Kapitel 13 - Die Verfolgung.

13. Die Verfolgung.

Die Männer schritten jetzt vorsichtig am Bache hinauf; der alte Lively und Cook mit Bohs am westlichen oder linken Ufer, von der Quelle aus, und James und Sander am östlichen, den Bergen am nächsten. Bohs schien übrigens jeden Gedanken an Jagd aufgegeben zu haben. Immer wieder von Neuem angetrieben, Fährten und Spuren zu suchen, wo auch kein Zeichen irgend eines lebendigen Wesens zu finden war – kleinere Wildfährten vielleicht ausgenommen, die er aber gründlich verachtete – und noch dazu in einer Gegend, in der sich größeres Wild nie aufhielt, hatte er jede Lust an der Sache verloren, ließ den Schwanz hängen und schlenderte verdrossen hinterdrein.


„Auf den Hund dürfen wir nicht weiter rechnen,“ sagte endlich Sander zu James, als er mit diesem mehrere hundert Schritt über starre Felsblöcke hinweggeklettert war und nun von einer etwas vorragenden Bergspitze nach den beiden anderen Männern und Bohs hinüberblickte – „er sieht gerade so aus, als ob er eben einschlafen wollte.“

„Laßt uns nur das mindeste Verdächtige finden,“ erwiderte James, „und er ist wieder Feuer und Flamme. – Mit uns Menschen ist's ja auch so. Bei erfolgloser Jagd werden wir müde und matt, und haben in demselben Augenblick jedes Gefühl von Schwäche vergessen, wo wir nur das Laub rascheln hören, oder gewisse Anzeichen von der Nähe der ersehnten Beute finden – das ist mir ja schon tausendmal selber begegnet.“

„Ich begreife aber wirklich nicht, wo wir etwas Verdächtiges finden sollen,“ brummte Sander. „Hier könnte eine ganze Armee marschirt sein, und in den umhergestreuten Steinen und Felsstücken wäre es nicht möglich, eine Spur zu erkennen.“

„Meinen Sie?“ sagte James, und ein triumphirendes Lächeln zuckte um seine Lippen – „ja ja, im Walde sind die Herren aus der Stadt gewöhnlich so im Trüben wie –“

„Die Herren aus dem Walde in der Stadt,“ spöttelte Sander, mit einem etwas boshaften Seitenblick. James mochte auch fühlen, daß er Recht hatte, denn er wurde feuerroth, warf aber die Büchse, über deren Kolben seine linke Hand herabhing und sie im Gleichgewicht hielt, über die Schulter und zeigte jetzt vor sich zwischen die Steine nieder.

„Für was halten Sie das hier?“

„Das?“ sagte Sander und bog sich zu der bezeichneten Stelle aufmerksam nieder – „das? ei nun, das ist gar nichts, als etwas Laub und sehr viel Steine, mit ein paar spärlichen Grashalmen dazwischen.“

„Und doch ist vor kaum einer Viertelstunde ein Hirsch zwischen eben diese Steine hineingetreten,“ erwiderte James.

„Aber woran sehen Sie das? Ich kann auch nicht das Mindeste erkennen, das eine solche Vermuthung bestätigte.“

„Wirklich nicht?“ sagte der Jäger, indem er sich noch weiter zu der bezeichneten Stelle niederbog, „so will ich Ihnen hier den Beweis geben, daß wir eine solche Verfolgung nicht unternommen haben, ohne im Stande zu sein, sie auszuführen. Sehen Sie, wie der eine kleinere Stein hier etwas zur Seite geschoben ist? – zwar nur ein wenig, der schmale Streifen läßt sich aber deutlich auf dem feuchteren Grunde erkennen. – Dort – gerade an dem grauen Moos nieder, hat die Schale gescheuert, und hier unten ist auch noch zum Ueberfluß der Eindruck der Spitze – aber ha – was ist das? – so wahr ich lebe –“

„Nun?“ frug Sander erstaunt, „was sehen Sie denn da Besonderes auf der Steinplatte? Wenn der Bursche keine Meißel unter den Füßen gehabt hat, so kann er doch dort unmöglich eine Spur hinterlassen haben.“

„Habt Ihr etwas gefunden, James?“ rief jetzt Cook von drüben herüber.

„Kommt her und seht selber,“ sagte dieser – „hier ist etwas, das auf jeden Fall Beachtung verdient.“

In wenigen Secunden waren die Uebrigen an seiner Seite, und blickten jetzt forschend und gespannt umher.

„Wann hat es zum letzten Mal geregnet?“ frug James.

„Vorgestern Abend,“ sagte der Greis.

