Erste Fortsetzung

Von diesen Russifizierungsversuchen urteilt Kohl sehr richtig folgendermaßen: „Ihrer selbst und um des allgemeinen Wohles willen müsste die russische Regierung, wenn sie sich von einer richtigen Politik leiten lassen wollte, diese Ausrottung deutscher Sitte und Sprache, die offenbar zugleich eine völlige Ausrottung deutschen Geistes und deutscher Tüchtigkeit sein würde, zu verhüten suchen. Da Russland bisher den Deutschen beinahe Alles verdankt, so sollte es das Glück zu schätzen wissen, dass es ein Stück von Deutschland zu seiner Verfügung hat, aus dem es, wie aus einer Pflanzschule, viele sehr nützliche Männer und treue Untertanen ziehen kann, und es sollte daher den guten deutschen Geist auf alle Weise zu erhalten suchen. Wenn es aber fortfährt, die Deutschen mit Tataren und Tungusen auf einem Fuße zu behandeln, so werden die Quellen tüchtiger Feldherren, Staatsmänner, Lehrer und Bürger gar bald versiegen.“

Über die Deutschen in Südrussland berichtet der Verfasser mit den Worten: „Nicht wie die Deutschen an der Ostsee, mit Bildung, Reichtum und Macht ausgerüstet; nicht herrschend über ein überwundenes Geschlecht und den heutigen Herrschern geschlossen gegenüberstehend; aber ehrenwert durch den Fleiß und die Tüchtigkeit, mit der sie alle Schwierigkeiten überwunden und eine geachtete Stellung sich errungen, sind die Deutschen in Südrussland, Männer des Pfluges, wie jene Männer der Feder und des Schwerts. Die deutschen Ackerbaukolonien in Südrussland zerfallen in zwei Abteilungen, die an der Wolga und die am Schwarzen Meere.“ Die ersten bereiste und beschrieb Professor Erdmann im August 1815: er bezeichnete ihren materiellen Zustand als nicht gerade günstig, ihren geistigen als äußerst vernachlässigt. Als später Alexander von Humboldt, Ehrenberg und Rose dieselben im Jahre 1829 besuchten, fanden sie solche blühend und die deutschredenden Einwohner durch Wohlstand und Reinlichkeit ausgezeichnet.


Von den in der Gegend von Odessa gelegenen deutschen Ansiedelungen späteren Ursprunges hat in der neuesten Zeit Kohl in seiner gemüt- und geistvollen weise höchst anziehende Schilderungen gegeben, aus denen wir hier nur Einiges hervorheben. Die Kolonisten sind auch hier größtenteils Schwaben und wurden um das Jahr 1810 von der russischen Regierung zur Einwanderung veranlasst. Die Beschwerden der ersten Ansiedlung waren so groß, dass viel Deutsche starben, noch ehe sie das Land in Besitz genommen, und nur sehr wenige den besseren Zustand der Dinge erlebten. Unglaubliche Hindernisse und Überstände überwanden jedoch endlich deutscher Fleiß und deutsche Ausdauer, sodass gegenwärtig die dort wohnenden Schwaben nicht nur vollkommen bequem eingebürgert, sondern sogar in jeder Hinsicht ihren russischen Nachbarn überlegen sind.

„Die sämtlichen deutschen Kolonien Neurusslands haben 25.000 Einwohner und stehen unter dem „Comité der Colonien“ in Odessa, dem ein russischer General vorsitzt und bei dem, obgleich alle Angestellte auch Deutsch verstehen müssen, alle Verhandlungen Russisch sind. Dieser Ausschuss steht wieder, wie der der Wolgakolonien, unter dem Coloniedepartment des Ministeriums des Innern in Petersburg. In der Krim liegen 16, 1804 und 1805 gegründete, zusammen 4.000 Einwohner, meist Württemberger, Elsässer und Schweizer, zählende deutsche Ortschaften. Im Jahr 1816 gründeten ausgewanderte Württemberger in Georgien, jenseits des Kaukasus, sechs deutsche Gemeinden. Die Verfassung der einzelnen Kolonien ist demokratisch. Die Schulzen, sowie die Oberschulzen und die Schreiber bei den Ämtern werden von den Bauern durch Kugelung angewählt. Ackerbauende deutsche Kolonisten zählt Russland in Allem 235.000. Dazu kommen noch deutsche Bergwerkskolonien in Westsibirien. ... Versuchen wir eine statistische Übersicht der Deutschen in Russland, außer den in den Hauptstädten wohnenden, zu geben, so finden wir in den Ostseeprovinzen in runder summe etwa 100.000, wovon 38.000 auf Kurland bei einer Gesamtbevölkerung von 507.000 kommen. Von 1.000 Einwohnern der Ostseeprovinzen sind 900 Esten oder Letten, 50 Deutsche und 30 Russen, die übrigen in Estland und Livland sind Schweden, in Kurland Juden. Unter 100 Deutschen sind etwa 10 Adelige, 80 Bürgerliche von ursprünglich deutscher Herkunft und 10 verdeutschte Urbewohner. Die Dichtigkeit der Bevölkerung beträgt in Kurland 1.000, in Livland 800, in Estland 300 Menschen auf die Quadratmeile. Einschließlich der ackerbauenden Kolonien und der zusammenwohnenden Deutschen in den Städten können wir eine Gesamtzahl von einer halben Million Deutschen in Russland annehmen.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen im Russischen Reich