Die feindlichen Elemente. 1291 und 1302.

Aber noch zweimal kam das Kloster zu Doberan in große Gefahr. Es schien, als ob auch die von den Heiden angebeteten Naturelemente sich verschworen hätten gegen das unermüdlich arbeitende und vorwärtsdringende Christentum. Am Himmelfahrtsabend des Jahres 1291 schlug ein Blitzstrahl in die Doberaner Niederlassung und setzte die Klostergebäude in Flammen. Menschenhände kämpften vergebens gegen das furchtbar wütende Element. Auch die Kirche wurde getroffen und brannte nach kaum sechzigjährigem Bestande bis auf die Ringmauern nieder. Was in einem Jahrhundert erwachsen war, wurde in einer Nacht wieder zerstört. Alle Arbeit und Kunst der frommen Mönche wurde ein Raub der Flammen. Doch ein süßer Trost ist ihnen geblieben, Menschenleben scheinen wenigstens nicht umgekommen zu sein. Und rüstig greifen die unermüdlichen Zisterzienser wieder zu Hammer und Kelle, um herrlicher als je die neuen Gebäude erstehen zu lassen. Der Fortschritt im Ziegelbau entfaltet sich weiter und erreicht in der neuen Kirche den ,,Punkt der zartesten Blüte“.
Nicht lange darnach kommt ein anderes der Elemente, die das Gebilde von Menschenhand hassen. Es ist das Wasser. Tagelang hat ein heftiger Wind aus Nordosten geweht und ungeheure Wassermassen der Ostsee in ihrem westlichen Teile zusammengehäuft. Da springt plötzlich der Wind nach Nordwesten um und treibt nun das viele Wasser mit furchtbarer Gewalt gegen die niedrige Küste. Das ganze Flachgebiet wird überschwemmt, und gierig lecken die ersten Wellen schon am Klosterhofe. Da werden vom Abte Betstunden angeordnet. Der oberste Schirmherr wird zu Hilfe gerufen. Und siehe da, er hilft! In einer Nacht entsteht auf das Gebet der Mönche längs der Küste ein hoher, fester Wall aus Steinen, der Heilige Damm, und zwingt das ungestüme Meer in seine Grenzen zurück. Im Binnenlande bildet sich, nahe der Küste, ein kleiner fischreicher See, der Conventer-See. - Das mag zum Teil eine fromme Legende sein, aber genannt wird uns als Jahr der großen Flut: 1302.
Dass übrigens das Wasser der Ostsee früher viel näher an Doberan herangereicht hat, scheint ein in der Rethwischer Wiesenniederung gefundener Schiffsanker zu beweisen, den man in einem Mauerpfeiler der Kirche angebracht und verwandt hat. Außerdem meldet uns eine alte Urkunde, dass Heinrich Borwin II., der als Mitregent seines Vaters von 1219 bis 1226 in Rostock regierte, den Flussarm, der bei der Stadt Schwaan sich von der Warnow abzweigte und in nordwestlicher Richtung an Groß-Grenz, Stäbelow, Parkentin, Doberan, Bollhagen, Fulgen vorüber bei Brunshaupten in die Ostsee floss, zuschütten ließ, um den Bewohnern Rostocks die Schifffahrt zu erleichtern und ihnen mehr Handel und Verkehr zuzuwenden. Alle Wassermassen der Warnow mussten nun an Rostock vorüberfließen, so dass die Schiffe bequem die Handelsstadt erreichen und ihre Ladungen löschen konnten. Heinrich Borwin II. sorgte wie ein guter Hausvater zunächst für den Bezirk, für den sein Vater ihn als Mitregenten gesetzt hatte. Hätte er den andern Arm der Warnow, der nach Rostock geht, zuschütten und jenen über Stäbelow und Parkentin ausbaggern lassen, so wäre die Handelsentwickelung wohl einen anderen Weg gegangen. Dann wäre Doberan vielleicht heute die große Hansestadt gewesen, und Rostock etwa eine Kleinstadt, nicht viel größer als Doberan oder Schwaan. Das Doberaner Kloster hatte