„Und glaubt Ihr, daß sich seit vorgestern Nacht dieses Wasser hier auf dem Steine gehalten haben könnte?“ fuhr James fort, und deutete auf eine, dicht vor ihm befindliche Stelle der Felsplatte – „hätte der Wind dies hier nicht schon lange auftrocknen müssen?“

„Der Wind kann es ja gerade aufgetrocknet haben,“ sagte Sander – „und das, was wir hier sehen, sind nur noch die Ueberreste.“

„Nein, das ist nicht möglich!“ rief der alte Lively – „gerade hier ist dieser Stein etwas abschüssig, und der Regen hätte ablaufen und sich hier unten sammeln müssen; diese tiefe Stelle aber ist trocken. – Beim ewigen Gott, wir sind auf der rechten Spur.“

„Ja, wahrhaftig!“ rief Cook freudig – „das muß die Stelle sein, wo der Flüchtling den Bach verlassen hat und wo das von seinen Füßen abträufelnde Wasser noch nicht die Zeit hatte zu trocknen.“

„Das war mein erster Gedanke,“ bestätigte James, „und nun, Cook, laßt uns sehen, ob Euer Bohs auch nur einen Pflaumenkern werth ist. Wir sind die ganze Nacht umhergerannt, und er muß wissen, daß wir etwas suchen. – Bringt ihn also auf die Spur und seht, was er sagt.“

„Bohs,“ rief Cook den Hund an -“Bohs – komm her, Alter – was hältst Du von der Fährte hier? Such', mein Hund – such' – und nimm Dich zusammen, mein Bursche.“

Bohs gehorchte zwar der Aufforderung, schien aber sonst ungemein wenig Lust zu haben, sich irgend weiter zu bemühen. Seine Meinung war in dieser Nacht schon zu oft befragt worden, als daß er darin etwas besonders Ehrenvolles oder Außerordentliches hätte sehen können, und mit schwerfälligen, langsamen Schritten stieg er auf die höher liegende Felsplatte hinauf, ohne sich auch nur die Mühe zu nehmen, die Nase auf den Boden zu halten.

„Nun seh Einer das faule Vieh an!“ rief James unwillig; „mich wundert's nur, daß die Bestie überhaupt noch die Beine hebt. Ich legte mich doch lieber gleich nieder und – ha – jetzt wittert er etwas.“

Bohs schien in der That plötzlich auf andere Gedanken zu kommen, denn er blieb stehen, spitzte die Ohren, blickte rechts und links mit schnellen, lebhaften Geberden umher, und jetzt, als er noch einmal den Stein, auf dem er stand, berochen hatte, sträubten sich seine Haare – er knurrte leise und schaute, mit dem Schwanze wedelnd, zu seinem Herrn auf.

„Das muß ein Wolf gewesen sein,“ sagte James unmuthig.

„Ein Wolf oder Neger!“ rief Cook – „er zeigt beide auf gleiche Art an.“

„Ein Neger? Dann wahrhaftig ist's der vom Fourche la fave entflohene Mulatte, und er soll uns nicht mehr entgehen. Zum Henker mit ihm, es ist Zeit, daß wir ihm das Handwerk legen. Was sagt der Hund?“

Bohs sah mit seinen klugen Augen fragend zu dem Herrn empor, und als dieser ihm schmeichelnd den breiten Nacken streichelte und ihn ermunterte, der Spur zu folgen, wedelte er aus Leibeskräften mit dem Schwanze, um vor allen Dingen seine unbedingte Bereitwilligkeit auszudrücken, dem Befehl Folge zu leisten. Dann aber wies er knurrend die Zähne, ging ein paar Mal mit majestätischen Schritten um den Stein herum und stieg nun, die Nase dicht am Boden, langsam den steilen Gebirgsrücken, an dessen Fuß sie standen, hinauf.

Cook's Jagdruf brachte den Sohn mit den Pferden zur Stelle und feuerte zugleich den treuen Hund an. Die Männer sprangen in die Sättel, und fort ging's, dem Führer nach, der nur im Anfang manchmal stehen blieb, um die Jäger auch nachkommen zu lassen, diese aber kaum beritten sah, als er mit fröhlichem, halblautem Gebell einige gar wunderseltsame Luftsprünge ausführte und dann in langgestrecktem Trabe schnell und sicher der Bahn folgte.

Die Reiter blieben ihm, da der Wald hier nicht sehr verwachsen war, dicht auf den Hacken, und Bohs, der im Anfang in ziemlich gerader Richtung den Berg hinanklomm, folgte jetzt dem Gipfel desselben, der sich, von Nordwest nach Südosten laufend, aus dem Innern des Landes kommend, zum Mississippi hinabzog. Sander wollte nun hiergegen allerdings Einwendungen machen, und behauptete, der Hund müsse sich irren, der Flüchtling sei gewiß eher waldeinwärts als dem ziemlich dicht besiedelten Flußufer zu geflohen; Cook dagegen meinte lächelnd, er solle seinen Hund nur gehen lassen, der wisse, was er wolle, und werde sie wahrhaftig nicht auf der Rückfährte fortnehmen. Das geübte Auge des Waldbewohners hatte indessen auch selbst auf weicheren Stellen des Bodens mehrere Fußstapfen gefunden, die unstreitig von dem Flüchtling hinterlassen waren und ihn ebenfalls nicht mehr über die von ihm genommene Richtung in Zweifel ließen.

