2. Die Aufgabe des Jubiläumswerkes „Die Baukunst am Niederrhein“.

Die Düsseldorfer Landschaftsmaler haben mich gereizt, das Land vom Niederrhein aufzusuchen.

Auf der einsamen Pappel-Landstraße (Abb. 29) waren Viehhändler und wandernde Trödler meine Reisegefährten. In den schmucken, sauberen Gasthöfen plauderte man mit Kleinkrämern und Handwerkern. In der Gaststube saßen der reiche Tabaker und Viehhändler und am Stammtisch der Doktor, der Pfarrer, der Sekretär und der Apotheker. Wenn man mich nicht für einen Viehhändler gehalten hat, dann sicherlich für einen Tabaker. Was könnte man auch anderes sein, wenn man in einem niederrheinischen Gasthaus absteigt?


Ich habe auf meinen Wanderungen aber einen verständnisvollen Gefährten gefunden. Wir saßen oft an kalten Vorfrühlingstagen vor dem Kamin des Gasthauses, auf dem altvererbtes Zinnzeug stand und an den Wänden kupferne Kessel und bunt bemalte Teller und Krüge mit Inschriften vom Niederrhein. ,,De Werld is en Schautoneel, elk speit sin rol, elk kregt sin deel“, stand auf dem einen Krug. ,,Olle Böck un junge Hippen, datt gewe Lamers öwer Lamers“ auf dem anderen. Oder ,,Geld, watt rond ös, meck grad, watt kromp ös.“ Oder an den Wänden hingen alte Stiche von Bruyn und Merian, von Pieter Schenck und Jan de Beyer, Ansichten von Cleve (Abb. 32, 33, 38 ff.), Calcar, Goch und Rees oder von den Kastellen Boetzelaer (Abb. 45), Winnenthal (Abb. 42) und Moyland (Abb. 44)*). Man plauderte wohl zusammen. Aber man kannte sich weiter nicht. Wenn der letzte Schoppen Wein getrunken war, sagte man sich Gute Nacht. Und am anderen Morgen ging jeder seine eigenen Wege weiter durch das Land.

*) Zur besseren Orientierung gibt das alphabetische Nachschlageverzeichnis im zweiten Bande die genaue geographische Lage der einzelnen Orte und Häuser und deren Besitzer an.

Abb. 23. Gartenpavillon an der Immunitätsmauer von St. Viktor. Vgl. Situationsplan Abb. 21.

Bis endlich der bescheidene Wandersmann mir erzählte, daß er seit Jahren mit seiner Kamera das Land durchreise zu den verschwiegensten Nestern, um seltsame Baumarten und Naturdenkmäler, die charakteristischen Landschaftsbilder und Bauten auf zunehmen, denn, meinte er, einige Jahre noch, und so vieles ist schon ganz verschwunden, und einige Jahre später, wenn erst die Industrie das ganze Land erobert hat, gibt es weder eine niederrheinische Landschaft mit niederrheinischen Bäumen noch mit niederrheinischen Bauten.

An jenem Abend war das Buch von der ,,Baukunst am Niederrhein“ beschlossene Sache! Mein Reisegefährte war der Photograph Dr. Erwin Quedenfeldt aus Düsseldorf. Seine Geschicklichkeit hat zu diesem Buch den größten Teil der Abbildungen geliefert*).

Aber ohne die Weitherzigkeit seines Patrons, des Kunst-Vereins für die Rheinlande und Westfalen, wäre das Buch von der Baukunst am Niederrhein in der vorliegenden Ausstattung und Form immer ein frommer Wunsch nur geblieben!

Der Verein wollte zur Feier der hundertjährigen Vereinigung der Länder am Niederrhein und in Westfalen mit der Krone Preußen seinen Mitgliedern eine besondere Erinnerungsgabe widmen. Da aber im Jubiläumsjahre so viele Städte und Korporationen von den Errungenschaften unter Preußens Szepter reden werden, hieße es Bier nach München, Mostert nach Düsseldorf oder Denkmäler nach Berlin tragen, wenn der Verein nun eine ähnliche Veröffentlichung vorbereitet hätte. Er hatte dafür den schönsten Einfall, nämlich: einmal zu zeigen, was unsere niederrheinische Heimat im Jahre 1815 als Mitgift der Krone Preußen mit in die Ehe brachte. Und dieser Einfall gab dem Buche, das mir so lange, wenn auch nur als bescheidenes Wanderbuch, vorschwebte, erst das Leben.

Abb. 24. Xanten. Renaissanceerker an einem der Immunitätshäuschen von St. Viktor.

*) Die eigens für dieses Buch hergestellten photographischen Abbildungen sind, soweit nicht anders angegeben, auf gemeinsamen Reisen von Dr. Quedenfeldt und dem Verfasser für den Kunstverein gefertigt worden. Daneben ist aber auf die Fülle eigener älterer Aufnahmen von Dr. Quedenfeldt in dem höchst wichtigen Tafelwerk der „Einzelbilder vom Niederrhein“ zu verweisen, welche im Selbstverlag erschienen und die in solcher Vollständigkeit von über 2000 Aufnahmen kein anderes Land aufweisen kann.

Ich kenne ein Wort von William Monis: „Die Beispiele edler Baukunst zu ehren und den Zusammenhang ihrer Geschichte zu verstehen und zu wahren, heißt den Urquell aller Kunst und Kultur behüten.

Abb. 25 und 26. Xanten. Kreuzgang von St. Viktor.

Es hat indessen lange Zeit gekostet, bis jene künstlerische Bewegung des Kunstgewerbes und des Heimatschutzes, die in England mit Morris begann, bei uns in Deutschland auch heimisch wurde. Sie hatte, gottlob, ganz andere Tendenzen als die aus dem Geiste der Romantik geborene Denkmalpflege am Rhein. Man hat in England über Stilfragen, über Stilreinheit und Restaurationen viel weniger debattiert. Die Morris, Webb und Shaw reizten viel mehr die schlichten, anspruchlosen, die ,,stillosen“ Land- und Bauernhäuser, die schmucklosen Bürgerhäuser des 17. und 18. Jahrhunderts. Der künstlerisch praktische Sinn des Engländers suchte wieder Bild, Hausrat und Zimmereinrichtung mit dem Hause auf eine gleiche Klangfarbe zu stimmen. Praktische Wohnbedürfnisse gaben dabei den wichtigsten Ausschlag. Denn ,,Von allen unnötigen Dingen,“ meinte Morris einmal, ,,die heute vorhanden sind, ist das unnötigste das Ornament.“ Haus und Landschaft suchte man wieder als eine Harmonie zu gestalten. Bei uns in Deutschland aber bestimmte das Ornament, die historische Formenlehre, den Charakter der Bautätigkeit. Und der Inbegriff alles künstlerischen Schaffens war das von der Architektur emanzipierte Tafelbild geworden*).

Man wird indes in dem Bestreben des Kunst-Vereins für die Rheinlande und Westfalen, den alten Zusammenhang von Malerei und Baukunst wiederzugewinnen, einen der ersten Versuche in Deutschland anerkennen müssen. Alfred Rethels Fresken im Rathaussaale in Aachen, die Malereien im Chore der Liebfrauenkirche in Trier, die Wandgemälde im Düsseldorfer Rathause, in der Universität zu Münster, im Kreishause zu Aachen-Burtscheid und auf Schloss Burg an der Wupper danken doch ihr Entstehen in erster Linie der Anregung und finanziellen Unterstützung des Vereins. Wenn der Erfolg nicht der Tendenz entsprach, so lag das halt an zeitlichen Verhältnissen! Heute sind Morris' Anschauungen bei uns in Deutschland ein Allgemeingut geworden. Die Baukunst hat ihre alte Stelle wiedergewonnen. Die dekorativen Künste suchen sich ihr wieder anzupassen.

Ein Verein, der selbst an diesen architektonischen Zielen mitarbeiten wollte, der,,dem Zwecke dient, die Kunst zu fördern .... den Schmuck des öffentlichen und Privatlebens durch Werke der Kunst zu erleichtern“, hätte seine aktuelle Aufgabe verkannt, wenn er nicht heute in seinen künstlerischen Bestrebungen der Baukunst den Platz einräumen wollte, der ihr mit Recht zusteht! War nicht in allen Zeiten einer künstlerischen Kultur die Baukunst die Mutter der bildenden Künste? Die Malerei war doch in erster Linie Schmuck für eine fest bestimmte Wand und stand daher im Dienste eines architektonischen Gedankens. Der Plastik diktierte die Baukunst des Hauses oder des Straßenbildes die Formen und Gestaltung. Und Kunstgewerbe war ganz selbstverständlich nichts anderes als Teil der Architektur! Heimische Kunst fördern, kann heute nicht mehr heißen, nur Düsseldorfer Tafelmalerei verbreiten. Das Tafelbild ist eben nicht mehr für uns der Inbegriff des künstlerischen Schaffens. Es darf nichts anderes sein als ein Schmuck für eine heimische, dem landschaftlichen Charakter angepaßte neue Bau- und Wohnkultur!

Abb. 27. Xanten. Partie am Domplatz von St. Viktor.

* Vgl. Richard Klapheck: Die Baukunst der Rheinprovinz im 19. Jahrhundert in „Die Rhinproinz 1813 — 1915, herausgegeben von Joseph Hansen. Bonn 1915.

Das Schicksal hat uns im 19. Jahrhundert zu Nomaden gemacht. Wir haben kein festes Heim mehr, in das hmem wir unsere Bilder malen lassen und dem wir unseren Hausrat anpassen könnten. Wir haben keine engere Heimat mehr. Wir wandern. Wir suchen an anderen Orten unsere Lebensverhältnisse zu verbessern. Wir werden „versetzt“ und wissen, daß dort, wo wir zurzeit wohnen, uns in den meisten Fällen doch kein dauerndes Heim beschieden ist.

Dieses Wanderleben ließ aber eine alte Sehnsucht wieder in uns wach werden. ,,Ist doch die allererste Tat,“ meinte John Ruskm einmal, ,,die ein Mensch zu vollbringen hat, sich einen Ruheplatz zu suchen; einen Ort, wo sein Fuß rasten kann; ein Haus, sein Heiligtum; und er halte es so heilig und fühle sich dann so glücklich, daß er daraus nur mit bitterstem Schmerze scheiden würde, sollte man ihn einst zwingen, es zu verlassen.“

Aber zu dieser neuen Bauund Wohnkultur bedarf es der Pflege und Wiederbelebung der altheimischen Bauweise. „Ich bin nicht so einfältig, vorauszusetzen,“ sagt Morris, ,,daß wir aus der traurigen Leere, in die wir geraten sind, plötzlich einen neuen Stil aufbauen könnten, ohne dazu die Hilfe vergangener Kunstzeiten in Anspruch zu nehmen. Und Ruskin: ,,Wenn unsere Häuser so gebaut werden, dann werden wir die echte Hausarchitektur haben, den Anfang aller Architektur und Kunst überhaupt.“

Abb. 28. Xanten. Statue des heiligen Viktor.

Die Landschaft muß wieder der Grundakkord werden, auf dem die Baukunst sachlich sich entwickelt. Klima, heimisches Baumaterial und Wohnbedürfnisse stellen ihre fest bestimmten Forderungen an einen Bau. Und bis zu den Tagen, als das polytechnische Wissen der Architekten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine babylonische Sprachverwirrung auch über unsere niederrheinische Heimat brachte und mit schrillen Dissonanzen die alte, klangvolle Harmonie von Landschaft und Architektur jäh unterbrach, bis dahin war der Backsteinbau am Niederrhein die natürliche, altvererbte und heimische Bauweise.

Ich möchte in diesem Buch vom niederrheinischen Backsteinbau erzählen, vom Haustein- und vom Schieferhause nur, soweit es den Zusammenhang berührt. Aber auf politische Grenzen werde ich kaum Rücksicht nehmen können. Es sind ja Zufallsgrenzen politischer Ereignisse. Das Oberquartier Geldern, das seit 1715 als neuer leuchtender Stein in der Krone Preußen glänzte, 1801 herausgebrochen wurde und 1815 eine dauerhaftere Einfassung erhielt, reichte bis 1801 weit über die Maas hinaus. Holländische Städte und Schlösser, wie Venray, Kessel, Geisteren, Well, Afferden, Gennep und Middelaar, waren bis dahin preußisch. Arnheim war die Hauptstadt des Unterquartiers Geldern. Das preußische Herzogtum Cleve reichte mit Zevenaar und Huissem bis in seine nächste Sehweite. Trägt uns das Schiff an Nymwegen vorüber, so grüßt uns vom Valkhof herab die alte deutsche Kaiserpfalz Karls des Großen und Friedrich Barbarossas. Der Backsteinbau verlangt es, daß wir von Zeit zu Zeit in diesen Darstellungen die niederländische Grenze überschreiten und das benachbarte Stift Münster aufsuchen. Das holländische Gelderland und das preußische Münsterland bilden mit dem Niederrheine eine große Kunstprovinz.

Abb. 29. Pappel- und Birken-Allee bei Calcar.

Die ,,Baukunst vom Niederrhein“ ist nicht bestimmt für den gelährten Kunsthistoriker. „Wir wollen weniger erhoben, doch fleißiger gelesen sein.“ Und noch aus einem anderen Moment: wer möchte es denn unternehmen, heute schon über ein Neuland der Kunstgeschichte eine kunsthistorische Arbeit schreiben zu wollen, da doch noch alle Vorarbeiten fehlen und sich bei jedem Satze neue, noch ungelöste Fragen aufdrängen?* Nein, dieses Buch ist für den schlichten Kunstfreund und den Wandersmann bestimmt, für den Künstler, den Maler und Architekten. Es soll erzählen von den landesherrlichen Burgen und Schlössern der Herzöge von Cleve, Jülich und Berg und der Erzbischöfe von Köln am Niederrhein; von den alten Stadtbefestigungen und Toren; von der Entwicklung des altheimischen Backsteinbaues und den Edelsitzen auf dem flachen Lande; von Herzog Wilhelm V., der Herr zu Cleve, Jülich, Berg, Mark, Zütphen und Ravensberg war, und der Entfaltung echten Renaissancegeistes an seinen Höfen zu Cleve, Jülich und Düsseldorf; von Johann Wilhelm, dem kupfernen Potentaten auf dem Marktplatze zu Düsseldorf und seiner großen Künstlerschar; von Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz und Herzog von Jülich -Berg, und seinem schönen Schloss zu Benrath; vom Wiederaufbau der freien Reichsstadt Aachen nach dem Brande vom Jahre 1656; und weiter dann von den klassizistischen Meistern, die die Ereignisse von 1815 bei der stillen Arbeit überraschten.

* Paul Clemen: „Kunstdenkmäler der Rheinprovinz“ Düsseldorf 189I ff. müssen natürlich als eine Vorarbeit genannt werden, die vor allem für die historischen Daten und das Quellenstudium außerordentlich wichtig sind. Die ersten drei Bände beziehen sich auf unser Gebiet. Aber eine Inventarisation will ja nicht die geschichtliche Entwicklung vorführen, sondern in erster Linie eine Statistik sein. Die drei niederrheinischen Bände sind schon zwischen 1891 und 1895 erschienen. Im Rahmen der Zeit ist das größere Interesse der kirchlichen Baukunst und den Monumentalbauten gewidmet worden, während die „Baukunst vom Niederrhein sich mehr der bürgerlichen Profanbaukunst zuwenden möchte. Das Buch des Kunstvereins ist aber dem Verfasser der „Kunstdenkmäler der Rheinprovinz“, Herrn Geheimen Regierungsrat Prof. Dr. Paul Giemen, Bonn, und seiner dauernden Anteilnahme zu Dank verpflichtet.

Wenn aber die Berge am oberen Niederrhein beginnen, die Eifel und das Bergische Land, und wenn der Backsteinbau allmählich schwindet, dann wird auch meine Erzählung endigen.

Abb. 30. Lank. Altes Bauern-Backstemhaus bei Haus Hamm.
Abb. 31. Cleve. Die Schwanenburg.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Baukunst am Nieder Rhein Band 1.
Abb. 23. Gartenpavillon an der Immunitätsmauer von St. Viktor. Vgl. Situationsplan Abb. 21.

Abb. 23. Gartenpavillon an der Immunitätsmauer von St. Viktor. Vgl. Situationsplan Abb. 21.

Abb. 24. Xanten. Renaissanceerker an einem der Immunitätshäuschen von St. Viktor.

Abb. 24. Xanten. Renaissanceerker an einem der Immunitätshäuschen von St. Viktor.

Abb. 25 und 26. Xanten. Kreuzgang von St. Viktor.

Abb. 25 und 26. Xanten. Kreuzgang von St. Viktor.

Abb. 27. Xanten. Partie am Domplatz von St. Viktor.

Abb. 27. Xanten. Partie am Domplatz von St. Viktor.

Abb. 28. Xanten. Statue des heiligen Viktor.

Abb. 28. Xanten. Statue des heiligen Viktor.

Abb. 29. Pappel- und Birken-Allee bei Calcar.

Abb. 29. Pappel- und Birken-Allee bei Calcar.

Abb. 30. Lank. Altes Bauern-Backsteinhaus bei Haus Hamm.

Abb. 30. Lank. Altes Bauern-Backsteinhaus bei Haus Hamm.

alle Kapitel sehen