Anfang und Möglichkeit der Porträt- und Aktfotografie

Die Aktfotografie war eine selbstverständliche Begleiterscheinung der Porträt Fotografie. Es ist eine müßige Frage, wer das erste Fotografische Bildnis hergestellt hat. Selbstverständlich war es Daguerre, der versuchte, seine Erfindung auch auf die Wiedergabe menschlicher Antlitze anzuwenden. Bereits im Jahre 1835 verlautete in einer Pariser Zeitschrift, dass Daguerre ein Mittel gefunden habe, ein Porträt, eine Landschaft, irgendeine Ansicht auf einer durch ihn präparierten Platte in der Camera obscura festzuhalten und so die vollendetste aller Zeichnungen zu gewinnen. Eine Gegenerklärung blieb nicht aus: „Maschinen könnten keine Zeichnungen hervorbringen.“ Und einige Jahre später, als Daguerre bereits reiche Erfahrung gesammelt hatte, da schrieb ein Kritiker über die ersten Silberplattenbilder: „Es ist ein wahres Glück zu nennen, dass sich keine lebenden, beweglichen Sub- und Objekte durch den Zauber des Daguerreotyps bannen lassen; welch ein Unglück wäre es nicht, wenn jede Fensterparade, jeder süße Blick des Einverständnisses, jedes Stelldichein durch die verräterische Camera obscura auf immer fixiert und in die weite Ferne unter alle Völker geschickt würde!“

Im Januar 1839, also acht Monate früher, als Daguerres Verfahren bekanntgegeben wurde, berichtet eine deutsche Zeitung aus Paris, dass Daguerres Methode beim Porträtieren den Nachteil habe, dass die Augen des Modells sich immer etwas bewegen während der notwendigen Belichtungszeit von 10 bis 15 Minuten — und daher undeutlich werden. An anderer Stelle wird gleichzeitig „von vortrefflichen und richtigen Porträts gesprochen, so dass die Wissenschaft gewiss bei dieser Erfindung sehr gewinnen wird.“


Am 23. September 1839 legte Daguerre der französischen Akademie der Wissenschaften menschliche Bildnisse vor, und in einer Gebrauchsanweisung zum Daguerreotyp, die Ende 1839 erschien, werden Ratschläge gegeben, wie man bei Porträtaufnahmen verfahren soll: „Man muss starkes Licht zu Hilfe nehmen, umso mehr, je stärkere Farben die aufzunehmende Person hat; denn hier ist rot gleichwertig mit schwarz. Man wird nur guten Erfolg erreichen, wenn man die Personen im Freien in der Sonne aufnimmt unter Zuhilfenahme weißer Tücher (als Reflektoren). Man wird vor der Person eine große blaue Glasplatte (zum Abhalten der Wärme strahlen) aufstellen; diese wird das durch Ermüdung in vermeidbare Blinzeln verhüten.“ Aber auch diese Ratschläge genügten noch nicht, um ein brauchbares Porträt herzustellen; ein Belgier schrieb: „Bemalt das Gesicht des Patienten mit matter weißer Farbe, bepudert seine Haare, schraubt ihm den Hinterteil des Kopfes zwischen drei am Rücken eines Lehnstuhls befestigten Brettern fest. Das Bild des auf die angezeigte Weise zugerichteten Dulders bildet sich ebenso leicht ab als ein Gipsabdruck.“

Abb. 18 . . . „Aber, mein Herr, ich will die Ansicht meiner Besitzung . . . zum Teufel!“ — „Hier ist sie, mein Herr!“ — „Aber wie kommt der verdammte Nachbar ans Fenster meiner Frau . . . Ihr Daguerreotyp ist eine Erfindung der Hölle, Herr! . . . So etwas macht man nicht . . . das ist unwürdig . . . das ist eine Schande“ (In der Figur des Daguerreotypisten ist der Erfinder Daguerre porträtiert) Kolorierte Lithographie von Plattel, Paris um 1840, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Indes übte man sich gleichzeitig im Fotografieren Toter und studierte auf diese Weise den Einfluss der Hautfarbe auf die lichtempfindliche Schicht; da wurde die lange Belichtungszeit belanglos und man konnte endlich einwandfrei feststellen, dass die fotografisch getreue Wiedergabe des menschlichen Körpers ebenso gut möglich war, wie z. B. diejenige eines Hauses mit allen seinen kleinsten Einzelheiten.

Die unter solchen schwierigen Verhältnissen hergestellten Bilder lebender Menschen befriedigten zuerst nicht; es kam vor, dass man die bepuderten Gesichter im Bilde nicht erkannte; und wenn das Bild gut kenntlich war, dann lehnte sich die menschliche Eitelkeit gegen diese unbekannt naturwahre Wiedergabe der Gesichtszüge auf. Man war gewohnt, von der gefälligen Hand des Künstlers zwar ähnlich, vor allem jedoch verschönt wiedergegeben zu werden; im Gegensatz hierfür war die Fotografie der Frühzeit nicht imstande, irgendwelche Unvollkommenheiten der Natur auszugleichen; die Porträts waren zu ähnlich, wahre Spiegelbilder, gegen die besonders die Frauen Stellung nahmen. Jede Gesichtsrunzel trat in Erscheinung, und als man noch nicht verstand, die Beleuchtung auszugleichen, da lagen die Augen tief und dunkel in ihren Höhlen, wenn sie nicht wegen der langen Belichtungszeit geschlossen waren. Können wir uns heute überhaupt noch vorstellen, welchen Eindruck die Gegensätzlichkeit zwischen dem gezeichneten oder gemalten, vom Künstler subjektiv beeinflussten Bilde und dem unerhört wahrheitsgetreuen, rein objektiven Daguerreotyp auf die Menschen ausübte?

Die Abkürzung der Belichtungszeit brachte Abhilfe von allen diesen Fehlern; man verbesserte die Objektive und erhöhte die Empfindlichkeit der lichtempfindlichen Schicht. Gegen Ende des Jahres 1841 konnte Daguerre den französischen König Louis Philipp auf einem Balkon, also unter freiem Himmel, in 3,5 Minuten porträtieren, und im gleichen Jahre brachte bereits ein französisches Lehrbuch der Fotografie Hinweise, wie man am besten bei Aktaufnahmen verfährt. Es währte nicht lange, dass ein Bildnis bei einer Belichtungszeit von 15 bis 30 Sekunden hergestellt werden konnte. Die Verkürzung der Belichtungszeit war zugleich der Beginn erfolgreicher Porträt-Fotografie in allen Kulturländern.

Abb. 19 Stereo-Daguerreotypie um 1850, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin
Abb. 20 Künstlerische Aktaufnahme um 1870

Noch im Jahre 1846 schrieb der Dichter Alexander von Sternberg einem Chemiker: „Sie haben den Lichtstrahl, den freiesten Sohn des Himmels, so lange mit Ihrer chemischen Zuchtrute geschlagen, bis er das Zeichnen lernte. Aber wie zeichnet er? Was macht er aus den Augen, Ohren, Nasen und Händen unserer Angehörigen und Lieben? Sie haben die Sonne zur Porträtmalerin gemacht! Ach, das war ein unglücklicher Einfall! Wie malt sie jetzt? Man kann eine vortreffliche Sonne und dabei doch eine herzlich schlechte Porträtmalerin sein!“

Und zwei Jahrzehnte später verherrlichte der spätere Papst Leo XIII. die Porträt-Fotografie:

„Welch herrlich Bild malt Zug um Zug
Der Sonne Strahl mit Pfeiles Flug!
Der Augen Glut, der Stirne Zier,
Der Züge Anmut beut es dir.
O Wunderwerk, o Zauberpracht,
Vom Menschengeiste tief erdacht
Mit dir im Bund, Natur, stellt dar
Kein schöneres Bild Apelles gar!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Erotik in der Fotografie
Erotik Der Ehegatte als Daguerreotypiste, Satirische Lithographie von Ch. Vernier, Um 1840, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Erotik Der Ehegatte als Daguerreotypiste, Satirische Lithographie von Ch. Vernier, Um 1840, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Erotik 020 Künstlerische Aktaufnahme um 1870

Erotik 020 Künstlerische Aktaufnahme um 1870

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