Plötzlich hielt Bohs, suchte rings auf dem Boden umher und schien dann die Männer erwarten zu wollen. Diese, die bis dahin weniger auf den Hund geachtet, als den Wald selbst im Auge behalten hatten, um wo möglich selbst irgendwas zu erspähen und dann augenblicklich auf warmer Fährte nachsetzen zu können, langten bald an der Stelle an, wo der Rüde unschlüssig zu werden schien, und fanden hier die deutlichen Spuren eines noch nicht lange verlassenen und nur flüchtig benutzten Lagers. Ein kleines Feuer hatte hier gebrannt, und herumliegende Federn und Knochen, wie spitzig zugeschnittene Hölzchen bewiesen deutlich genug, daß hier ein Truthahn überrascht, erlegt und auch theilweise gleich verzehrt worden war.

„Beim Himmel, der hat sich's hier ordentlich bequem gemacht!“ lachte Cook; „daß wir aber den Schuß nicht gehört haben.“

„Wer weiß denn, wie weit der Bursche noch Vorsprung hat,“ erwiderte James; „das Braten muß ihn aber auf jeden Fall aufgehalten haben; er kann gar nicht glauben, daß es irgend Jemandem eingefallen ist, ihm zu folgen. Nur vorwärts jetzt; wir dürfen die schöne, auf solche Art gewonnene Zeit nicht wieder durch Gassen und Plaudern vergeuden; Bohs wird ebenfalls ungeduldig.“

James hatte Recht, Bohs saß neben den halbverbrannten Kohlen, blickte winselnd zu seinen Herren auf und scharrte bald mit der rechten, bald mit der linken Vorderpfote, als ob er hätte sagen wollen: nun so kommt doch und guckt nicht die Asche und Knochen Stunden lang an. Cook war aber abgestiegen und rief jetzt, als er sich den Boden mehrere Minuten lang genau und aufmerksam betrachtet hatte:

„Hier sehe ich Spuren und möchte mein Pferd gegen ein Kaninchen verwetten, daß sie von zwei Menschen herrühren. Die eine ist die breite Fährte eines Schuhs, die andere der leichte runde Eindruck eines Moccasins. Der Schuh hat scharfe Hacken – sind die Beiden auf dem Bergrücken geblieben, wo sie allerdings am schnellsten fortkommen könnten, so brauchen wir den Hund gar nicht mehr, dem Schuh folg' ich mit bloßen Augen.“

Er hatte auch in der That nicht zu viel versprochen. Wieder im Sattel, ritt er, etwas vorgebeugt und die Augen fest auf den Boden geheftet, rasch voran, und da Bohs ebenfalls durch das schnellere Weiterrücken neue Anregung fand und eifriger suchte, so schien ihre Verfolgung jetzt das glücklichste Resultat zu versprechen. Trotz des Aufenthalts mußten die Flüchtlinge aber doch keine weitere Zeit verloren haben, denn eine volle Stunde waren sie noch, und zwar in ziemlich scharfem Trabe, auf den Fährten geblieben, ohne daß sie auch nur das Mindeste entdeckt hätten, als Bohs plötzlich stehen blieb, die Ohren spitzte, den Schwanz hoch und gerade emporhielt und mit leisem Knurren andeutete, daß er etwas sehr Verdächtiges bemerke.

Die Reiter hielten ihre Thiere augenblicklich an und spähten nach allen Richtungen umher. Da preßte Cook auf einmal dem seinigen wieder die Hacken in die Seite, stieß den Jagdschrei aus und rief den Gefährten zu:

„Dort laufen sie – vorwärts und fangt sie, todt oder lebendig!“

„Hurrah!“ jubelte James; „jetzt will ich doch einmal sehen, ob ich mir meine Kugeltasche nicht wieder holen kann, die Pest über die Schurken – hallo, wie sie auskratzen – hupih! ihr Hunde, das ist ein besseres Wild, als ob ihr einem alten Tatzensauger auf den Hacken wäret.“

Im vollen Rennen flogen die Pferde über den rauhen, steinigen Boden dahin, und wenn auch Sander nicht an solche Hetzen gewöhnt sein mochte, so ließ ihm schon das Thier, das er ritt, gar keine Zeit zu langen Betrachtungen. Im Gegentheil versuchte es fortwährend, und zwar keineswegs zur großen Zufriedenheit seines jetzigen Reiters, das erste zu sein. Nicht mit Unrecht fürchtete Sander nämlich, wenn er ein zu grimmer und eifriger Verfolger schien, etwas von dem Blei als Vorausbezahlung zu empfangen, was die Flüchtigen in letzter Nacht entwendet hatten. Er fand jedoch bald, daß es unmöglich wäre, sein Pferd einzuzügeln, und fort stürmten die Reiter, fort in unaufhaltsamer Schnelle; wie die wilde Jagd brausten und prasselten sie mit klappernden Hufen über die hinter ihnen hinausstiebenden Steine hin, und mit jedem Augenblick näherten sie sich mehr und mehr den Flüchtigen.



Dort, wo die Verfolger jene Ueberreste eines kleinen Feuers fanden, hatte Cotton, der es wirklich gar nicht für möglich hielt, daß sie aufgespürt werden könnten, einen wilden Truthahn erlegt und schnell in einzelnen Stücken gebraten, um wenigstens nicht durch Hunger erschlafft und an schnellerer Flucht gehindert zu werden. Cotton wäre denn auch hier ganz ruhig eine Zeit lang liegen geblieben, da er sich mit der guten, durch die Keckheit des Mulatten gewonnenen Büchse fast sicher fühlte. Davon wollte aber Dan nichts hören, und drängte so ungestüm in den Weißen, und redete so viel von der Gefahr, der sie hier ausgesetzt seien, daß Cotton endlich auch einzusehen begann, diesseit des Mississippi dürften sie, wie die Sachen jetzt ständen, nicht lange mehr verweilen.

Der Bergrücken, auf dem sie sich befanden, war derselbe, an dessen Fuß Liveley's Wohnung stand, und sie passirten diese auch, nachdem sie ihn erstiegen, in kaum fünfhundert Schritt; später aber, mit dem Walde hier nicht vertraut, hatten sie eine linke Abdachung für die gehalten, die sich nach Helena hinabzog, und waren ihr gefolgt. Diese dagegen beschrieb einen Halbkreis mehr gegen Norden hinauf und endete weiter oben im Sumpf, und zwar in einem ziemlich schroffen Abhang, der sich von Ost nach West mit seinen steilen Seiten in ein dichtes Sassafrasgebüsch hinabzog. Wären sie übrigens unverfolgt geblieben, so konnte ihnen jener Sumpf auch weiter keine große Schwierigkeiten in den Weg legen, denn ein östlicher Cours brachte sie in kaum einer Stunde an das Ufer des Mississippi, der hier einen Bogen in das Land hinein machte. Cotton jedoch glaubte, sie befänden sich in ziemlich gerader Richtung nach Helena zu, schlug also den größten Theil des Truthahns in seine wollene Decke, theilte das Andere mit Dan, um es unterwegs zu verzehren, und schulterte nun die Büchse, von dem Neger gefolgt, der jedoch, weit weniger sorglos als sein weißer Begleiter, fortwährend ängstlich hinausspähte, ob er nicht irgend etwas entdecke, das ihnen Gefahr bringen oder ihre Flucht aufhalten könne.

„Wir hätten doch lieber, wie es gleich meine Absicht war, die Pferde mitnehmen sollen,“ brach der Mulatte endlich das Schweigen. „Jetzt wären wir lange am Mississippi.“

„Und hätten Spuren hinterlassen, denen sie bei Nacht und Nebel im Stande wären zu folgen,“ brummte Cotton. – „Nein, so ist's besser; überdies denk' ich, gehen wir über den Fluß hinüber, und dort wird schon Rath werden, ein paar gute Thiere zu erwischen – Nun? – was hast Du wieder? Gift und Tod, Du bist ja heut wie ein altes Weib. Alle Augenblicke bleibst Du stehen, horchst und siehst aus wie verdorbenes Bier. – Was giebt's denn, in des Teufels Namen!“ rief der Verbrecher jetzt selbst geängstigt, als er den Ausdruck des Schrecks und Entsetzens in den Zügen seines Gefährten las.

„Hört Ihr nichts, Massa Cotton?“ frug Dan flüsternd.

„Was denn? Was soll ich hören? So thu doch das breite Maul auf, wozu hast Du denn den Rachen? Was soll ich hören?“

„Hufschläge!“

„Hufschläge? Unsinn!“ zürnte der Jäger, unwillkürlich aber fast verließ seine Wangen das Blut – „nach welcher Richtung?“

Der Mulatte legte sich, ohne die Frage gleich zu beantworten, mit dem Ohr auf die Erde, sprang aber auch fast in demselben Augenblick wieder empor und rief:

„Fort, fort, bei Allem was lebt, wir werden verfolgt!“ und ohne eine weitere Zustimmung seines Gefährten abzuwarten, floh er in langen flüchtigen Sätzen auf dem Abhange hin, wobei Cotton, der sich nicht einmal die Zeit nahm, die Wahrheit dieser Befürchtung selbst zu prüfen, ebenfalls nicht zurückblieb. Dan's Ausruf sollte aber auch nur gar zu bald bestätigt werden, denn das Geräusch, welches die durch das Dickicht brechenden Verfolger machten, wurde immer deutlicher, immer lauter, und nun konnte der Weiße sogar, als er den scheuen Blick zurückwarf, die Männer erkennen, wie sie jubelnd heranstürmten und in wenigen Minuten fast ihre Opfer einholen mußten.