wahrhaftig schon, wie wir noch sehen werden, die besten Ansätze zu einem umfangreichen und ausgedehnten Seehandel gemacht, der nun tatsächlich lahmgelegt wurde. ,,Das ist gewiss“, so schreibt Schröder etwa um 1780 in seinem Papistischen Mecklenburg, ,,dass ehedem ein großer Kanal ohnweit Doberan ins Land gegangen ist. Die Situation giebet es auch; und es ist merkwürdig, dass auf dem Bernerschen Gut Neuhof (bei Parkentin) beim Graben in der Wiese sich ein Mastbaum gefunden, der aufrecht gestanden, welchem man zwar erstlich nachgegraben, aber doch endlich wegen des zudringenden Wassers hat abhauen müssen. Kurz hinter Doberan in dem Morast hat man vor wenig Jahren eine ganze puppim navis (Schiffshinterteil) ausgegraben. Der Kanal geht auf Parkentin und Stäbelow zu, von welchen man diesen alten Reim anführt:
,,Stäbelow und Parkentin
Willen ok Hansestädte sin.“
So ganz von ungefähr und nichts als Spott kann dieser Vers sicherlich nicht sein. Die Verbindung des Tals bei Stäbelow und Parkentin mit der Warnow wird allgemein als richtig angenommen, auch von der Wissenschaft; die Verbindung mit der Ostsee dagegen stößt teilweise auf Widerspruch. Doch wenn man die Niederung von Doberan über die drei Bollhagen bis Fulgen-Brunshaupten betrachtet, so ist der Flusslauf ganz unverkennbar, richtige Uferböschungen sind stellenweise noch vorhanden. Und im Brunshauptener Torfmoor hat man vor vielen Jahren ebenfalls ein eichenes Boot ausgegraben und Anker und Ankerketten gefunden. Darnach können also Stäbelow und Parkentin wohl an einem größeren Flussarm oder Kanal, wie Schröder sich ausdrückt, gelegen haben.
Doberan hatte von dieser Maßnahme Borwins II. nur Nachteile. Gegen das Meer richteten Gottes Allmachtshände einen Schutzdamm auf; hier hatten Menschenhände nicht nur eine Entwicklungsmöglichkeit unterbunden, die in ihren Endzielen gar nicht abzusehen war, sondern dem Kloster auch noch neben seinen sonst schon feuchten und sumpfigen Bodenverhältnissen den stillgelegten Warnowlauf mit seiner niedrigen Senke hinterlassen. Dieses nutzlose Gebiet hatte man sozusagen den Zisterziensern vermacht. - Aber hier zeigt sich nun die Unverdrossenheit und Geschicklichkeit der Mönche in ihrem hellsten Lichte. Statt zu klagen und zu verzweifeln, legten sie flugs die Hände ans Werk zu einer großartigen Entwässerung. Sie ließen sich ihre Lehrmeister aus Flandern kommen, die ähnliche Gegenden und Verhältnisse bezwungen hatten. Durch die tiefsten Stellen des Gebiets zog man breite, bis auf den sandigen Untergrund hinabreichende Gräben, die von mehreren Quergräben geschnitten wurden. Das Gefälle der zulaufenden Bäche war stark genug, dass das angesammelte Wasser an verschiedenen Stellen zusammenlaufen und in die große See abfließen konnte. Das Land wurde trockengelegt. Ein ganzes Bach- und Grabennetz kennzeichnet noch heute die Doberaner Niederung. ,,Dreibäke“ heißt die Stelle hinter der nördlichen Klostermauer im Volksmund, wo drei Wasserarme zusammenfließen und ihre Fluten gemeinsam dem Meere zuführen. Ein anderer größerer Bach folgt schon von Schwaan her dem alten Lauf der Warnow und trägt gleichfalls absickernde Wassermassen dieses Gebietes von dannen. Das ist Doberans älteste Wasserleitung, die als ein Wunderwerk der damaligen Technik angesprochen zu werden verdient.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Geschichte von Doberan-Heiligendamm.