Die Vorbildung der Frau für ihren Beruf als Mutter und Gattin.

Die schlimmen Wirkungen, welche insbesondere die Erziehung der Frau auf ihr eheliches Leben ausübt, sind keineswegs durch die bisherige Darlegung erschöpft. Alle Ärzte stimmen darin überein, dass die Vorbildung der Frau für ihren Beruf als Mutter und Gattin sehr viel zu wünschen übrig lässt. Neunzehntel der Jungfrauen, die überhaupt zu heiraten Gelegenheit haben, treten mit einer vollkommenen Unwissenheit über die Mutterschaft und ihre Pflichten in die Ehe. Die schon mehrfach gekennzeichnete unverantwortliche Scheu, selbst der Mütter, mit der erwachsenen Tochter über die so wichtigen geschlechtlichen Funktionen zu sprechen, lässt diese über die Pflichten gegen sich selbst und ihren künftigen Gatten in der schwärzesten Unwissenheit. Tritt die Jungfrau in die Ehe, so betritt sie ein ihr vollkommen fremdes Gebiet; sie hat sich in ihrer Art ein Phantasiegemälde gemacht und zwar meist nur aus Romanen, und zwar häufig aus solchen nicht der empfehlenswertesten Art, das zu der Wirklichkeit passt wie die Faust aufs Auge. Von den mangelnden Wirtschaftskenntnissen, die doch, wie die Dinge liegen, sehr notwendig sind, wenn auch viele früher der Frau als selbstverständlich zugefallene Tätigkeiten, aus teilweise dargelegten Ursachen, ihr abgenommen wurden, will ich nur andeutungsweise sprechen. Unbestreitbare Tatsache ist, dass viele Frauen, oft allerdings ohne ihr Verschulden, weil die Sorgen für die Existenz sie in allerlei Stellungen zwingen, in die Ehe treten ohne die geringste Kenntnis ihrer wirtschaftlichen Pflichten, wodurch häufig der Grund zu Zerwürfnissen gelegt wird.



Eine andere Ursache, welche den Ehezweck für nicht wenige Männer geradezu vernichtet, liegt in der physischen Entwickelung so vieler Frauen. Neben der Unkenntnis über ihre geschlechtlichen Pflichten schaffen die verkehrte Erziehung oder die traurigen sozialen Verhältnisse (Lebensweise, Wohnung, Beschäftigung) oder alles zusammen weibliche Wesen, die den physischen Pflichten, welche die Ehe ihnen auferlegt, nicht gewachsen sind. Sie sind körperlich schwach, blutarm, bis zum extrem nervös. Die Folgen sind Menstruationsbeschwerden, Krankheiten der verschiedensten Organe, die mit dem Geschlechtszweck in Verbindung stehen, und sich bis zur Unfähigkeit oder Lebensgefährlichkeit Kinder zu gebären oder zu säugen, steigern. Statt einer gesunden heiteren Gefährtin, einer fähigen Mutter, einer ihren häuslichen Obliegenheiten nachkommenden sorgsamen Gattin, hat der Mann eine kranke, nervös aufgeregte Frau, bei welcher der Arzt nicht aus dem Hause kommt und die keinen Luftzug und nicht das geringste Geräusch vertragen kann. Ich will mich nicht weiter über diesen Gegenstand verbreiten, jeder Leser — und so oft ich in dieser Schrift vom Leser spreche, meine ich auch selbstverständlich die Leserin — wird sich das Bild weiter ausmalen können, da er in seinem eignen Bekanntenkreise die Beispiele vor sich hat. Denn wie erfahrene Ärzte versichern, ist es die größere Hälfte der Ehefrauen, namentlich in den Städten, die mehr oder weniger in anormalen Zuständen sind. Je nach dem Grade dieser Übel und dem Charakter der beiden Eheleute, werden solche Verbindungen unglückliche sein und geben dem Manne in der öffentlichen Meinung das Recht, sich dafür größere außereheliche Freiheiten erlauben zu dürfen, deren Kenntnis bei der Frau, ihre Stimmung und ihr Glück nicht heben. Für Ausschreitungen der letzteren Art bei dem Manne kommt auch nicht selten die Vernachlässigung des Äußeren durch die Frau in Betracht. Manchmal präsentiert sich eine Frau, sei es aus anerzogener Nachlässigkeit oder wegen überhäufter häuslicher Arbeiten, oder weil sie glaubt in der Ehe keine Rücksichten mehr auf den Mann nötig zu haben, in einer Weise, die selbst auf den pflichttreuesten Ehemann das Gegenteil von Reiz ausübt, und so bleibt der Sündenfall nicht aus. Auch geben manchmal die ganz verschiedenen geschlechtlichen Anforderungen eines Ehepaares Veranlassung zu tiefgehenden Differenzen, ohne dass heute die in einem solchen Falle so wünschbare Trennung aus allerlei Rücksichtsnahmen möglich wäre.

Wir haben bisher gesehen, welch eine große Menge der verschiedensten Ursachen tätig sind, um das heutige Eheleben in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht zu dem werden zu lassen, was es sein soll: ein Bund zweier nur durch gegenseitige Liebe und Achtung sich anziehender Menschen verschiedenen Geschlechts, die beide zusammen, nach dem schönen Ausspruche Kant’s, das ganze Menschenwesen bilden und ihrem Naturzweck gerecht zu werden suchen, indem sie für die Fortpflanzung des Menschengeschlechts und seine immer höhere Entwickelung sorgen.

Es ist also eine Anweisung von sehr zweifelhaftem Wert, wenn selbst sogenannte Gelehrte die Emanzipationsbestrebungen der Frauen damit abgetan glauben, dass sie die Frau auf die Häuslichkeit und die Ehe verweisen; auf diese Häuslichkeit und diese Ehe, die, wie gezeigt, durch unsere sozialen Zustände immer mehr zu einem Zerrbild wird und immer weniger ihrem wahren Zweck entspricht.



Aber ein solcher Hinweis, der von der Mehrzahl der Männer gedankenlos applaudiert wird, klingt wie der bitterste Hohn, wenn diese Gelehrten und die ihnen Beifall klatschenden Männer selbst nichts tun, um auch jeder Frau einen Mann zu verschaffen. Auch Schopenhauer, der berühmte Philosoph, hat für die Frau und ihre Stellung kein Verständnis. Seine Ausdrucksweise über sie ist zuweilen mehr als unhöflich, sie wird mitunter ordinär. So erklärt er: „Das Weib ist nicht zu großen Arbeiten berufen. Sein Charakteristikon ist nicht das Tun, sondern das Leiden. Es bezahlt die Lebensschuld durch die Wehen der Geburt, Sorge für das Kind, Unterwürfigkeit unter den Mann. Die heftigsten Äußerungen der Lebenskraft und Empfindung sind ihm versagt. Sein Leben soll stiller und unbedeutsamer sein als das des Mannes. Zur Pflegerin und Erzieherin der Kindheit ist das Weib berufen, weil es selbst kindisch, zeitlebens ein großes Kind bleibt, eine Art Mittelstufe zwischen Kind und Mann, welcher der eigentliche Mensch ist . . . Zur Häuslichkeit und zur Unterwürfigkeit sollen die Mädchen erzogen werden . . . Die Weiber sind die gründlichsten und unheilbarsten Philister.“

Ich stehe nicht an zu erklären, dass Schopenhauer in seiner Beurteilung der Frau, nach meiner Auffassung, kein Philosoph, aber selbst einer der gründlichsten Philister ist. Diese Sorte von Philosophie sucht man bei dem gewöhnlichsten Holzhacker, aber nicht bei einem Philosophen, der doch ein Weiser sein soll. Irre ich nicht, so war Schopenhauer nie verheiratet, er selbst hat also für sein Teil nicht dazu beigetragen, dass eine Frau die von ihm ihr zugeschriebene Lebensschuld erfüllen konnte. Und hier kommen wir zu der andern Seite der Medaille, die aber keineswegs die schönere ist.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frau und der Sozialismus.