der Kühne im Auftrage Eduards wieder mit einem Angebot zur Vermittlung des englisch-hansischen Streites: Neue Verhandlungen sollten stattfinden, inzwischen der Krieg eingestellt werden.
Erst eine neue Städteversammlung nahm im September Stellung zu diesen Anträgen. Der Besuch dieser Tagfahrt entsprach der Bedeutung der zur Entscheidung gestellten Fragen. Fünfzig Städte, darunter fast alle größeren aus allen Territorien, waren vertreten, die meisten von ihnen durch Gesandte, andere durch Vollmachten. Ihre Beschlüsse verrieten das Vorwalten der wohlberechneten und beharrlichen Politik Lübecks, die jetzt verdiente Anerkennung fand. Ihre Richtung lässt sich kurz dahin zusammenfassen; gegenüber England Fortsetzung des Kaper- und Handelskrieges, gegenüber Karl dem Kühnen, auf welchen alles ankam, williges Entgegenkommen unter Festhalten an den wesentlichen Forderungen der Hanse. Jegliche Zufuhr aus England wurde verboten, ebenso jede Einfuhr englischer Waren nach Martini in die Hansestädte. An alle großen Landesherren in Livland, Preußen, Polen, Dänemark, Bremen-Münster, Utrecht, Geldern, Kleve, Lüttich ergingen Aufforderungen zum Ausschluss der englischen Waren aus dem Verkehr. Auch die niederländischen Handelsstädte, deren Wettbewerb der Krieg hätte fördern können, wurden gewarnt vor der Einfuhr englischer Güter in das Gebiet der Hanse. Dem Herzog Karl, der sich in seinen Plänen und Unternehmungen durch die hansischen Kaperer gehindert fand, versprach man den Aufschub der Ausrüstung der städtischen Hauptkriegsschiffe bis zum Frühjahr, ohne übrigens die in Aktion befindlichen Kaperschiffe zurückzurufen. Man erklärte sich grundsätzlich bereit zur Wiederaufnahme der Verhandlungen mit England und zur Annahme der Vermittlung Karls. Aber mehr als den bloßen Grundsatz gestand man nicht zu: die wirkliche Aufnahme der Unterhandlungen wurde geknüpft an die Bedingung einer vorhergehenden Erklärung Karls, dass er der Hanse Schadenersatz, Genugtuung für das über die Hansen ergangene Urteil und Wiedereinsetzung in ihre Privilegien verschaffen werde. Der Herzog sollte demnach von vornherein eine Garantie übernehmen für einen der Hanse günstigen Ausgang der Friedensberatungen.
Die sichere und einmütige Haltung der Städte bekundete sich endlich in ihrem Verfahren gegen das abtrünnige Köln. Seit dem Beginn des Missgeschicks der Hansen in England erfreuten die Kölner sich, wie gesagt, einer parteiischen Bevorzugung durch die englische Regierung. Sie blieben frei und im Besitze des Stalhofes. Um ihre gefangenen Landsleute kümmerten sie sich wenig und blieben auch in England, als die Hansestädte ihre Angehörigen von dort abriefen. Von Köln erhielten sie Verhaftungsbefehle. Köln glaubte die Zeit gekommen, sich und seinen Handel dem oft lästigen Zwang der hansischen Gesamtheit und dem in der Hanse vorherrschenden Einfluss Lübecks entziehen zu können. Es wies seine Kaufleute in England an, sich völlig auf eigene Füße zu stellen, jede organisatorische Verbindung mit den übrigen Hansen abzubrechen, eine eigene Genossenschaft zu bilden, für sich allein Privilegien zu erwerben, kurz, in jeder Hinsicht sich abzusondern von der hansischen Gemeinschaft. Es glaubte, zu dem alten Zustande in den Tagen der Plantagenets zurückkehren zu können, als es noch der Vorort war für die in England verkehrenden Deutschen, und bemerkte nicht, dass die gelten sich auch darin geändert hatten, dass es seihst als Landstadt hei der Entscheidung des Streites mit dem Inselreiche nicht das in die Waagschale werfen konnte, worüber die Seestädte verfügten: eine Seemacht. Es hat um die Wiederherstellung seiner alten, von den normannischen Königen verliehenen Freiheiten und vergaß, dass gerade die vielbeneideten Vorrechte der Deutschen in England erst längere Zeit nach dem Aufgehen der Kölner in die gemeinhansische Korporation der Deutschen im Stalhofe und eben durch diese erworben waren. Es rechnete aus den Geist der Zwietracht unter den Hansestädten, welcher bisher in dem Verhältnis der Hanse zu England obgewaltet und jeden Erfolg vereitelt hatte, und übersah, dass die Einheit, soeben hergestellt, gerade durch sein eigenes Verhallen befestigt werden musste. Es verließ sich sogar — und das war sein größtes und einer gewissen Ironie nicht entbehrendes Missgeschick — aus Karl den Kühnen.
Kölns Befehlen gemäß richteten die Kölner sich in England ein. Die Gebote der Hansestädte beachteten sie nicht; keine andere Autorität galt ihnen als die ihrer Heimatstadt; ihnen allein wurden die Privilegien wieder bestätigt. Die Erbitterung über dieses gehässige und bundesbrüchige Verhalten der Kölner, über einzelne verräterische Handlungen gegen bedrängte Landsleute in England, die man ihnen vorwarf, wuchs allerorten in den Hansestädten. Noch ein anderes kam hinzu. Der Streit mit dem hansischen Kontor in Brügge, in welchem Köln ebenfalls die Idee der Vorherrschaft partikularer und einzelstädtischer Interessen in den auswärtigen Niederlassungen der Hanse verfocht, die meisten Hansestädte dagegen für die Erhaltung und Stärkung der Autorität des Kontors über die widerspenstigen Kölner eintraten, war im März 1470 vom Conseil Karls des Kühnen zu Kölns Gunsten entschieden worden. Köln vermied den Besuch der hansischen Tagfahrten seit mehreren Jahren, lehnte aber die Verbindlichkeit aller Beschlüsse der Städte für sich ab. Die Lübecker Tagfahrt zog jetzt nur die Folgerungen aus dem Verhalten Kölns, indem sie es vom Februar 1471 ab aus der Hanse ausschloss. Bis Genugtuung geleistet, sollten die Kölner mit ihren Gütern in allen Hansestädten und deren Gebieten zu Land und Wasser sowie in den vier großen Niederlassungen zu Brügge, London, Bergen und Nowgorod vorn Verkehr und aus jeglicher Handelsgemeinschaft ausgeschlossen sein. Ein letzter Versuch zur Versöhnung mit Köln, welchen im Auftrage der Tagfahrt einige westliche Städte unternahmen, blieb, wie zu erwarten, ohne Erfolg.
Nun war die Bahn für die Hause nach allen Seiten frei. Eine einigermaßen günstige Wendung im Kampfe der Westmächte musste den Sieg bringen. Warwicks Pläne scheiterten in England; er entfloh nach Frankreich, versöhnte sich dort mit den Lancasters und rüstete für eine Expedition nach England. Um sie zu verhindern, seinen Bundesgenossen Eduard zu schützen und Vergeltung zu üben für die Beraubung niederländischer Schiffe durch Warwick, ließ Karl der Kühne eine große Flotte, in welche auch hansische Kaperer eingereiht waren, vor den Häfen der Normandie kreuzen. Ein Sturm jagte die Flotte auseinander. Warwick bewerkstelligte im September seine Überfahrt; Eduard ergriff die Flucht nach dem Festlande. Scharf verfolgt von hansischen Kaperern, brachte er sich und seine geringe Begleitung mit genauer Not an der Küste der Insel Texel in Sicherheit. Ein halbes Jahr lang triumphierte Lancaster; Heinrich VI. wurde aus dem Gefängnis hervorgeholt; als der wahre Herrscher in England schaltete Warwick; Ludwig XI, begann wieder den Krieg gegen Burgund.
Während dieser Monate des tiefsten Standes der burgundisch-englischen Allianz bewährte sich die Natur Eduards. In Friedenszeiten sorglos und genusssüchtig, als Politiker das schroffe Gegenteil des stets misstrauischen und tief verschlagenen Ludwig XI., war Eduard ausgestattet mit um so glänzenderen kriegerischen Fähigkeiten. Unterstützt von seinem Verbündeten, rüstete er während des Winters in den befreundeten Niederlanden eine Flotte. Karl schlug der Hanse eine Vereinigung seiner und der hansischen Kriegsschiffe vor, um gegen Lancaster und Frankreich die See zu halten. Die hansischen Kaperer waren inzwischen nicht müßig. Sie erbeuteten mehrere Schiffe aus Caen und Dieppe und fingen in einem von ihnen den Mayor von London. Ludwig XI. hatte die Gelegenheit wahrgenommen, um in England eine Schaustellung französischer Industrieerzeugnisse und kostbarer Waren zu veranstalten. Ein Teil derselben fiel der Habgier Warwicks zum Opfer, der Rest bei der Rückreise nach Frankreich in die Hände der Hansen. Engländer von Warwicks Partei wurden von den Hansen im Kanal aufgegriffen und dem König Eduard in den Niederlanden ausgeliefert. So gingen denn viele hansische Auslieger bereitwillig aus die Werbung Eduards ein. Die Flotte, welche ihn Anfang März an die englische Küste hinüberführte, bestand zum großen, wenn nicht zum größten Teil aus hansischen Schiffen.
Es war der glückliche Anfang eines kurzen, entscheidenden Siegeszuges. Die Schlachten bei Barnet und Tewkesbury im April und Mai bereiteten der kurzen letzten Episode der Lancasterherrschaft samt der Rebellion Warwicks ein blutiges Ende. Auf dem Grunde dieser Siege und des völligen Ruins seiner Feinde gewann endlich das Regiment König Eduards einen dauernd sicheren Bestand.
Aber eine unmittelbare Wirkung auf die Verständigung zwischen der Hanse und England hat auch dieser jähe Schicksalswechsel nicht ausgeübt. Trotz des offenkundigen Zerwürfnisses zwischen Köln und seinen Mithansestädten verharrte England bei der Bevorzugung der Kölner. Wie der letzte, unglückliche Lancaster bestätigte auch der siegreiche Eduard den Kölnern auf kurze Frist ihre Freiheiten. Auf dem Kontinent traten die Sperrmaßregeln und die Verhansung Kölns in Kraft. Manchmal umgangen, von den Kölnern nicht beachtet, von dem Argwohn einzelner Hansestädte in Bezug auf strenge Beobachtung in Zweifel gezogen, brachten gleichwohl diese Verkehrsverbote in weiten Gebieten die beabsichtigte Wirkung hervor. Große Teile Westdeutschlands, vor allem auch die Ostseegebiete verschlossen sich den englischen Waren. Dazu ging der Kaperkrieg in der Nordsee ohne Unterlass weiter. Danzig drängte wieder zu kräftiger Teilnahme der Städte an dem Seekriege, zur Ausrüstung größerer Flotten gegen die Engländer. Hamburg und Lübeck ließen zwar den hansischen Kaperern freie Bewegung, zögerten aber nach wie vor mit der Rüstung städtischer Schiffe, zum Teil wegen der Söldnerwerbungen, welche Christian von Dänemark in ihren Städten veranstalten ließ für seinen Feldzug nach Schweden, der im Herbst am Brunkeberge bei Stockholm gänzlich missglückte, zum Teil, weil sich die Notwendigkeit herausstellte, die Handelsschifffahrt zwischen Flandern und Hamburg durch bewaffnete Begleitschiffe zu schützen. Schließlich ging Danzig allein vor. Es sandte im Herbst 1471 zwei Kriegsschiffe, darunter das große, neu instandgesetzte französische Schiff, um dessentwillen es in jenen Streit mit Ludwig XI. geraten war, in die Nordsee nach den Niederlanden. Doch die Erfolge waren mäßig.
Zwar kam es bei der allgemeinen politischen Lage für die Hanse weniger an auf große kriegerische Erfolge zur See als überhaupt auf die Fortsetzung des Krieges, der den englischen Handel im Norden und Osten der Insel stören sollte, wie ihn der französische im Süden unterband. Aber für die Durchführung eines Seekrieges gegen England in größerem Umfange fehlten überhaupt die unerlässlichen militärisch-politischen Voraussetzungen. Die hansischen Kriegsschiffe besaßen für ihre Unternehmungen gegen England keine geeignete Operationsbasis. Ein englischer Handel nach dem Nordosten, nach dem Sund oder in der östlichen Nordsee, bestand nicht mehr. Man musste ihn also aufsuchen an den englischen Küsten, ferner da, wo der Verkehr am stärksten war, zwischen den Niederlanden und England und überhaupt im Kanal. Aber sowohl für planmäßig vorbereitete wie für improvisierte Unternehmungen in diesen Gegenden waren die Mündungen der Weser und Elbe, die als Ausgangspunkte und Zufluchtshäfen dienen konnten, zumal bei dem wenig durchgebildeten Stande der Segelkunde zu weit abgelegen, vor allem für die Kriegsschiffe der Ostseestädte; ebenso wenig boten die gefährlichen friesischen Küsten gute Sicherheitshäfen. Nur die Häfen der burgundischen Küsten-Provinzen besaßen die Vorzüge, welche als Vorbedingung gelten konnten für aussichtsvolle Seekriegsunternehmungen gegen die Engländer. Über diese fast allein in Betracht kommenden Häfen verfügte aber unumschränkt Karl der Kühne. Vorübergehend, Mitte des Jahres 1471, hat dieser seine Häfen wieder den Danziger Kriegsschiffen geöffnet, die ja auch gegen seine französischen Feinde Krieg führen wollten. Im Winter schritt er bereits von neuem ein mit öffentlichen Befehlen, welche den Söldnerdienst auf hansischen Schiffen, die Verproviantierung derselben und den Ankauf von Prisengut untersagten. So haben manche Übelstände, vornehmlich der Mangel an sicheren Stützpunkten, Schwierigkeiten der Verpflegung und daher Unbotmäßigkeit des Schiffsvolkes, dazu beigetragen, die Leistungen der hansischen Kriegsschiffe zu beeinträchtigen.
Erst im Jahre 1472 kam wieder neues Leben in die kriegerischen Aktionen auf der See. Auch die Franzosen und die Engländer erschienen jetzt mit großen Flotten auf dem Hauptschauplatz, dem Fahrwasser vor den Niederlanden. Längst wurde die Schifffahrt zwischen den niederländischen und den englischen Häfen durch bewaffnete Söldnerschiffe gedeckt.
Schon im Winter sandte Hamburg einige Kriegsschiffe aus, und im Februar beschlossen Lübeck und Hamburg die Ausrüstung weiterer städtischer Schiffe. Lübeck stellte vier Schiffe, darunter den „Mariendrachen“ und den „Georgsdrachen“, Hamburg mindestens ebenso viele, darunter die „Große Marie“ und den „Fliegenden Geist“. Für die Geschichte der berühmten Schiffersage ist von Interesse, dass, — wie es scheint, von den hansischen Seeleuten selbst, und zwar von den Hamburgern, — mit dem Namen des Geisterschiffes auch der des sagenhaften Seeräubers Störtebeker in Verbindung gesetzt wurde. Auch Bremen brachte ein Kriegsschiff in die See. In Hamburg und Lübeck beteiligte sich die Bürgerschaft eifrig an der Rüstung: der Rat und die beitragleistenden Bürger verabredeten Halbpart an der Beute eines jeden Schiffes.
Über Rüstungen anderer Hansestädte verlautet nichts. Mancherlei Nachrichten liegen vor über einzelne Scharmützel und Fahrten der Auslieger, über Erfolge und Missgeschick. Die Danziger, verstärkt durch einige erbeutete bretagnische Schiffe, unternahmen in den ersten Monaten des Jahres einen Zug längs den Küsten Englands und der Bretagne, konnten aber nur ein französisches Schiff aufgreifen. Im März kämpften englische und hansische Schiffe an der flandrischen Küste; ein Osterling wurde übersegelt. Mehrere Auslieger fielen in französische Gefangenschaft. Die Bremer vergriffen sich in burgundischen Gewässer an Schiffen aus Portugal und Bergen op Zoom, erlitten Schiffbruch, wurden in Holland und Seeland an Land getrieben, dort gefangen und als Seeräuber hingerichtet.
Ebenso wenig war das Glück den Lübeckern hold. Während die große Danziger Karavelle zur Ausbesserung im Brügger Hafen lag, erschien Mitte Juni im Kanal eine starke französische Flotte von 18 Schiffen unter dem Befehl des kühnen Vizeadmirals Wilhelm von Casanova, dessen Beiname Coulon oder Columb früher zur Annahme der Identität seines Trägers mit keinem Geringeren als Christoph Columbus verleitet hat. Die Lübecker und andere Hansen, 6 Schiffe stark, kämpften mit ihnen und wichen vor der Übermacht zurück in die Wielinge, zwischen Walcheren und Seeflandern. Coulon, auf 29 Schiffe verstärkt, beherrschte die See und sperrte den Kanal. Sogleich beeilte sich Eduard, ihm eine schleunigst ausgerüstete Flotte von über 20 Schiffen entgegenzuwerfen, vor welcher die Franzosen sich nach der Normandie zurückzogen. Die Engländer aber unter Lord Howard, von den Seeländern über die Schwäche und ungeschützte Lage der Lübecker bei Vlissingen unterrichtet, überfielen mit Hilfe der Seeländer im Juli die lübischen Schiffe und nahmen sie sämtlich weg. Besseren Erfolg hatten die Hamburger. Sie erbeuteten fünf bretagnische Schiffe, dazu andere aus England, Irland und Spanien, und blieben bis in den Winter in der See. Im Spätsommer deckten die Danziger die Fahrt einer reichbeladenen hansischen Handelsflotte von Flandern nach der Elbe.
Inzwischen ließen sich schon die politischen Wirkungen des Krieges wahrnehmen. In dem Kampf der Mächte triumphierte und behauptete sich als die feste Achse der westeuropäischen Politik die burgundisch-englische Allianz. Die Lancastersche Episode diente Eduard zur Warnung und band ihn noch enger an Karl den Kühnen. Denn auch diesem kam ein großes Verdienst um die Wiederherstellung Eduards zu. Eduard hatte Ursache zur Dankbarkeit, Vorsicht und Festigkeit: dankbar zu sein durch Festhalten an der Allianz und durch Unterstützung der Unternehmungen Karls; vorsichtig, um seinen Thron nicht noch einmal ins Wanken zu bringen; fest, um nicht, wie früher, durch Berücksichtigung persönlicher und partikularer Interessen seiner Untertanen die in so weitem Umfang zurückgewonnene Autorität wieder zu zersplittern. Diese Wendung kam schließlich doch der Hanse zustatten. Denn zweifellos lag wie die Initiative in der Allianz so auch die endliche Entscheidung des hansisch-englischen Konfliktes bei Karl. Dieser missbilligte, wie wir sahen, das Vorgehen Eduards gegen die Hanse in England, wiewohl es ihm aus der früheren unfreien Situation Eduards verständlich sein mochte. Solche Hinderungs- und Milderungsgründe fielen jetzt weg. Nun versetzte der Krieg der Hansestädte gegen England den Herzog in einen inneren Widerstreit. Auch mit der Hanse wollte er Frieden. Seine Untertanen von Holland und Seeland, welche den hansisch-englischen Konflikt gern benutzt hätten, um dem Handel ihrer Feinde, der wendischen Hansestädte, nach Flandern einen Schlag zu versetzen, zwang er mit unbeugsamer Strenge, Frieden zu halten. Im Süden durch Frankreich bedroht, dabei begierig, seine Eroberungsabsichten gegen Geldern und am Oberrhein durchzuführen, wünschte er, wie uns bekannt, sein Reich im Rücken durch England gedeckt und seine Untertanen in ungehinderter, friedlicher Ausübung ihres Verkehrs nach dem Osten.
Die Unklarheit, welche in der Tatsache der englisch-hansischen Fehde und der hansisch-burgundischen Freundschaft bei Fortbestand der englisch-burgundischen Allianz lag, konnte nur beseitigt werden durch Beendigung des englisch-hansischen Streites. Die Entfernung dieser Schwierigkeit bedeutete aber für die Alliierten, der Hanse entgegenkommen und ihrem Standpunkt sich nähern.
Karl erneuerte bei den Hansestädten im Spätherbst 1471 seinen alten Vermittlungsvorschlag, erhielt aber in der Hauptsache die gleiche Antwort wie früher. Da begann denn England einzulenken, sicherlich nicht ohne Mahnung Karls. Hansische Schiffe hatten Eduard die letzte, siegreiche Invasion ermöglicht; der den burgundisch-englischen Zwischenverkehr störende Seekrieg zog sich in die Länge und verringerte die Aussichten auf Verwirklichung der alten Wünsche Englands im Ostseehandel. Ganz England, außer London, verlangte bereits nach Frieden mit der Hanse, denn die englische Tuchindustrie verlor durch die hansische Handelssperre ihr größtes Absatzgebiet, englische Gesandte knüpften insgeheim schon im Mai 1472 mit den Vorstehern des hansischen Kontors in Brügge die ersten Friedensverhandlungen an und verständigten auch Lübeck von der neuen Lage, nämlich dass König, Edelleute und Kaufleute in England zur Wiederherstellung des Friedens zwischen den Deutschen und den Engländern bereit seien. Lübeck verstand und benutzte die Gunst der Zeit. Den Hansestädten erklärte es seine Bereitwilligkeit zum Frieden, wodurch die Einheit der Hanse erhalten und Lübeck die politische Leitung gesichert wurde; den Engländern verriet es weder Eile noch Freude; indem es den Beginn der Verhandlungen ins nächste Jahr hinausschob, ließ es den Kriegszustand mit England fortbestehen und die Hanse Zeit gewinnen zur inneren Verständigung und Vorbereitung. Die Städte Danzig und Lübeck als solche haben sich im letzten Kriegsjahre nicht mehr an der Fehde beteiligt. Nur Hamburg setzte mit seinen Kriegsschiffen die Fehde fort und erbeutete noch einige Kauffahrer aus England und Spanien, mährend die große Danziger Karavelle unter der selbständigen Führung des Paul Beneke im April 1473 an der englischen Küste sich einer von den Niederlanden nach London segelnden Galeide bemächtigte, welche unter der überaus kostbaren, größtenteils Florentiner Kaufleuten gehörigen Ladung zwei Gemälde barg, von denen das „Jüngste Gericht“ Hans Memlings noch heute die Marienkirche in der Heimatstadt des Siegers ziert. Seit dem 25. .Juni 1473 trat an die Stelle des Krieges ein Waffenstillstand, welcher alsdann unmittelbar in den endgültigen Frieden überging. Wie nach allen Kaperkriegen mochten auch diesmal einige, zumal in dänische Dienste getretene Freibeuter das Raubhandwerk nicht so bald aufgeben. Das hinderte aber weder den Frieden noch die Wiederaufnahme des Handelsverkehrs.
Wenn man nach den Gründen fragt, aus welchen der lange Streit der Hanse mit England in dem Frieden von Utrecht einen für die Hanse überaus günstigen Ausgang nahm, so ergibt sich die Erklärung für das Verhalten Englands vor allem aus dem uns bekannten Charakter der englisch-burgundischen Allianz. Eduard war fest entschlossen, den alten Zwist mit der Hanse endlich und dauernd aus der Welt zu schaffen. Er beteuerte diesen Vorsatz in unzweideutiger Form. Der Lübecker Rat befand sich genau auf der rechten Fährte, wenn er sagte, dass die Hanse jetzt oder nie, von diesem Könige, aber von keinem seiner Nachfolger erreichen könne, was sie brauche, Es handelte sich für Eduard nicht mehr allein um Gewährung weitgehender Zugeständnisse an die Hanse, sondern darum, dass dieselben in eine für England ehrenvolle Form gekleidet wurden. Denn es gab in der Menge der gegenseitigen Ansprüche und Forderungen einige Punkte, bei welchen die Ehre Englands gestreift wurde. Wie Eduard befürwortete auch Karl den Frieden. Kurz vor dem Beginn der Hauptverhandlung über den Frieden trat Karl mit der Unterwerfung Gelderns die Reihe von Unternehmungen an, die ihn, wie er hoffte, zum Herrn über den ganzen Westen des Deutschen Reichs machen sollten. England war dabei die Aufgabe zugedacht, ihm den gefährlichen französischen Nachbarn im Zaum zu halten, und über die dem Frieden zurückgegebene Nordsee sollten den Niederlanden die Zufuhren aus dem Osten gesichert bleiben.
Die burgundisch-englische Interessengemeinschaft verlieh den Friedensverhandlungen ihren eigenen Charakter und verbürgte der Hanse den Erfolg. Sie kam auch darin zum Ausdruck, dass Eduard an die Spitze seiner zur offiziellen Vorbereitung der Hauptverhandlung nach Flandern geschickten Gesandten einen der höchsten burgundischen Staatsbeamten stellte, den in feinem und Karls Vertrauen flehenden Statthalter von Holland und Seeland, den Herrn von Gruthus. Später mussten die Engländer und die Burgunder — denn gleichzeitig wurde auch über den Stapel in Brügge und über den Waffenstillstand der wendischen Hansestädte mit Holland und Seeland verhandelt — formell getrennt mit den Hansen konferieren, der Statthalter an der Spitze der Burgunder; tatsächlich blieben sie in engem Einvernehmen. Darum brachte auch der Abschluss eines zehnjährigen Waffenstillstandes zwischen Frankreich und der Hanse im August 1473 einen größeren Eindruck hervor, als seiner wahren Bedeutung entsprach; er bestärkte nur die Alliierten in ihrem Verlangen, mit der Hanse zum Abschluss zu kommen. Sie waren einig, den Krieg nicht wieder aufleben zu lassen. Im Juli und September 1473 fanden in Utrecht unter großer Beteiligung die Hauptberatungen statt, bei welchen die Hansestädte durch Gesandte von Lübeck, Hamburg, Danzig, Dortmund, Münster, Kampen, Deventer und Bremen, sowie durch Abgeordnete ihrer Kontore in Brügge, London und Bergen vertreten waren. Im Februar des nächsten Jahres ist ebendort der endgültige Friede abgeschlossen worden, der in den nächsten Monaten von England und der Hanse ratifiziert wurde.
Nur die wichtigsten und für die augenblickliche und dauernde Bedeutung des Friedenswerkes charakteristischen Erörterungen, Beschlüsse und Bestimmungen mögen hier in Kürze bezeichnet werden. Für die Engländer konnte die Frage eigenen Schadenersatzes nicht ernstlich in Betracht kommen; um so mehr hielten sie fest an einer Gewährleistung ihrer alten Ansprüche auf freien Handelsverkehr in Preußen. Die Hanse ihrerseits wich nicht von ihren früheren Forderungen: Ersatz für alten und neuen Schaden, Widerruf des Urteils gegen die Hansen in England nebst Satisfaktion, endlich als neue, unerlässliche Friedensbedingung: Bestrafung Kölns für seinen Abfall von der Hanse. Der Sache nach sind die Forderungen der Hanse im wesentlichen durchgesetzt worden, indem man die Notwendigkeit des Nachgebens unter gefälligen Formulierungen zu verhüllen und der Vergessenheit zu übergeben sich bemühte. Die alten Privilegien wurden der Hanse in vollem Umfange erneuert und bestätigt. Als Rekompensation aller Verluste, welche die Hanse bisher durch England erlitten, bewilligte Eduard für die nächsten Jahre den Hansen einen Erlass der unter dem Namen der Custume bestehenden Zölle im Gesamtbetrage von 10.000 Pfund Sterling. Den formellen Widerruf des Urteils erlangte die Hanse nicht. Aber nicht nur dass die fernere Rechtswirkung des Urteils aufgehoben wurde, wie denn überhaupt alle aus den gegenseitigen Beschädigungen erwachsenen alten und neuen Ansprüche und Prozesse der beiderseitigen Untertanen niedergeschlagen wurden: als Ersatz und Genugtuung für das ihr zugefügte Unrecht und die ihren Kaufleuten in England widerfahrene Schmach, als Sühne für die Feindseligkeiten der englischen Kaufleute und besonders der Hauptstadt, wurden der Hanse die Stalhöfe in London, Boston und Lynn zu dauerndem Eigentum überwiesen. Es mag nicht unerwähnt bleiben, dass diese und die gleich zu erwähnenden Zugeständnisse zum Teil erreicht wurden durch stufenweise Herabminderung der von der Hanse ursprünglich geforderten Summe von 25.000 Pfund auf jene 10.000. Den Engländern gelang es, in dem Vertrage dem Wortlaut nach ihren alten Anspruch auf Handelsfreiheit in Preußen aufrecht zuhalten. Da indessen Danzig den Frieden nur annahm unter der Bedingung, dass die Engländer nicht größere Rechte in Preußen als andere fremde nichtpreußische Kaufleute genössen, also dem gleichmäßig strengen Fremdenrechte unterworfen sein sollten, blieb der Erfolg der Engländer auf dem Papier.
Wenn man absieht von anderen, minder wichtigen Angelegenheiten, welche der Friede regelte, wie das Verfahren der Zollbeamten, Schiffbruch, öffentliche Wage, Verzapf von Rheinwein u. a., blieb als letzter Prüfstein der entschlossenen Friedfertigkeit Englands die Abrechnung mit Köln. Schon wahrend der Verhandlungen in Utrecht erkannte Köln den Zusammenbruch seiner Sonderpolitik und die schmachvolle Niederlage, die es sich selbst bereitet. Sein Versuch, nur seinen eigenen Vorteil zu erreichen und sein Glück zu machen bei Burgund und England, scheiterte an der Unzulänglichkeit der Politik der „heiligen“ Stadt, welche in den hansischen Angelegenheiten sich von den Ratschlägen und dem Eifer einiger begabter, aber kleinlich-befangener Persönlichkeiten hatte bestimmen und hinreißen lassen. Wenn Karl von Burgund die Stadt in ihrem erbitterten Streite mit dem Brügger Kontor obsiegen ließ, hoffte er wohl schon damals auf Erwiderung dieser Gefälligkeit bei der Ausführung seiner politischen Pläne. Mit der Schutzherrschaft über das Erzstift Köln wollte er auch dessen freie Hauptstadt in den Bereich seiner Herrschaft ziehen. Seit dem Jahre 1473 war daran kein Zweifel. Der Gegensatz Kölns zu Burgund bestand in voller Schärfe, als der Kaiser nach dem Abbruch der mit Karl in Trier gepflogenen Verhandlungen sich nach Köln begab. Karl hatte bei den Utrechter Beratungen keinen Grund mehr, das ganze Gewicht seines Ansehens bei den auf Köln erzürnten Hansen zugunsten der Kölner einzusetzen. Und darum musste auch Eduard nachgeben. Es hieße ehrlichen Beteuerungen unnötigerweise misstrauen, wenn man die peinliche Empfindlichkeit Eduards und der Englands in dieser kölnischen Sache verkennen und geringschätzig beurteilen wollte. Aber die Not erzwang die Entscheidung. Die Hansen forderten den Ausschluss der Kölner von den Privilegien und vom Stalhofe. Sie verlangten kurz, Eduard möge wählen zwischen ihnen und den Kölnern, den „Zerstörern“ der Hanse. Sie erklärten, dass Köln, wie es ja der galt war, bereits aus der Hanse ausgeschlossen sei; nicht eher als bis es sich mit der Hanse ausgesöhnt, dürfe es mit der Hanse in England irgendwelche Gemeinschaft haben.
Man fand den Ausweg, in den Hauptvertrag, ohne Nennung des Namens der Kölner, die Bestimmung aufzunehmen, dass eine von der hansischen Tagfahrt oder freiwillig aus der Hause gestoßene oder geschiedene Stadt auf Anzeige bei England dort ohne weiteres bis zur vollzogenen Aussöhnung mit der Hanse als unprivilegiert und unfähig zur Erwerbung gleicher oder größerer Privilegien betrachtet werden sollte. In einem Nebenvertrag wurde diese Norm ausdrücklich auf Köln spezialisiert. Weder die Fürsprache des Kaisers noch die Ermahnungen des von ihm zum Schiedsrichter bestellten Erzbischofs von Trier noch die inständigen Bitten Kölns vermochten eine Änderung zu bewirten. In der Mitte des Jahres 1474 mussten die Kölner den Stalhof in London verlassen, in welchen die anderen Hansen ihren Einzug hielten. Feuer und Wasser könne man nicht an einen Ort zusammenbringen, schrieb Eduard dem Kaiser. In denselben Wochen, als die Kölner die seit Jahrhunderten von ihnen bewohnte Gildhalle räumten, in welcher sie einst sogar die Herren gewesen, ließ Karl von Burgund als Vorspiel des offenen Krieges gegen Köln in allen Provinzen seines Reiches die Güter der Kölner beschlagnahmen. Wenn gerade die beiden Länder, mit welchen die Kölner mehr als mit anderen seit alters die lebhaftesten und gewinnreichsten Handelsbeziehungen unterhielten, gleichzeitig das gewohnte Freundschaftsverhältnis abbrachen, lässt sich ermessen, dass die moralische und materielle Niederlage der großen Rheinstadt nicht vollständiger sein konnte. Köln hat sich, nachdem es mit mächtiger Anstrengung und mit Hilfe des Reiches den Angriff des Burgunders glücklich abgewehrt, mit den Hansestädten ausgesöhnt auf der Tagfahrt zu Bremen im Spätsommer 1476. Aber die Folgen des Zwistes mit der Hanse, des Krieges mit Burgund und der peinvollen Behandlung in England hat es während der ganzen Dauer seiner Zugehörigkeit zur Hanse und seiner reichsstädtischen Selbständigkeit nicht verwunden.
Obgleich der große Erfolg, welchen die Hanse im Frieden von Utrecht errang, zum nicht geringen Teil sich erklärt durch die von der politischen Gesamtlage bestimmte und einen gründlichen Ausgleich mit der Hanse fordernde Haltung der burgundisch-englischen Allianz, wäre doch nichts ungerechter, als den Anteil der Hanse an diesem Siege gering zu veranschlagen. Trotz einzelner innerer Zwiespältigkeiten hatte die Hanse im Kriege mit England im wesentlichen ihre Einigkeit bewahrt, die Seefehde gegen England durchgeführt, bis dieses den ersten Schritt zur Versöhnung tat, den König Eduard persönlich zu Dank verpflichtet, durch geschickte Behandlung des reizbaren und herrischen Burgunderherzogs einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Anliegen in England erworben und endlich die Gunst der Lage rechtzeitig und allseitig auszunutzen verstanden. Der Friede von Utrecht war ein Triumph der lübischen Politik und der unter Lübecks Führung geeinten Hanse. Von den Verträgen der Hanse mit England hat keiner, soweit die fortschreitende Entwicklung der Völker die Dauerhaftigkeit von Verträgen zulässt, in wichtigen Fragen eine so feste Grundlage für die Hanse und ihre Stellung in England geschaffen wie dieser Friede, dessen sichtbarste Errungenschaft, die Erwerbung des Eigentums an den Stalhöfen in London, Boston und Lynn, die Hanse selbst überdauert hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hanse und England
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Hamburg - Leitergasse
Greifswald Stadtansicht
Kaiser Otto I. und Gemahlin
Wismar, Stadtansicht
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