Kapitel 6 - Die Insulaner

6. Die Insulaner.

In „Bachelors Hall“ ging's gar munter und lebhaft zu. – Um ein großes Feuer gelagert, das in dem breitmächtigen Kamine loderte, streckten und dehnten sich etwa ein Dutzend kräftiger Gestalten, und die dampfenden Blechbecher, die sie entweder in Händen hielten oder neben sich stehen hatten, kündeten deutlich genug, wie sie den verflossenen Theil der Nacht verbracht. Ihre Tracht war die gewöhnliche der Bootsleute am Mississippi, und Waffen trugen sie keine – wenigstens keine sichtbar. An den Wänden aber hingen neben den langen amerikanischen Büchsen kurze deutsche Stutzen, französische Schrotgewehre, Pistolen, Bowiemesser, spanische Dolche, Harpunen, Beile und Aexte in Ueberfluß, und aufgeschlungene Hängematten bewiesen, wie die Insassen dieser modernen Räuberburg sogar einen Theil des früheren Schiffslebens hier fortsetzten und, wenn auch auf festem Lande, dennoch den alten Gewohnheiten nicht ganz entsagen wollten.


Rohe Zech- und Liebeslieder tönten, doch immer nur mit halblauter Stimme, von den Lippen der Meisten, und während Einige sich noch außerdem damit beschäftigten, große Stücke Hirsch- und Truthahnfleisch an der Kamingluth zu schmoren, waren Andere emsig bemüht, mit Hacken und Zehen den Tact zu den reißend schnellen Tänzen zu schlagen, die ein breitschulteriger Neger mit ziemlich geübter Hand einer kreischenden, doch gedämpften Violine entlockte.

Da öffnete sich die Thür und den breiträndigen schwarzen Filzhut tief in die Augen gedrückt, den schlanken Körper mit einer langen Lootsenjacke und weiten Matrosenhosen bekleidet, trat eine hohe kräftige Gestalt in den Raum und überflog mit prüfendem Blick die Versammelten.

Es war Richard Kelly, der Capitain der Schaar, und so wild und trotzig diese dem Gesetz verfehmten Männer auch wohl sonst dreinschauen mochten, so hörten sie doch, in einem gewissen Grade von Ehrerbietung, vielleicht Furcht oder wenigstens Scheu, augenblicklich zu tanzen auf, als sie den Führer erkannten, und murrten auch nicht, da er nur mit leichtem Kopfnicken ihren laut gerufenen Gruß erwiderte. Schweigend beobachteten sie ihn, wie er zum Kamin ging und dort erst einige Minuten lang in die knisternde Gluth schaute, dann aber, die Hände auf den Rücken gelegt, mit schnellen Schritten auf- und abwanderte.

„Ist das Boot von Helena noch nicht zurück?“ wandte er sich endlich an Einen der Seinen, der gerade in der Thür erschien.

„Noch nicht, Sir,“ erwiderte dieser, „aber ich glaube, ich habe die Ruder gehört, als ich eben an den Snags stand und nach ihnen ausschaute. Ich wollte nur fragen, ob vielleicht etwas nach Mississippi hinüber zu besorgen ist, ehe wir das Boot wieder unten in Sicherheit bringen.“

„Das Boot mag gleich über den Snags, unter dem Platanenwinkel liegen bleiben,“ sagte Kelly und warf sich auf einen für ihn zum Kamin gerückten Stuhl – „die Pferde müssen noch heute Nacht von Arkansas kommen, denn Jones hat es uns fest versprochen, und nachher dürfen wir sie keinen Augenblick hier behalten. Drei von Euch sollen sie sofort nach Vicksburg schaffen. Das Uebrige werdet Ihr dort vom Constabler Brooks erfahren.“

„'s ist doch putzig,“ lachte der Eine der Männer, „wie wir die wohllöblichen Gerichtsbarkeiten an der Nase herumführen. Kaum eine Stadt giebt's hier, im ganzen Westen, wo nicht entweder Constabler oder Gefängnißwärter, Advocaten, oder selbst Postmeister und Friedensrichter unsere Verbündeten und Kameraden sind. Einen Mann in Mississippi oder Arkansas für ein begangenes Verbrechen in's Zuchthaus zu stecken, ist, wenn er zu uns gehört, gerade so gut, als ob man ihn begnadigte. Denkt Euch nur, Capitain, vor acht Tagen haben sie in Sinkville drüben den Tobi – den Einäugigen, sogar zum Staatsanwalt gemacht. Wenn ich nur einmal eine seiner Reden hören könnte!“

Des Capitains Züge überflog ein leichtes Lächeln, dann aber wandte er sich plötzlich an den Sprecher und sagte:

„Kommt, Blackfoot – ich habe etwas mit Euch zu bereden.“ Und ohne Dieses Antwort zu erwarten, schritt er rasch voran, dem freien, jetzt vom Mondlicht beschienenen Raume zu, der sich zwischen den Gebäuden und nur von wenigen niederen Bäumen beschattet ausdehnte.

„Ja, Blackfoot,“ sagte Kelly und blieb hier, den ihm Folgenden erwartend, stehen – „unsere Geschäfte gehen gut, aber – wir sind noch nicht genug auf einen letzten Fall vorbereitet. Zu Viele kennen unser Geheimniß, und wenn auch Verrath desselben schwierig und gefährlich sein mag, so ist er doch nicht unmöglich.“

„Ei zum Henker, was wollen sie uns denn eigentlich anhaben?“ hohnlachte der Andere. – „Und wenn sie wirklich das ganze Nest entdeckt hätten, Den möchte ich sehen, der uns lebendig finge.“

„Ist das Alles, was uns bedroht?“ frug der Führer – „und wäre das nicht etwa schon Verlust genug? – Ja ein unersetzlicher Verlust, wenn wir unseres Schlupfwinkels und mit ihm eines Zufluchtsortes beraubt würden, wie ihn die Vereinigten Staaten gar nicht wieder aufweisen können? Nein, Blackfoot, darauf dürfen wir nicht trotzen – ein solcher Fall träfe uns schlimmer als Gefangenschaft. Solcher könnte man sich allenfalls wieder entziehen; aber nie auf's Neue die Blicke der Nachbarn von dieser Insel ablenken, wenn sie einmal erst mit dem Innern derselben vertraut geworden. Doch wie dem auch sei, es ist unsere Pflicht, den schlimmsten Fall voraus zu bedenken und jede Vorkehrung zu treffen, die von uns getroffen werden kann.“

„Nun, haben wir nicht die Boote – nicht die weiter unten liegende kleine Insel? – Nicht die Hütte im Sumpfe drüben, wohin uns sogar Niemand folgen kann, wenn er nicht den ganz genauen und fast stets unter Wasser stehenden Pfad kennt?“

„Und dennoch genügt das Alles noch nicht,“ sagte Kelly, nahm bei diesen Worten den großen breiträndigen Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durch das lange, vom Nachtthau feuchte Haar.

Es war eine stattliche Gestalt, dieser Capitain der Flußpiraten; die dunkeln Locken umflatterten ihm wild die fein und hoch geformte Stirn; die großen schwarzen Augen, jetzt noch von einem kühnen Gedanken belebt, blitzten hell und feurig, und die Oberlippe warf er in Trotz und Hohn empor, während er fast mehr mit sich selbst redend, als zu dem Gefährten gewandt, nur halblaut vor sich hin murmelte:

„Sie sollen die trüben Augen vor Verwunderung aufreißen – sie sollen starren und staunen, wenn sie uns einmal recht fest und sicher zu haben glauben und nun – hahaha – ich sehe schon die dummen, verblüfften Gesichter – wie sie am Ufer stehen und uns nachstarren, und dann alle nur möglichen und erdenklichen Schlußfolgerungen ziehen, wie es hätte werden können, wenn sie nicht ganz so albern und kurzsichtig wie jetzt, oder doch überhaupt nur ein klein wenig anders, das heißt gescheidter, gehandelt hätten.“

„Aber was habt Ihr für einen Plan, darf man ihn nicht wissen?“ frug Blackfoot – eine grobknochige Gestalt und dem Führer treu ergeben. – „Ich kann mir gar nicht denken, was Euch auf einmal so merkwürdig im Kopfe herumgeht.“

„Was ich habe?“ sagte Kelly nach kurzer Pause – „Ihr sollt es wissen – ich fange an für unsere Sicherheit besorgt zu werden.“

„Was? – Ist ein Verräther unter uns? – Habt Ihr Verdacht, Capitain – heraus damit – wer ist die Canaille?“

„Nicht doch – nicht doch,“ sagte Kelly und blickte lächelnd auf das wilde und doch jetzt so ängstlich zu ihm aufgehobene Antlitz. – „Die Gefahr ist vorüber, aber so gut wie sie an einem Orte auftaucht, kann sie uns auch, unter gleichen Umständen, an einem andern bedrohen. Ihr wißt, daß Rowson in seiner Todesangst unser Geheimniß enthüllen wollte. – Ein Glück war es, daß theils die gänzliche Verdachtlosigkeit der Regulatoren, theils des Indianers Eile seinem Vorhaben entgegenarbeitete, aber – er hatte doch den Willen – es waren doch nur einzelne Umstände, die es verhinderten, daß er ihn auch ausführte. – Hätte er es gethan, unsere schöne Insel läge jetzt in Schutt und Asche, denn wenn wir selbst auch Zeit behalten haben würden, unser eigenes Leben in Sicherheit zu bringen, so wäre das auch das Einzige gewesen, was wir hätten retten können, und mit unseren Gütern sähen wir zugleich die Früchte dreijähriger harter Arbeit schwinden. Dem müssen wir begegnen; eine solche Gefahr darf uns nicht wieder bedrohen, ohne uns besser gerüstet zu finden.“

„Aber wie? – Was können wir thun?“ sagte Blackfoot sinnend.

„Viel – sehr viel – Alles, was in unseren Kräften steht. So dürfen wir von jetzt an das, was wir in New-Orleans für errungene Beute lösen, nicht mehr hier herauf schaffen. Wir sammeln am Ende nur für das Pack, was unser Nest ausstöbert. – Wir haben Verbündete in Houston in Texas – dorthin müssen wir alle erbeuteten Waaren senden. – Trifft uns dann hier Verrath, gut, so haben wir nicht allein einen Ort, wo uns der Lohn unserer Arbeiten erwartet, sondern auch ein Capital, mit dem wir wieder neu beginnen können – unternehmende Köpfe finden stets Arbeit. Aber selbst das genügt noch nicht – schneidet uns der Feind den südlichen Pfad nach den Booten ab, oder entdeckt er diese gar, so ist auch unser Leben bedroht, denn wenn wir uns wirklich im Fort kurze Zeit halten könnten, so müssen wir dennoch bald einer größeren Macht unterliegen.“

„Ja, aber – was läßt sich dagegen thun?“ brummte Blackfoot. „Die Geschichte spielt überdies schon drei Jahre, und es ahnt doch noch keine Katze, weder in Arkansas noch Mississippi, welche Gesellschaft hier ihr freundliches Ruheplätzchen hat.“

„Daß es uns drei Jahre so ruhig hingegangen ist,“ sagte der Führer ernst, „sollte uns gerade vorsichtig machen – wir haben die Beispiele an allen anderen solchen Unternehmungen erlebt. Außerdem hat unsere Gesellschaft im letzten Jahre eine Verbreitung erhalten, die es fast nicht mehr als Möglichkeit denken läßt, daß sie noch lange geheim bleiben kann. Unsere Agenten leben in allen Flußstädten der Vereinigten Staaten, und wie viele werden darunter sein, die, wie eben jener Rowson, im äußersten Fall auch zum äußersten Mittel greifen und die eigene Haut zuerst in Sicherheit bringen würden. Dem wollen wir vorbeugen. Noch giebt es eine Art, auf die wir uns jeder etwaigen Verfolgung entziehen, ja durch die wir einer jeden lachen können.“

„Und die wäre? –“ fragte Blackfoot halb ungläubig, aber gespannt.

„Ein Dampfboot,“ flüsterte der Führer und beobachtete in den Zügen seines Vertrauten den Eindruck, den solch ein Vorschlag auf ihn machen würde.

„Ein Dampfboot?“ wiederholte dieser, von der Kühnheit des Gedankens überrascht, „ha – das wäre nicht so übel – Pulver und Schwefel, da könnte man ja den Mississippi hinauf und direct in den Golf von Mexiko hinein brennen. Bei Gott, ein Dampfboot wollen wir haben, das ist ein capitaler Einfall – aber – sollen wir's kaufen? Oder – auf andere Art an uns bringen? Und wenn wir es haben, wie wird es möglich sein, es stets in unserer Nähe zu halten, was doch mit dem Zweck seiner Anschaffung unzertrennlich wäre? – Die Sache klingt vortrefflich, aber – wenn man sie länger überlegt, weiß ich doch nicht, wie sie in's Werk gesetzt werden kann.“

„Und dennoch ist es möglich,“ sagte Kelly – „Blackfoot – Ihr müßt der Capitain des Dampfbootes werden, und wir machen ein Packetboot daraus, das zwischen Memphis und Napoleon1 laufen mag. Das giebt uns zugleich Gelegenheit, die Leute in Thätigkeit zu erhalten und mit den Orten, wo die Unseren wohnen, in genauerer Verbindung zu bleiben. Dann bringt es schon unsere Paket-Linie mit sich, daß wir hier fortwährend in der Nähe sind, ja wir können sogar Tage und Wochen lang vor Anker liegen bleiben, und die vorbeifahrenden Boote werden glauben, wir hätten die Passage an der linken Seite der Insel versuchen wollen und wären auf den Sand gelaufen. – Die Bootsleute von Helena haben wohl ihr Fahrzeug gleich unter die Weiden geschafft?“ unterbrach er sich plötzlich selbst.

„Ja – Bolivar ist mit hinunter – sie wollen die Fähre zurückbringen, um die Pferde zu transportiren.“

„Ich wollte, Peter würde ein wenig vorsichtiger,“ – sagte der Capitain düster. – „Er ist sonst brav und brauchbar, sollte aber doch bedenken, daß er durch seine Tollheiten sich selbst noch einmal um den Hals und uns Andere in kaum geringere Verlegenheit bringen könnte.“

„Er bedenkt nicht gern,“ lachte Blackfoot, „denn Denkzeichen hat er doch wahrhaftig schon genug bekommen – der letzte Hieb durch's Gesicht war nicht von Stroh. – Aber um wieder auf unser Dampfboot zu kommen – wo kaufen wir das am besten, und wird es nicht überhaupt einen zu großen Riß in unsere Kasse machen?“

„In New-Orleans, oder noch besser in Cincinnati, glaub' ich – Geld ist genug da,“ erwiderte der Capitain. – „Nach erhaltenen Briefen bringt auch Teufels Bill, wie Ihr ihn immer nennt, ein reich beladenes Boot aus dem Wabasch heraus, auf dem sich besonders viel baares Geld befindet, und von Pittsburg, Cincinnati, Louisville, Shawneetown, Paduca, St. Louis und Memphis sind heute Briefe an mich gekommen, die alle das baldige Eintreffen herrlicher Beute verkünden. Wir wollen jetzt den Wachposten Abends doppelt ausstellen, daß wir nicht einmal das Signal versäumen. Die Nächte sind kurz, und vor Tage müssen wir das erbeutete Boot stets am linken Ufer und unter den Weiden haben, sonst könnte doch einmal ein vorbeifahrender Flatbooter Verdacht schöpfen.“

„Und wer soll den Ankauf eines Dampfbootes besorgen?“ frug Blackfoot. – „Wollt Ihr selbst stromauf gehen und es in einer der nordischen Städte erhandeln, oder soll das einem unserer Commissionäre überlassen bleiben?“

„Ich selbst würde gehen,“ sagte Kelly sinnend, „wenn nicht gerade in diesem Augenblick wichtige Verhältnisse meine Afmerksamkeit zu sehr in Anspruch nähmen – ich werde wahrscheinlich eine kleine Reise in das Innere des Landes machen müssen. Ist von Simrow noch immer keine Antwort eingetroffen?“

„Nein – sonderbarer Weise läßt er kein Wort von sich hören. – In Georgia steckt er noch, so viel weiß ich, und das Zeichen, was er uns kürzlich zukommen ließ, lautet günstig, sonst aber kann Niemand Auskunft über ihn geben.“

„In Georgia scheint er sehr thätig gewesen zu sein,“ erwiderte Kelly. – „Seit der Zeit muß er aber wohl glauben, er habe für sich allein gearbeitet und unsere Hülfe nur so lange benutzt, als er sie brauchte. Aber dagegen giebt es Mittel – wartet einmal – unsern kleinen amerikanischen Advocaten Broom kennt er ja wohl noch gar nicht?“

„Nein – ich glaube nicht. – Er kam erst vier Wochen später, als Jener uns verließ.“

„Gut – der soll hinüber – er mag eins von den Pferden reiten und kann es dort verkaufen. Den Brief, den er mitnehmen wird, will ich Euch morgen früh einhändigen. – Halt, daß ich's nicht vergesse – in den Sumpf müßt Ihr, ehe die Pferde abgehen, einen Boten schicken. – Waterford dort hatte andere Arbeit und möchte sonst nicht daheim sein. Sind die Bretter an die Landung geschafft?“

„Wie Ihr es angabt – es liegt Alles bereit – aber, was ich Euch fragen wollte, wie ist es denn mit dem Verkauf des Grundstücks in Helena gegangen? Ist unser neugebackener Erbe acceptirt worden?“

„Vortrefflich,“ lächelte Kelly – „wir können das Stück nächstens wiederholen – der Plan war herrlich – er hat viel Geld eingebracht.“

„Und schöpft man keinen Verdacht? Sind die Leute wirklich freundlich genug, zu glauben, daß Holk mit Mann und Maus versunken und seinen Tod unseren Sündenböcken, den Snags, zu danken habe?“

„Gewiß denken sie's“ – sagte Kelly verächtlich – „das Volk drüben wollte ich glauben machen, der Himmel sei nur blau angestrichene Wachsleinwand, und die Erde ein Futteral, alte Gebeine aufzubewahren.“

„Hahaha“ – lachte der Gauner – „ein göttlicher Spaß das. Es soll mich auch wundern, wie wir die drei letzten Boote in New-Orleans verkauft haben. – Wir hätten sie übrigens doch anmalen sollen, der Teufel könnte einmal sein Spiel haben.“

„Ja – es soll auch künftig geschehen,“ sagte Kelly sinnend, „Farbe habe ich schon gestern herüberschaffen lassen. Das nächste jedoch, was wir nehmen, mag, wenn die Ladung werthvoll genug ist, ebenfalls nach New-Orleans geschafft werden. – Hier ist die Adresse des Kaufmanns, der die Spedition der Güter besorgt.“

„Wer geht da von unseren Leuten mit?“

„Schickt, wen Ihr wollt, nur den Neger nicht, den können wir hier besser gebrauchen, und halt – noch Eins – in Helena ist gestern ein Mann angekommen, der nach Little Rock will, um das Land zu kaufen, was uns hier gerade gegenüber in Arkansas liegt. Er wird morgen früh von Helena aufbrechen und reitet einen Schimmel –“

„Ist er allein?“

„Nein – der Mailrider ist bei ihm und wird das Uebrige besorgen. Bis Strongs Postoffice müssen die Beiden aber zusammen reiten. – Der Fremde wird dort nicht übernachten, weil es ihm zu theuer ist – er will noch das drei Meilen von Strongs entfernte Haus erreichen. – Etwa zwei Meilen von Strongs auf der rechten Seite könnte er vielleicht ein Licht sehen – Ihr versteht mich.“

„Schon gut – ich glaube nicht, daß wir auf dem Lande drüben belästigt werden. – Was soll aber mit dem Mädchen geschehen, das die Burschen gestern eingebracht haben – es ist ganz wie von Sinnen. Ich glaube, das Ding ist verrückt geworden.“

„Die Pest – wer hieß Euch die Dirne an Land nehmen,“ rief Kelly, unwillig dabei mit dem Fuße stampfend – „gab ich nicht dem Kentuckier ganz bestimmte Befehle, sie bei Seite zu schaffen? Der Bursche wird mir zu eigenwillig – ich fürchte –“

„Ich trau' ihm auch nicht recht!“ flüsterte Blackfoot, „Bolivar hat mich neulich auf ein paar Sachen aufmerksam gemacht, die mir gar nicht recht gefallen –“

„Der Neger hat ein gutes Auge – er soll schärfer auf ihn Acht haben – sind die beiden entladenen Boote versenkt?“

„Ja – ich habe sie ein paar Meilen stromab ge schickt – es werden sonst zu viel hier in der Nähe.“

„Recht so – gut wär's vielleicht, die Trümmer von einem oder zweien dicht an der kleinen Insel hier unten zu zeigen – das schreckt Andere vom Landen zurück.“

„Von dem Dampfboot sagen wir auf der Insel noch nichts?“

„Wir werden's nicht wohl verheimlichen können,“ meinte Kelly nach kurzer Pause. – „Es muß gemeinschaftlich bezahlt werden, und da wollen wir uns auch gemeinschaftlich darüber berathen. Wo ist denn das eingebrachte Mädchen jetzt?“

„Es war in Nr. 2, hier gleich oben,“ brummte Blackfoot, „aber – Mrs. Kelly – hatte Mitleiden mit dem armen Dinge und – nahm es zu sich.“

„Was? Georgine hat die Dirne in's Haus genommen?“ zürnte der Capitain – „ei Höll' und Teufel – sie weiß doch, daß ich das nicht leiden kann. – Sie muß fort – sie muß augenblicklich fort, Blackfoot. Du wirst mir Bolivar herschicken – es sind überdies zu viel Frauen hier – giebt es Etwas, was mich um unsere Sicherheit beben macht, so ist es das. Unsere Gesetze bestimmen sogar, daß nur zwölf Weiber auf der Insel bleiben sollen, und diese Gefangene ist die achtzehnte.“

Der Capitain ging mit festverschlungenen Armen und zusammengebissenen Lippen schnellen Schrittes vor der Thür der Halle hin und her, aus der jetzt wieder die leisen Töne der Violine herausschallten. Seine Aufmerksamkeit ward aber bald den von Helena kommenden Bootsleuten zugewandt, die in diesem Augenblicke, Einer hinter dem Andern, den schmalen Pfad heran kamen und, in das geöffnete Thor gelassen, hier ihren Führer begrüßten. Dieser aber, ohne den Gruß mit Wort oder Blick zu erwidern, frug nur ernst und fast unwillig:

„Wo sind die Briefe?“

„Hier, Capitain,“ sagte Peter oder der Narbige, unter welchem Namen er schon bei dem Leser eingeführt wurde – „den Brief hier gab mir der Postmeister noch zwei Minuten vorher, ehe wir abfuhren.“

Kelly nahm die Papiere an sich und schritt gegen seine eigene, dicht am Waarenhause liegende Wohnung zu; ehe er diese aber erreichte, blieb er noch einmal stehen und sagte, zu Blackfoot gewandt:

„Den Neger schickt Ihr mir, und sollten von Arkansas die Pferde noch in dieser Nacht eintreffen, so laßt sie die Nacht ruhen. Morgen früh aber, sobald sie Kräfte genug haben, eine neue Reise anzutreten, müssen zwei von Euch in das Innere gen Osten aufbrechen. Ist Sander nicht mitgekommen?“

Ein junger schlanker Mann mit langen blonden Haaren und blauen Augen, der, wenn ihn nicht jetzt der schwerfällige, trunkene Blick entstellt hätte, für schön hätte gelten können, schwankte vor und sagte lallend:

„Capitain Kelly – j'ai l'honneur – ich – ich habe die – habe die Ehre –“

„Schon gut, Sander – leg' Dich hin und schlaf aus, ich brauche Dich morgen früh nothwendig – also gute Nacht.“ – Und ohne weiter eine Erwiderung seiner Worte abzuwarten, schritt er zum Hause, in dessen Thür er verschwand.

Die übrigen Männer blieben noch eine Weile in dem innern Hofraume stehen, und Sander, der augenscheinlich an diesem Abend des Guten zu viel gethan, murmelte halblaut vor sich hin, während er die Hände tief in die Taschen schob und der „Bachelors Hall“ zuschwankte:

„Verdammt kaltblütig das von Kelly – ich brauche Dich morgen früh nothwendig – so, Capitain? Wirklich?“ Er wandte den Kopf und starrte mit seinem glanzlosen, halbtrunkenen Blick nach dem hellen Lichtschein hinüber, der durch jenes dicht verhangene Fenster fiel – „so, Sir? Brauchen mich morgen früh nothwendig – o ja wohl, Sir, soll wohl wieder einem armen unglücklichen Mädchen – unglücklichen Mädchen den Kopf verdrehen und das Herz brechen? Ah! Schöne Beschäftigung das! Außerordentliche schöne Beschäftigung, aber damn me – ich wünschte der Dame erst vorgestellt zu werden, Gentlemen. Es giebt Momente, Gentlemen –“

„Kommt, Sander!“ sagte Blackfoot und nahm ihn ohne weitere Umstände beim Arm – „wir sind Beide müde und wollen zu Bette gehen – Donnerwetter, Mann, bedenkt, daß Ihr sonst morgen verschlafene und trübe Augen habt, und bei den Damen leicht Verdacht erregen könntet, Ihr – hättet geschwärmt.“

„Ah – certainement, mom cher Blackfutt – certainement“ – lallte der junge Stutzer – „en avant denn – zu Bett wir – wir Herzensbezwinger wir – Gott Amor soll leben, Blackfutt – Gott Amor soll leben und jedes schöne Gesicht – jede Engelsphysiognomie; aber – Du nimmst mir das nicht übel, Blackfoot, wie? – à bas mit allen solchen Teufelsfratzen, wie Ihr Zwei, Du und Peter, zwischen Euren beiden Ohren herumtragt – à bas sag' ich – möchte nicht aus solchem Angesicht herausgucken, und wenn die Haut Millionen zu verzehren hätte – möchte bei Gott nicht.“

„Schon gut,“ knurrte Blackfoot, und ein boshaftes Lachen zuckte um seine Lippen – „es können nicht Alle solche – Liebchen sein wie Ihr. – Aber kommt – ich bin müde – wir wollen uns hinlegen – vielleicht giebt's morgen früh wieder Arbeit.“ Und ohne weiter eine Antwort des immer noch mit sich selbst Redenden und Gesticulirenden abzuwarten, zog er dessen Arm fest in den seinigen und schritt der eigenen Schlafstelle zu. Er wollte den trunkenen Kameraden erst, durch seine eigene Gesellschaft beruhigt, eingeschlafen wissen, damit dieser nicht auf's Neue dem Becher zuspräche und für morgen ganz untauglich würde.

Fußnoten

1 Memphis, eine der Hauptstädte in Tennessee, an der Mündung des Wolfriver, hundertunddrei englische Meilen oberhalb Nr. „Einundsechzig“ – Napoleon, ein kleines Städtchen an der Mündung des Arkansas, siebenundsechzig Meilen unter der Insel.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi