Athur Schopenhauer über die Polygamie.

der Medaille, die aber keineswegs die schönere ist.

Dass viele Frauen nicht heiraten, weil sie nicht heiraten können, weiß Jeder. Verbietet ihr ja schon die Sitte sich anzubieten, sie muss sich freien d. h. wählen lassen, sie selbst darf nicht freien; findet sich Keiner, der sie freien will, so tritt sie zu der großen Armee jener Armen, die ihren Lebenszweck verfehlt, und Mangels eines sicheren materiellen Bodens auch der Not und dem Elend und oft genug dem Spott Preis gegeben sind. Die wenigsten Menschen wissen woher dieses Missverhältnis der Geschlechter entsteht, kennen auch nicht seine wahre Größe. Die Meisten sind rasch mit der Antwort zur Hand: es werden zu viel Mädchen geboren, und manche schließen daraus weiter, dass wenn der Lebenszweck der Frau die Ehe sei, die Polygamie (Vielweiberei) eingeführt werden müsse. Diejenigen, die behaupten, es würden mehr Mädchen als Knaben geboren, sind falsch unterrichtet. Und diejenigen, welche, weil sie die Unnatur der Ehelosigkeit zugeben müssen und eine so große Zahl unverheirateter Frauen sehen, auf den Gedanken kommen, dass dann wohl oder übel, nichts anderes übrig bleibe als die Polygamie einzuführen, übersehen die wahre Natur der Verhältnisse. Ganz abgesehen einmal von unsern sittlichen Anschauungen, die sich nie mit der Polygamie befreunden werden, weil sie für die Frau unter allen Umständen eine Herabwürdigung ist — was allerdings Schopenhauer, bei seiner Geringschätzung und Verachtung der Frau nicht abhält, rundweg zu erklären: „Für das weibliche Geschlecht im Ganzen ist Polygamie eine Wohltat“. Die Polygamie scheitert allein an den sozialen von der Natur gezogenen Hindernissen.




Viele Männer heiraten schon nicht, weil sie glauben nicht eine Frau entsprechend ernähren zu können; die allermeisten Verheirateten könnten aus dem gleichen Grunde keine zweite unterhalten und die Wenigen, die es könnten, kommen nicht in Betracht, auch haben diese schon häufig zwei und mehr Frauen; eine legitime und eine oder mehrere illegitime. Diese lassen sich weder durch das gesetzliche Verbot, noch durch die sittlichen Anschauungen abhalten zu tun, was sie gelüstet. Selbst im Morgenlande, wo die Polygamie durch Sitte und Gesetz seit Jahrtausenden eingeführt ist, haben die allerwenigsten Männer mehr als eine Frau. Man spricht so oft von dem entsittlichenden Einfluss des türkischen Haremslebens und der daraus folgenden Degeneration der Rasse. So weit dieses Leben geführt wird mit Recht. Aber man vergisst, dass dieses Haremsleben nur einem winzigen Bruchteil der männlichen Bevölkerung, und zwar ausschließlich der herrschenden Klasse möglich ist, während die Masse des übrigen Volks in derselben Einehe lebt, wie der Europäer. In Algier gab es Ende der Sechziger Jahre von 18.282 Ehen nicht weniger als 17.319 mit nur einer Frau, 888 mit zwei Frauen und nur 75 in denen mehr als zwei Frauen waren. Man darf annehmen, Konstantinopel, die Hauptstadt des türkischen Reichs, würde kein anderes Resultat ergeben und unter der türkischen Landbevölkerung würde sich das Verhältnis zu Gunsten der Einehe noch auffälliger gestalten. In der Türkei kommen eben auch die materiellen Verhältnisse in Betracht, so gut wie bei uns, und wenn diese nicht wären, die physische Unmöglichkeit, die fast gleiche Kopfzahl beider Geschlechter, die nur auf die Einehe hinweisen. Ich will das näher dartun.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frau und der Sozialismus.