Cotton fühlte, wie er am Rande eines Abgrunds stehe, erkannte aber auch, daß nur die einzige Hoffnung noch für ihn darin liege, die Aufmerksamkeit der Verfolger zu theilen. Wenig kümmerte es ihn dabei, ob sie den Neger erwischten oder nicht, wenn er nur seine eigene Haut in Sicherheit brachte, und als der jetzt wenige Schritte vor ihm, am Rande einer schroff abfallenden Terrasse, hinfloh, warf er sich diese plötzlich mit kühnem Satz hinunter, drängte sich dort durch ein dichtes Gewirr von Kastanienbüschen und Hickories, und glaubte so, die Verfolger gänzlich von seiner Spur abgebracht zu haben. Das wäre ihm auch vielleicht vollkommen gelungen, denn kein Pferd konnte ihm gerade da folgen, wo er den Bergkamm verließ. Cook's scharfes Auge hatte aber schon seine eigene Büchse auf des Flüchtigen Schulter und in diesem den berüchtigten Cotton erkannt; mit jedem Zollbreit Boden vertraut, setzte er also gleich da, wo er sich befand, den Hügel hinab, um Jenem den Weg abzuschneiden, und Sander, der seinerseits ebenfalls mehr Interesse an dem Weißen als an dem Neger nahm, folgte dem kühnen Jäger, so gut es gehen wollte.

Nun war der Weg, den Cotton eingeschlagen, allerdings so wild verwachsen und völlig rauh, daß er für ein Pferd fast unzugänglich schien. Cook aber, von Jugend auf an die rasenden Bärenhetzen gewöhnt, sah in diesem Ritt gar nichts Außerordentliches und folgte dem Flüchtling mit völliger Nichtachtung seiner Gliedmaßen, die Sander mehrere Male dazu brachte, sein eigenes Pferd scharf einzuzügeln. Das half ihm aber gar nichts; die beiden Thiere schienen einen Wettlauf halten zu wollen, und Alles, was ihm zu thun übrig blieb, war, den Sattel zu behaupten.

Cotton hatte wieder, durch die Unebenheit des Bodens begünstigt, einen kurzen Vorsprung gewonnen; jetzt aber, wo eine etwas offenere Bahn den Pferden die augenscheinlichsten Vortheile gewährte, schien sich seine Flucht ihrem Ende zu nähern. Cook, ihm dicht auf den Fersen, rief ihm schon zu, sich gutwillig zu ergeben, oder er würde ihn wie einen Wolf über den Haufen schießen. Dabei hatte er die größte Mühe, Bohs zurückzuhalten, der sich immer und immer wieder auf den Flüchtigen werfen und ihn erfassen wollte. In dessen Hand blitzte aber der scharfe Stahl, und Cook wußte recht gut, daß sein wackerer Hund verloren gewesen wäre, hätte er sich dem Verzweifelten auf Armeslänge genähert. Aber auch Cotton fürchtete nicht die Büchse des Verfolgers, denn diesem blieb ja keine Zeit zum Halten, viel weniger zum Zielen, und im Wald vom Pferd herab zu schießen, wäre einfach eine weggeworfene Kugel gewesen. Das Pferd kam aber mit jedem Sprung ihm näher und er sah, daß er in wenigen Secunden in der Macht seines Feindes sein müsse, wenn er nicht, das eigene Leben zu retten, das des Verfolgers nehmen konnte.

Kaum drei Pferdelängen waren die Beiden noch von einander entfernt, da wandte sich der Flüchtling; sein Auge sprühte Feuer, die Büchse fuhr mit Blitzesschnelle empor, und Cook's Leben schien verfallen, denn Cotton war ein ausgezeichneter Schütze. Die rasche Flucht aber hatte sein Blut in Aufregung gebracht – große Schweißtropfen perlten ihm Stirn und Wangen hinab und trübten seinen Blick – wohl richtete sich das tödtliche Rohr auf den trotzig Herbeisprengenden, aber die zitternde Hand vermochte es nicht mehr fest und sicher zu halten – es schwankte hin und her, und als der Finger den Drücker berührte, zischte die Kugel harmlos an der linken Schläfe des Jägers vorüber und durchbohrte noch den Hut des ihm dicht folgenden Sander.

Ein wildes, herausforderndes Triumphgeschrei von Cook's Lippen verrieth, wie gänzlich erfolglos der Schuß gewesen, und noch einmal wandte sich der Verfolgte zur Flucht. Der Augenblick aber war gekommen, wo sich sein Schicksal entscheiden sollte. Cook versuchte zwar zu schießen, sah aber ein, wie zweifelhaft in diesen Verhältnissen ein Schuß sein mußte, er ergriff also das leichte Rohr am schlanken Lauf, hob es hoch empor und holte schon aus zum gewaltigen und für den Flüchtigen dann auf jeden Fall verderblichen Schlag. Da blieb sein Pferd mit den Vorderbeinen an einer schwachen Weinrebe hängen, that noch, im Versuch sich loszureißen, einen Sprung nach vorn, stürzte dann auf die Knie nieder und schleuderte Cook, der in diesem Moment gar nicht auf sein Thier geachtet, sondern nur den Feind im Auge behalten hatte, mit der schon geschwungenen Waffe neben den rasch zur Seite schreckenden Verbrecher nieder.

Das Blatt hatte sich für den jungen Mann gar traurig gewandt, denn er war in der Hand eines unerbittlichen Feindes. Als sich Cotton aber rasch gegen ihn wandte und trotzig dem grimmig auf ihn einfahrenden Hund den Angriff wehren wollte, kam – allerdings keineswegs in der Absicht, die Cotton fürchten mußte – Sander herangesprengt. In diesem mußte er natürlich einen neuen Verfolger sehen; seine eigenen Kräfte waren aber erschöpft, kaum vermochten die überspannten Glieder ihn noch zu tragen, und nur der Trieb der Selbsterhaltung weckte noch einmal den schon fast erloschenen letzten Funken von Kraft und Energie. – Er schleuderte seine leere Büchse mit verzweifelter Kraft gegen den heulend zurückfahrenden Hund, ergriff die, welche dem gestürzten Reiter entfallen war, sprang einen ziemlich steilen, von rollenden Steinmassen übersäeten Abhang hinab, sah unten, daß ihm der zweite Reiter nicht folge, und floh nun noch einmal, jetzt aber mit besserer Aussicht auf Rettung, den letzten Hügeldamm nieder, in das sumpfige Thalland hinein.

Durch Cotton's Absprung von ihrer beabsichtigten Bahn nahm er zwar auch zwei Verfolger von Dan's Fersen, dieser aber zögerte nichtsdestoweniger unschlüssig, ob er seine Flucht wirklich allein versuchen, oder dem weißen Gefährten folgen solle, mit dem er ja noch gar keinen Platz besprochen hatte, wo sie sich, wenn getrennt, wiederfinden wollten. James ließ ihm aber nicht lange Zeit zum Besinnen; die Hufe seines wackern Pony rasselten über die scharfen Steine heran, und mit einem: „Hurrah, Du Hund, jetzt bist Du mein!“ flog er, die Büchse jubelnd emporgehalten, heran.

Instinctmäßig wandte sich der Mulatte wieder zur Flucht, mehrere quer über den Weg gestürzte Fichten hemmten aber gleich darauf seinen Lauf, und wenn er sie auch in wilder Hast übersprang, so boten sie doch dem nachstürmenden Pferde fast gar kein Hinderniß. Im keckem Satze flog dieses darüber hin, und als der Unglückliche den Blick wandte, sah er seinen Verfolger kaum zwanzig Schritt hinter sich.

Da fiel – weiter unten am Abhang des Hügels – ein Schuß, dort entschied sich vielleicht für seinen Gefährten der Sieg – das blieb auch seine letzte Hoffnung. – Nur zwei der Feinde waren hinter ihm – noch lag die Möglichkeit vor ihm, diese durch entschlossene Gegenwehr zurückzuhalten. Rasch sprang er also ein paar Schritte zur Seite, auf eine hochwüchsige Fichte zu, und hier – sein Pistol in Anschlag – stellte er sich und rief mit vor Anstrengung und innerer Aufregung fast erstickter Stimme:

„Zurück! Der ist ein Kind des Todes, der noch einen zweiten Schritt gegen mich thut!“

Vater wie Sohn hatten lange genug in den Wäldern gelebt, um nicht an die Wahrheit dieser Drohung zu glauben. Beide wußten aber auch jetzt, daß ihr Opfer gestellt sei und nicht weiter könne, während sie selbst noch mit frischen Kräften ihm in Kampf und Flucht begegnen konnten. Sich aber ganz nutzlos als Ziel preiszugeben, fiel keinem von ihnen ein. Noch aus den indianischen Kriegen her hatten sie sich auch deren Taktik angeeignet, und kaum sahen sie, daß der Flüchtling einen Baum annahm, so flogen mit Blitzesschnelle ihre eigenen Pferde herum. Wie auf Commandowort sprangen sie gleichzeitig aus den Sätteln und jeder glitt eben so rasch hinter den ihm nächsten Stamm, um sowohl selbst gegen die feindliche Kugel gedeckt zu sein, als auch jede Bewegung ihres ausersehenen Opfers überwachen zu können.

Dan nun, der vielleicht glaubte, diesen ersten Augenblick benutzen zu können, um wieder kurzen Vorsprung zu gewinnen, wollte, als er kaum die Männer absitzen sah, rasch hinein in's Dickicht. Wohl aber war es gut, daß er noch einmal den Blick zurückwarf, denn schon lag des alten Lively Büchse so ruhig wie in einem Schraubstock auf ihn geheftet, und fast unwillkürlich schmiegte er sich schnell an den Boden nieder, der tödtlichen Kugel zu entgehen.

„James!“ rief der Alte hinter seinem Baum vor, „der Racker hält sich von hier aus gut versteckt; ich kann nur die Mündung seiner Pistole sehen – wenn Du im Stande bist, ihn irgendwo unten an den Beinen zu erwischen, laß es ihm zukommen, aber – hab' Acht auf Dich.“

„Nur keine Angst, Vater,“ lachte der Sohn zurück – „er darf's nicht wagen, auf mich anzulegen, denn ich liege schon im Feuer, und wo er mir nur einen Zoll breit Raum giebt, sitzt meine Kugel.“.

Kurze Zeit verharrten die Drei in ihrer gleich von Anfang an genommenen Stellung, denn auch die beiden Livelys hatten den Schuß gehört und wollten nun, ohne das eigene Leben irgend einer nutzlosen Gefahr auszusetzen, erst einmal abwarten, welch Resultat Cook's Verfolgung gehabt, ehe sie selbst etwas Entscheidendes unternähmen. Daß ihnen der Mulatte nicht mehr entgehen konnte, wußten sie recht gut, und James stieß jetzt seinen laut gellenden Jagdschrei aus, der auch nicht lange ohne Erfolg blieb. Die Büsche brachen in jener Richtung, nach welcher der Weiße geflohen war, und Sander sprengte auf schäumendem Rosse durch das Dickicht.

Dan hörte ebenfalls das Geräusch und bog sich etwas nach vorn, zu sehen, welch neuer Feind ihm dort erscheine. Da berührte des alten Lively Finger den Stecher, und der Schuß dröhnte durch den stillen Wald. Nun hatte Lively aber keineswegs auf den Mulatten selbst gezielt gehabt, sondern nur ein am Stamm locker hängendes Stück Rinde auf's Korn genommen, um den Flüchtling vielleicht zu erschrecken und zur Uebergabe zu zwingen, dieser aber, der wahrscheinlich glaubte, daß er durch seine vorige Bewegung irgend eine Blöße gegeben hätte, oder auch vielleicht von der abspringenden Rinde leicht berührt wurde, sprang rasch und unwillkürlich nach vorn, und vergaß dabei ganz, welch gefährlicher Feind ihn hier bedrohe. Mit Blitzesschnelle richtete sich James' Rohr, und in demselben Moment zuckte auch der Strahl aus seiner sichern Büchse, während der unglückliche Mulatte, durch den Schenkel getroffen, wehklagend zu Boden stürzte.

Diese Wunde wäre nun allerdings nicht tödtlich gewesen, sondern entsprach nur dem Zweck, „den Nigger zu fangen“, wie es die Absicht der Hinterwäldler gewesen war. Jetzt aber sprengte mit wildem Schreien, die blonden Locken wild um die Schläfe flatternd, den seinen Tuchrock durch Dorn und Rebe zerrissen, die Flinte aber hochgeschwungen in der Hand, Sander auf den Schauplatz, warf sich neben dem verwundeten Mann vom Pferde und schmetterte ihm auch schon im nächsten Moment den schweren Kolben auf den Schädel nieder, daß er nur noch kaum den Arm zum Schutz emporwerfen konnte und dann, von dem gewaltigen Schlag besinnungslos, zusammenbrach. Sander aber, damit keineswegs zufrieden, holte schon auf's Neue aus: jetzt aber hatte auch James den Platz erreicht, und warf sich ihm entgegen –

„Halt, Sir, halt, sag' ich – ist das bei Euch Sitte, einen Menschen zu mißhandeln, wenn er verwundet am Boden liegt?“

„Die Pest über den Schuft!“ schrie mit heiserer Stimme Sander und versuchte sich von dem jungen Mann loszumachen- – „laßt mich dem Buben den Schädel einschlagen, Mann, oder wollt Ihr Einen von der Bande entkommen lassen, während Euer eigener Freund unten in der Schlucht durch's Herz geschossen liegt?“

„Was? – Cook?“ rief James entsetzt und ließ den Arm des jungen Bösewichts frei, der rasch die schwere Waffe zum dritten Mal hob und schon mit zornblitzenden Augen die Stelle ersah, wo er sie am tödtlichsten einsenken könne. Indessen war aber auch der alte Lively, nicht so flink mehr auf den Füßen als sein Sohn, herangekommen, ritz ohne Weiteres die Schrotflinte aus des Wüthenden Hand und warf sie weit von sich, trat dann zwischen ihn und den bewußtlosen Mulatten und rief ärgerlich:

„Gottes Tod, Sir, wenn Ihr mit Gentlemen auf die Jagd reitet, so betragt Euch auch wie ein Gentleman. Der Gefangene hier ist unser, und wir wollen ihn schon deshalb lebendig behalten, um über Manches, was uns hier weggekommen ist, Aufschluß zu hören.“

„Er hat aber Euern Kameraden ermordet,“ rief Sander dagegen.

„Der kommt da eben über den Berg herüber.“ erwiderte der Alte ruhig, und in der That kam auch Cook, der den Schuß gehört hatte, zu Fuß und mit blutender Stirn, seine eigene Büchse aber in der Hand, über den niedern Hügelkamm, der sich hier wellenförmig nach Nordwesten hinaufzog. Cook wollte jetzt aber vor allen Dingen wissen, weshalb Sander ihm nicht besser beigestanden und den Flüchtigen mit seiner Schrotflinte wenigstens in die Beine geschossen habe. Sander behauptete dagegen, viel zu weit entfernt gewesen zu sein, und sagte, er hätte ihn selbst von der Kugel tödtlich verwundet geglaubt.

„Dann war's allerdings recht freundlich, mich so allein zwischen den Steinen liegen zu lassen,“ brummte Cook. – „Doch wahrhaftig – dort liegt der Mulatte – ist er todt?“

Mit wenigen Worten erzählte er nun den Hergang seiner Verfolgung, und wie ihm unglücklicher Weise im entscheidenden Moment das Pferd gestürzt sei. Weiter nachzusetzen blieb nutzlos, da Bohs wohl der Spur eines Mulatten, keineswegs aber der eines Weißen gefolgt wäre, wenn er noch überhaupt hätte laufen können. Der Schlag nämlich, den der Flüchtling gegen ihn geführt, als er an ihn anspringen wollte, hatte seine Schulter und sein Rückgrat getroffen, so daß er, wenn ihm auch vielleicht kein Knochen beschädigt war, doch kaum mehr von der Stelle konnte und mit augenscheinlicher Anstrengung und Pein hinter seinem Herrn herhinkte.

Sie beschlossen also, den Neger vor allen Dingen mit nach Hause zu nehmen, das ihnen auf jeden Fall näher als Helena lag, und dort das Weitere zu bereden.

James' Kugel war dem armen Teufel oben durch den rechten Schenkel gegangen und er blutete stark. Der Kolbenschlag schien aber viel gefährlicher für ihn geworden zu sein, denn sein rechter Arm, den er der niederschmetternden Waffe entgegengehalten, war dicht über dem Handgelenk abgebrochen, und das Blut quoll auch in dunkeln, langsamen Massen aus dem schwarzen Wollhaar an der rechten Seite seines Kopfes hervor. Der alte Lively verband ihn nun zwar so gut es gehen wollte, der Mulatte gab aber kein Lebenszeichen von sich; nur das schwache Schlagen seines Herzens verrieth noch, daß er athme, und sie konnten ihn nicht anders transportiren, als vermittelst zweier Satteldecken, die sie zwischen die Pferde Cook's und des alten Lively ausspannten und so eine Art Trage bildeten, mit der sie freilich nur entsetzlich langsam über den rauhen Boden vorzurücken vermochten.

James jedoch erklärte, den entflohenen Weißen diesmal nicht so leichten Kaufs davon zu lassen, sondern auf seiner Fährte bleiben zu wollen, so lange ihm das irgend möglich sei. Er bat also nur noch seinen Vater, ihn bei den Damen zu entschuldigen, da eine Sache von Wichtigkeit ihn abhalte, die nicht aufgeschoben werden könne, schulterte dann seine Büchse, warf sich auf sein Pferd und folgte, so rasch es ihm sein Scharfblick, ja und selbst der Instinct des Jägers gestattete, den Spuren des Weißen. Dieser mußte übrigens verwundet sein, da er an mehreren Orten Blutstecken fand. An einem Stein aber, wo er sich, wahrscheinlich keine Verfolger mehr fürchtend, verbunden hatte, hörten diese auf, und dem jungen Mann blieb es jetzt überlassen, da eine Fährte zu erkennen, wo das Auge des Laien nur noch eine Wildniß gesehen haben würde, die nie ein menschlicher Fuß berührte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi