Die Deutschen im Russischen Reich

Die Verbreitung des deutschen Volkes über die Erde
Autor: Stricker, Wilhelm (1815-1891) deutscher Arzt, Publizist und Bibliothekar, Erscheinungsjahr: 1845

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Deutsche, Kolonien, Auswanderung, Russen, Russland, Petersburg, Moskau, Ostseeprovinzen, Einwanderung, Lehrer, Mittelalter,
Aus: Blätter für literarische Unterhaltung. Jahrgang 1846. Zweiter Band. Juli bis Dezember.

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Inhaltsverzeichnis
  1. Erste Fortsetzung
Im zweiten Buche betrachtet der Verfasser die Deutschen im russischen Reiche, in Spanien und in Großbritannien. In Bezug auf das erstgenannte Land beginnt der Verfasser folgendermaßen:

„Nicht minder wichtig als für Ungarn und Siebenbürgen ist, was auch Herr von Custine*) und die Schmähschrift „La Russie envahie par les Allemands“ dagegen vorbringen möge, die deutsche Nation für Russland gewesen. Seit Peter dem Großen sind fast ausschließlich Männer aus Deutschland, aus den Ostseeprovinzen und Söhne von in Russland eingewanderten Deutschen die Verbreiter der Bildung in diesem Reiche und die gewaltigsten Vertreter der russischen Interessen gewesen. Wir brauchen nur an die aus deutschem, nämlich holsteinischem und anhaltischem Blut entsprossene Kaiserfamilie und an die drei einflussreichsten Staatsmänner Russlands, Münnich, Ostermann und Resselrode, zu erinnern. Es wäre zu lang, die Namen der russischen Feldherren von deutschem Blut hier zu nennen: genug, dass bis jetzt nur sieben Nationalrussen im Kriege sich ausgezeichnet haben. Wir erinnern in anderer Hinsicht an die deutschen Gelehrten der Hochschule Dorpat und die Zierden von Petersburg, Moskau und Kasan. ... Das gebildete Europa verdankt die Kenntnis Russlands fast ausschließlich deutschen Quellen, von Herbersteins Reise bis zu Kohls Schriften. ... Krusenstern und Kotzebue sind die berühmtesten Erdumsegler der russischen Marine. ... Deutsche Bergleute beuten die Schätze Polens, wie des Urals und Sibiriens aus; deutsche Lehrer sind die Zierden sämtlicher russischen Hochschulen; das ganze Medizinalwesen des Reichs ruht in den Händen deutscher Ärzte und Apotheker, und das Wohl der kaiserlichen Familie war noch stets deutschen Leibärzten anvertraut. Bei weitem die meisten dieser Kräfte kamen aus den deutschen Ostseeprovinzen Livland, Kurland, Estland. Bis vor wenigen Jahren hielt das große Publikum in Deutschland die Kur- und Livländer für Russen, ebenso wie die Holsteiner und Schleswiger für Dänen, wie die Belgier und Elsässer für Franzosen. ... Noch jetzt tritt in den Ostseeprovinzen alle drei Jahre der Landtag zusammen, wo unter dem Vorsitze des Landtagsmarschalls die Landboten sich vereinigen. Natürlich unterliegen alle Beschlüsse des Landtags der Bestätigung der Regierung, auch steht an der Spitze der Verwaltung ein mächtiger Statthalter, der von der Regierung eingesetzt ist. Der erste Mann nach diesem ist der Landesbevollmächtigte, der die Provinzen in Petersburg vertritt.“

*) Astolphe Lous Léonor, Marquis de Custine (1790-1857) französischer Diplomat und Reiseschriftsteller. Eine Reise von Anfang Juli bis Ende September des Jahres 1839 führten ihn nach Russland. Dabei hielt er sich längere Zeit in St. Petersburg auf und reiste von dort über Moskau nach Jaroslawl, Kostroma, Nischni-Nowgorod, Wladimir und anschließend zurück nach Moskau und St. Petersburg. Der Reisebericht über die Russlandreise erschien, 1843, in Briefform, beinahe gleichzeitig, jeweils in einen deutschen und englischen Ausgabe. Bis zum Jahr 1917 war das Buch in Russland verboten.

Über das Verhältnis der Ostseeprovinzen zu Russland sagt Kohl:

„Die Unzufriedenheit der Provinzen entspringt keineswegs aus deutscher Gesinnung oder Hinneigung zu einem deutschen Staat, etwa Preußen. Hier sind die Stände gleich gemacht, der Adel beschränkt (eximierter Gerichtsstand? rheinische Autonomie?), die mittelalterlichen Privilegien der Städte aufgehoben, die Juden in ihre menschlichen Rechte eingesetzt, die Zünfte eingerichtet, die Leibeigenschaft mit der Wurzel ausgerottet und alle Staatsbürger auf gleiche Weise zur Steuer-, Dienst- und Wehrpflicht gezogen. In den Ostseeprovinzen dagegen besteht in hundertfacher Hinsicht noch mittelalterlicher Zustand. Die eximierten Stände sind frei von Abgaben und Wehrpflicht, die alte Lehnsherrschaft steht hier noch in ziemlich unversehrter Pracht. Die Literaten stehen dem Adel gegenüber, wie zu Luthers Zeiten, und es gibt kein Stück Landes mehr in der Welt, dessen Zustand in dem Grade dem Mittelalter gleicht wie die drei baltischen Herzogtümer. Daher lieber Russland mit seinen schlechten Gerichten, mit seiner Bestechlichkeit, aber auch mit seinen geringen Steuern und seiner starken, Vertrauen erweckenden Macht, als Preußen mit seiner Ordnung, seiner gleichwaltenden Gerechtigkeit, seiner Schulmeisterei und Bevormundung, Preußens konsequente Vernunft litte keine Einwendung, mit Russlands Absolutismus findet man sich doch zuweilen ab. ... Wie die ganze deutsche Bevölkerung der Russen, so stehen im Lande selbst Adel und Bürger sich scharf getrennt gegenüber ... Früher gab es in Livland wenige Steuern und keine Kriegspflicht; mit der russischen Eroberung wurde dies anders: die Bewohner wurden in zwei Klassen geteilt, in Solche, welche der Kopfsteuer und andern Abgaben, auch der Rekrutenstellung unterworfen sind, die Okladisten, und in Solche, die davon frei sind, die Exempten. Die Bauern, die verdeutschten Eingeborenen, ferner die Handwerker, Künstler und Krämer gehören, sobald sie russische Untertanen geworden sind, zu den Okladiswten, welche noch unter dem Stocke stehen; daher suchen alle Wohlhabenden sich dieser Classe zu entziehen, indem sie sich so lange wie möglich die Eigenschaft als Ausländer zu erhalten oder durch Erlangung von Ämtern oder Adelsdiplomen zu den Exempten aufzuschwingen wissen. Die höhern Stände der Herzogtümer, die Exempten, bestehen neben Großhändlern und Adel auch, aus den Literaten (Geistliche, Advokaten, Professoren und Ärzte). Sämtliche livländische Literaten sind Deutsche, und was sich von fremden Nationalitäten unter ihnen eingeschlichen haben sollte, konnte es nur durch seine Verdeutschung. Die periodische Literatur der Ostseeprovinzen ist durchaus deutsch; in Riga erscheinen sechs deutsche Blätter, in Dorpat fünf, in Mitau zwei, in Pernau, Libau und Reval deutsche Wochenblätter. Dazu kommen noch neun Blätter in Petersburg und eine Waren- und Schiffsliste in Kronstadt. Es erscheinen demnach in Russland in Allem 24 deutsche Zeitschriften, wovon 13 den Ostseeprovinzen angehören, und diese machen über ein Siebentel sämtlicher russischer Zeitschriften aus, deren Zahl 142 beträgt. Zu Deutschland sind deren gegen 900. Von diesen 142 sind nur 99 in russischer Sprache geschrieben, acht französisch, vier englisch, drei polnisch, drei lettisch und eine italienisch in Odessa. Auch in Beziehung auf die nicht periodische Literatur neigen die Ostseeprovinzen durchaus nach Deutschland hin. Man verfolgt dort den Gang unserer Literatur mit Aufmerksamkeit, während die russische fremd bleibt und die Kenntnis dieser Sprache sich nicht über das Bedürfnis; hinaus erstreckt. Der Haupthebel der Russifizierung der Ostseeprovinzen ist die griechische Religion, welche mit dem Russentum unauflöslich fest verbunden ist. Die griechische Kirche stand von jeher der lutherischen im Ganzen weniger feindlich gegenüber als der römischen, ist auch weniger proselytenmachend, als sie vielmehr das Entweichen ihrer Angehörigen verhindert; aber ihre Verteidigung ist so ausgedehnt, dass sie nicht selten in Angriff übergeht. Die Gesetze, dass alle unehelich oder in gemischter Ehe erzeugte Kinder in griechischer Religion erzogen werden müssen, dass ein Religionswechsel nur zu derselben stattfinden darf, dass, wer einmal das Abendmahl nach griechischer Weise genossen hat, schon dadurch der griechischen Kirche angehört: — alle jene Bestimmungen führen der griechischen Kirche jährlich eine Menge mehr oder weniger unfreiwilliger Bekenner zu. Das letztgenannte Gesetz ist besonders wichtig bei dem Heere, wo einzelne lutherische Soldaten unter lauter griechischen dienen und die übrigen Zeremonien dieser Kirche unter den Waffen mitmachen müssen. Dazu kommen noch manche Bestimmungen der Regierung für einzelne Fälle, z. B. dass die Söhne der mit konfiszierten polnischen Gütern beliehenen Offiziere griechisch werden müssen, um diese Besitzungen erben zu können“ u. s. w.

Zar Peter der Grosse

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Russisches Sittenbild

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Pferdeschlitten

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Russisches Kaiserpaar in historischen Kostümen

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Russicher Bauer in Wintertracht

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Russischer Dorfmusikant

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Kosaken

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